ZWEIUNDZWANZIG
Nach zwölf Jahren als Polizistin, davon die letzten beiden als Sheriff, gab es nicht mehr viel, was Skye McPherson in Erstaunen versetzte.
Der heutige Tag tat es.
Und das lag nicht nur an dem Fund eines nackten toten Mädchens auf den Klippen, das anscheinend bei einem okkulten Ritual gestorben war – wobei es sich möglicherweise um Mord gehandelt hatte.
Oder an einer netten, freundlichen Bibliothekarin, die einen Oldtimer, einen 1964er Mustang, gestohlen und Selbstmord begangen hatte, indem sie über die Klippen gefahren und auf die Felsen im Pazifik gestürzt war.
Oder an der Geiselnahme bei Rittenhouse Furniture am Abend, die für den Geiselnehmer tödlich endete, als er von David Collins erschossen wurde. Es hatte insgesamt vier Tote und zwei Verletzte gegeben – eine von ihnen befand sich in kritischem Zustand. Die andere, Ashley Beecher McCracken, eine Kundin, hatte einen hysterischen Anfall erlitten und war ins Krankenhaus gebracht worden, wo sie unter Beruhigungsmitteln stand. Skye hoffte, sie am nächsten Morgen vernehmen zu können.
Es lag an der Tatsache, dass Skye all diese Todesfälle innerhalb von vierundzwanzig Stunden erlebt hatte – nur zehn Wochen nach dem Massaker in der Mission.
Sie kam schließlich nach Mitternacht zu Hause an. Sie wusste, dass Anthony da war – ihr Sheriff-Truck stand in der Einfahrt. Sie parkte den Streifenwagen, den sie sich aus dem Fuhrpark geliehen hatte, dahinter. Sie hörte das Wasser der Dusche laufen und dachte daran, ins Bad zu gehen und zu ihm unter die Dusche zu hüpfen – doch was sie wirklich brauchte, war ein Schluck Whiskey.
Als wären die vielen Toten nicht schon genug gewesen, hatte Martin Truxel, der Bezirksstaatsanwalt, sie auch noch im Krankenhaus abgefangen, als der Geiselnehmer, Ned Nichols, bei seiner Ankunft für tot erklärt worden war. Truxel gab ihr deutlich zu verstehen, dass Raphael Coopers Verschwinden und die Ermordung Abby Weatherbys Hauptthemen bei den bevorstehenden Wahlen zum Sheriff darstellten, wo sie gegen den von Truxel auserkorenen Kandidaten, Hilfssheriff Thomas Wilson, antreten würde.
Den Whiskey vor sich, die Hände auf der Küchentheke, stand sie da und ging das Gespräch in Gedanken immer und immer wieder durch.
»Sie sind unfähig, McPherson. Ich werde diese Untersuchung ganz genau im Auge behalten – genau wie Sie!«
Sie hatte diesen arroganten, karrieregeilen Bezirksanwalt nie gemocht, doch jetzt hatte sie Angst. Wenn er zu tief wühlen würde, wäre nicht nur ihr Posten in Gefahr, sondern auch der aller anderen, die ihr dabei geholfen hatten, die Geschehnisse bei dem Feuer auf den Klippen zu vertuschen, das drei Menschenleben gefordert hatte. Juan Martinez, Rod Fielding und selbst der Deputy David Collins hatten ihr geholfen, den Tatort zu säubern, und keine Fragen gestellt, weil sie ihr vertrauten.
David hatten die nächtlichen Ereignisse bei Rittenhouse sehr mitgenommen. Skye ging es genauso, doch machte er sich Vorwürfe, weil er zu Grace gesagt hatte, er würde sie retten und sie sollte in der Toilette bleiben.
Während Skye dann mit Grace telefoniert hatte, erschoss Ned Nichols sie. Ein einziger Albtraum. Als Skye die Augen schloss, gellten Graces Schreie und die Schüsse wieder durch ihren Kopf. Beides würde in ihrem Gedächtnis eingebrannt bleiben.
»Skye?«
Sie drehte sich um. Anthony stand mit einer Jeans bekleidet und mit blankem Oberköper vor ihr. Seine Haut war noch feucht von der Dusche, und sein nasses schulterlanges Haar, dessen Spitzen sich kräuselten, fiel ihm über den Nacken. Die Narbe auf seinem Bauch, die er sich auf den Klippen zugezogen hatte, als er niedergestochen worden war, war immer noch zu sehen. Sie hätte ihn vor zehn Wochen beinahe verloren. Sie liebte ihn so sehr, dass ihre Brust schmerzte, und sie wäre am liebsten zusammengebrochen, um für immer von ihm in den Armen gehalten zu werden.
