32. JOHN MACBETH. BOSTON.
Der Taxifahrer, der Macbeth nach Belmont fuhr, war nicht so gesprächig wie der, der ihn zum ersten Treffen mit Corbin gefahren hatte, und Macbeth war deswegen sehr dankbar. Es überraschte ihn aber auch nicht, war es in den letzten Wochen doch vermehrt zu Verkehrsunfällen gekommen, da Autofahrer Hindernissen oder Menschen ausweichen mussten, die plötzlich und unerwartet aus dem Nichts vor ihnen aufgetaucht waren.
Das McLean-Krankenhaus lag ein Stück außerhalb von Belmont, und es kam Macbeth auf irgendeine Weise immer vor wie eine Mischung aus einem sehr luxuriösen Country Club und einem Ivy-League-Universitätscampus. Es war auch nicht in einem einzigen Gebäude, sondern in mehreren verteilten Häusern untergebracht. Dazu gehörten einige größere, modernere, institutional wirkende Gebäude, aber der Hauptkomplex des McLean befand sich in roten Backsteingebäuden mit Stuck im Kolonial- oder Jakobethianier-Revival-Stil. Diese Häuser gaben vor, zu einer Architektur zu gehören, die selbst für die viktorianischen Erbauer, die sie entworfen hatten, längst Vergangenheit war. Rings herum erstreckte sich ein weites Land mit Bäumen und Gärten. Das zu Harvard gehörende McLean war vermutlich das beste psychiatrische Krankenhaus New Englands und bot jenen, die unter inneren Konflikten litten, eine Umgebung, in der sie äußeren Frieden finden konnten. Macbeth hatte seine Zeit hier sehr genossen. Bis zu seinem letzten Patienten.
Das Taxi setzte ihn vor dem Hauptverwaltungsgebäude ab.
»Schön, dass du herkommen konntest, John«, sagte Pete Corbin, als er Macbeth wieder aus dem Gebäude führte. »Meine Patientin ist in einem der Wohntrakte untergebracht, daher können wir zu Fuß gehen. Hast du das Erdbeben gespürt?«
»Wie jeder andere auch. Und du?«
»Zusammen mit Joanna. Was genau passiert hier, John?«
»Eine Art psychogene Massenstörung … vielleicht viralen Ursprungs, wie du vermutet hast, vielleicht aber auch nicht. Inzwischen hat man ihr den Namen temporäres nicht-pathologisches halluzinatorisches Syndrom gegeben, doch ich würde wetten, dass die Öffentlichkeit bei ›Boston-Syndrom‹ bleibt. Hast du noch immer neue Fälle?«
»Es werden jeden Tag mehr. So etwas habe ich noch nie erlebt.«
»Wusstest du, dass Deborah Canning mit Melissa zusammengearbeitet hat?«
»Nein. Ich wusste, dass sie mit den Golden-Gate-Selbstmorden in Verbindung steht, aber wie du habe ich das nie mit Melissa in Zusammenhang gebracht. Ich kann es noch immer nicht glauben.«
»Geht mir genauso«, stimmte ihm Macbeth zu. »Wenn du nichts von dieser Verbindung gewusst hast, warum wolltest du dann, dass ich sie mir anschaue?«
»Weil sie Wahnvorstellungen hat, die mich an Gabriel Rees erinnern, kurz bevor er vom Dach der Christian Science gesprungen ist. Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass das alles miteinander – und mit dem Boston-Syndrom – zu tun hat.«
Sie schlugen einen Weg ein, der gesprenkelt war von Sonnenflecken, die durch die Blätter der Bäume fielen. Er führte schließlich zu makellos gepflegten Rasenflächen auf beiden Seiten. Das Wohnhaus war im georgianischen Kolonialstil gehalten und sah eher aus wie das Privathaus eines alteingesessenen Bewohners von New England als ein Krankenhausgebäude.
»Hier ist sie untergebracht?«, fragte Macbeth, der sich auf einmal ziemlich unwohl fühlte.
