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Aus: »Das vierte Paradigma. Fakten, Protagonisten, Hintergründe«, Berlin 2014, S. 353 f.

 

»Das war natürlich das Erste, was die Kommission beschlagnahmt hat: Alles, was sich in dem kleinen Verwalterhaus befunden hat. Frau Janker wurde regelrecht abgeschirmt. Es war unmöglich, an sie heranzukommen. Auch im Dorf, in dem man die Jankers ja kannte, wollte niemand reden. Erst recht nicht, nachdem einer der Dorfbewohner, ein gewisser Bodo M., in einem Radiointerview gesagt hatte, im Dorf sei man anfänglich schon davon überzeugt gewesen, dass Silvan Janker stumm wäre. Weil er ja nicht sprach. Dass man später jedoch – als man die Jankers länger gekannt habe – daran zu zweifeln begonnen hätte. Und zwar aus dem simplen Grund, dass Janker sich nicht wie ein Mann benommen hätte, der unter seinem Gebrechen litt. Janker schien sich einfach keine Mühe zu geben, sprechen zu wollen, kommunizieren zu wollen. Vielmehr schien er geradezu stolz darauf gewesen zu sein, anders als alle anderen nicht sprechen zu müssen.

Diese Aussage des Bodo M. wurde von einigen Zeitungen später dann, nachdem das ganze Ausmaß der Tragödie bekannt geworden war, als Beleg dafür angeführt, dass die Urquardter Bevölkerung wohl ein ganz besonderer Menschenschlag sein müsse. Nur so ließe sich doch auf der einen Seite erklären, wie es auf dem Schloss überhaupt zu dieser Tragödie hatte kommen können, ohne dass jemand etwas bemerkt hatte, und auf der anderen Seite, wie es möglich war, dass die Dorfbewohner so weit gehen konnten, zu argwöhnen, dass Silvan Janker etwas anderes war als einfach nur stumm. Eine öffentliche Verurteilung, die sicher vorschnell war, die vor allem aber den Effekt hatte, dass sich von Stund an alle anderen Einwohner Urquardts weigerten, zu dem, was auf dem Schloss vorgefallen war, noch einmal Stellung zu nehmen.«

 

 

Aus: »Die Natur der Bestie. Festschrift für Nils Corbinian Bachmann zum 70. Geburtstag«, München 2017, Nachwort von Ursula Rabinowitz, S. 611 f.

 

»Keiner von uns hat das zugeben wollen, aber es war so: Wir mochten Silvan nicht. Wir verstanden nicht, was Habich in ihm sah. Wenn ich heute an die Zeit zurückdenke, als er ihn uns das erste Mal vorstellte – Janker hatte sich als Student für das Kratylos-Projekt beworben und war Habich in diesem Zusammenhang aufgefallen –, erinnere ich mich, dass mich vor allem eines störte: dass Janker Habich vorbehaltlos ergeben war. Ich kann das gar nicht anders beschreiben. Janker tat, was Habich von ihm verlangte. Aber genau das machte ihn für einen Mann wie Habich natürlich besonders wertvoll. Janker war vielleicht kein brillanter Kopf, aber er war bereit, sich aufzuopfern.

In den Jahren nach Habichs Tod habe ich immer wieder an Janker denken müssen. Für mich hat sein Schicksal etwas Anrührendes, ganz unabhängig davon, unter welchen Umständen er zu Tode gekommen ist oder was er in den letzten Jahren seines Lebens getan hat. Heute ist mir klar, dass er sich von Habich regelrecht hat ausbeuten lassen, auch wenn er für einen Gutteil dessen, was später passiert ist, sicherlich selbst verantwortlich war.

Als ich das erste Mal hörte, dass Habich Janker als Haushälter auf Urquardt eingestellt hatte, dachte ich, dass das für Janker vielleicht eine günstige Fügung sein könnte, hatte er doch immer den Eindruck erweckt, sich in der Philosophie und als Habichs Schüler ein wenig verzettelt zu haben. Als Habich mir dann aber beiläufig erzählte, dass Silvan aufgehört hatte zu sprechen, erschrak ich doch ein wenig und versuchte herauszubekommen, was dafür der Grund sein könnte. Ob Habich sich jetzt darin versuchen würde, zu einer Art Guru aufzusteigen – mit Janker als seinem ersten Jünger? Doch darauf war Leo nicht weiter eingegangen und hatte stattdessen meine Nachfrage mit einem Scherz abgetan.

