55. JOHN MACBETH. KOPENHAGEN.

»Wer hat meinen Bruder umgebracht?« Macbeths Stimme wurde lauter, sodass das Paar am Nachbartisch zu ihnen herüberschaute. Schnell senkte er sie wieder. »Wenn Sie wissen, wer meinen Bruder umgebracht hat, dann sollten Sie es mir lieber auf der Stelle sagen. Und danach gehen wir direkt zur Polizei.«

»Die Polizei weiß es bereits.« Mora sprach leise und gefasst. »Zumindest die englische Polizei. Sie haben es nur noch nicht veröffentlicht, weil ihnen bisher die entsprechenden Beweise dafür fehlen.«

»Wenn sie wissen, wer es getan hat, warum wurde dann noch niemand verhaftet?«

»Die Person, die die Bombe gezündet hat, durch die Ihr Bruder umgekommen ist, hielt sich ebenfalls im Hörsaal auf. Dieser Mann wurde wie alle anderen getötet.«

Macbeth setzte sich aufrecht hin. »Was? Wer hat Casey getötet?«

»Professor Blackwell.«

»Dann sind Sie also doch nichts weiter als eine verrückte Verschwörungstheoretikerin.« Macbeth stand auf. »Und eine kranke noch dazu. Ich habe genug gehört.«

»Ich bin nicht verrückt. Blackwell hat bewusst die klügsten Köpfe der Quantenphysik um sich gescharrt und sie ausgelöscht. Er hat mit Absicht dafür gesorgt, dass die theoretische und die praktische Physik um mindestens eine Generation zurückgeworfen wurden. Wenn Sie mir nicht glauben, dann fragen Sie die englische Polizei.« Mora Ackerman sah sich zu den anderen Tischen um und stand dann auf. »Gehen wir ein Stück.«

»Es gibt absolut keinen logischen Grund für Blackwell, sich selbst, seine engsten Freunde und alle seine Kollegen in aller Öffentlichkeit umzubringen«, sagte Macbeth, als sie nebeneinander hergingen. »Es sei denn, er war schwer gestört. Das ist auf jeden Fall völliger Blödsinn.« Sie hatten den See bereits halb umrundet. Ackerman blieb stehen und drehte sich zu ihm um.

»Das ist es nicht. Henry Blackwell hat es getan, weil es seiner Ansicht nach der einzige Weg war, um uns zu retten. Oder um unser Ende zumindest hinauszuzögern. Er war nicht verrückt oder gestört – höchstens durch das, was er rausgefunden hatte. Er wollte nichts, als uns mehr Zeit zu verschaffen.«

»Das ergibt doch keinen Sinn …«

»Es ist Blackwell gelungen, die Prometheus-Antwort zu finden. Er hat eine perfekte Simulation unseres Universums geschaffen und dadurch erkannt, wie es entstanden ist und wie – und warum – es enden wird. Dieses Wissen hat ihn zu dem bewogen, was er getan hat. Dasselbe Wissen, das so viele kluge Köpfe auf der Welt dazu gebracht hat, Selbstmord zu begehen. Alles, was letztes Jahr geschehen ist, all die Visionen, all das war die direkte Konsequenz aus Blackwells Prometheus-Programm. All das hat aufgehört, als das Programm aufgehört hat. Als Blackwell und die anderen gestorben sind.«

»Und was hat Blackwell herausgefunden? Und wie konnte ein Computerprogramm eine Massenwahnvorstellung hervorrufen?«

»Diese Fragen kann ich Ihnen nicht beantworten, da müssen Sie schon mit meinem Freund sprechen. Werden Sie sich mit ihm treffen?«

»Wer ist er?«

»Das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Er wird Ihnen alles erklären.«

Macbeth sah die hübsche junge Dänin an. Er wusste so wenig über sie und konnte nicht einmal ausschließen, dass sie ein Mitglied des Blinden Glaubens war. Sie und ihr Freund, wer immer er auch sein mochte, mochten Caseys wahre Mörder sein.

»Das muss ich mir erst noch überlegen«, erwiderte er. »Und wenn ich mich mit ihm treffe, dann nur an einem öffentlichen Ort. Noch bin ich nicht davon überzeugt, dass Sie nicht zu einer dieser fundamentalistischen religiösen Gruppierungen gehören.«

Sie lachte verbittert auf. »Ich bin Atheistin, so wie Gott mich geschaffen hat … Ich werde Sie anrufen. Sie können ja in der Zwischenzeit mal bei der englischen Polizei nachfragen, ob Blackwell ein Verdächtiger ist, dann werden Sie ja sehen, was man Ihnen sagt …«

Macbeths Handy klingelte und unterbrach sie.

Er blickte auf das Display. Es war die Universität.