Sie sahen unterwegs einige liegengebliebene Fahrzeuge, aber an diesen Anblick hatten sie sich mittlerweile gewöhnt. Ein großes Waldgebiet war am Horizont zu erkennen. Davor waren viele weitläufige Felder, die noch vor kurzer Zeit abgeerntet worden waren. Auf den Feldern bewegten sich bereits vereinzelt Untote auf der Suche nach Beute. Die Gruppe setzte ihre Fahrt einfach fort. Die Straße führte nun leicht aufwärts und links und rechts am Fahrbahnrand befand sich eine Leitplanke. Dahinter führte eine ziemlich steile Böschung nach unten.
Als sie dieses kurze Stück passiert hatten, ging es dahinter wieder bergab und die Straße wurde wieder ebener. Um sich herum sahen sie nichts als Felder. Sie befanden sich anscheinend in einem Farmgebiet. Phil knuffte Scott auf einmal gegen den Arm und zeigte durch die Windschutzscheibe nach vorne.
„Was ist das da, Scott?“
Scott kniff seine Augen zusammen und spähte in die Ferne. In etwa zweihundert Metern Entfernung sah er eine Gestalt mit erhobenen Armen am linken Fahrbahnrand stehen.
„Könnte eines dieser Scheißviecher sein, Leute. Haltet euch besser fest, möglich dass es gleich scheppert“.
Phil blickte in die gleiche Richtung und schüttelte seinen Kopf.
„Schau mal genauer hin, Großer. Das Scheißviech ist eine Sie und die Lady winkt uns, wenn ich das richtig erkennen kann“, erklärte Phil erstaunt.
Jetzt konnten es auch die anderen sehen. Am Fahrbahnrand stand eine junge Frau in Jeans und rotem T-Shirt, die ihnen energisch zuwinkte. Dort wo sie stand, war ein Holzschild in den Boden geschlagen:
Glenston-Farm. Rinderzucht und Frischgemüseanbau. Verkauf im hofeigenen Laden nur 400 Meter von Ihnen entfernt.
Scott verlangsamte ihre Fahrt fast bis zum Stillstand. Er drehte sich zu den anderen um.
„Scheint so, als brauche das arme Ding unsere Hilfe. Was meint ihr?“, fragte er.
„Fahr näher ran Scott, ich weiß, dass du dir das anschauen willst“, antwortete Ray.
„Du kennst mich scheinbar schon zu gut“, erwiderte Scott und fuhr langsam weiter.
„Macht euch bereit, falls dort welche von diesen Biestern herumlungern“, mahnte Phil.
Scott hielt schließlich auf Höhe der Frau an und kurbelte die Scheibe herunter. Sie war keine dreißig Jahre alt, hatte rotblondes, langes Haar und ziemlich viele Sommersprossen. Als der Wagen stoppte, hechtete sie fast zur Scheibe. Scott fiel auf, dass neben Schild ein Baseballschläger lag, durch den einige Nägel geschlagen worden waren.
„Dem Himmel sei Dank, dass Sie angehalten haben. Ich brauche dringend Hilfe und weiß nicht, was ich tun soll“, erklärte die Frau verzweifelt.
„Beruhigen Sie sich und erklären Sie uns was passiert ist.“ Scott stieg aus und stellte sich vor das Fahrzeug auf die Straße. Die Frau sprang ihn beinahe an, begrub ihr Gesicht an seiner Brust und begann zu schluchzen. Nach einer kleinen Weile beruhigte sie sich und begann zu berichten.
