28

Die Schotterstraße folgte dem Flussbett noch rund hundert Meter, dann überquerte sie einen Bachdurchlass und erklomm den gegenüberliegenden Hang. Je weiter sie anstieg, desto schmaler wurde die Straße; der Schotter ging allmählich in Waldboden über, und der Waldboden verschwand bald unter einer Schicht aus Laub und halb verrotteten Ästen. Es schien, als wäre der Weg seit Jahren nicht befahren worden.

Wir hatten mehrere Serpentinen überwunden und waren hoch über das Silo geklettert, als die Prozession stoppte. Kurz heulte eine Sirene auf, vermutlich ein Signal dafür, dass wir unser Ziel erreicht hatten. Ich parkte den Pick-up, zog die Handbremse an und stieg aus. Vor uns blockierte der gewaltige, moosbewachsene Stamm einer Eiche den zerfurchten Weg.

Auf der rechten Seite fiel der Hügel steil ab, fast senkrecht. Ich schaute hinunter und sah das Dach des TWRA-Gebäudes und daneben das achteckige Dach des wehrhaften Silos. Aus diesem Blickwinkel konnte ich die Fenster oben am Turm nicht erkennen – und das bedeutete, dass die Wachleute jemanden, der 1945 hier oben gestanden hatte, nicht hatten sehen können. Ich spürte einen frischen Adrenalinschub, als mir klar wurde, dass wir in der Nähe der Stelle waren, wo vor rund sechzig Jahren eine Leiche begraben worden war. In der Nähe der Stelle, wo womöglich immer noch menschliche Knochen verborgen lagen und darauf warteten, gefunden zu werden.

Ich ging zurück zum Wagen und öffnete die Tür. »Kann sein, dass wir schon genau da sind, wo wir hin müssen«, sagte ich. »Können Sie mir das Foto geben?« Miranda griff in den braunen Umschlag, der neben der Mittelkonsole steckte. Ohne die Scheune als Anhaltspunkt war es schwierig, doch der Blickwinkel auf das Silo – von oben, von einer Stelle, die wie eine Felsbank oder Felsplatte erschien – kam dem, was ich gerade entdeckt hatte, bemerkenswert nah.

Emert und Dewar stiegen aus dem Streifenwagen, beide mit einem Abzug des Fotos in der Hand. Roy stieg aus dem F-150 und beäugte die Fotos mit sichtlichem Interesse, also reichte ich ihm meinen Abzug. Er machte große Augen, als er die Leiche sah, dann drehte er den Kopf, um das Tal unter uns abzusuchen. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Das wird interessant«, sagte er. »Viel lustiger, als zu fragen: ›Welche ist die kleinste Zeile, die Sie lesen können?‹ oder ›Mit welcher ist es besser, mit der ersten oder der zweiten?‹«

»Und auch besser, als Klausuren zu korrigieren«, sagte ich.

Thornton gesellte sich als Letzter zu uns. Statt des Fotos hielt er den Starbucks-Becher in der Hand. Er tippte Miranda auf die Schulter und nahm ihr wortlos den Abzug aus der Hand. »Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause«, sagte sie.

»Danke«, meinte er, schaute rasch auf das Silo, dann auf das Foto und gab es ihr zurück. Dann sah er die Gruppe an. »Und jetzt?«

Ich richtete den Blick auf Arpad. Arpad sah Roy an. »Ich dachte, Roy und Cherokee könnten vielleicht das Gebiet absuchen, schauen, ob der Hund irgendwo Interesse zeigt, um einzugrenzen, wo wir die Sonde einsetzen.«

»Klar«, sagte Roy. »Er fühlt sich verarscht, wenn er nicht rausspringen und ein bisschen schnüffeln darf.« Roy bückte sich und hob ein vertrocknetes Blatt auf. Dann hob er den Arm auf Schulterhöhe, streckte die Hand aus, zerkrümelte das Blatt, ließ die Krümel durch die Finger rieseln und sah zu, wie sie in einer Brise davontrieben, die so leicht war, dass man sie kaum spürte. »Sieht so aus, als würde die Luft nach unten und flussabwärts fließen«, sagte er. »Was bedeutet, dass der Geruch – falls welcher da ist – sich auch in diese Richtung bewegt. Geruch ist wie Wasser – er fließt immer nach unten und hat die Tendenz, sich an der tiefsten Stelle zu sammeln. Und an kühlen Stellen.« Er betrachtete den steilen Hang und die Fahrzeuge und runzelte leicht die Stirn. »Ich will keinen großen Wirbel veranstalten«, sagte er, »aber könnten wir alle ein paar hundert Meter zurücksetzen? Ich würde gern mit ihm den Weg raufgehen, aber der Benzin- und Ölgeruch wird alles andere so ziemlich überlagern.«

Roy ging gemächlich zu seinem Wagen zurück, und wir anderen eilten zu unseren Fahrzeugen. Nach einigen Augenblicken gespannten, zögerlichen Zurücksetzens in den schmalen Furchen parkten wir alle wieder. Roy öffnete die Halbtür seines Campingaufsatzes und klappte die Heckklappe nach unten. Er sprach mit leiser, besänftigender Stimme, und ein großer Schäferhund an einer soliden Lederleine sprang aus dem Pick-up. Roy war mindestens ein Meter achtzig groß und wog um die hundert Kilo, doch der Hund zog an ihm, als wäre er ein Kind. »Wie Sie sehen können, macht ihm das hier richtig Spaß«, sagte Roy. Als sie auf Höhe der Gruppe waren, zog Roy kurz an der Leine. »Cherokee, sitz«, sagte er resolut. Der Hund setzte sich, doch selbst im Sitzen spannte er die Leine.