 

Zuerst, unmittelbar nach den Ereignissen vom Oktober 2012, dachte ich, dass Jankers Schweigen nichts anderes gewesen sein konnte als ein weiterer Versuch, den Lehren des Meisters zu folgen. Ein Versuch, es Habich gleichzutun und den Kampf gegen die Sprache aufzunehmen. Erst viel später wurde mir klar, dass diese Einschätzung jedoch nicht erklären konnte, wie es dann zu dem Zusammenstoß mit Karl Borchert gekommen sein konnte. Hätten sie in dem Kampf gegen die Sprache, in den sich Borchert auf Habichs Spuren nach dessen Tod ja begeben hatte, nicht Seite an Seite stehen müssen? Egal wie verquer es für einen Außenstehenden auch wirken muss: Für Borchert und auch für Janker, die sich beide intensiv mit Habichs Ideen auseinandergesetzt hatten, war der Kampf gegen die Sprache ja ein sehr einfaches und durchsichtiges Konzept. Warum aber waren sie dann aufeinander losgegangen?

 

Erst als ich in Habichs Nachlass, den zu sichten Lara Kronstedt mich Ende 2012 gebeten hatte, auf die Tonbandaufzeichnung eines Gespräches stieß, das Habich und Janker 2010 geführt hatten, begriff ich die Zusammenhänge: Ursprünglich hatte sich Janker tatsächlich von Habichs Theorie überzeugen lassen und war mit großem Enthusiasmus darauf eingegangen. So war sein Schweigen zunächst ganz in Habichs Sinne der Versuch gewesen, sich gegen das Sprachwesen aufzulehnen. Im Gegensatz zu Habich ist Janker später jedoch zu der Überzeugung gelangt, den Kampf gegen die Sprache nicht gewinnen zu können – sondern im Gegenteil, gegen sie verloren zu haben. Ihn trieb nicht die Vorstellung um, die Herrschaft, die die Sprache über ihn hatte, umdrehen zu können, er war nicht von der Allmachtsphantasie einer idealen Sprache beseelt. Janker trieb die Vorstellung um, sich der Macht, die die Sprache als Parasit über ihn hatte, rückhaltlos hinzugeben und sie sozusagen die totale Herrschaft über sich gewinnen zu lassen.

Und warum? Warum hatte Janker beschlossen, zwar Habichs Theorie vom Sprachwesen zu akzeptieren, später aber gegenüber der Sprache eine derjenigen Habichs genau entgegengesetzte Haltung einzunehmen? Darüber gab Janker in dem aufgezeichneten Gespräch keine Auskunft. Überhaupt ließ Habich ihn kaum zu Wort kommen, und es war deutlich herauszuhören, dass Habich die Position seines einstigen Schülers nicht weiter ernst nahm. Nur so lässt sich ja auch erklären, dass er Janker gegenüber nicht vorsichtiger gewesen ist.

Mir aber schien es, als würde Janker in dem Gespräch versuchen, deutlich zu machen, dass es ihm nicht gelingen könnte, den Kampf gegen die Sprache zu gewinnen – und dass er deshalb beschlossen habe, nicht länger gegen sie vorzugehen, sondern sich ihr zu unterwerfen.

Damit aber war Janker am Ende dieses langen Prozesses der Unterwerfung genau das, was Habichs Anhänger heute in einer vielleicht nicht ganz so glücklichen Wortschöpfung als ›Sprachensprecher‹ bezeichnen würden: Jemand, in dem die Sprache sozusagen überhandgenommen, in dem sie den Wirt gänzlich ausgelöscht und verdrängt hat. Jemand, in dem das fragile Gleichgewicht zwischen Parasit und Wirt nicht zugunsten des Wirts – wie Habich es vorhatte –, sondern zugunsten des Parasiten verschoben worden ist. Ein Wesen, das wir uns am Ende vielleicht wie einen Baum vorstellen müssen, der von einer Schlingpflanze, die ihn überwuchert hat, getötet worden ist – der aber als toter Gegenstand noch steht und den mörderischen Parasiten trägt. Eine Vorstellung, die jedem, der glaubt, den Sprachparasiten erkannt zu haben, unmittelbar einleuchten dürfte – und jedem, der die Idee von einem Sprachparasiten für absurd hält, ihrerseits natürlich vollkommen absurd erscheinen muss.