„Ich heiße Jenna Kingston. Mein Mann Toby und ich haben erst vor kurzem geheiratet. Als wir gerade die Kapelle verließen, sahen wir auf der Straße bereits die ersten Vorfälle. Irgendwann ging es in Augusta richtig los und wir wollten nur noch raus aufs Land. Toby sagte, es gäbe dort diesen Militärstützpunkt, auf dem eine Menge Soldaten wären. Er ist gefahren und hat uns bis hierher gebracht. Aber hier an der Einfahrt hat er plötzlich über Schwindel geklagt und sich die Stirn gehalten. Er ist zu der Farm dahinten gefahren, um ein Versteck zu suchen. Dann ist er einfach im Auto ohnmächtig geworden und ich war zu schwach ihn ins Haus zu tragen. Deshalb bin ich zurück zur Straße, um Hilfe zu holen.“
„Etwas gutgläubig hier ein Auto zu erwarten, finden Sie nicht?“ antwortete Ray. Scott blickte ihn finster an.
„Was hätte ich denn sonst tun können?“ Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen.
„Entschuldigen Sie bitte meinen Freund Ray, er kann manchmal etwas schroff sein. Mein Name ist Scott. Wie lange ist das ganze her?“
„Ungefähr zwei Stunden. Toby atmet noch, aber er lässt sich nicht mehr aufwecken. Bitte helfen Sie mir.“
„Selbstverständlich werden wir helfen. Holen Sie ihren Schläger und steigen Sie ein. Wenn wir uns quetschen, können wir Sie beide nach Fort Benning mitnehmen.“
Jenna lächelte und bedankte sich. Sie stieg ins Auto zu den anderen. Scott stellte die übrigen Insassen der Reihe nach vor und fuhr den Wagen in die Einfahrt hinein. Jenna kraulte Watson eine Sekunde, zog es dann jedoch vor, die Hand lieber bei sich zu behalten.
„Sagen Sie mal Jenna, wo haben Sie denn den präparierten Schläger gefunden?“ fragte Phil.
„Toby hat ihn aus einer Tankstelle angeschleppt und in den Kofferraum geworfen. Warum?“, fragte Jenna leicht verunsichert.
„Reines Interesse“, beschwichtigte Phil.
Nach kurzer Fahrt erreichten sie das Gelände. Es war eine große Farm, bestehend aus einem Haupthaus, zwei Nebengebäuden und einem gewaltigen Stall. Mitten auf dem Innenhof stand ein roter Chevy vor einem Steinbrunnen, auf dessen Kofferraum ein leicht welkes Blumengesteck angebracht war. An der Anhängerkupplung hing ein Stück Wäscheleine, an der einige leere Konservendosen befestigt waren. Über dem Nummernschild war ein Pappschild angebracht auf dem „Just Married“ zu lesen stand. Auf dem Hof lagen mehrere tote Körper herum, einige von ihnen waren teilweise schon schwarz angelaufen und das Venennetz zeichnete sich in ihren Gesichtern ab. Ray, Phil und Chris fühlten sich unbehaglich, nur Scott wirkte unberührt.
„Die Scheiben des Chevy sind beschlagen. Hoffentlich atmet Toby noch“, sagte Jenna.
Scott und Phil sahen einen männlichen Körper auf dem Fahrersitz liegen.
„Steigt aus und helft mir ihn ins Haus zu tragen“, forderte Scott die anderen auf.
Sie öffneten die Türen und Watson schoss sofort heraus und begann laut zu bellen.
„Still, Hund“, befahl Ray und Watson gehorchte.
„Kinder, bleibt im Wagen bei Onkel Chris und passt auf ihn auf, ja?“ Phil wirkte
besorgt. Ray kniete sich mit der Machete in der Hand zu einem der Toten herunter, während Scott und Jenna auf das Auto zugingen, um nach Toby zu sehen.
Scott öffnete die Tür und sah einen schlanken Mann mittleren Alters auf dem Sitz liegen. Die linke Hand ruhte auf der Brust, die rechte hing am Körper herunter. Er trug eine blaue Jeans und einen Kapuzenpullover der Band „Machine Head“. Seine Haare waren lang und schwarz. Scott beugte sich in den Wagen, um ihn herauszuheben.
„Phil, diese Monster sind alle erschossen worden“, flüsterte Ray.
„Vielleicht die Jungs von der Army, Ray“, antwortete Phil ebenso leise.