Miranda beugte sich ein wenig über den Hund. »Ist er friedlich? Kann ich ihn streicheln?«

»Er ist ein Schatz«, sagte Roy, »aber er interessiert sich mehr für die Arbeit als für Zärtlichkeiten.«

Emert lachte. »Erinnert mich an meine Ex«, sagte er.

»Erinnert mich daran, dass Hunde viel nützlicher sind als Männer«, sagte Miranda. Wir übrigen – die sechs Männer, die sie gerade aufgespießt hatte – lachten kurz und wechselten schnell das Thema.

Roy führte den Hund nach oben zum Pinkeln, dann ließ er ihn wieder Sitz machen, diesmal ein Stückchen von uns weg. »Okay, der Geruch von den Autos hat sich inzwischen wohl ausreichend verzogen«, sagte er. »Zuerst lasse ich ihn zu einer raschen ersten Suche von der Leine und schaue, ob er irgendetwas aufnimmt. Wenn nicht, arbeite ich mit ihm die Stelle systematisch durch.«

Thornton hob die Hand wie ein Kind in der Grundschule. »Ja, Sir?«, fragte Roy.

»Der Hund arbeitet nicht auf Kommissionsbasis, oder?«

Roy wirkte verdutzt, genau wie alle anderen. Alle, außer Miranda, die schnaubte. »Wie? Zehn Prozent von den Knochen?«

»Zehn Prozent kommt mir ein bisschen happig vor«, sagte der FBI-Beamte mit einem Grinsen. »Alles über fünf klingt gierig.«

»Ich wünschte, Sie würden das Finanzamt leiten«, meinte Miranda.

In diesem Augenblick klingelte Thorntons Handy. »Tut mir leid«, sagte er und löste es von dem Halter an seinem Gürtel. Beim Anblick des Displays runzelte er die Stirn, nahm den Anruf jedoch entgegen. »Hallo? Wer?« Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. »Ja«, sagte er. »Hör mal, ich bin im Augenblick beschäftigt. Kann ich dich zurückrufen?« Er ließ die Schultern hängen – eine dramatische Geste, die uns, die ihn beobachteten, seinen Frust signalisieren sollte. So eine Geste machte ein Mann, wenn seine Frau oder Geliebte oder sein Teenager ihn zu unpassender Zeit anrief. »Also, das war wirklich keine große Sache«, sagte er. »Das hätte jeder andere auch so gemacht.« Er machte eine Pause, hörte zu, schüttelte den Kopf. »Du hättest dasselbe gemacht«, sagte er, »ohne lange zu überlegen. Schau, ich kann jetzt wirklich nicht reden. Ich muss weiter. Tut mir leid. Tschüss.« Mit einer Grimasse klappte er das Handy zu und sah uns entschuldigend an. »Tut mir sehr leid«, erklärte er und schenkte uns wieder sein Indiana-Jones-Lächeln.

»Okay«, sagte Roy, »wenn Sie alle so weit sind, gehe ich vor und lasse Cherokee das Gebiet absuchen.« Er sah sich um, und wir nickten. »Wenn Sie bitte alle hier unten in diesem Bereich bleiben würden, das minimiert für ihn den Geruch und die Ablenkung.«

»Wäre es in Ordnung, wenn ich von hier aus ein paar Fotos mache?«, fragte ich.

»Sicher«, sagte Roy. »Solange Sie versprechen, mich nur von meiner guten Seite abzulichten.« Damit bückte er sich und wackelte mit dem Hintern.

»Akademiker«, brummte Emert, »müssen immer mit ihrem Köpfchen prahlen.«

Roy griff in die Manteltasche und holte eine Plastikwasserflasche heraus. Das Betragen des Hundes änderte sich augenblicklich: Ohren und Schwanz richteten sich auf, und er fing an, vor- und zurückzutraben, fast wie ein Pferd. »Cherokee, sitz«, sagte Roy, und der Hund setzte sich, zitterte jedoch vor Eifer. Roy drückte die Flasche zusammen, und ein kleiner Wasserstrahl spritzte heraus, den der Hund geräuschvoll aus der Luft aufschlabberte. Roy verschloss die Flasche, steckte sie wieder in die Manteltasche und nahm Blickkontakt mit seinem Schäferhund auf. »Suuk mort«, sagte er, wenigstens klang es so. Man musste kein Einstein sein, um dahinterzukommen, dass »mort« von »Mortalität« kam und ein Hundeführerbegriff für »Leiche« war. Ich wusste noch genug von meinem Fremdsprachenunterricht, um zu erkennen, dass »suuk« wahrscheinlich das deutsche Wort »such« darstellen sollte. Ich lächelte bei dem Gedanken, dass Roy Deutsch sprach, damit der Hund – ein Deutscher Schäferhund – ihn auch verstand.