Es sei dahingestellt, ob man sich zu den Anhängern des ›Vierten Paradigmas‹ hinzuzählt, also von der Existenz des Sprachparasiten überzeugt ist, oder ob man die Ideen, die unter ihnen kursieren, für fehlgeleitet oder gar gefährlich hält: Wenn man Janker als ›Sprachensprecher‹, also als jemanden begreift, der den Kampf gegen die Sprache aufgenommen und verloren hat, so wird nicht nur verständlich, warum er und Karl Borchert erbittert aufeinander losgehen mussten – sondern auch, warum Janker auch dann noch weiterhin hartnäckig schwieg, als er schon längst nicht mehr an Habichs Seite gegen die Sprache kämpfte.

Aufeinander losgegangen sind sie, weil Janker sich als Diener der Sprache verstand, während Borchert gerade erst den Kampf gegen sie aufgenommen hatte. Schweigen aber tat Janker, weil er nicht länger die Sprache der Menschen, sondern die Sprache der Sprache sprach. Da die Sprache, die wir normalerweise sprechen, auch ›normale Sprache‹ genannt wird, und die Sprache, bei der die Machtverhältnisse zwischen dem Parasiten und uns zu unseren Gunsten verschoben worden sind, von den Anhängern des ›Vierten Paradigmas‹ auch ›ideale Sprache‹, ist klar, dass diese Anhänger jene Sprache, bei der die Machtverhältnisse zugunsten des Parasiten verschoben worden sind, ›Sprachensprache‹ nennen. Dass Janker diese Sprache sprach, zwang ihn aber dazu, in der Öffentlichkeit zu schweigen, weil es zwangsläufig die Aufmerksamkeit auf den Parasiten gelenkt hätte, wenn jemand ihn, also Janker, die seltsamen Laute der Sprachensprache hätte äußern hören. Eine solche Aufmerksamkeit war schließlich etwas, das der Parasit, und damit auch sein Diener Janker, um jeden Preis vermeiden wollten, denn es wäre für den Parasiten eine lebensbedrohliche Gefahr, wenn die Menschen von seiner Existenz etwas erführen.«

 

 

Er lag auf der Terrasse vor dem Haus. Die Kleidung völlig durchnässt. Blutergüsse an Hals und Armen. Das Haar klebte ihm im Gesicht. Verkrusteter Schlamm bedeckte die Hosen. Und seine Haut fühlte sich eiskalt an.

Lara hatte ihn durch die Fenster der Bibliothek entdeckt und war erschrocken nach draußen gelaufen. Sie kniete sich neben ihn auf den Boden. »Karl! Karl?«

Ein Schaudern ging durch seinen Körper – dann krampfte sich seine Hand um ihren Arm. Ein Hustenanfall erschütterte ihn. Die Augen hielt er geschlossen.

Lara legte seinen Arm um ihre Schultern, packte ihn an der Hüfte und zog ihn hoch. »Wir müssen sofort ins Haus. Du bist vollkommen durchgefroren! Was … was ist denn passiert, um Gottes willen?«

Karl stützte sich auf sie, konnte das Klappern seiner Zähne, das schlagartig eingesetzt hatte, nicht kontrollieren. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber es kam nichts daraus hervor.

 

»Bist du in den See gefallen?« Sie legte ihn vorsichtig auf das Sofa, kümmerte sich nicht darum, dass er mit seiner dreckigen Kleidung den blau-weißen Bezug verschmutzte, und begann, ihm die durchnässten Sachen vom Leib zu ziehen.

