Die Verschwörung (I)

Später an diesem Abend huschte ein menschlicher Schatten über den Stützpunkt und hielt Ausschau nach dem Zeichen, das ihm auf einem kleinen Zettel beschrieben wurde, den er nach seiner Schicht in seinem Kittel gefunden hatte.

   Doktor Schaefer ging den Text im Kopf durch. Dinner mit Freunden? Zeltplatz. Dazu eine kleine Zeichnung: ein Kreuz mit einem Kreis in der Mitte darüber. Er wusste zwar nicht mit Sicherheit, wer ihm den Zettel zugesteckt hatte, aber er hatte eine Vermutung. Die Firma. Sollten Sie tatsächlich jemanden hier herein bekommen haben? Das könnte die Lösung all seiner Probleme sein.
   Der Doktor war nun mittlerweile seit knapp zwei Wochen in Fort Benning – und das alles andere als freiwillig. Im Zuge einer Evakuierungsaktion des Militärs in Augusta hatte man ihn auf den Stützpunkt gebracht und in Gewahrsam genommen. Zwar durfte er sich innerhalb der Mauern frei bewegen, den Stützpunkt zu verlassen aber war für ihn unmöglich. Die meiste Zeit verbrachte er in einem provisorisch eingerichteten Labor, in dem er vorgab, Untersuchungen an Untoten durchzuführen. Die bisherigen Befragungen durch den Master Sergeant hatte Schaefer einigermaßen überstanden, aber ihm war nicht entgangen, dass der Ton zuletzt schärfer geworden war. Dabei war es für ihn im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig, dass er nicht einknickte und auspackte. Ansonsten hatte er für die Firma keinen Wert mehr.
   Während er sich beiläufig umschaute, überquerte Doktor Schaefer den Zeltplatz der Flüchtlinge. An einem Zelt, vor dem zwei gekreuzte Bretter mit einem Ball in der Mitte lagen, hielt er an. Wie simpel.

 

Zur selben Zeit saßen zwei Special Agents mit den Decknamen Jonah und Moses auf ihren Pritschen in der hinteren Ecke des kleinen Zeltes, das ihnen das Militär als vermeintlichen Flüchtlingen zu Verfügung gestellt hatte. Das Zelt hatte noch Platz für mindestens vier weitere Personen, allerdings waren sie bislang alleine untergebracht.

   Nachdem klar war, dass Doktor Schaefer nach Fort Benning evakuiert worden war und es gesicherte Erkenntnisse gab, dass er die Reise unbeschadet überstanden hatte, waren die zwei umgehend entsandt worden, um ihn nach New York zurückzubringen. Ihr Arbeitgeber wollte sichergehen, dass der Doktor nicht in der Obhut des Militärs verblieb. Dafür war sein Wissen zu wertvoll und in den falschen Händen viel zu gefährlich.

   Moses hatte gerade einen schwarzen, schuhkartongroßen Kasten in der Hand und hantierte mit einer Kneifzange darin herum, als die Zeltbahn am Eingang langsam geöffnet wurde. Jonah bemerkte es als erster.

   „Pssst, wegpacken“, zischte er. Moses bekam große Augen und stellte seine Arbeit an dem Gegenstand umgehend ein. Dr. Schaefer sah sich draußen nochmals zu allen Seiten um und betrat dann langsam das Zelt.

   Er konnte gerade noch sehen, wie Moses eine Art Schuhkarton auf den Boden stellte und ihn unter seine Pritsche schob. Er ging auf die beiden Männer zu und blieb in der Mitte des Zeltes unter einer an der Decke befestigten Campinglampe stehen. Dann faltete er den kleinen Notizzettel aus.

   „Kommt der von Ihnen?“
   Jonah nickte. „Schön Sie zu sehen, Dr. Schaefer. Special Agents Jonah und Moses.“
   „Ich gehe davon aus, dass wir gemeinsame Freunde haben?“, fragte Schaefer.
   „Das kann man so sagen. Wir sind hier, um sie rauszuholen.“

   Schaefer atmete erleichtert durch. „Wie ich sehe, haben Sie auch Spielzeug mitgebracht?“, fragte er und deutete dabei auf den Karton unterhalb von Moses.

   „Einige Dinge konnten wir reinschmuggeln. Zwar wurden wir selbst gründlich gefilzt, aber den Landrover haben sie eher grob kontrolliert. Die meisten Soldaten waren mit der Gesamtsituation scheinbar überfordert, insbesondere in den ersten Tagen. Bis heute achtet man hier offenbar nicht sonderlich stark auf das, was innerhalb der Mauern geschieht“, antwortete Moses.

   „Und was ist das?“ Schaefer legte den Kopf schief und schaute unter die Pritsche.

   „C4“, sagte Jonah.
   „Sprengstoff? Sind Sie völlig wahnsinnig?“

   „Ganz ruhig, Doc. Nur ein kleines Nebenprojekt der Firma. Wir wollen doch nicht, dass man uns hier behält. Und sofern Sie nicht noch lauter schreien, wird das auch niemand mitbekommen.“
   Der Doktor atmete tief durch. Eigentlich war es ihm egal wie sie hier rauskamen, er wollte nur nicht länger bleiben als es sein musste. Das US-Militär war ihm zuwider.

   „Nun gut. Wie plant die Firma mich zu evakuieren? Ich bezweifle, dass man mich einfach aus dem Haupttor fahren lässt. Ich stehe mehr oder minder unter Hausarrest im Labor.“

   „Keine Sorge, Doc. Hier steht alles, was Sie wissen müssen.“ Jonah übergab Schaefer einen kleinen Umschlag.

   „Es hat sich allerdings ein unvorhergesehenes Problem ergeben. Wir kennen den Zeitpunkt der Flucht noch nicht und haben momentan Probleme Kontakt zum Hauptquartier herzustellen. Der Funk ist seit New Hampshire nicht mehr zu gebrauchen. Wir müssen also eine andere Lösung finden, um Kontakt aufzunehmen.“

   Schaefer legte seine Stirn in Falten und dachte nach.
   „Ich glaube, da weiß ich etwas“, sagte er schließlich. „Wir sprechen wieder, sobald ich einige Dinge geregelt habe.“
   Mit diesen Worten verließ Dr. Schaefer das Zelt und machte sich eilig auf den Weg zurück zum Labor. Zu seiner Überraschung hatte niemand sein Fehlen bemerkt. Er begab sich an seinen Schreibtisch, öffnete den Umschlag und las die kurze Nachricht. Nach und nach breitete sich ein finsteres Grinsen auf seinem Gesicht aus. Nicht sonderlich filigran, aber mit Sicherheit wirkungsvoll.