Mit gemächlichen Schritten ging Roy den schmalen Waldweg hinauf. Der Hund lief ein Stück vor ihm, lief hin und her über die Furchen und blieb hier und da stehen, um an einem Baum oder einem Moospolster zu schnuppern. Er erreichte die riesige umgestürzte Eiche, blieb stehen, schaute zu Roy zurück und winselte einmal. Roy näherte sich dem Baumstamm, wandte sich nach links, ging parallel zum Baumstamm und sagte leise: »Mach dich wieder an die Arbeit.« Der Hund schnüffelte am Baumstamm entlang zu den abgerissenen Wurzeln.

Als Roy um den Baum herumging und sich wieder zum Waldweg wandte, machte Cherokee eine jähe Wende und lief zurück zu der Stelle, wo die Wurzeln aus dem Boden gerissen worden waren. Auf Novaks Fotos war ein frischer Krater zu sehen gewesen, der in die Erde gerissen worden war, doch in den vergangenen Jahrzehnten hatte in der Senke ein recht ansehnlicher Tulpenbaum Wurzeln geschlagen. Der Hund umkreiste den Bereich langsam, die Nase dicht am Boden, dann erschnüffelte er sich seinen Weg zu dem Baum in der Mitte. Sobald er dort war, setzte er sich hin und starrte auf den Fuß des Tulpenbaums. Ich wartete darauf, dass der Hund bellte, winselte oder sich hinlegte, wie ich es bei anderen Leichensuchhunden gesehen hatte, um anzuzeigen, dass sie etwas gefunden hatten, doch Cherokee saß nur da und starrte.

»Also, das ist faszinierend«, murmelte Emert. »Ich ertrage die Spannung kaum. Pieselt er jetzt gleich oder nicht?«

»Pst«, zischte Miranda.

Roy schlich näher und betrachtete den Hund einen Augenblick lang. »Cherokee, zeig mort«, sagte er. Der Hund stand auf und schnupperte langsam um den Tulpenbaum herum, und dann setzte er sich wieder, fast genau auf dieselbe Stelle wie vorher. Diesmal beugte er sich vor und berührte am Fuß des Baums den Boden mit der Nase. »Guter Junge! Was für ein guter Junge!« Der Hund sprang auf und wirbelte herum, gerade rechtzeitig, um ein zusammengeknotetes Handtuch zu fangen, das Roy aus einer Tasche gezogen und in seine Richtung geworfen hatte. Mit der Wucht einer zuklappenden Bärenfalle schloss sich der Kiefer des Hunds um den Stoff, und er warf den Kopf hin und her, als wollte er eine Ratte zerfetzen. Mit einer Pfote hielt er den Stoffknoten am Boden und zerriss ihn mit ebenso viel Brutalität wie Akribie.

»Bin ich froh, dass es nicht meine Kehle ist, die er gepackt hat«, kommentierte Dewar.

Nachdem das Handtuch zerfetzt war, führte Roy den Hund zu unserer wartenden Gruppe zurück. »Es sieht aus, als könnte am Fuß des Tulpenbaums etwas sein«, sagte er.

»Echt wahr«, sagte Arpad. »Jetzt bin wohl ich dran.«

Er öffnete die Hecktür des Subaru und holte den Top-Gun Freon-Detektor heraus. Er kreischte, als er ihn einschaltete, dann erstarb das Geräusch zu einem gelegentlichen Zwitschern. Arpad ging zum Fuß der umgestürzten Eiche. Wir folgten ihm, da sich das Gerät – anders als der Hund – weder durch Menschen noch durch fremde Gerüche ablenken ließ.

Auf halbem Weg zwischen der Eiche und dem aufrecht stehenden Tulpenbaum bückte Arpad sich und steckte die Spitze des Stabs durch das Laub in die Erde. Der Detektor zwitscherte im selben langsamen Rhythmus. Arpad trat näher an den Tulpenbaum und wiederholte die Prozedur, ohne dass eine Veränderung erkennbar gewesen wäre. Als Nächstes stellte er sich genau da hin, wo der Hund angezeigt hatte, und nahm eine weitere Messung vor. Das Zwitschern mochte ein wenig schneller geworden sein, doch das konnte ich mir auch einbilden. Arpad runzelte die Stirn und wirkte verdutzt und ein wenig verlegen. »So kalt, wie es war, könnte es sein, dass die Freonverbindungen sich nicht verflüchtigen«, sagte er. »Oder sie sind längst verschwunden, wenn wir nach etwas suchen, was sechzig Jahre alt ist.«

»Vielleicht ist der Hund auch cleverer«, schlug Emert vor, was ihm einen finsteren Blick von Arpad eintrug.