Er half ihr nicht. Unkontrolliert zuckend und zitternd ließ er sich rücklings auf das Sofa sinken, ließ es zu, dass sie ihm die Hosen abstreifte, dass sie seinen Oberkörper aufrichtete, seinen nassen Pullover, Hemd und Unterhemd über den Kopf zog. Dann griff sie eine schwere graue Wolldecke von einem Stuhl, legte sie über ihn, steckte sie fest. »Warte hier. Rühr dich nicht. Ich hole ein Handtuch und noch mehr Decken von oben!«

Karl zog die Wolldecke bis hoch an sein Kinn, die Beine bis zum Bauch. Eiskalt und feucht berührten seine Oberschenkel seine Bauchdecke. Er fühlte sich, als wäre ihm die Kälte buchstäblich bis auf die Knochen gedrungen. Hatte er vorher Fieber gehabt und war ihm heiß gewesen, so schüttelte ihn jetzt der Frost, egal wie sehr er sich unter der Decke zusammenrollte.

Die ganze Zeit über aber war sie da – die Erinnerung an das, was passiert war.

 

Er liegt noch dort am Ufer, flüsterte es in ihm. Mit dem Gesicht nach unten. Ein rauhes Stöhnen entrang sich Karls Brust. Er hatte noch den kupfernen Geschmack des Blutes im Mund. Angeekelt griff er mit der Hand, deren Finger kalt waren wie Eis, zwischen die Lippen, wischte über die Zähne, starrte seine Fingerkuppen an. War Blut an ihnen? Doch seine Hand war nur dreckig, der Schlamm hatte sich tief unter die Fingernägel geschoben.

Er verbarg das Gesicht in den Händen. Er hatte ihn getötet. Er hatte ein Stück Fleisch aus seinem Körper herausgebissen und ihn dann getötet.

Im selben Moment hörte Karl Schritte und nahm die Hände von den Augen. Lara kam durch die Bibliothek auf ihn zu. Sie trug eine dampfende Teetasse und hatte Daunendecke und Handtuch unter den Arm geklemmt.

Karl musste an den Körper in dem seichten Wasser am Seeufer denken. Würde er an die Wasseroberfläche getrieben sein? Ans Ufer gespült? Oder in den See hinausgetrieben?

»Hier, trink das«, sagte Lara, legte die Decken aufs Sofa und reichte ihm die Tasse. »Was ist los? Kannst du reden? Was ist passiert?«

Als er ihr ins Gesicht schaute, merkte er, dass sich in ihren Blick ein Schatten geschlichen hatte. Furcht? Misstrauen? Staunen? Einen Moment lang sah sie aus wie ein kleines Mädchen, das sich erschrocken hatte.

Karl nahm die heiße Tasse aus ihren Händen und nippte daran. Die Wärme der Flüssigkeit tat ihm gut. Der Dampf schlug ihm ins Gesicht.

Spürte Janker die Kälte des Wassers noch? Fühlte man nach dem Tod nichts mehr? War das sicher?

Lara reichte ihm das Handtuch. »Hier. Reib dich trocken.«

Karl schlug die Decke zurück. Die kühle Luft traf seinen entblößten Körper wie ein Messerstich. Rasch warf er das Handtuch um sich, rieb sich fest ab, dann legte er sich zurück aufs Sofa, zog die Daunendecke über sich, darüber noch die Wolldecke. Schließlich griff er erneut nach der Tasse und trank daraus in großen Schlucken.

Lara beobachtete ihn.

Langsam kehrten seine Lebensgeister zurück. Und je mehr sie das taten, desto wirklicher wurde der Gedanke an das, was er getan hatte.

»Er hätte es niemals gewollt«, stieß Karl hervor, wie um sich dagegen zu wehren, »wenn sie ihn nicht dazu getrieben hätte.«

»Wer, Karl? Wer hätte was niemals gewollt?« Lara hatte sich auf das Sofa zu ihm gesetzt, seine Hände hielten ihre Rechte umklammert wie Zangen. »Um Himmels willen, was ist geschehen? Wovon redest du?«

»Die Sprache hat ihn dazu getrieben. Erst dachte ich, er würde nicht sprechen, weil er schweigen wollte, um sie wie Habich zu bekämpfen. Doch dann … du hättest ihn sehen sollen, Lara, sie hat sein Gesicht gespielt wie ein Marionettenspieler … da ist es mir klargeworden … Der Parasit, er hat in Janker die Oberhand gewonnen.« Karls Augen suchten ihren Blick. »Sie hätte sich auch bei mir eingenistet, nicht nur eingenistet, sie ist ja schon in mir, sie ist es ja, die mit dir gerade spricht – aber sie hätte auch in mir die Oberhand gewonnen, sie hätte mich zersetzt, zerfressen, aufgelöst, hätte sich in meinem Körper breitgemacht, und wer weiß«, seine Augen brannten in ihren Höhlen, »vielleicht hätte sie begonnen, dich zu verführen.«

Lara starrte ihn an.

