35 Portland, Oregon

Dienstag, 25. September

»Sie hätten mir sagen können, dass Sie ein Auftragskiller sind«, sagt Rec Bill.

»Hätte ich nicht.«

»Und erst recht, dass Sie auf der Flucht sind.«

»Ich bin nicht auf der Flucht. Es gibt nur ein paar Arschlöcher, die mir nach dem Leben trachten.«

»Das ist mir nicht entgangen. In die Luft gejagt haben sie aber meine Paläontologin, zu deren Schutz ich Sie engagiert hatte.«

»Ja.«

Wir sind in seinem verglasten Büro.

»Ich höre, Sie waren heute Morgen bei ihr«, sagt er.

»Das stimmt.«

»Wie geht’s ihr?«

»Besser.«

»Hat sie was gesagt?«

»Nicht viel.«[71]

»Irgendwas über mich?«, sagt Rec Bill.

»Nein, aber es ist lustig, dass Sie danach fragen. Violet erzählte mir, dass sie mit Ihnen in einer Art Beziehung steht, aus der sie aber nicht schlau wird.«

Er starrt mich an. »Das hat sie Ihnen gesagt?«

»Ja. Ich fand das komisch. Ich meine, ich habe sie ziemlich gut kennengelernt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass mich irgendwas zurückhalten würde.«

Sein Blick wird abschätzig. »Nun, danke für den Beziehungstipp. Wollten Sie mich nur deshalb sprechen?«

»Da ist noch etwas. Rauchen Sie, Rec Bill?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Das dachte ich mir. Stört es Sie, wenn andere hier drin rauchen?«

»Ja. Der ganze Campus ist rauchfrei. Tut mir leid.«

»Als ich letztes Mal hier war, stand aber ein kleiner Aschenbecher auf Ihrem Schreibtisch.«

»Das weiß ich nicht mehr.«

»Er war rosa und golden. Ein bisschen altmodisch, wie so ein Souvenir. Eine umgedrehte Visitenkarte lag drin.«

»Dann muss ihn mir jemand geschenkt haben. Worauf wollen Sie hinaus? Möchten Sie einen Aschenbecher?«

»Nein. Brauche ich nicht. Ich kenne niemanden, dessen Visitenkarte Feuer fängt.«

Rec Bill sieht mir ins Gesicht.

Sagt: »Vielleicht wäre es gut, wenn Sie jetzt gehen.«

»Das dürfte Sie aber interessieren.«

»Das bezweifle ich.«

»Okay.« Ich mache Anstalten, aufzustehen.

»Warten Sie«, besinnt er sich. »Wollen Sie mir hier irgendwas vorwerfen?«

»Ich werfe Ihnen vor, dass Sie Tom Marvell beauftragt haben, die Palin-Gruppe zum White Lake zu begleiten.«

»Was? Wieso denn?«

»Wohl nicht, um mich an die Mafia zu verraten, falls Marvell das getan hat, und danach sieht’s aus, ob absichtlich oder nicht. Irgendwer hat rausgefunden, dass ich da war, und deswegen wurden Violet und ich beinah umgebracht, und das dürfte am ehesten an Marvell liegen.«

»Und Sie glauben, meinetwegen ist Marvell nach Minnesota?«

»Nun, er war hier, bevor er dort war. Mit seinem Denk-ich-an-Vegas-Aschenbecher – ich meine, wo gibt’s denn sonst noch Souvenir-Aschenbecher? Und mit seiner flammenden Visitenkarte.«

»Das nenne ich aber einen Gedankensprung.«

»Sie können meine Zeit vergeuden, so lange Sie wollen.«

Rec Bill mustert mich. Sagt dann schließlich: »Ich habe mit Marvell ein Bewerbungsgespräch geführt. Gesehen haben wir uns nicht, und statt seiner habe ich dann Sie genommen. Ich war so überrascht wie jeder andere, als er in Ford auftauchte. Ich hatte ihm den Brief und das Video ganz im Vertrauen gezeigt.«

»Sie meinen, er ist auf eigene Faust zum White Lake?«

»Soweit ich weiß, ja. Warum hätte ich es Ihnen nicht sagen sollen, wenn er für mich gearbeitet hätte?«

»Warum hätten Sie mir nicht sagen sollen, dass Sie mit ihm gesprochen haben, nachdem ich Ihnen gemailt hatte, dass er hier war? Warum hätten Sie es Violet nicht sagen sollen? Oder warum hätten Sie ihn nicht von Violet am Flughafen abholen lassen sollen?«