Er brachte den Freon-Detektor zurück zu seinem Wagen und tauschte ihn gegen seinen Prototyp-Schnüffler ein. Als das Ding zum Leben erwachte, dachte ich, dass mir sein zurückhaltendes Klicken viel lieber war als das elektronische Kreischen des Freon-Detektors. Wie zuvor blieb Arpad kurz vor dem Zielbereich stehen und steckte die Sonde des Instruments behutsam in die Erde. Es klickte ruhig weiter, fast wie eine tickende Uhr. Obwohl es ein kalter Tag war, glaubte ich auf Arpads Stirn Schweißperlen schimmern zu sehen, und ich begriff, dass für ihn bei diesem Feldversuch sehr viel auf dem Spiel stand. Wenn der Hund positiven Alarm gab, Arpads ausgeklügeltes Gerät jedoch nicht, sollten wir dann trotzdem graben? Ich war auf jeden Fall dafür, schließlich hatte der Hund insgesamt eine beeindruckende Erfolgsquote aufzuweisen, und er hatte weder gezögert noch gezweifelt, nachdem er sich einmal auf den Fuß des Tulpenbaums eingeschossen hatte. Es gab keine Garantie, dass wir etwas ausbuddeln würden, doch es schien nur fair, im Zweifelsfall dem Hund Glauben zu schenken – denn wenn wir dem Hund nicht vertrauten, hätten wir ihn nicht zur Suche anheuern sollen.

Doch würde Arpad – ehemaliger Student und jetzt geschätzter Kollege – beleidigt sein, wenn wir dem Hund mehr zutrauten als seinem Gerät? Ich hoffte nicht, doch ich wusste, wie empfindlich Wissenschaftler sein konnten, wenn sie den Eindruck hatten, ihre Arbeit werde in Frage gestellt.

Während ich im Geiste noch die Alternativen durchging und versuchte, einen möglichst diplomatischen Weg zu finden, mit dem Dilemma umzugehen, drang ein leiser, hartnäckiger Ton in mein Bewusstsein. Arpad stand jetzt in der Mitte des Kreises, die Sonde des Geräts steckte im Boden, und das langsame, stete Ticken war von einem Geräusch abgelöst worden, das an ein gedämpftes Maschinengewehrfeuer erinnerte. Auf Arpads Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. »Heureka!«

»Cool«, meinte Miranda.

Thornton griff in die Tasche, holte ein zusammengefaltetes Taschentuch heraus und knotete es zu einem Ball. Ich war verdutzt, bis er »Guter Junge« sagte und das Taschentuch in Richtung der Sonde auf den Boden warf. Plötzlich nahm ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Mit Lichtgeschwindigkeit schoss Cherokee vor, schnappte sich das Taschentuch und machte sich daran, es zu zerfetzen.

Miranda brach in schallendes Gelächter aus. »Heiliger Strohsack, das war schnell«, sagte sie. »Geschieht Ihnen ganz recht, Sie Klugscheißer.« Thornton schenkte ihr nur wieder sein Lächeln, breiter und einfältiger denn je zuvor. Miranda wandte sich mir zu. Es mochte am kühlen Wind liegen, doch ihre Wangen waren gerötet. »Bedeutet das, dass wir jetzt dran sind?«

»Ich glaube schon«, sagte ich. Ich tippte den beiden Polizeibeamten auf die Schulter, als Miranda und ich uns auf den Weg zu unserem Pick-up machten. »Wären Sie so nett, uns zu helfen?«

Sie folgten uns zum Heck des Wagens, und ich drückte jedem einen Rechen und einen Zinkeimer in die Hand. Miranda nahm die zwei Schaufeln, und ich trug einen großen Plastikeimer mit kleineren Sachen: Asservatenbeutel, Kellen, Gummihandschuhe, Maßband, Kompass, ein GPS-Gerät, eine topografische Karte, meine Digitalkamera, ein Klemmbrett, Stifte, Leuchtmarker und eine blaue Plastikplane. Die Plane breitete ich nahe der Stelle aus, wo wir graben würden, und legte die restliche Ausrüstung darauf aus.

Wie immer begann ich damit, dass ich Fotos machte – zuerst mehrere Aufnahmen in der Totale, die das ganze Areal zeigten, die Fahrzeuge und die Menschengruppe. Dann hatte ich eine Eingebung und machte mehrere Aufnahmen von der umgestürzten Eiche, dem kleinen Tal und dem Betonsilo und näherte mich dabei Novaks Perspektive so nah wie möglich an. Die Vergleichsfotos würden eine interessante Ergänzung der Akte abgeben, dachte ich. Eine interessante Fußnote in der Geschichte von Oak Ridge. Etwas Interessantes, was ich Isabella beim Pizzaessen zeigen konnte. Als Nächstes machte ich Nahaufnahmen von der umgestürzten Eiche, dem Bereich um den Fuß des Tulpenbaums und des orangefarbenen Fähnchens, das Arpad in die Erde gesteckt hatte. Miranda schaltete das GPS-Gerät ein, hielt es über die Fahne und drückte einen Knopf, um die Längen- und Breitengrade als GPS-Koordinaten zu speichern. Ich fand es erstaunlich, dass ein Dreihundert-Dollar-Gerät von der Größe und Form eines Taschenrechners Satelliten ansteuern konnte, die tausende von Kilometern über uns schwebten, um diesen Fleck auf einem abgelegenen Berghang zu lokalisieren und zu erinnern: ein elektronisches X, das einen winzigen Fleck auf einem riesigen Planeten kennzeichnete. Ich bewunderte die Technik, doch ich verließ mich nicht gänzlich darauf. Deswegen hatten wir Kompass und Maßband dabei: Zusätzlich zur Markierung der Stelle auf der topografischen Karte würde Miranda eine detailliertere Skizze des Bereichs mit dem Waldweg, dem umgestürzten Baum und der Ausgrabungsstelle anfertigen und Himmelsrichtungen und Entfernungen notieren – zum Beispiel den Durchmesser der Grabungsstelle und wie viele Meter westlich des umgestürzten Baumstamms der Hund und der Schnüffler Alarm geschlagen hatten.