»Skye, Liebling, was ist los?«
Sie fuhr sich mit der Hand über ihre feuchten Augen. Sie weinte nicht, wollte es aber. »Ich hatte einen fürchterlichen Tag und eine noch schlimmere Nacht.« Sie schaute auf das Glas Whiskey hinunter, das sie sich eingegossen hatte, aber nicht mehr trinken wollte. Sie schob es beiseite.
Anthony zog einen Stuhl vom Tisch und setzte sie darauf. Dann nahm er ihr gegenüber Platz. Er küsste sie sanft auf ihre Lippen, so sanft, so süß, aber sie wollte weder sanft noch süß. Sie wollte heißen, leidenschaftlichen Sex mit Anthony. Genau jetzt. Sie wollte ihm die Jeans herunterziehen, ihn überall küssen und ihn auf dem Tisch, dem Boden, überall lieben, solange sie nur nackt und zusammen waren und sich berührten.
»Sprich mit mir!«
Sie schüttelte den Kopf und zog ihn zu sich, küsste ihn lang und begierig, drückte ihre Zunge gegen seine und sog sie in ihren Mund. Mit jedem Kuss und jedem Streicheln wurde auch seine Lust entfacht.
Sie spürte seine festen, warmen Lippen auf ihren, seinen durchtrainierten Körper, nahm den Geruch frischer Seife und den Hauch von etwas Geheimnisvollem auf seiner Haut wahr. Er versetzte sie in einen Zustand wilden Begehrens, sie wollte nur ihn.
Seine Hände glitten ihren Rücken hinunter, ihre Bluse hoch, sie fühlten sich heiß auf ihrer kalten Haut an. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken, griff mit ihren Händen in sein feuchtes Haar, strich über seinen Nacken und seine Schultern, unfähig, ihre Hände stillzuhalten.
»Skye …«
»Sag jetzt nichts! Lieb mich!«
Sie zog ihre Bluse aus und spürte seine nackte Haut auf ihrer. Sie war voller Begierde und stöhnte auf, als ihre Brustwarzen gegen seine Brust drückten und er seine große Hand zwischen ihre Brüste schob und sie streichelte.
Sie tastete nach seinen Jeans. Er musste sich hinstellen, damit sie sie zusammen mit seiner Unterhose hinunterschieben konnte, und sein halb steifer Schwanz wuchs bei ihrer Berührung. Dann kniete er sich vor sie hin, küsste sie, seine Hände auf ihren Brüsten. Sie schob seinen Kopf nach unten, und er nahm eine ihrer kleinen Brüste in den Mund, während seine Hand die andere Brust umfasste und drückte. Sie rang nach Luft, als er ihre Brustwarze sanft mit seinen Zähnen umschloss, griff nach ihm und drückte ihn.
»Skye …«, flüsterte er in ihre Brust.
»Schhh!« Er wollte immer nur, dass es ihr gut ging und sie Spaß hatte, sodass er sich darüber nie wirklich gehen ließ. Doch genau das wollte sie. Sie wollte, dass er die Kontrolle verlor, sie so sehr begehrte, dass er sich alles nehmen würde, was sie ihm anbot, und noch mehr. Er war einfach so verdammt zurückhaltend und nobel.
Aber darüber wollte sie jetzt nicht sprechen; jetzt wollte sie Anthony einfach nur überall spüren. In sich, auf ihr, wo auch immer. Er gehörte ihr; sie wollte ihn markieren.
Was sehr untypisch für sie war. Sie schluckte unruhig, dann flüsterte Anthony in ihr Ohr: »Ich liebe dich, Skye«, erhob sich und half ihr beim Aufstehen.
Er streifte ihre Uniformhose und ihren Slip herunter, sodass sie nackt war. Er hob sie hoch, um sie ins Schlafzimmer zu tragen. Wie immer, ganz der galante Gentleman.
»Nein, hier und jetzt«, protestierte sie und drehte ihren Körper, um ihn in Richtung der Theke zu dirigieren. Unsicher setzte er sie auf der Kante ab, und sie schlang ihre Beine um seine Taille. Er hatte genau die richtige Größe, um sie dort auf der Küchentheke zu nehmen. Noch bevor er protestieren konnte, nahm sie seinen Schwanz, führte ihn zu sich und schob sich nach vorn, um ihn ganz in sich aufzunehmen. Sie rang nach Luft, schlang ihre Arme um ihn, während er sie mit seinen Händen umfasste, um sie abzustützen. Sein Schaft zuckte unwillkürlich in ihr. Er versuchte, wieder die Kontrolle über ihn zu erlangen, gegen die Leidenschaft anzukämpfen, um sicherzugehen, dass es ihr gut ging und sie Spaß hatte, sie zuerst einen Orgasmus bekam, selbst wenn er darauf verzichten müsste.
