Am Abend traf sich die Gruppe vor Rays Zelt im Bereich des Auffanglagers. Er hatte allen im Laufe des Tages Bescheid gegeben, dass es etwas Wichtiges zu besprechen gab. Sie saßen auf provisorischen Holzhockern, die Scott mit seiner Axt vor einigen Tagen aus Baumstämmen gebaut hatte. Chris, Gregory, Scott, Josh und Phil. Letzterer hatte Fiona und Robbie mit Watson spielen geschickt, damit die Gruppe sich in Ruhe unterhalten konnte. Alle starrten Ray gespannt an. Als dieser mit seinem Bericht vom Gespräch zwischen ihm und Master Sergeant Pelletier fertig war, herrschte nachdenkliches Schweigen.
„Hast du
dich schon entschieden?“, fragte Phil schließlich.
Ray nickte. „Ich werde es machen. Ich muss
wissen, wie es Melissa und den Kindern geht.“
„Mir gefällt das Ganze nicht“, brummte Scott. „Für meinen Geschmack sind das viel zu wenige Informationen über die Mission.“
„Ich höre das auch alles zum ersten Mal“, sagte Josh. „Wahrscheinlich weiß mein Dad wirklich nicht mehr. Auf jeden Fall sollte er aber nicht erfahren, dass du mit uns über die Sache sprichst.“
„Das wird
er sich denken können“, antwortete Ray. „Ich habe ihm zugesichert,
so wenig Menschen wie möglich einzuweihen. Ich denke es ist
selbstverständlich, dass diese Informationen unter uns bleiben
müssen, ansonsten beunruhigen wir die Leute hier mehr als dass wir
ihnen helfen.“
„Wann soll es losgehen?“,
fragte Scott.
„Heute Nacht.“
Alle schauten sich skeptisch an. Phil sprach
aus, was die meisten dachten.
„Warum muss das alles so
schnell gehen? Und warum lässt der Master Sergeant nicht einen
verdammten Konvoi mit ausreichend Soldaten zum Flugzeugträger
fahren?“
„Weil niemand zum
Flugzeugträger fahren
wird. Ich werde fliegen.“
„Bitte was?“, fragte Chris, der
bis hierhin nur zugehört hatte.
„Screw und ich haben heute
Nachmittag den Little Bird wieder in Gang bekommen. Eine Fahrt zum
Flugzeugträger wäre wesentlich länger und beschwerlicher als ein
Helikopterflug. Und ich bin mittlerweile der einzige Mensch in Fort
Benning, der einen Hubschrauber fliegen kann.“
Phil schnaubte. „Das passt ja
prima“, sagte er sarkastisch. Scott sah ihn fragend
an.
„Ausgerechnet als Kontakt zu
einem Flugzeugträger hergestellt wird, auf dem sich jemand
befindet, der etwas über den Ursprung des Virus weiß, gibt es auch
Kontakt zu der vermissten Ex-Frau des einzigen Piloten in Fort
Benning. Und praktischerweise soll sich die Ex-Frau des Piloten an
genau dem Ort befinden, an dem sich auch die Familie von Mister
Ich-weiß-warum-die-Welt-im-Arsch-ist befindet. Wenn das mal kein
Zufall ist.“
„Was willst du damit sagen?“,
fragte Josh aufgebracht. „Dass mein Dad die Geschichte nur erfunden
hat?“
„Ich will nur sagen, dass es
deinem Vater sehr gut in den Kram passt, wenn Ray eine zusätzliche
Motivation hat, nach Sanctuary zu fliegen.“
„Das führt doch zu nichts“,
unterbrach Chris. „Außerdem habe ich das Bild gesehen. Das war doch
Melissa, oder Ray?“
„Das war sie in jedem Fall.
Aber ob sie in Sanctuary ist oder ob das Bild Gott weiß wo
herkommt, kann ich nicht sagen. Aber eines weiß ich: Ich würde es
mir nie verzeihen, wenn ich es nicht wenigstens in Sanctuary
versucht hätte.“
„Wie geht es jetzt weiter?“,
fragte Gregory.
„Du und Chris solltet auf jeden
Fall hier bleiben. Ihr werdet beide in der Kommunikationszentrale
gebraucht, vielleicht schnappt ihr noch die eine oder andere
Information auf. Außerdem würde der Master Sergeant euch nicht
gehen lassen, weil er euch hier benötigt. Phil, du solltest mit den
Kindern ebenfalls hier bleiben.“ Ray machte eine kurze Pause und
sah Scott an. Der Mann mit den baumstammgroßen Unterarmen hatte ihm
in der Vergangenheit schon mehrfach den Allerwertesten gerettet und
Ray wusste, dass er sich immer auf ihn verlassen konnte. Trotzdem
fiel es ihm schwer, diese Bitte auszusprechen. Und das musste er
auch gar nicht.
„Du brauchst gar nicht erst zu
fragen, selbstverständlich komme ich mit“, sagte Scott mit einem
angedeuteten Lächeln, „auch wenn mir die ganze Sache nicht gefällt.
Aber irgendjemand muss ja schließlich auf dich
aufpassen.“
Rays Gesicht drückte eine tiefe
Dankbarkeit aus. Er blickte jeden einzeln an. „Ich verspreche euch
allen, dass ich so viele Informationen wie möglich beschaffe. Über
eure Angehörigen, über Sanctuary, über das Virus und über den
Zustand der Welt. Haltet hier die Stellung. Und passt mir auf
Watson auf“, sagte Ray als er zu den mit dem Hund spielenden
Kindern hinüber sah.
„Der gute Watson scheint dir ja
doch ans Herz gewachsen zu sein“, grinste Chris.
Ray nickte nur, ohne die anderen
anzuschauen. Nicht nur der,
dachte er.