Ich hatte Miranda überreden wollen, mir zu erlauben, an ihrer Stelle einen anderen Doktoranden mitzunehmen, denn ich machte mir Sorgen, dass die Verbrennungen an ihren Händen weh taten, und ich fürchtete, sie könnte sie sich beim Arbeiten aufreißen. Doch sie hatte unbedingt mitkommen wollen. »Ich ziehe zwei Paar Handschuhe an«, hatte sie erklärt, »das geht schon.« Ich hoffte, dass sie recht hatte.

Nachdem ich rund ein Dutzend Fotos gemacht und Miranda die wichtigsten Orientierungspunkte skizziert hatte, machten wir uns daran, an der Stelle das Laub wegzuharken. Als der große Baum vor langer Zeit umgestürzt war, hatten seine Wurzeln einen Krater von zwei bis drei Metern Durchmesser und ein, zwei Metern Tiefe ins Erdreich gerissen. Allmählich jedoch hatte der Krater sich gefüllt; von den Rändern war Erde hineingerieselt, an den Seiten war Regenwasser heruntergesickert, und jahrzehntelang war Laub in das Loch geschwebt und verrottet. Inzwischen war nur noch eine flache Senke übrig, in der ein zwanzig Meter hoher Tulpenbaum wuchs. Hätte am Rand nicht der gewaltige Eichenstamm gelegen, wäre die Senke schlicht als leichte, zufällige Geländeunebenheit durchgegangen. Indem wir behutsam gruben, hoffte ich, dass Miranda und ich uns zu der ursprünglichen, tieferen Kontur der Senke vortasten konnten, als Ausgangspunkt für unsere Suche nach dem, was in der Mitte liegen mochte. Doch das war kein leichtes Unterfangen.

»So«, sagte Miranda, »der Baum da ist auf jeden Fall im Weg. Ich frage mich, was wir mit dem verflixten Baum machen sollen?«

»Nur so ein Gedanke«, sagte Emert und griff ihren verschlagenen, neckenden Tonfall auf, »aber ich denke da an eine Kettensäge. Hätten wir doch nur eine Kettensäge zur Hand!«

Sie lachten, und Roy und Arpad und der ORNL-Wachmann sahen uns verdutzt an, also erzählte Emert ihnen die Geschichte von der Kettensäge. »Machen Sie nur«, sagte ich. »Streuen Sie nur weiter Salz in die Wunde. Aber erwarten Sie bloß kein Mitgefühl von mir, wenn Ihnen das nächste Mal das Herz bricht.«

Roy meldete sich zu Wort. »Ich kann Ihren Schmerz nachvollziehen, Doc. Ich bin meiner Husqvarna auch sehr zugetan. Wenn ich’s mir recht überlege, liegt sie hinten im Wagen. Falls Sie mir versprechen, sie nicht zu stehlen, könnte ich mich bereit erklären, das gute Stück zu holen.«

Die Husqvarna war nicht so hübsch wie die Stihl – und irgendwie kam sie mir auch nicht so solide vor –, doch sie schnitt in zwei Minuten durch den zwanzig Zentimeter dicken Stamm des Tulpenbaums. Zuerst sägte ich ihn in Hüfthöhe ab, um den Stumpf dann fast auf Bodenhöhe zu kappen. Ich danke Roy für die Säge, gab sie ihm zurück und nahm dann das neunzig Zentimeter lange Stück des Baumstamms und trug es zu unserem Pick-up. »Geht Ihnen das Brennholz aus?«, fragte Emert.

»Ein Souvenir«, sagte ich nur.