»Ja.« Corbins Miene wurde finster. »Verdammt, sie ist sogar im selben Zimmer. Tut mir wirklich leid, John, daran habe ich gar nicht gedacht.«
»Ach, vergiss es.« Macbeth zwang sich zu einem Lächeln. »Das ist schon so lange her.«
»Bist du sicher?«, hakte Corbin nach. »Ich könnte sie auch ins Hauptgebäude bitten …«
»Das musst du nicht. Ich hatte es selbst völlig vergessen, bis ich das Gebäude gesehen habe.«
Alle Ärzte verloren im Laufe ihrer Karriere Patienten. Bei Psychiatern bestand die Gefahr vor allem darin, dass ein Patient, der möglicherweise eine plötzliche, unvorhersehbare Stimmungsschwankung erlebte, Selbstmord beging. Hier war es passiert, hier hatte sich jemand, für den Macbeth verantwortlich gewesen war, umgebracht. Sein letzter Fall als praktizierender Psychiater hatte in eben jenem Zimmer gewohnt, das man jetzt Deborah Canning zur Verfügung gestellt hatte. Man hatte ihn beschuldigt, den Patienten schlecht eingeschätzt und eine völlig falsche Diagnose gestellt zu haben. Doch Macbeth war selbst sein größter Kritiker gewesen, und die eigenen Zweifel hinsichtlich seiner Fähigkeit, Menschen einzuschätzen und zu verstehen, hatten letztendlich bewirkt, dass er sich nicht mehr um Patienten kümmerte, sondern in die Forschung gegangen war.
»Bist du sicher?«, wiederholte Corbin.
»Ja, bin ich.«
»Okay.« Corbin betrat vor ihm das Gebäude. »Wie du weißt, hat Deborah in der Spieleindustrie gearbeitet und als Melissas Stellvertreterin Computerspiele entwickelt und programmiert. Sie ist eine überaus intelligente Frau, und wenn sich ein derartiger Intellekt gegen sich selbst wendet, hat man es mit einem harten Gegner zu tun. Sie ist hier zahlende Patientin, hat sich selbst eingeliefert. Ihre Familie lebt in Boston, und vor etwa sechs Wochen ist sie aus San Francisco hergekommen und bei ihnen aufgetaucht; ohne Vorwarnung und völlig verzweifelt. Sie hat ihr Büro verlassen, sich mit ihrer Kreditkarte ein Flugticket gekauft und ist durch das ganze Land geflogen, ohne vorher eine Tasche zu packen oder sich auch nur umzuziehen. Vier Tage, nachdem Debbie in Boston angekommen ist, haben Melissa und alle anderen Mitarbeiter ihres Unternehmens Selbstmord begangen.«
»Weiß sie davon?«
»Ich habe in der ganzen Klinik die Anweisung ausgegeben, dass sie nichts davon erfahren soll, und das gab Probleme mit der Polizei, die sie unbedingt befragen will. Trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass sie es weiß. Sie hat es entweder intuitiv erraten oder sie ist weggelaufen, weil sie genau wusste, was die anderen vorhatten.«
»Wogegen behandelst du sie?«
»Ihr Zustand ist sehr schwer zu beschreiben. Anders als Gabriel Rees hat sie eine Vorgeschichte: Bipolare Symptome als Erwachsene, und während ihrer Kindheit wurde sie wegen ADHS behandelt. Als sie sich selbst eingewiesen hat, war sie am Tiefpunkt einer psychotischen Depression. Ich habe ihr Asenapin verschrieben, die Dosis jedoch inzwischen gesenkt. Ich bin der Ansicht, dass es für das, was sie plagt, keine pharmazeutische Antwort gibt, daher führe ich intensive Therapiesitzungen mit ihr durch.«
»Warum wolltest du, dass ich herkomme und sie mir ansehe?«, wollte Macbeth wissen. »Ich meine, bevor du von ihrer Verbindung zu Melissa gewusst hast?«
»Im Verlauf der letzten vier Wochen … Ich schätze, der beste Weg, es auszudrücken, wäre zu sagen, dass Debbie dahinschwindet. Sie stellt den offenkundigsten und zugleich logischsten Fall von Derealisation und Depersonalisierung dar, der mir je untergekommen ist. Sie akzeptiert schlicht und einfach nicht, dass sie existiert oder dass sie je existiert hat. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, aber nach dem, was mit Gabriel passiert ist und angesichts der Tatsache, dass du selbst Erfahrungen mit Depersonalisierungen hast, dachte ich, du könntest mir vielleicht einige neue Einsichten bieten. Ehrlich gesagt verzweifle ich langsam mit ihr: Sie hat sich so sehr von sich gelöst, dass ich sie kaum noch erreichen und erst recht nicht wieder zurückholen kann.«
»Dann hättest du also gern eine zweite Meinung von einem Kollegen, bei dem eine ähnliche Schraube locker ist, ist es das?«, erkundigte sich Macbeth grinsend.