Scott war nun halb im Fahrzeug. Er fühlte gerade den Puls des Mannes, als dieser plötzlich die Augen öffnete. Scott erschrak so heftig, dass er sich den Kopf hart am Fahrzeughimmel stieß und rückwärts nach draußen fiel. Auf dem sandigen Boden sitzend, blickte Scott Gerber in den Lauf einer Beretta Pistole. Der Mann stieg aus und zielte mit der Pistole auf Scotts Kopf.
„Hallo Sonnenschein. Ich bin Toby Lewis.“
Watson begann Toby wie wild anzukläffen. Ray blickte sich zu Jenna um, aber die war nicht mehr zu sehen. Stattdessen schwangen einige Fensterläden des Hauptgebäudes auf und die Mündungen von vier Gewehren ragten heraus.
„Was.. Was hat das zu bedeuten?“, stammelte Scott.
„Nun, lassen Sie es mich ihnen erklären“, sagte eine sonore Stimme mit leicht britischem Akzent.
Ein circa fünfzigjähriger Mann mit drahtigem Körperbau trat aus der Haustür ins Freie. Er sah sehr gepflegt aus, war frisch rasiert und trug die grauen Haare nach hinten gekämmt. Das auffälligste an ihm war eine graue Weste, in der eine goldene Taschenuhr steckte.
„Mein Name ist Richard Fuller und ich werde Sie, kurz gesagt, berauben.“
Watson knurrte und legte die Ohren an.
„Es wäre nett, wenn Sie Ihren Hund zum Schweigen bringen würden, oder ich lasse ihn erschießen, meine Herren. Ich fände das furchtbar traurig vor den Kindern, Sie nicht auch?“ Er winkte Fiona und Robbie zu, die freudig zurück winkten.
„WATSON AUS“, brüllte Ray. Der Hund verstand das Kommando zum Glück und setzte sich hin.
„Was wollen Sie von uns?“, ergriff Ray nun das Wort.
„Genau genommen alle Ihre Besitztümer, außer Ihrer Kleidung.“
„Wir sind auf dem Weg nach Fort Benning. Wir könnten mit Ihnen teilen und zusammen rüberfahren.“
Richard Fuller räusperte sich. „Also das ist sehr nobel von Ihnen, Mister…?“
„Thompson. Raymond Thompson.“
„Sehr erfreut Mister Thompson, aber warum soll ich mit Ihnen etwas teilen, das jetzt bereits mir gehört? Uns zieht nichts nach Fort Benning. Unser Ziel ist ein anderes und um dieses zu erreichen, hätten wir gerne Ihren Wagen und Ihre Habe.“
„Hören Sie, Mister Fuller. Sie scheinen ein vernünftiger Mensch zu sein. Wir haben zwei kleine Kinder dabei und einen Verletzten. Wir schaffen es nicht, wenn Sie unsere Ausrüstung nehmen und unser Auto.“ Phil sah besorgt ins Fahrzeuginnere.
„Nun, das verstehe ich“, antwortete Fuller. Phil atmete hörbar auf.
„Lassen Sie die drei hier und folgen Sie mir, dann können Sie Ausrüstung und Fahrzeug behalten.“
„Haben Sie den Verstand verloren?“, erboste sich Scott, der noch immer am Boden saß und nun Anstalten machte, aufzustehen.
„Sitzen bleiben.“ Der plötzlich scharfe Ton in Fullers Stimme war unmissverständlich. Scott setzte sich wieder. Dann fuhr Fuller wieder in seinem höflich säuselnden Ton fort.
„Das ist der Punkt. Ich bin bei völlig klarem Verstand. Daher weiß ich auch, dass Sie weder Ihren verletzten Freund noch die beiden Kinder aufgeben würden, was unverkennbar Ihre Achillesferse ist. Ich aber habe kein Interesse, mich um Kinder oder Verletzte zu kümmern, die ich nicht kenne. Das heißt, wenn ich Ihre Sachen haben will, bleibt mir nichts anderes über, als sie mir mit Gewalt zu nehmen.“
Er nickte kurz seinen Schützen an den Fensterscheiben zu.