Die Kante dessen, was einst der Krater in der Erde gewesen war – der Rand zwischen »Loch« und »Nicht-Loch« –, lag inzwischen nicht mehr an der Erdoberfläche, also entfernte ich mit einer Schaufel eine dünne Schicht Mutterboden, wobei ich an der leichten Vertiefung anfing und nach außen schaufelte, über den Rand hinaus. Zuerst fuhr die Schaufel mühelos hindurch, was mir verriet, dass der Grund hier locker war, doch nach ungefähr dreißig Zentimetern spürte ich mehr Widerstand: den Widerstand komprimierter, unberührter Erde. Ich hob die Schaufel und betrachtete das, was ich gerade abgetrennt hatte. Und in der Tat, zu mir hin war die Erde leichter, bröckeliger und krümeliger, und jenseits einer dünnen und unregelmäßigen, aber unverkennbaren Linie war der Boden viel dichter und dunkler, durchsetzt mit Felsbrocken und Lehm, der seit Anbeginn der Zeit unberührt dagelegen hatte.

»Okay«, sagte ich zu Miranda, »hier ist die Kante. Wie wäre es, wenn wir uns halb um den Rand herumarbeiten und dann nach innen vorstoßen?«

»Wie du befiehlst, Meister«, sagte sie.

»Verzeihen Sie, Dr. Meister«, sagte Thornton. »Kann ich eine dumme Frage stellen?«

»Dumme Fragen gibt es nicht«, sagte ich.

»Da waren die Ausbilder in der FBI-Akademie aber ganz anderer Meinung«, sagte er. »Warum fangen Sie am Rand an zu graben? Warum stoßen Sie nicht gleich ins Zentrum vor, irgendwo da um den Stumpf herum, den Sie gerade abgesägt haben?«

»Wenn wir direkt nach unten graben und da ist tatsächlich etwas, bröseln wir immer wieder Erde darauf«, erklärte ich. »Die Ränder des Lochs brechen ein. Und wir würden von oben auf die Knochen stoßen, da besteht immer die Gefahr, dass wir am Ende welche zerbrechen. Von der Seite herangehen bedeutet zwar ein bisschen mehr Buddelei … aber sehr viel mehr Kontrolle.«

»Ah«, meinte er. »Können wir Ihnen irgendwie helfen?«

»Sicher«, sagte ich. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Eimer mit Erde zu hieven, könnten Sie das Erdreich wegschleppen, während wir graben.«

»Das könnten wir wohl hinkriegen«, versetzte er.

»Arpad«, sagte ich, »wie lange ist es her, seit Sie eine Kelle in der Hand hatten?«

»Um Knochen auszugraben oder um Tulpen zu pflanzen?«

»Um Knochen auszugraben.«

»Nicht so lange, dass ich die Rückenschmerzen vergessen hätte«, sagte er. »Vielleicht zehn, zwölf Jahre.«

»Dann wird’s Zeit, dass Sie Ihre Fähigkeiten auffrischen«, sagte ich und reichte ihm eine Kelle.

Ich war rund sechzig Zentimeter vom Rand des Kraters entfernt und etwa fünfundvierzig Zentimeter unterhalb der Ebene von Laub und Ästen, die Miranda und ich weggeharkt hatten, als meine Kelle auf etwas Festes stieß. Mit der dreieckigen Spitze kratzte ich an der Erde unter dem Objekt, auf das ich gestoßen war, und als sich die Erde löste, konnte ich nach und nach das distale Ende – am Ellbogen – eines Humerus, eines Oberarmknochens, ausmachen. »Heureka!«, sagte ich wie vorhin Arpad. Ich grub noch ein wenig weiter und beförderte die medialen Enden von Radius und Ulna ans Tageslicht, den Unterarmknochen. Der Winkel des Ellbogens verriet mir, dass der Arm leicht angewinkelt war und die Hand wahrscheinlich irgendwo in der Nähe der Hüfte lag. »Das ist der rechte Arm«, sagte ich. »Der Typ liegt anscheinend mit dem Gesicht nach unten. Vorausgesetzt, es ist ein Er.« Ich kratzte noch etwas mehr Erde ab und legte das distale Ende des Unterarms frei, die losen, kieseligen Knochen des Handgelenks, die Handwurzelknochen und die Mittelhandknochen.

Emert beugte sich vor und warf einen Blick auf die fleckigen Knochen. »Sind Sie sicher, dass das menschliche Knochen sind«, sagte er, »und dass sie nicht von einem Bär stammen? Ich habe mal die Knochen einer Bärentatze gesehen, und ich hätte schwören können, es sei eine menschliche Hand oder ein Fuß.«

»Also, wenn die Bären in Oak Ridge nicht so clever sind, dass sie die Zeit ablesen können, bin ich mir ziemlich sicher, dass es ein Mensch ist«, sagte ich, »denn er trägt eine Herrenarmbanduhr.« Mit der Spitze der Kelle zeigte ich auf eine unter dem Handgelenk versteckte korrodierte Metallscheibe.

»Heureka, allerdings«, sagte Thornton.

Bevor ich dazu kam, sie darum zu bitten, verließ Miranda die Stelle, an der sie gearbeitet hatte, und kniete sich neben mich. Wir hatten das so oft gemacht, dass unsere Teamarbeit nahtlos, wortlos und fast telepathisch vonstatten ging. Ich wandte mich dem Oberarm zu und machte mich daran, in Richtung Schulter und Kopf zu graben, und Miranda arbeitete an der Hand und dann am rechten Bein hinunter weiter.