»Sagen wir eher, von jemandem, der sich zumindest mit einem Teil der Dinge, die in ihrem Kopf vorgehen, auskennt. John, das ist der extremste Fall, mit dem ich je zu tun hatte. Es mag verrückt klingen, aber manchmal bin ich fast so weit, ihr zu glauben, dass der Grund dafür, dass ich sie nicht erreichen kann, darin liegt, dass sie eigentlich gar nicht da ist …«
Das Eckzimmer mit den Doppelfenstern, durch die man auf den Rasen und die Bäume hinausblickte, sah noch genauso aus wie in Macbeths Erinnerung. Mit Ausnahme der Brandschutzbestimmungen neben der Sicherheitstür mit ihren Federscharnieren sah es ebenso wenig nach Krankenhaus aus wie das ganze Gebäude, in dem es sich befand. Es war ein helles, luftiges Zimmer mit blassblauen Wänden und einem großen, abstrakten Gemälde über dem Einzelbett, auf dem eine nichtssagende Anordnung von Formen in Pastellblau und -grün dargestellt war. Es gab hier keine grellen Muster oder Farben, die beunruhigend gewirkt hätten. Die Möbel waren neu und funktional, aber man hatte versucht, sich bei ihrer Auswahl an der Epoche und dem Stil des Gebäudes zu orientieren.
Deborah Canning saß in Jeans, Turnschuhen und einem dunkelblauen T-Shirt auf einem Armsessel neben einem der Fenster. Macbeth erkannte sie sofort anhand des Fotos, das er auf der Webseite von Melissas Firma gesehen hatte. Sie saß aufrecht, aber nicht steif da, stützte den Ellenbogen auf dem kleinen Tisch neben sich ab und hatte eine Hand auf einen großen Kunstbildband gelegt.
Das Erste, was Macbeth an ihr auffiel, war ihre Gelassenheit. Die Ruhe, die ihr Gesicht und ihre Haltung ausstrahlten, wirkte fast schon ansteckend und schien das Zimmer mit einem friedlichen Gefühl zu durchströmen. Deborah war eine attraktive Frau von Anfang dreißig und wäre wunderschön gewesen, wenn ihr Mund nicht ein bisschen zu klein und ihre Nase nicht ein bisschen zu lang gewesen wäre. Doch ihre Augen waren umwerfend; groß, strahlend und smaragdgrün. Ihr Teint war blass und ihr Haar hatte einen unscheinbaren Braunton. Sie drehte sich um und lächelte höflich und ruhig, als die beiden Ärzte eintraten.
»Hallo, Debbie«, sagte Corbin. »Das ist ein Kollege, der von dem ich Ihnen erzählt habe. Dr. John Macbeth.«
»Wie der schottische König?«, fragte sie.
»Wie der schottische König«, bestätigte Macbeth.
»Aber wie welcher Macbeth sind Sie?«, wollte sie wissen.
»Ich verstehe nicht …«
»Es gibt zwei Macbeths«, erwiderte sie mit ruhiger, sanfter Stimme. »Den historischen Macbeth, also den ›echten‹ Macbeth, einen sehr erfolgreichen und beliebten König, und den fiktionalen Macbeth, Shakespeares grausamen Mörder und Tyrannen. An die bedeutendere Fiktion erinnert man sich eher als an die unbedeutende Wahrheit. Also, welchem Ihrer Namensvettern ähneln Sie mehr: der Fiktion, an die man sich erinnert, oder dem vergessenen Faktum?«
»Leider bin ich in keiner Weise königlich oder aus dem Stoff geschnitzt, aus dem Shakespeare-Charaktere sind … Ich bin der Macbeth, der Probleme hat, seine Kreditkartenrechnung zu bezahlen. Dürfen wir uns setzen?«
Sie nickte, und die beiden Psychiater zogen sich Stühle vor das Fenster und setzten sich ihr gegenüber.
