Josh kratzte sich am
Kopf. „Wer ist das, Dad?“ Es verwirrte ihn, dass er einen Wandler
in Uniform auf dem Obduktionstisch liegen hatte. Sonst wurden die
Wandler verbrannt. Irgendwas an dem hier musste besonders sein. Die
zweite Sache, die ihm merkwürdig vorkam, war, dass sein Vater mit
einigen anderen Sergeants im Sanitätsbereich stand und angespannt
diskutierte.
„Wer ist er?“, fragte Josh
erneut.
„Sein Name war Billy Maddox. Er
war einer meiner Soldaten. Ein tapferer und freundlicher Bursche.
Brauchst du deine Mutter hierfür?“, fragte Willem Pelletier
ernst.
„Nein. Mom ist eine
hervorragende Chirurgin, aber ich denke, dass ich im Bereich von
Obduktionen bereits mehr Erfahrung als sie gesammelt habe. Außerdem
hatte sie einen vierundzwanzig Stunden Dienst.“
„Gut, dann fang bitte an, ich
brauche die Ergebnisse so schnell es geht. Ich erwarte einen
umfassenden Bericht auf meinem Schreibtisch, Josh. Diese Sache
duldet keinen Aufschub.“
Josh trat näher zu seinem
Vater. „Wonach genau soll ich denn suchen?“, flüsterte er und
runzelte die Stirn.
„Billy hatte keinen Kontakt zu
Infizierten. Er hat die letzten Schichten am Tor als Wachsoldat
verbracht. Kurz bevor er sich verwandelt hat, kam er aus dem
Lazarett. Er hatte Blut gespendet und ich will wissen, ob eine
kontaminierte Nadel für die Infektion verantwortlich ist. Falls
das nicht der Grund ist, dann will ich verflucht noch mal wissen,
was ihn infiziert hat.“
„Ich beeile mich mit der Sache.
Ich habe dir gesagt, du kannst dich auf mich verlassen.“ Josh
merkte, dass sein Vater aufgebracht war. Er begann umgehend mit der
Arbeit, sobald die Ansammlung von Soldaten den Obduktionsbereich
verlassen hatte.
Der Dieselgenerator brummte vor
sich hin und lieferte Strom für alle benötigten Gerätschaften. Josh
platzierte alle Instrumente auf einem silbernen Tablett neben sich
und griff sich ein Diktiergerät.
„Patient ist Billy Maddox. 19
Jahre alt. 179 Zentimeter groß. Weiß. Athletisch. Keine bekannten
Erkrankungen.“ Josh legte das Diktiergerät beiseite.
Wer sich mit dieser abgefahrenen Scheiße
ansteckt, braucht auch keine anderen Krankheiten
mehr.
„Ich beginne nun mit der Untersuchung der äußeren
Todesmerkmale.“ Billy Maddox‘ Leichnam war weiß und gewaschen. Es
lag ein blaues Tuch über seinen Genitalien, welches Josh nun zur
Seite zog. Er wollte nichts übersehen. Josh inspizierte den Körper
akribisch. Er konnte keine Biss oder Kratzspuren entdecken. Eine
Nachschau am Wundrand der Nadel verlief ebenfalls ergebnislos. Das
Gewebe um den Einstichbereich der Transfusionsnadel war sauber und
nicht entzündet. Der Verwesungsprozess hatte bereits eingesetzt.
Das Venennetz schlug ebenfalls schon durch die Haut, da das Blut in
die tieferen Körperregionen abgesackt war. Auch die Totenstarre
begann bereits in den äußeren Extremitäten. Josh griff erneut zum
Diktiergerät.
„Keine äußeren Anzeichen einer
Verletzung. Der Geweberand rund um die Wunde der Transfusionsnadel
ist nicht entzündet. Die Infektion nahm auf jeden Fall in einer
anderen Körperregion ihren Ursprung. Ich werde als nächstes den
Brustbereich des Toten öffnen. Ich beginne nun den ersten Schnitt
am linken Schlüsselbein.“
Josh setzte das Skalpell an und
führte den sogenannten Y-Schnitt durch. Dabei schnitt er von beiden
Schlüsselbeinen schräg zum Brustbein hinunter und von dort gerade
bis zum Schambein. Als er mit dem Skalpell einen geraden Schnitt am
Brustbein vollendete, blutete die Wunde kaum. Er klappte die Haut
zur Seite und klammerte sie fest, um einen freien Blick auf den
Brustbereich zu haben. Danach durchtrennte er mit einer Knochensäge
die Rippen und setzte einen Rippenspreizer ein, um sich das Innere
des Toten anzusehen.