Doch inzwischen kannte sie seinen Körper, wusste, wie sie ihn zum Äußersten bringen konnte. Sie küsste sein Ohrläppchen, kreiste mit ihrer Zunge darum, sog daran, um anschließend mit ihrem Mund über seinen Kiefer zu fahren bis hin zu seinen Lippen, die sie leidenschaftlich küsste, seine Zunge in ihren Mund zu saugen und dabei den Liebesakt nachzuahmen. Sein Schwanz folgte bald dem Rhythmus, den sie mit ihren Mündern vorgaben, und beide stöhnten so kurz vor dem Höhepunkt, so kurz davor, sich ineinander zu verlieren, auf.
Als Skye ihn berührte, konnte Anthony ihr nicht mehr widerstehen. Sie war wie eine Sirene für ihn, die ihn rief, lockte und in ihren Bann zog. Sie war zugleich seine größte Stärke wie seine größte Schwäche. Als sie an seiner Zunge knabberte, war es um ihn geschehen, und er ließ sich gehen. Er zog sich aus ihr heraus, glitt wieder in sie hinein, ihr Körper hingebungsvoll und eine einzige Verheißung, ihre Stimme klang wie eine melodiöse Mischung aus Lust und Befriedigung. Der Schweiß auf ihrem Körper glänzte, während Skye sie beide zum Höhepunkt führte; er küsste ihren Nacken, schmeckte ihre salzige Haut und wollte mehr. Er stützte seine Beine ab und beugte seine Knie, um noch mehr Kontrolle zu erlangen. Sie bog ihren Rücken und legte ihren Kopf in den Nacken. Er schaute in ihr Gesicht, als ihr Mund sich öffnete und sie lustvoll nach Luft rang. Ihre Hände umfassten den Rand der Theke; ihr langes blondes Haar fiel wallend und feucht auf ihren Rücken.
Er schluckte ein Stöhnen herunter, Schweiß drang aus sämtlichen Poren seiner Haut, während er die Kontrolle behielt, sich aber nichts sehnlicher wünschte, als in Skye einzudringen, ohne ihr wehzutun, ohne ihr die Lust zu nehmen. Dann griff sie mit ihren Händen nach seinem Po und grub ihre Fingernägel in die Haut, drückte ihn, während sie sich gegen ihn presste. Er wäre beinahe gestolpert, hätte sie sie beide nicht zur Theke gezogen. Er hatte Angst, ihr könnte der Rücken wehtun, doch dann strich sie mit ihrem Finger über die weiche Haut auf der Unterseite seines Penis, und er stöhnte laut auf. Er schob sich in sie hinein, während er in einer gewaltigen, unkontrollierbaren Welle der Ekstase kam. Ihr Körper um ihn herum spannte sich an, und sie zitterte, als sie ebenfalls den Höhepunkt erreichte.
Er hielt sie fest in seinen Armen. »Es tut mir leid«, flüsterte er.
»Wieso?« Ihr Atem ging stoßweise.
»Ich habe die Kontrolle über mich verloren. Ich wollte dich befriedigen.«
»Das hast du. Außerdem mag ich es, wenn du die Kontrolle verlierst.«
»Ich aber nicht. Es ist …« Er wusste nicht, wie er es beschreiben sollte. Es fühlte sich so ursprünglich an. Lüstern. Schamlos und falsch. Sein Fachgebiet verlangte von ihm, seine emotionalen und körperlichen Bedürfnisse vollkommen unter Kontrolle zu haben. Es stand zu viel auf dem Spiel, um aus Gründen persönlicher Befriedigung die Selbstkontrolle zu verlieren. Seine Liebe zu Skye hatte sie schon in große Gefahr gebracht; er war selbstsüchtig in seinem Verlangen nach ihr, doch genau nach dieser einen Schwäche sehnte er sich. Er brauchte Skye.
»Du kannst nicht alles kontrollieren, Anthony«, entgegnete sie ruhig.
Die Lichter eines Autos, das gerade die Straße hinauffuhr, warfen Muster in die Küche. Anthony machte einen Schritt zurück, hob Skye von der Küchentheke und setzte sie auf dem Boden ab.
»Da hat jemand vor dem Haus gehalten«, sagte er.
