Großwildjagd (I)

„Bitte sag mir, dass du was siehst, Geronimo.“ Corporal Brady war sichtlich genervt.

   Ein dunkelhaariger Sergeant kniete neben dem Patrouillenjeep am Straßenrand und sah sich genau um. Er hatte aufgrund seines Aussehens und der Tatsache, dass er auf dem Stützpunkt als der beste „Tracker“ galt, den Spitznamen Geronimo bekommen, nach dem berühmten Indianer. Dabei hieß er eigentlich Dave Stevens und kam aus Ohio. Er hatte seinen Lebtag keinen Fuß in ein Indianerreservat gesetzt und auch indianische Vorfahren waren ihm nicht bekannt.

   Was er aber mit Sicherheit sagen konnte war, dass die Fährte sich hier nicht mehr ausmachen ließ.

   „Nichts, Sir. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er hier entlang gekommen ist. Die Spur endet hinten an der Straße. Dieses verdammte Ding ist, nachdem es dort in das kleine Wäldchen gelaufen ist, an dieser Stelle wieder rausgekommen, um dann unscheinbar auf der Straße weiter zu laufen.“

   „Das kann nicht wahr sein. Was ist das doch für ein gerissenes Scheißding? Aber keine Sorge, wir kriegen dich schon, du hässlicher Bastard.“ Brady sprach mehr zu sich selbst, als zu den anderen. Ihn hatte das Jagdfieber gepackt.

   Die Patrouille des Corporals war täglich rund um Fort Benning unterwegs. Offizielle um Überlebende zu retten und Vorräte zu beschaffen. Inoffiziell verfolgte die Bravo Patrouille allerdings ein ganz anderes Ziel. Brady wollte unbedingt diesen außergewöhnlichen Zombie ausfindig machen und erledigen, der ihnen einige Tage zuvor entwischt war.  

   Brady faszinierte dieses außergewöhnliche Exemplar. Es handelte sich hierbei um einen Untoten, der nicht nur über einen Körper verfügte, der größer, schneller und vor allem wesentlich robuster war, als alles was die Soldaten je gesehen hatten. Die Kreatur verfügte darüber hinaus auch über eine mehr als nur rudimentäre Intelligenz. Sie war offenbar in der Lage sich selbst zu schützen, Angriffen auszuweichen und vor allem zu erkennen, wann sie den Rückzug antreten sollte. Sie war nicht blindlings in die Schlacht gerannt und hatte versucht, um jeden Preis zu fressen, wie es die anderen Untoten taten. Der Alphazombie, wie sie ihn nannten, hatte erkannt, dass er gegen die Feuerkraft der Patrouille nichts ausrichten konnte und war geflohen. Er hatte so gut wie gar nichts mit den normalen Untoten gemein. Der Alpha war eher wie ein großer, tierischer Menschenfresser. Ein untoter, verdammt böser, zweibeiniger Shir-Khan. Und Brady wollte seinen Kopf um jeden Preis als Trophäe.

   „Aufsitzen. Wir fahren nach Norden. Wenn der Hurensohn in die andere Richtung gelaufen wäre, dann wäre er zu nahe am Stützpunkt vorbei gekommen. Ich glaube nicht, dass dieses Scheißding das Risiko eingehen würde.“

   Sergeant Stevens stand auf, kletterte zurück auf den Patrouillenjeep und besetzte das MG. Er war in Gedanken versunken, während der Humvee die Waldstraße entlang fuhr. Er war nicht dabei gewesen, als die Patrouille das erste Mal auf dieses Ding gestoßen war und konnte sich nur schwer mit dem Gedanken anfreunden, dass neben den normalen Untoten auch noch Exemplare existierten, die offenbar mutiert waren. Es handelte sich nicht um normale Menschen, die gestorben und untot wieder auferstanden waren. Das hier schien etwas Anderes zu sein. Die Art und Weise, wie die anderen Soldaten von dem Ding sprachen, war für ihn Beweis genug. Er war seit der Grundausbildung im selben Zug wie Brady, Rickson und Norret. Er hatte keinen Grund anzuzweifeln, was seine Freunde ihm erzählten und auch die Spuren, die er im Wald gesehen hatte, waren deutlich zu groß für einen Menschen. Es sei denn Ex-Basketballstar Shaquille O‘Neill treibt als Zombie sein Unwesen in dieser Gegend. Die Vorstellung brachte ihn zum Schmunzeln. Brady war es, der ihn aus seinen Gedanken riss.

   „Yo, Geronimo! Siehst du das auf drei Uhr? Sieht aus wie Rauch, oder?“

   Dave drehte sich mitsamt des MGs nach rechts. Tatsächlich, es sah aus, als würden leichte Rauchschwaden durch die Bäume ziehen.