„Die Blutgefäße sind stark
verengt sowie verödet, da das Herz nicht mehr schlägt. Die Aorta
ist deformiert und das Blut dunkelrot verfärbt. Sieht aus als hätte
ein leichter Gerinnungsprozess eingesetzt. Die Lunge ist
eingefallen, sieht aus als hätte der Atemreflex vor circa neunzig
Minuten ausgesetzt.
Schwester…. Tupfer. Verflucht, in jeder noch so
billigen Krankenhausserie stakst jetzt eine hübsche Blondine los
und tupft dem operierenden Arzt den Schweiß von der
Stirn.
„Ich öffne als nächstes den Bauchraum.“ Josh setzte zu
einem T-Schnitt an. Er schnitt die Haut unter der Brust mit einem
waagerechten Schnitt von etwas zwanzig Zentimetern ein und schnitt
in der Mitte des ersten Schnittes senkrecht nach unten. Dann zog er
die Haut des Patienten zur Seite und klammerte auch diese fest. Er
untersuchte den Magen-und Darmtrakt, konnte aber auch dort keine
Auffälligkeiten erkennen. Alle Organe verhielten sich für einen
Toten völlig unauffällig.
„Ich öffne als letztes den
Schädelraum und untersuche das Gehirn, zumindest das, was davon
übrig ist.“ Josh schnitt die Kopfhaut ein uns klappte sie seitlich
herunter. Nun hatte er den weißen Schädel freigelegt. Er griff zur
Knochensäge und öffnete mit einem Runden Schnitt die Schädeldecke.
Als er damit fertig war, nahm er die Knochenplatte zur Seite und
entnahm das Gehirn. Der Schuss hatte zwar die linke Gehirnhälfte
stark beschädigt, aber er war dennoch zuversichtlich, zumindest
aussagefähige Proben entnehmen zu können. Er begann mit der
Untersuchung. Er sezierte einzelne Hirnteile und schrieb auf, was
ihm auffiel. Die Sektion des Gehirnes dauerte eine gefühlte
Ewigkeit. Er untersuchte Gewebeteile jeder Hirnregion unter einem
Mikroskop. Als es fertig war, griff er ein letztes Mal zum
Diktiergerät.
„Das Gehirn weißt Ähnlichkeiten
zu einem Befall mit Lyssaviren auf. Der Krankheitsverlauf ähnelt
dem der Tollwut und ist doch völlig anders. Es kam zu einer
deutlichen Aufhellung in der Region des Hippocampus und am Nucleus
caudatus. Der vordere Neokortex ist deformiert und geschwollen. Das
erklärt das teilweise motorische Ungleichgewicht. Die Medulla
Oblongata ist, soweit ich das beurteilen kann, inaktiv, deshalb war
eine kontrollierte Atmung nicht mehr vorhanden. Das Cerebellum,
oder Kleinhirn, befindet sich in einer Metamorphose, die durch den
Pistolenschuss beendet wurde, der letztendlich zur Einstellung
sämtlicher Körperfunktionen geführt hat. Wegen der einsetzenden
Metamorphose kam es zu Gangauffälligkeiten und unkontrollierten
Bewegungen des Patienten. Die Kugel ist auf der hinteren
Schädelseite eingeschlagen, hat das Hirn durchschlagen und ist am
Stirnlappen wieder ausgetreten. Mehr lässt sich auf Grund der
Gewebeschädigung nicht sagen. Um es für den Laien zusammenzufassen.
Ich habe keine Ahnung, wie er sich infiziert hat, Dad. Das Gehirn
ist durch den Schuss im Eimer und mir fehlen Möglichkeiten genauer
zu sein. Außerdem bin ich kein Gehirnexperte. Was ich dir aber mit
Sicherheit sagen kann, ist, dass ich nicht finde, woran sich der
Junge infiziert haben könnte.“ Josh trank seinen kalten Kaffee aus
und brachte alle gefertigten Schriftstücke und das Diktiergerät in
das Büro seines Vaters. Auf dem Rückweg sagte er einigen Männern
der Nachtschicht Bescheid, dass er seine Arbeit beendet hatte.
Diese säuberten den Sanitätsbereich und brachten den Leichnam
hinaus zum Verbrennungsplatz.