Sie nickte in Richtung seiner Hose, die auf dem Boden neben dem Tisch lag, und griff dabei nach ihrer Uniform und Unterwäsche. »Zieh dich an. Ich bin gleich wieder da.«
Sie lief ins Schlafzimmer. Anthony wusste, dass irgendetwas nicht stimmte, doch wusste er nicht, was. Er wollte ihr gerade hinterhergehen, als es an der Haustür klopfte.
Er eilte hinüber und schaute aus dem Fenster neben der Tür. Es sah Rafe.
Und Moira. Beide blutverschmiert.
Etwas musste fürchterlich schiefgelaufen sein.
Fiona hörte Ian zu, als er ihr erklärte, wie ihm – und zwei anderen starken erwachsenen Männern! – Rafe Cooper entwischt war.
Sie war mehr als wütend, als sie erfuhr, dass Moira – ausgerechnet ihre Tochter! – Cooper als Erste gefunden hatte.
Doch das erklärte einiges.
»Bist du sicher, dass du sie getroffen hast?«
»Ihr Arm blutete ziemlich stark, und Walter hat sie mit dem Messer am Hals verletzt.«
»Er hätte ihr die Kehle durchschneiden sollen, als er ihr das Messer an den Hals hielt! Er ist ein schwächlicher Dummkopf. Pass auf ihn auf!«
Ian räusperte sich. »Kannst du den Blutdämon nicht noch einmal heraufbeschwören? Wir könnten uns sofort wieder auf den Weg machen.«
»Nein. Das wird jetzt nicht funktionieren.«
Fiona schritt auf und ab, ihre Wut brachte die Spannung in dem Zimmer zum Knistern.
Serena wandte sich an Ian: »Es hat mit Moiras Blut zu tun. Wenn Cooper etwas davon an sich hat, beschützt es ihn, und wir werden ihn nicht finden können.«
»Was ist an ihrem Blut so besonders?«, fragte Ian. »Sie ist doch keine Hexe mehr.«
»Sie wird immer eine Hexe bleiben, egal ob sie Zauberei verwendet oder nicht«, erklärte Serena.
Fiona unterbrach Serena, bevor sie noch mehr erzählen konnte. Das tat sie nicht, weil Moiras Stammbaum ein Geheimnis barg, sondern einfach nur, weil dieses Thema sie zur Weißglut brachte. Alles, was sie getan hatte, um Moira als Mittlerin zu schützen, wurde jetzt gegen sie, Fiona, verwendet.
»Das erklärt aber nicht, warum er uns entwischt ist, nachdem er in der Hütte gewesen war«, meinte Fiona. »Mein Drittes Auge hat ihn gesehen, wir wussten, dass er dort war, aber dann war er verschwunden.«
Serena räusperte sich. »Vielleicht wird er durch Moiras körperliche Anwesenheit in eine Art schützende Blase gehüllt. Dein ›Auge‹ konnte sie bisher immer nur dann finden, wenn sie Zauberei verwendete; vielleicht überträgt sie diesen Schutzschild auf Cooper oder andere, wenn sie in deren Nähe ist.«
»Andra Moira muss sterben. Sie war schon immer eine Plage, aber jetzt artet sie in ein richtiggehendes Problem aus.« Fiona wandte sich Ian zu. »Pass auf Walter, diesen Idioten, auf, und lass jeden wissen, dass ich Moira nur tot haben will, und zwar sofort! Ich dulde keine Entschuldigungen!«
»Ja, Fiona.«
Sie gab ihm mit einem Wink zu verstehen, dass er verschwinden sollte, und er machte sich auf den Weg. Nur noch sie und Serena – ihre brave Tochter – blieben zurück.
»Es ist schon zu spät, um das Ritual noch heute Nacht vorzubereiten. Außerdem müssen wir einen passenden Ort finden.« Fiona brauchte Cooper, doch er konnte warten, bis die Sieben in der Arca eingefangen sein würden.
»Das habe ich schon.« Serena gab ihrer Mutter einen Ausdruck des Santa Louisa Courier, der gerade eine Stunde alt war.
Ortsansässiger läuft Amok und stirbt beim Zugriff des SEK auf dem Weg ins Krankenhaus
Vier Tote bei Rittenhouse Furniture
Eine dreistündige, nervenaufreibende Geiselnahme ging heute Abend um 22:36 Uhr zu Ende, als Ned Nichols von einem Beamten des SEK durch ein Dachfenster von Rittenhouse Furniture erschossen wurde, während dieser eine Kundin mit einer Waffe bedrohte …
»Warum zeigst du mir das?«, fragte Fiona sie.
»Es gab vier Tote. Dieser Kerl, Ned Nichols, ist völlig ausgerastet, war gewalttätig, wütend. Da ist viel Blut vergossen worden; das wird die Dämonen anziehen.«
»Vielleicht gibt es noch andere Geister, gegen die wir uns behaupten müssen«, entgegnete Fiona.
