Der Ritt der Walküre

… die Walküre wird kommen. ...

Diese Textzeile hallte noch im Kopf von Jonah nach. Was soll das nur bedeuten? Man hatte ihnen mitgeteilt, dass die Evakuierung heute Nacht beginnen sollte. Es würde ein Helikopter auftauchen und für Ablenkung sorgen, bevor er zum Treffpunkt abdrehen würde. Jonah wurde angewiesen, das kleine Gastgeschenk an der Außenmauer am Haupttor zu platzieren, um das Chaos komplett zu machen. Und so saß er wieder in seinem Zelt im Flüchtlingsbereich von Fort Benning, tat so als lese er ein Buch und harrte der Dinge die da kommen. In einer seitlichen Cargotasche seiner Hose hielt er den Fernzünder bereit.
   Kaum merklich spielte ein Lied in seinen Kopf. Der Wind trug die leise Melodie über die Wipfel der Bäume. Als er es bemerkte, konnte er sich das Schmunzeln nicht verkneifen, denn er erkannte es sofort. Ein dumpfes Pochen gesellte sich zu der Melodie und wurde lauter. Der Rotor eines Helikopters. Einige Soldaten am Tor bemerkten den Lärm nun ebenfalls. Zunächst schauten sie sich nur verwundert um. Dann geschah es.
 

Nur wenige Sekunden flog der Helikopter über die letzten Bäume vor der großen Lichtung um Fort Benning. Er flog tief über der Straße und näherte sich schnell dem Stützpunkt. Dazu schmetterte aus einem Lautsprecher unter dem Helikopter Wagners Ritt der Walküren.

    Noch schien keiner die wirkliche Bedrohung zu begreifen, die von dem musikalischen Besuch ausging. Einige Soldaten lachten sogar, als der Hubschrauber eine tollkühne 360-Grad-Drehung vollführte und die Spitze anhob, um dann auf der Stelle zu schweben. Jonah war mittlerweile aus seinem Zelt getreten und in Richtung Haupttor gelaufen. Er genoss das Spektakel. Wenn die wüssten, was hier gleich abgeht.

   „Was macht der Vollidiot da? Der Scheiß ist viel zu laut, der wird alle Zombies in der Umgebung anlocken!“ Ein junger Sergeant, der offenbar als Wachdienstführer am Haupttor eingeteilt war, schien die Gefahr zu erkennen und schoss in Richtung des Helikopters. Die Kugeln des Sturmgewehrs prallten jedoch wirkungslos ab und verursachten lediglich einige Dellen in dem gepanzerten Helikopter. 

   Zeit für Akt Zwei, nicht dass der Kleine noch den Rotor trifft. Jonah ging langsam zurück in Richtung seines Zeltes. Dort angekommen, griff er in seine Tasche und betätigte den Fernzünder. Mit einem ohrenbetäubenden Knall explodierte die Außenmauer des Stützpunktes, so dass der Lärm des tief über dem Boden schwebende Helikopters selbst vom Zeltplatz aus zu hören war. Augenblicke später breitete sich Panik in Fort Benning aus. Menschen schrien. Niemand wusste, was hier gerade geschah – weder die Soldaten noch die Zivilisten.

   Als das Chaos seinen Lauf nahm, hatte auch der Helikopterpilot das Zeichen verstanden. Jonah sah, wie der Lautsprecher ausgeklinkt wurde und zu Boden raste. Die Musik verstummte abrupt. Dann drehte der Hubschrauber in Richtung des Waldes wieder ab und war nach kurzer Zeit verschwunden. Überall auf dem Stützpunkt eilten hektisch Soldaten umher und versuchten für Ordnung zu sorgen.
   Dabei wird dieses Loch in der Mauer für Fort Benning bald das kleinste Probleme hier sein, dachte Jonah. Grinsend drehte er sich um und pfiff die Melodie des Liedes leise zu Ende, während er in aller Seelenruhe seine Sachen aus dem Zelt nahm. Es war Zeit zu verschwinden.