Als ich entlang der Schulter grub, auf den Bereich zu, wo der Kopf liegen musste, bröckelte die Erde ab und entblößte die runde Oberfläche eines Schädels. Mit der Spitze der Kelle kratzte ich behutsam die Erde ab. Gelegentlich war ich gezwungen, die Kelle gegen eine kleine Gartenschere zu tauschen, um Wurzeln abzuschneiden, die sich an die Knochen klammerten.

Als die Rückseite des Schädels sichtbar wurde, sah ich an der Schädelbasis eine markante Unebenheit. Die Beule – der äußere Hinterhauptshöcker – hatte im Nacken einst als Ansatzpunkt für Muskeln gedient. Das Aussehen und die Auffälligkeit der Beule verrieten mir, dass das Skelett definitiv das eines Mannes war, und zwar eines recht kräftigen Mannes. Anhand der Größe des Humerus und der Muskelspuren daran war ich mir, was das Geschlecht anging, schon ziemlich sicher gewesen, ganz zu schweigen von der Armbanduhr, aber der äußere Hinterhauptshöcker bestätigte meine Vermutung.

Der Kopf war verdreht, sodass das Gesicht, statt nach unten zu zeigen, zur linken Schulter blickte, und zudem in einem seltsamen Winkel ein wenig nach hinten abgeknickt. Einen Augenblick lang überlegte ich, ob der Hals gebrochen war – schwer zu sagen, da kein Weichgewebe mehr vorhanden war –, doch diese Theorie verwarf ich rasch zugunsten einer anderen, einfacheren Erklärung: Die Leiche war in den Krater gerollt worden und war leicht schief liegen geblieben.

Da wir zu dritt gruben, ging die Arbeit ziemlich rasch voran. Trotzdem wurde es Nachmittag, bis wir uns um das ganze Skelett herumgearbeitet hatten. Statt einen Knochen nach dem anderen zu bergen, ließen wir das Skelett an Ort und Stelle, bis wir es vollständig freigelegt und auf allen Seiten nach unten gegraben hatten, sodass die Knochen auf einer erhöhten Bodenschicht lagen, quasi wie auf einem Podest. Das Weichgewebe war vollständig verwest, genau wie die Kleidung, bis auf die dünnen, bröckeligen Reste der Ledersohlen seiner Schuhe.

Eine nach der anderen trennten Miranda und ich die restlichen Wurzeln des Tulpenbaums durch, um die Knochen aus ihrem Griff zu befreien. Als wir alle Wurzeln abgeschnitten hatten und den Baumstumpf des Tulpenbaums von dem Torso hochgehoben hatten, sah auch der Stumpf skelettartig und verstümmelt aus.

Der Torso war eine Herausforderung. Normalerweise bricht eine Leiche in einem Grab allmählich zusammen, der gewölbte Brustkorb flacht ab, wenn die Knorpel sich zersetzen und die Rippen sich von der Wirbelsäule und dem Brustbein lösen. Doch in diesem Fall hatte das Gitterwerk der Baumwurzeln die Rippen gehalten.

Inzwischen war ich fast vier Stunden auf allen vieren herumgekrochen, also stand ich ächzend auf und kletterte aus dem Loch, das wir gegraben hatten. Ich entschuldigte mich bei den anderen, spazierte in den Wald, verschwand hinter einem großen Baum und machte eine dringend nötige Pinkelpause. Arpad und Miranda eilten in andere Richtungen und taten es mir nach. Im Laufe der Jahre hatte ich schon Doktorandinnen gehabt, für die es vor Ort ein rechtes Problem gewesen war, keine Toilette in der Nähe zu haben, doch Miranda hatte ihr Schamgefühl in solchen Dingen längst über Bord geworfen. »Oh, gütiger Himmel«, hatte sie einmal eine zimperliche Kommilitonin ausgeschimpft, »wir sind hier, um die verwesten Därme eines Toten auszubuddeln, und du bist dir zu fein, um hinter einen Strauch zu pinkeln? Bring’s schon hinter dich.« Aus einem Kiefernwäldchen rund fünfzig Meter weiter hörte ich einen Schrei. »Himmel, Arsch und Zwirn«, rief Miranda, »ihr Kerle habt ja keine Vorstellung davon, wie kalt es hier draußen ist.«

»Das nächste Mal bringe ich extra für Sie einen Powärmer mit«, konterte Arpad.

Sobald wir wieder versammelt waren, fotografierte ich das Skelett aus allen Blickwinkeln, machte Total- und Nahaufnahmen. Als Nächstes würden wir die Knochen von dem Podest im Grab bergen. Ich bat Miranda, das Inventar der Skelettteile – die Liste aller Knochen – zu führen, und Arpad, die Knochen in Asservatenbeutel zu stecken.

