34 White Lake

Immer noch Sonntag, 23. September

Diesmal fährt uns Sheriff Albin selbst zum CFS zurück.

Unterwegs verrate ich ihm, wer ich in Wirklichkeit bin, und gebe ihm die Namen einiger Leute, die mich vielleicht nicht finden, aber doch Fragen zu meiner Person beantworten können. Ich finde, er hat ein Recht darauf, Bescheid zu wissen. Und vielleicht kommt es ohnehin raus.

Selbst wenn man Albins eigene Verwicklung beiseite lässt, wird das ein Schlamassel. Fehlende Leiche, fehlende Zeugen, Tengs Todesursache unklar – Kugeln? Hai? – und keine Gewähr dafür, dass sie jemals klarer wird. Der Bezirksstaatsanwalt wird irgendwann aufhören, Reggie wegen Mordes zu verfolgen, und sich mit einer Anklage wegen Betrugs zufriedengeben – die auch nicht so leicht durchzubringen sein dürfte. Irgendwas ist auf Reggies Tour passiert, und die Gäste haben mit ihren Schusswaffen gegen seine klar formulierten Regeln verstoßen; obendrein wird er nie sein Geld bekommen. Egal wie hoch ihre Provision ist, Palin wird den Vertrag nie bestätigen, wenn er sie mit Ford in Verbindung bringt.[69]Dass er so leicht gegen das Gesetz verstieß und die möglichen Folgen seiner Handlungen ignorierte, selbst wenn vorauszusehen war, dass sie Menschen in Lebensgefahr bringen würden, führe ich nicht nur auf Geldgier zurück. Ich bin zwar kein Psychiater, aber für mich ist Reggie Trager jemand, der offenbar seit dem Vietnamkrieg so innerlich erschüttert, so von Traurigkeit und Unwirklichkeitsgefühlen erfüllt ist, dass er den etwaigen Folgen seines Projekts – im Guten wie im Bösen, für ihn selbst und andere – so gut wie kein Gewicht beimaß. Ich glaube nicht, dass er in böswilliger Absicht gehandelt hat. Ich glaube, er ist einfach jemand, der in jungen Jahren gefährlich gemacht wurde und so geblieben ist.

Daher ist Albin ein wenig gestresst. Und doch ist er Gerechtigkeitsfanatiker genug, um nicht Violet und mich, sondern McQuillen für die ins Haus stehenden ein, zwei rauen Jahre verantwortlich zu machen und uns dafür zu danken, dass wir McQuillen gestellt haben, auch wenn wir ihm nicht gesagt haben, dass wir das vorhatten.

Er fährt uns zum Jachthafen. Violet und ich denken, wir können Henry und Davey und Jane und allen anderen, die im Laden – das beinhaltet vermutlich auch Bell – sind, später noch auf Wiedersehen sagen. Im Moment wollen wir nur unseren Kram packen und weg.

Die Lodge selbst ist verlassen. Der dort postierte Hilfssheriff holt die Schlüssel für unsere Hütte, und zu viert gehen wir hin.

Sobald ich aber die Tür einen Spalt weit öffne, weiß ich, dass etwas nicht stimmt. Ich kenne den Geruch dieses Zimmers ziemlich gut, weil ich da im Dunkeln gelegen und versucht habe, aus fünf Metern Entfernung Violets Muschi zu erschnuppern. Es riecht jetzt anders.

Nach Parfüm. Und nicht bloß irgendeinem. Canoe, von Dana. Das Lieblings-Rasierwasser aller Mobsterärsche.

Außerdem ist ein Stolperdraht über den Boden gespannt. Die Tür drückt dagegen.

Ich bleibe stehen. Aber Violet, die nicht ahnt, was los ist, und nicht auf mich drauflaufen will, macht einen Schritt zur Seite und schiebt sich an mir vorbei. Stößt die Tür ein paar Zentimeter weiter auf.

An die Explosion habe ich keine Erinnerung.

 

Ich erinnere mich, dass ich beim Aufwachen den Himmel über mir habe. Mich umdrehe und Violet reglos neben mir sehe. Albin und seinen Hilfssheriff sehe ich nirgends. Ich erinnere mich, dass ich mich zu Violet hinüberrollen und ihren Puls fühlen will, stattdessen aber wieder bewusstlos werde.

Als ich das nächste Mal zu mir komme, kann ich mich nicht rühren. Mir nicht mal vorstellen, dass ich je die Kraft und die Schmerzfreiheit hatte, den Kopf zu drehen. Ich will etwas sagen, kann aber nicht.

Außerdem begreife ich nicht, wieso ich noch lebe.

Uns eine Bombe in die Hütte zu legen – und vermutlich noch eine ins Auto – ist schlicht ein Notbehelf. Wenn David Locano weiß, dass ich hier irgendwo bin, lässt er die Lodge auch rund um die Uhr beobachten und hat in weniger als zehn Minuten einen Killertrupp hier.

Sie müssten schon da sein.

Scheiße, wo bleiben die?