   „Ja, Sir. Rauch. Sieht aus, als wenn da etwas am Waldrand brennt.“

   Norret beschleunigte den Humvee und fuhr die Straße weiter, um aus dem Wald herauszukommen. Als der Humvee durch die letzten Bäume am Waldrand fuhr, wurde es schlagartig heller. Die Sonne stand hoch am Himmel und wurde nicht mehr durch die dichten Baumkronen abgeschirmt.

   Stevens kniff die Augen zusammen. Auch wenn er wenig sehen konnte, stieg ihm bereits ein beißender Geruch in die Nase, der ihn angewidert ausatmen ließ. Der markante Geruch von verbranntem Fleisch nahm ihm die Luft.

   „Norret, scharf rechts. Da drüben brennen Fahrzeuge.“ Noch etwa zweihundert Meter entfernt von ihnen stand eine kleine Fahrzeugkolonne, bestehend aus zwei Autos und einem Kastenwagen, in Flammen. Der Private am Steuer wich auf eine Wiese aus, die sich auf der anderen Seite neben der Fahrbahn befand. Der Jeep kam in einiger Entfernung zu den brennenden Fahrzeugen zum Stehen. Stevens hatte das MG bereits während der Fahrt in Richtung der Kolonne geschwenkt.

   „Drei Ziele, Sir. Vermutlich untot.“ Außer drei taumelnden Umrissen war kein Leben zu erkennen.

   „Norret, geh ans MG. Geronimo, du kommst mit mir, wir schauen uns das mal an. Wenn da noch mehr kommen, gibt Norret uns Deckung.“ Noch während er sprach, öffnete Corporal Brady die Tür und stieg mit seinem schallgedämpften Sturmgewehr aus. Nach drei schallgedämpften Schüssen fielen die Untoten in den Staub neben den noch brennenden Fahrzeugen. Brady signalisierte Geronimo mit den Händen, dass er nach links gehen würde und der Sergeant die rechte Seite im Auge behalten solle. Die beiden bewegten sich weiter auf die Fahrzeuge zu. Diese waren offenbar schon seit einiger Zeit am Brennen, aber sie strahlten immer noch eine große Hitze ab und ließen Rauchschwaden in den Himmel aufsteigen. Was den beiden Soldaten direkt auffiel war, dass neben den schwelenden Wracks ein kleiner Haufen mit mindestens fünf menschlichen Körpern lag. Zudem wiesen die Fahrzeuge Einschusslöcher auf. Es handelte sich offenbar um eine von Menschenhand geschaffene Orgie der Gewalt.

   Geronimo kniete sich unweit der Fahrzeuge in den Staub. In dieser Position hatte er immer den besten Blick auf die Dinge. Er ließ die Szenerie auf sich wirken und betrachtete die Spuren im Sand rund um die Fahrzeuge. Nach einigen Minuten trat Brady an seine Seite.

   „Deine Meinung?“ Er blickte den knienden Sergeant an.

   „Plünderer, Sir. Ein Hinterhalt. Das Ganze war schnell vorbei. Sieht aus, als hätten sie das erste Fahrzeug zum Halten gebracht und dann einfach die Fahrzeuge durchsiebt. Ich sehe lediglich die Spuren von drei Personen, die noch aus den Wagen ausgestiegen sind.“

   Brady hatte sich die Wracks genauer angesehen. „Ein ungleicher Kampf. Die Leichen in den Wracks sind weitestgehend unbewaffnet. Lediglich Baseballschläger oder Knüppel. Die Bastarde haben sich alles genommen was sie brauchten und danach alles angezündet. Auf dem Haufen neben dem  Kastenwagen liegen auch Kinderleichen. Wie können sich Menschen so etwas antun?“ Der Corporal spuckte aus. 

   „Homo homini lupus; Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, Sir.“ Der Corporal wusste nicht, ob er verwundert darüber sein sollte, dass Stevens eine philosophische Ader hatte, oder sauer darüber, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

   „Es führen Reifenspuren in nördliche Richtung, weg vom Wald. Diese Schweine dürften mehrere Stunden Vorsprung haben, aber wenn ich etwas kann, dann Menschen ausfindig machen.“ Geronimo stand auf und zeigte in die Richtung der Spuren. Wieder hatte er genau den Nerv des Corporals getroffen. Dieser hatte bereits denselben Entschluss gefasst.

   „Wer Wind sät, wird Sturm ernten. In unseren Gebiet lassen wir so etwas nicht zu.“
   Geronimo nickte. „Aye, Sir. Heizen wir diesen Bastarden ein. Und wenn wir bis morgen früh brauchen.“