»Was haben Sie heute gemacht?«, erkundigte sich Corbin.
»Gemacht?« Sie runzelte die Stirn. »Da draußen waren Geräusche. Stimmen. Motorengeräusche, allerdings sehr leise.«
»Hören Sie diesen Geräuschen gern zu, Debbie?«, fragte Macbeth.
»Ich höre nicht zu, ich höre einfach. Und ich höre sie nur, weil andere Leute sie hören können.«
»Aber Sie hören sie … Sie sind hier, um Ihnen zu lauschen.«
»Wie bitte?«
»Descartes’ Cogito, der Hammer, mit dem Sie meine Wahnvorstellung zu zertrümmern suchen. Wenn ich etwas wahrnehme, dann denke ich. Wenn ich etwas denke, dann bin ich. Cogito ergo sum.«
»Tja, damit liegen Sie nicht ganz falsch.«
»Wissen Sie, was das Witzige daran ist? Descartes hat es beinahe richtig verstanden. Aber eigentlich müsste es heißen: Ich denke, daher denke ich, dass ich bin.«
»Da irren Sie sich, Debbie«, erwiderte Macbeth. »Sie wissen, dass Sie existieren, weil Sie diese Probleme haben, weil Sie, möglicherweise aufgrund eines Traumas, versuchen, sich von der Realität zu distanzieren. Das ist ein Verteidigungsmechanismus, weiter nichts. Ich weiß, dass Sie existieren. Dr. Corbin weiß, dass Sie existieren. Wir können Sie beide sehen und hören.«
»Dummerweise ist diese Logik nicht überzeugend. Ich weiß einiges über diese Dinge, über die Logik und die Wahrnehmung. Bei meiner Arbeit habe ich Tricks und Geräte genutzt, um mit der Wahrnehmung der Menschen zu experimentieren. Dass ich als Empfindung in Ihrem Kopf existiere, bedeutet noch nicht, dass ich wirklich als greifbares Objekt in der Realität vorhanden bin … Verwende ich die richtigen Worte?«
Macbeth lächelte und nickte. »Ja, Debbie … Sie verwenden die richtigen Worte.«
»Was wäre, wenn ich nur in Ihrem Kopf existiere?« Sie sah ihn ernst an, und zum ersten Mal spiegelte ihr Gesichtsausdruck Gefühle wider. »Haben Sie sich das noch nie gefragt? Haben Sie noch nie darüber nachgedacht, dass all das, alles und jeder um Sie herum, nur in Ihrem Kopf existieren könnte? Woher wissen Sie, dass ich schon hier war, bevor Sie hereingekommen sind? Sie denken, ich hätte Wahnvorstellungen, aber in Wahrheit gibt es nur einen Unterschied zwischen mir und allen anderen: Ich weiß, dass ich nicht existiere, während alle anderen es nur irgendwann in ihrem Leben wenigstens ein Mal vermutet und die Realität der Welt um sich herum oder sich selbst infrage gestellt haben.«
»Warum gehen wir dann alle davon aus, dass wir existieren?«
»Weil sich die Täuschungen häufen und überlagern, seit unserer Kindheit. Täuschungen, Konzepte, soziale Konstrukte. Wir haben einen Konsens darüber erzielt, was Realität ist, über unsere eigene Existenz, und jeder, der das infrage stellt, wird als wahnhaft bezeichnet.«
»Was ist mit den Philosophen? Quantenphysikern? Neurowissenschaftlern? Stellen sie die Realität nicht infrage? Diese Leute hält niemand für wahnhaft.«
»Sie werden als abstrakt Denkende angesehen. Ihre Auffassung von der Realität wird nicht angezweifelt, weil sie nicht verstanden wird. Sie verkleiden das, was im Alltag einfach und verständlich ist, in eine Sprache, die außer ihnen niemand verstehen kann. Sie verschleiern die Wahrheit, anstatt sie zu erhellen.«
»Was ist diese Wahrheit?«, wollte Macbeth wissen.
»Kennen Sie Timothy Learys Entwicklungstheorie der acht Bewusstseinsstufen?«
»Ich habe schon davon gehört«, antwortete Macbeth.