»Ich habe viele Angestellte. Und viel um die Ohren.«

»Wobei Violet in beide Kategorien fällt.«

Rec Bill presst die Lippen zusammen. »Lassen Sie die Anspielungen und gehen Sie.«

»Okay. Sie wollten Marvell engagieren, als er hier in diesem Büro war, aber daraus wurde nichts. Entweder hat er nein gesagt oder zu viel Geld verlangt und Sie haben nein gesagt. Also haben Sie Michael Bennett von Desert Eagle Investigations für den Job engagiert, den Marvell machen sollte – und das war eben nicht der, mit dem Sie mich beauftragt hatten. Und als Mr Bennett Violet und mich im Schlaf ablichten wollte, weil er dachte, wir wären vielleicht im selben Bett, und wir ihn erwischt haben, sind Sie auf allen vieren wieder zu Marvell gekrochen und haben ihm gezahlt, was er haben wollte. Dann haben Sie Palin bezahlt, damit sie ihn mitnimmt und ihm eine Tarngeschichte liefert. Das muss Sie ein Vermögen gekostet haben und bedeutet außerdem, dass Sie vor Violet und mir wussten, dass Palin der Schiedsrichter war, und uns nichts davon gesagt haben. Weil wir dann gewusst hätten, dass Sie darauf pfeifen, wer der Schiedsrichter ist. Und dass Sie darauf pfeifen, ob es im White Lake ein Ungeheuer gibt. Sie wollten Ihre zwei Millionen Dollar nicht an Reggie Trager verlieren, aber sonst war Ihnen der Schwindel schnurz. Sie wollten lediglich, dass jemand Violet Hurst nachspioniert. Die Sie mit jemandem in den Wald geschickt hatten, der so anders ist als Sie, dass Sie sich dachten, wenn sie mit dem schläft, hab ich den Beweis, dass sie unmöglich mich lieben kann.«

Rec Bill hat kein schlechtes Pokerface. Aber auch kein richtig gutes.

»Das ist doch verrückt«, sagt er.

»Na, jedenfalls nicht besonders reif. Es erinnert eher an das Verhalten eines Zwölfjährigen.«

»Machen Sie, dass Sie rauskommen. Und verschwinden Sie von meinem Campus.«

»Hören Sie schon auf, das Campus zu nennen. Es ist ein läppischer Büropark. Unterrichten Sie hier irgendwo französische Literatur, oder was?«

»Verschwinden Sie. Und noch etwas. Wenn Sie ein Wort von all dem zu Violet sagen, vernichte ich Sie.«

»Violet ist meine Freundin. Ich werde ihr die Wahrheit sagen.«

»Heißt das, Sie wollen mich erpressen?«

»Nein. Ich werde ihr die Wahrheit sagen. Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen.«

Er sieht mich mit kalten Augen an, die nach und nach auftauen und sich mit Tränen füllen. Wenn das gespielt ist, ist es Wahnsinn.

»Sie wissen ja nicht, wie das ist«, sagt er schließlich. »Wie schwer es für mich ist, Menschen zu vertrauen.«

»Ich würde Ihnen einen Fluss weinen, aber es geht wahrscheinlich schneller, wenn Sie sich einen kaufen.«

»Sie müssen mir bei ihr helfen.«

»Nein, danke. Ich werde nicht versuchen, sie gegen Sie einzunehmen, aber auf keinen Fall helfe ich Ihnen, sie für sich zu gewinnen.«

»Das … geht in Ordnung.« Er will noch etwas sagen, bremst sich aber.

»Bitte?«

»Haben Sie mit ihr …? Als Sie zum White Lake zurück sind?«

»Ach du lieber Gott!«, sage ich. »Fragen Sie sie doch! Fragen Sie sie, was Sie wollen. Vielleicht antwortet sie Ihnen nicht, aber dann benehmen Sie sich wenigstens mal wie ein Erwachsener.«

»Sie haben recht. Ich weiß. Entschuldigung.«

Er sackt in sich zusammen und starrt auf seinen Schreibtisch. Oder auf seine Füße. Hier ist das schwer zu sagen.

»Wollen Sie … mehr Geld?«, fragt er schließlich.

»Nein. Was Sie mir schulden, dürfte genügen. Aber wenn Sie’s mir schon anbieten – ich könnte Hilfe beim Ausgeben gebrauchen.«