Mit dem Schädel fing ich an. Als ich ihn aus der Erde barg, hochhob und drehte, bekam ich einen ersten Blick auf das rechte Schläfenbein, den ovalen Knochen direkt über dem Ohr. In dem Knochen war ein kleines, scharf abgegrenztes Loch. Die Stelle entsprach exakt dem dunklen Kreis am Kopf des Toten auf Leonard Novaks Fotos. »Du bist es«, sagte ich zu dem Schädel. »Du bist es wirklich.«

Das Loch hatte außen einen Durchmesser von etwa sechs Millimetern, doch je tiefer es in den Knochen ging, desto größer wurde es. Die Schrägung war das unverkennbare Kennzeichen dafür, dass eine Kugel in den Schädel eingedrungen war. Jeder Jugendliche, der je mit einem Luftgewehr auf eine Fensterscheibe geschossen hat, ist diesem physikalischen Phänomen schon einmal begegnet, auf kleinerer und weniger tödlicher Ebene: Wenn das Geschoss auf das Glas trifft, erzeugt es eine Schockwelle, die sich auffächert und einen stetig größer werdenden Querschnitt aufsprengt, bis es auf der anderen Seite des Fensters unter einem Schauer winziger Scherben wieder herauskommt.

Die Eintrittswunde lag etwa zweieinhalb Zentimeter oberhalb der Öffnung des rechten Ohrs; die perfekte Rundung legte nahe, dass die Kugel direkt auf die Mitte des Schädeldachs abgefeuert worden war, denn ein schräger Schuss hätte ein ovales Loch hinterlassen. Auf der linken Schädelseite war keine Austrittswunde. Ich schüttelte den Schädel kräftig und wurde mit einem Klappern belohnt. »Ich glaube, wir haben auch die Kugel«, sagte ich. »Wahrscheinlich Kaliber zweiundzwanzig. Die Eintrittswunde ist klein, und die Kugel hatte nicht genug Schwung, um auf der anderen Seite wieder rauszukommen.«

»Genug Schwung, um ihre Aufgabe zu erledigen, hatte sie allerdings«, sagte einer der Detectives.

»Schon komisch mit diesen Kaliber zweiundzwanzig«, sagte ich. »Sehen aus wie ein winzige Waffe, aber die Kugeln neigen dazu, im Schädelinnern immer wieder abzuprallen und das Gehirn komplett zu zermatschen. Manchmal richtet eine Kaliber zweiundzwanzig mehr Schaden an als ein großkalibriges Geschoss, das einfach durchsaust.«

»Was meinen Sie, was er gerade gemacht hat«, sagte Emert, »als diese Kugel ihn traf?«

»Er hat versucht, Atomgeheimnisse zu stehlen«, erklärte Thornton. »Oder versucht, den Diebstahl zu verhindern.«

»Oder er hat die Frau oder die Freundin des Falschen angebaggert«, sagte ich.

»Er hat um sein Leben gefleht«, warf Miranda ein.

Außer der Uhr hatten wir bisher noch keine Gebrauchsgegenstände ausgegraben. Doch als wir jetzt die Knochen bargen und eintüteten, stieß ich auf sieben kleine Objekte, die in die Erde eingebettet waren. Sechs waren Metallknöpfe – einer im Bereich der Brust, wo eine Hemdtasche gewesen sein mochte, drei auf der Mittellinie des Körpers zwischen Brustkorb und Becken und einer an jedem Handgelenk. Das siebte Objekt, an der Taille, war eine rechteckige, olivgrüne Plastikschnalle, in der noch ein verfaultes Stück Stoff hing. Als ich Arpad die einzelnen Objekte reichte, so vorsichtig, als wären es kostbare Edelsteine aus einem Pharaonengrab, drängten sich die Polizeibeamten um ihn, um sie zu inspizieren. Beim Anblick der Schnalle sprach Emert aus, was ich gedacht hatte: »Der Typ hat einen Armeeoverall getragen. Ich hab den von meinem Vater immer noch in einer Truhe auf dem Speicher.« Im Grab fanden sich weder Münzen noch Schlüssel, weshalb ich vermutete, dass die Taschen geleert worden waren. Daher war ich zwar enttäuscht, dass das Grab keine Hundemarke enthielt, aber nicht überrascht.

»Wir haben hier also einen toten GI aus dem Zweiten Weltkrieg«, sagte Emert. »Toll. Davon gab es hier in Oak Ridge ungefähr, na, zehntausend vielleicht?«

Ich dachte, wir wären fertig – wir hatten uns durch die Knochen bis hinunter zur Erde gearbeitet –, doch da löste sich unter meiner Kelle ein Lehmklumpen. Bloß dass es kein Lehm war. Ein Stück davon brach ab, und dabei kamen in der Erde seltsame Streifen zum Vorschein. Bei genauerer Betrachtung erkannte ich eine rechteckige Form, rund dreißig Zentimeter lang und nicht ganz so breit, die ein wenig blasser war als der Rest des roten Lehms, der das Grab säumte. Ich drückte vorsichtig auf die Kante, die ich freigelegt hatte. Die Streifen waren ziemlich dünn, papierdünn, erkannte ich, als mir aufging, welche Proportionen das Rechteck hatte. »Ich weiß nicht, was der Mann gemacht hat, als er starb«, sagte ich, »aber es scheint, als hätte es etwas mit einem mächtig dicken Papierstapel zu tun gehabt.«