21. JOSH HOBERMAN. MARYLAND.

Josh Hoberman unterhielt sich jeden Tag mit Ward, dem Privatarzt der Präsidentin. Trotz seiner Antipathie für Wards Zugehörigkeit zum Militär – und für Ward an sich – hatte Hoberman das Gefühl, dass er zumindest ein Mann der Wissenschaft war und außerdem der einzige Mensch, mit dem er einigermaßen frei über die Präsidentin sprechen konnte. Dennoch erkannte Hoberman bald, dass sich Elizabeth Yates mit Menschen umgab, die ihr Ego stärkten und ihre Mission unterstützten.

Doch es war Ward gewesen, der Hoberman hinzugezogen und der keinen Einspruch gegen die ehrlichen Beobachtungen des Psychiaters erhoben hatte. Trotzdem blieb Hoberman vorsichtig und achtete genau darauf, wie er einige der prekäreren Probleme hinsichtlich des Geisteszustands der Präsidentin ansprach.

Seit der ersten Nacht war er nicht mehr in der Aspen Lodge, der Unterkunft der Präsidentin, gewesen, und die meisten Treffen mit Yates und mit Ward fanden in der Laurel Lodge statt. Er selbst schlief in der Dogwood Cabin, an deren Wänden lauter Fotos früherer, deutlich prominenterer Gäste hingen. Camp David war mit der modernsten Technologie ausgerüstet, kam ihm aber dennoch wie ein schickes Sommerlager aus den 1950ern vor, und wenn er unter den Blicken vergangener und jetziger ausländischer Staatsoberhäupter saß, stellte er immer wieder fest, dass dies einer der seltsamsten Orte war, an denen er je seine Arbeit ausgeübt hatte. Er vermutete, dass diese Umgebung die Stimmung und die Haltung ihrer wichtigsten Bewohnerin widerspiegelte. Unter Elizabeth Yates war diese Stimmung trotz des bewusst ländlich gehaltenen Umfelds keinesfalls gemütlich.

»Haben Sie die Berichte über diese Sache in Boston gelesen?«, erkundigte sich Ward.

»Ich habe sie gelesen«, bestätigte Hoberman. »Und auch das über die anderen Ereignisse.«

»Und?«

»Und es sieht ganz so aus, als hätten Sie recht – als hätten wir es wirklich mit einer pandemischen Erscheinung zu tun und nicht mit einem Fall, der nur die Präsidentin betrifft.«

»Warum habe ich dann das Gefühl, dass Sie nicht bereit sind, das zu bestätigen?«, fragte Ward. Er trug zivile Kleidung, hatte sich einen Pullover über die Schultern geworfen, dessen Ärmel locker vor der Brust verknotet und trank einen Single Malt aus einem Kristallglas. Hoberman versuchte, den wenig hilfreichen Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen, dass der Arzt sich einen netten Nebenverdienst als Model für Werbeanzeigen von Pullovern verdienen konnte.

»Okay …« Hoberman nippte auch an seinem Whiskey. »Das bleibt unter uns, zumindest für den Moment, okay?«

»Natürlich.«

»Das geht über mein eigentliches Ziel hier hinaus, ist meiner Meinung nach aber von Bedeutung. Nehmen wir einmal an, diese Halluzinationen der Präsidentin haben dieselbe Ursache wie all die anderen gemeldeten Fälle. Das ließe vermuten, dass nichts Spezielles die Präsidentin dazu bringt, das zu sehen, was sie sieht, abgesehen von einer Art unidentifizierter Infektion.«

»Fahren Sie fort …«

»Ich bin nicht wegen des Grunds für diese Halluzinationen besorgt, sondern wegen der Auswirkungen, die sie auf die tiefer liegende Psychologie der Präsidentin haben könnten.«

»Wollen Sie damit sagen, dass es einen präexistenten Grund zur Besorgnis gibt?«

Hoberman reichte Ward drei ausgedruckte Seiten. Ward stellte sein Whiskeyglas ab und las sich die Notizen durch.

»Können Sie meine Sorge nachvollziehen?«, fragte Hoberman, als Ward alles gelesen hatte.

»Ich verstehe Sie, aber ich muss Ihnen widersprechen. Ich kenne Präsidentin Yates jetzt seit Jahren. Wenn sie eine derartige Pathologie an den Tag gelegt hätte, dann wäre mir das aufgefallen.«

»Nicht unbedingt. Dieser Persönlichkeitstyp ist sehr gut darin, seine wahre Natur zu verbergen. Und, sehen wir den Tatsachen ins Auge, einige der Indikatoren dieses Zustands können auch als positive Eigenschaften bei Menschen aufgefasst werden, die, nun ja, die Führungsstellungen innehaben müssen …«

Ward sagte nichts und las sich die Notizen ein weiteres Mal durch.

»Wie Sie sehen können, habe ich die meisten der wichtigen Kennzeichen isoliert. Außer beim vierten Aspekt, der antisozialen Einstellung, weist sie überall hohe Werte auf. Es könnte allerdings sein, dass sie nur gelernt hat, diese besser zu verbergen als die anderen.«

»Das kann nicht Ihr Ernst sein …«, setzte Ward an.

»Das ist mein Ernst. Ich bin der festen Überzeugung, dass Elizabeth Yates eine Psychopathin ist; eine äußerst gut funktionierende Psychopathin, aber dennoch eine Psychopathin. Meiner Meinung nach ist das bei Politikern nicht ungewöhnlich, wenn ich ehrlich sein soll. Aber im Fall der Präsidentin könnte ihr absoluter, unerschütterlicher Glaube an die eigene Unfehlbarkeit kombiniert mit ihrer Unüberlegtheit und ihrer religiösen Monomanie durchaus dazu führen, dass sie katastrophale Entscheidungen trifft. Ich mache mir große Sorgen, dass die religiöse oder andersartige Interpretation, mit der sie eine zukünftige Halluzination analysiert, der Auslöser für genau so eine katastrophale Entscheidung sein könnte.«

Erneut saß Ward einen Moment lang schweigend da. »Sie haben noch mit niemand anderem darüber gesprochen?«

»Das sollte, wie gesagt, erst einmal unter uns bleiben.«

»Darum möchte ich Sie auch bitten. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich das behalte?«

Hoberman dachte kurz nach. »Wenn Sie wollen …«