»Vielleicht. Falls ja, werde ich mit ihnen fertig.«
Fiona dachte über den Ort nach. Er würde ihr jene Ungestörtheit bieten, die sie brauchte, und das vergossene Blut könnte als Lockmittel dienen. Obwohl Fiona es nur ungern zugab, besaß Serena eine außerordentliche Kontrolle über ihre Kräfte und wurde mit jeder Art von Geistern fertig. Unter normalen Umständen hätte Fiona sich keine Gedanken über Geister gemacht, da verlorene Seelen durch einen einfachen Zauberspruch wieder in die Unterwelt verbannt werden konnten. Da sie aber ihre gesamte Energie auf die Sieben verwenden musste, konnte sie für einen jämmerlichen Geist – besonders einen, der nicht wusste, dass er tot war, was bei plötzlichen, gewaltsamen Toden zu häufig der Fall war – verwundbar sein.
Sie lächelte und umarmte ihre Tochter spontan. »Eine gute Idee, Serena! Ich denke, ich gehe jetzt kurz zu Garrett, um mich auf andere Gedanken zu bringen, und werde dann meinen Schönheitsschlaf halten. Das solltest du auch tun – du hast Tränensäcke unter den Augen.«
Serena schloss die Türen der Bibliothek hinter Fiona, verriegelte sie und grinste. Wenn sie wüsste, dass Garrett sich hinter ihrem Rücken auch mit anderen vergnügte, würde sie vor Wut kochen! Ihre Mutter erwartete Treue von ihren »Männern«, obwohl sie in der Gegend herumschlief, wie es ihr passte. Doch Serena würde Garrett nicht verraten. Sie mochte den lügenden Pfarrer. Nicht dass er für sie als Liebhaber infrage gekommen wäre, sie sah in ihm eher einen Seelenverwandten. Sie waren beide versiert darin, andere zu täuschen.
Sie legte sich auf die Chaiselongue, schloss ihre Augen und sprach den Zauber, der sie mit ihrem eigenen übernatürlichen Auge sehen ließ. Sie hatte Fiona noch nie von dieser neu gewonnenen Fähigkeit erzählt, und so konnte diese sie auch nicht daran hindern, sie auszuüben.
Serenas Geist taumelte und fiel, Sterne kreisten, bis sie sich von ihrem Körper gelöst hatte und fest mit den Elementen Luft, Feuer, Wind und Wasser verbunden war. Sie befand sich nun überall und nirgends.
So musste sich Allmächtigkeit anfühlen.
Sie sah, wie Fiona und Garrett in Fionas Gemächern mit ihrem Liebestanz begannen. Sie hatte immer das Sagen, immer alles unter Kontrolle, selbst beim Sex. Serena wurde des Zuschauens überdrüssig und ließ sie allein. Sie schwebte durch Santa Louisa und hielt Ausschau, Ausschau, Ausschau.
Suchte … suchte Moira und hoffte, sie dieses Mal zu finden, doch funktionierte es nicht. Das tat es nie, aber mit jedem Versuch gewann Serena an Stärke.
Sie suchte Rafe. Seine Augen. Seine Berührung. Seinen Mund. Sie sehnte sich nach ihm wie nach keinem anderen, wollte ihn zurück. Ihre Verführung war nur körperlich vollkommen gewesen. Ja, er hatte mit ihr geschlafen, aber geliebt hatte er sie nicht, nicht so wie sie ihn.
Moiras Blut schützt ihn.
Wut kochte in Serena hoch, als sie erkannte, dass Rafe sich in Moiras Nähe aufhielt.
Allein der Gedanke, die bloße Vorstellung, Rafe und Moira arbeiteten zusammen, machte Serena zornig und ließ ihr Drittes Auge zu schnell zu ihr zurückkehren. Sie bekam einen so plötzlichen Migräneanfall, dass sie nicht aufstehen konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Doch dann hatte sie eine Idee, wie sie Rafe aufspüren könnte, sollte er immer noch bei Moira sein. Und wenn dem so wäre, hätten sie sie beide mit einem Schlag in ihrer Gewalt, was für sie zwar einen gewissen Zeitaufwand und eine große Anstrengung bedeuten würde, doch war ihr bei ihrer Reise mit dem Dritten Auge aufgefallen, dass sie ganz Santa Louisa hatte sehen können, nur nicht den Aufenthaltsort von Moira und Rafe. Sobald sie wieder bei Kräften wäre, würde sie sie durch das Ausschlussverfahren finden.