»Vielleicht ist es ja jetzt schon sie«, stammelte Karl. »Wie willst du das wissen? Sie ist es doch, die zu dir spricht. Habe ich noch Kontrolle darüber? Ich kann es nicht sagen. In jedem Gedanken, den ich zu fassen versuche, ist sie mir ja schon voraus. Sie ist immer schon dort, wohin ich meine Gedanken lenken will. Sie ist ja auch schon bei dir jetzt! Spürst du es? Wie die Worte, die ich zu dir sage, sich bei dir einnisten, in dir arbeiten, sich zu neuen Assoziationsklumpen zusammenfinden, dich in deinen Entscheidungen beeinflussen, dich steuern –«

»Hör auf!«, schrie Lara ihn an und entriss ihm ihre Hand. »Was soll das! Kannst du dich nicht mehr beherrschen?«

Er spürte, dass sie ihm ansah, wie verwirrt er war. »Oder genießt du es, dich rückhaltlos in dieser Phantasie zu verlieren? Ist es das? Zeit deines Lebens hast du davon geträumt, in unbetretenes Gebiet vorzustoßen – genau wie Habich. Kein Wunder, dass ihr euch so gut verstanden habt. Ihr habt beide davon geträumt, mit der Philosophie die Welt umzustülpen. Was es kosten würde, war euch egal. Und dann hat dich Habich auf diese Idee vom Sprachwesen gebracht. Du kannst nicht ertragen, dass es Unsinn ist. Blödsinn. Scheißdreck!«, rief sie und starrte ihn an. »Hast du kapiert? Hör auf, so zu reden. Oder kannst du nicht anders, weil du dir nicht eingestehen kannst, dass es gescheitert ist – deine Suche nach einer Riesen-Entdeckung, der du bereit warst, alles zu opfern?«

Karls Hände krümmten sich auf der Decke zusammen. »Sie ist nicht gescheitert, Lara. Wo ich jetzt stehe – ich weiß nicht, ob ich nicht lieber wollte, es wäre das alles erst gar nicht geschehen –«

»Hör zu, Karl«, unterbrach sie ihn. »Ich mag dich. Ich will dich nicht verlieren. Ich weiß, dass es funktionieren könnte. Wir könnten versuchen, hier die Dinge zu ordnen, wir könnten versuchen, etwas daraus zu machen, dass wir uns über den Weg gelaufen sind. Aber du musst mir sagen, was geschehen ist.« Sie sah in sein eingefallenes Gesicht, sah die Wangenknochen, die Augenhöhlen, die sich unter der papiernen Haut abzeichneten, sah die Qualen, die sich in seinem Blick reflektierten – und versuchte noch einmal, zu ihm durchzudringen. »Du darfst die Sache mit deinem Vater nicht auf die leichte Schulter nehmen, Karl. Das hätte jeden umgeworfen. Komm erst mal zur Ruhe, dann sehen wir weiter.«

»Aber ich hab ihn doch umgebracht«, hauchte er.

»Wen hast du umgebracht?«, flüsterte sie, und in ihren Augen spiegelte sich, wie sie begriff, dass er nicht mehr zu retten war.

»Janker«, sagte er und sah, wie es in sie einsank. »Im See.« Dann schloss er die Augen, um nicht wahrzunehmen, wie sie ihn anschaute. Wie durch einen Schleier hindurch hörte er, dass sie aufstand, wie sich ihre Schritte entfernten. Dann klappte die Glastür, die zum Garten führte. Sie war in den Park gegangen, zum Seeufer, um nach Janker zu suchen.

Aber das störte ihn nicht. Denn vor seinem geistigen Auge hatte es wieder begonnen. Und was er dort diesmal sich entfalten sah, ließ alles, was er jemals zuvor gedacht, geträumt oder imaginiert hatte, weit hinter sich.