„Ich denke, ich habe mich Ihnen genug erklärt. Versuchen Sie gar nicht erst irgendwelche Tricks, wenn Sie die anderen aus dem Auto holen, sonst liegen Sie neben den Kadavern hier. Keine schöne letzte Ruhestätte. Auch Argumentationen in meine Richtung zur Vernunft zu kommen sind sinnlos. Ich habe das alles schon mehrfach gehört, glauben Sie mir. Wenn Sie alles zu meiner Zufriedenheit erledigen, behalten Sie immerhin ihr Leben. Also fangen Sie an.“
Phil wollte nochmal das Wort an Fuller richten, merkte dann aber sofort, dass alle Gewehre auf ihn angelegt wurden. Er hob die Hände und beließ es dabei. Scott rappelte sich auf und starrte Richard Fuller hasserfüllt an. Ray betrachtete die beiden.
„Lasst es gut sein, Leute. Wir haben zu viel zu verlieren.“ Er blickte in Richtung der Kinder.
Toby fing an ein Lied zu pfeifen, während die Männer begannen, Chris und die Kinder aus dem VW zu holen und ihre Waffen drinnen zu verstauen. Nach einigen Minuten waren sie fertig. Nach und nach wurden die Gewehre eingezogen und drei Männer und eine Frau traten in den Innenhof. Jenna fuhr indes einen Pickup mit breiter Ladefläche aus dem Stall neben den Kastenwagen.
Rays Gruppe stand nun Richard Fullers Gruppe direkt gegenüber. Toby pfiff
immer noch. Nun platzte Scott endgültig der Kragen.
„Dieser miese bornierte Wichser. Wenn seine Truppe von Arschlöchern keine Knarren hätte, würde ich ihm seine Arme herausreißen und ihn damit verprügeln.“, flüsterte Scott in Rays Richtung.
„Still Scott, der Typ ist ein Luchs.“
Richard Fuller trat ein paar Schritte auf Scott zu.
„Entschuldigen Sie, ich habe Ihren Namen gar nicht mitbekommen.“
Scott blickte ihm kühl in die Augen.
„Ich heiße Scott Gerber“, zischte er.
Richard Fullers Körper spannte sich blitzschnell. Sein rechtes Bein schoss nach vorne und sein Lederschuh traf Scotts rechtes Knie hart. Der Schmerz krümmte Scotts Kopf nach unten. Im gleichen Augenblick traf etwas Spitzes sein Gesicht genau zwischen die Augen. Er hätte schwören können, es wäre Fullers linker Ellenbogen gewesen. Als er am Boden aufschlug, stand Fuller aber wieder ganz entspannt da.
„Wissen Sie, Mister Gerber, unbedachte Äußerungen an jemanden zu richten, der sich eindeutig im Vorteil befindet, ist nicht mutig, sondern töricht. Vielleicht bekommen Sie ja irgendwann noch die Gelegenheit, mir miesem bornierten Wichser die Arme auszureißen. Die Welt geht zu Grunde meine Herren. Das einzige was uns noch von Tieren und diesen Bestien unterscheidet, sind unsere Manieren. Ich will ja nicht, dass Sie mich und meine treuen Freunde als Unmenschen in Erinnerung behalten. Ich kann Sie doch nicht völlig schutzlos zurück lassen. Ich wünsche einen guten Tag.“
Mit diesen letzten Worten warf ihnen Richard Fuller Jennas Baseballschläger vor die Füße und machte auf dem Absatz kehrt. Scott wollte schon vorstürmen, um den Schläger aufzuheben und Fuller den Schädel zertrümmern, doch Ray hielt ihn zurück.
Fuller blickte verächtlich über seine Schulter. Er und seine Leute bestiegen die Fahrzeuge und fuhren davon. Zurück blieb nur die kleine Gruppe von Überlebenden. Vier Erwachsene, zwei Kinder und ein Hund, in der Mitte einer Welt voller Untoter, lediglich bewaffnet mit einem Baseballschläger.