»Im achten Schaltkreis liegt die Wahrheit. Das universale Bewusstsein. Das Quantenbewusstsein. Das Bewusstsein ist am schwierigsten zu definieren. Warum sehe ich die Welt aus meinem Fenster und Sie aus Ihrem? Haben Sie sich je gefragt, ob wir uns alle ein und dasselbe Bewusstsein teilen und es nur zu jedem Zeitpunkt aus einem anderen Blickwinkel erleben? Vielleicht sterben Sie ja und wachen auf als ich, Gandhi, Hitler oder das verhungernde afrikanische Kind, das Sie im Fernsehen gesehen haben? Wir denken nicht darüber nach, weil unser Denken unterdrückt wird. Diese sogenannte Realität ist übereingekommen, die kognitive Freiheit zu unterdrücken. Wir verbannen den Geist erweiternde Drogen und wir erschaffen Religionen, um die Gedanken anderer und auch unsere eigenen einzugrenzen und zu kanalisieren. Woher wollen Sie wissen, dass ich keine Erfindung Ihrer eigenen Wahrnehmung bin?«
»Weil ich keine so große Fantasie habe, Debbie. Ich weiß, dass Sie existieren.«
»Ich weiß, wie gesagt, eine Menge darüber, wie die Realität wahrgenommen wird. Man hat mich mal als die beste ARG-Programmiererin in den Vereinigten Staaten bezeichnet. Als eine der drei besten der Welt.«
»ARG?«
»›Alternate Reality Games‹, das Spiel mit anderen Realitäten. Das völlige Eintauchen in eine andere Wirklichkeit. Ich habe alle Tricks gelernt, und mehr als die Hälfte davon selbst erfunden. Von daher weiß ich, wie man den menschlichen Geist dazu bringen kann, zu glauben, er hielte sich an einem Ort auf, an dem er sich gar nicht aufhält, und in einer Umgebung, die gar nicht existiert.« Sie lächelte erneut, und Macbeth bemerkte, dass ihr Mundwinkel zitterte. »Würden Sie mir einen Gefallen tun? Schauen Sie sich um. Machen Sie mir die Freude … Bitte, sehen Sie sich beide um und nehmen Sie genau zur Kenntnis, was Sie in Ihrer Umgebung sehen.«
Sie drehten sich beide um und blickten ins Zimmer.
»Jetzt drehen Sie sich wieder zu mir um und schauen Sie nicht mehr nach hinten.«
Sie taten es.
»Sagen Sie mir, was sich in Ihrem Rücken befindet. Dabei dürfen Sie sich aber auf keinen Fall noch einmal umdrehen.«
»Was hinter uns ist? Ihr Zimmer, Debbie«, sagte Corbin. »Ihr Bett, der Kleiderschrank, der Bademantel das Bild an der Wand, die Tür zum Flur …«
»Da haben Sie es«, meinte sie. »Jetzt sehen Sie mich an, haben vor Ihrem inneren Auge aber das Bild des Raumes, den Sie gesehen haben. Sie erschaffen ihn in Ihrem Kopf neu, obwohl Sie ihn nicht länger sehen können.«
Sie blickte zwischen ihnen hindurch, über sie hinweg, hinter sie. Ihr Gesicht wirkte auf einmal nicht mehr gelassen, stattdessen spiegelten sich einen Moment lang Schmerz und Verzweiflung in ihrer Miene wider, nur um erneut zu verschwinden und von kalter, leerer Ruhe ersetzt zu werden.
»Wissen Sie, was ich sehe? Nun, da Sie nicht hinsehen? Alles, was Sie beschrieben haben, war dort, aber nur, als Sie hingesehen haben. Es war dort, weil Sie hingesehen haben. Jetzt ist es fort. Ich kann es nicht sehen, weil ich es nicht erschaffen kann. Es existiert nicht, weil ich nicht existiere, um es zu erschaffen.«
»Und was ist jetzt da, Debbie?«, wollte Macbeth wissen.
»Nichts. Da ist nichts. Nur eine Leere, die ich Ihnen nicht beschreiben kann, weil sie keine Dimension, keine Farbe und keine Form hat.«
Ihr Gesicht blieb ruhig, doch ihre Augen wurden feucht, und eine Träne rann aus ihrem Augenwinkel und die Wange hinunter.
»Ich sehe an Ihnen vorbei, und da ist nichts. Ich sehe an Ihnen vorbei in die allerschrecklichste Leere.«