8 Ely, Minnesota
Immer noch Donnerstag, 13. September
Ich trage Violet auf den Armen ins Ely Lakeside Hotel, als hätte ich vor, sie irgendwo an den Bahngleisen anzuketten. Es erinnert mich daran, wie viel man wiegen muss, um als Sexbombe zu gelten.[29]
In Ford ließ ich mir alles erzählen, was sie von diesen Vollidioten in der Bar erfahren hatte – bevor ich den Motor anließ, denn ich befürchtete, am nächsten Morgen könnte sie sich an nichts mehr erinnern. Während sie mir das Ganze erzählte, legte sie mir zur Betonung ständig die Hand auf den Schenkel, und ich saß mit einer Erektion da, die sich wie ein Schaltknüppel anfühlte.
»Na, da will sich aber jemand echt amüsieren«, sagt das Mädchen am Empfang. Ich kann nur hoffen, dass sie damit auf Violets Rausch anspielt und nicht darauf, dass ich ihre Ohnmacht ausnutzen könnte.
Ich lege Violet bekleidet in einem der beiden Zimmer ins Bett und gehe runter in die Hotelbar. Dort gibt es eine Veranda mit Blick über einen See. Ich hole mir mein eigenes Grain Star und nehme es mit nach draußen, um aufs Wasser zu blicken. Dahinter erstrecken sich, dunkel wie ein Dschungel, die Boundary Waters.
Irgendwann kommt die Barkeeperin raus und lehnt sich neben mir ans Geländer. Eine sonnenverbrannte fünfunddreißigjährige Blondine mit einem Lächeln, das mir gefällt. »Haben Sie was dagegen, wenn ich rauche?«, fragt sie.
Ich denke darüber nach. Zigaretten sind für uns so verheerend, dass sie unseren Urin mit krebserregenden Stoffen belasten und unser Gehirn daran hindern, seine Sauerstoffzufuhr zu regulieren, und als Arzt hätte ich wohl die Verpflichtung, etwas in dieser Richtung zu sagen. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, was. Der Einfluss der Präventivmedizin ist schwer zu berechnen, deshalb wird die Änderung menschlichen Verhaltens durch Kommunikation einzig und allein von der Werbeindustrie erforscht.
»Nur hinsichtlich Ihrer Gesundheit«, sage ich schließlich und denke, dass ich mir eine bessere Formulierung einfallen lassen sollte. »Sind Sie bloß meinetwegen noch auf?«
Sie zündet sich eine an und bläst den Rauch langsam aus. »Noch nicht.«
Nett.
Ich komme mit Barkeeperinnen gut klar. Auf einem Kreuzfahrtschiff gibt es viele Frauen, mit denen man schlafen kann, aber wenn man auf Oberflächlichkeit steht, sind Barkeeperinnen was Besonderes. Ich will nicht darauf herumreiten, aber sie verbringen wirklich den größten Teil ihrer Zeit damit, hinter einer Barriere zu stehen und freundlich zu sein.
Ich sollte mit dieser Frau nach Hause gehen und Violet morgen früh davon erzählen. Noch besser wäre es, sie mit in mein Zimmer zu nehmen und so laut zu sein, dass es im Nebenzimmer zu hören ist. Jegliche Chance, die ich bei Violet haben könnte, zu verspielen.
Seit Magdalena Niemerovers von mir verschuldetem Tod vor elf Jahren halte ich mich an folgende Regel: Wenn eine Frau mir so nahe kommt, dass sie wissen will, wann mein Geburtstag ist, dann rede ich nie mehr mit ihr. Auf die Art bringe ich niemanden in Gefahr, und es hat noch andere Vorteile, denn meistens kann ich mich nicht erinnern, wann Lionel Azimuth angeblich Geburtstag hat. Und das Letzte, was ich gebrauchen kann, ist, dass jemand für mich eine Überraschungsparty schmeißt.
Violet und ich sind noch nicht an diesem Punkt angelangt. Doch meine Lügen häufen sich schnell – ob in Wort oder Tat. Wenn es für uns noch nicht zu spät ist, Sex zwischen Fremden zu haben, dann wird es bald so weit sein. Und wenn ich mit ihr unter der Voraussetzung schlafe, dass sie wirklich etwas über mich weiß, dann könnte ich es auch jetzt tun, während sie ohnmächtig ist.
Ich sollte die Möglichkeit ausschließen, aber ich schaffe es einfach nicht.
»Ich nehme Ihre Zeit nicht mehr lange in Anspruch«, sage ich zur Barkeeperin. »Meine Frau und ich müssen ja morgen früh aus den Federn kommen.«
Sie wirkt erleichtert. Jetzt können wir etwas tun, das noch oberflächlicher ist als Sex.
»Wo soll’s denn hingehen?«
»Wir sind bloß Touristen«, sage ich. Und das stimmt ja auch. Hier in der Zivilisation – wenn auch mit Blick auf die Wildnis – scheinen Ford und sein Missmut unendlich weit weg zu sein. »Irgendwas, das wir sehen sollten?«
»Wollen Sie eine Kanutour machen?«
»Wahrscheinlich.«
Das laute Geheul eines Werwolfs dringt von der anderen Seeseite herüber und zerreißt die Stille der Boundary Waters.
Die Barkeeperin sieht mein Gesicht und muss lachen. »Das ist bloß ein Seetaucher«, sagt sie, und ich frage mich, wie viele Rätsel Nordminnesotas sich noch als Seetaucher erweisen werden. »Machen Sie sich keine übertriebenen Hoffnungen.«