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Aus: »Abschlussbericht der Urquardt-Kommission«, Anlage D: Aussage Hauptkommissar Ingo Peters, S. 18 ff.
»Ich kannte das Grundstück, schon lange bevor es in Privatbesitz übergegangen war, hatte dort als Junge mit meinen Schulkameraden gespielt. Herr Habich hatte das Schloss innen einigermaßen wieder herrichten lassen, aber außen sah es – wenn ich ehrlich sein soll – noch ziemlich heruntergekommen aus. Auch der Park war reichlich verwildert.
Vorsitzender: Sind Sie gleich runter zum See?
Peters: Ja. Polizeikommissarin Wegener war dabei. Wir sind mit dem Wagen bis an den See gefahren, haben ihn gleich dort am Ufer liegen gesehen. Er trieb mit dem Gesicht nach unten im Wasser. Überall waren Kampfspuren im Sand zu erkennen. Wir sind ausgestiegen und haben darauf geachtet, möglichst wenig Schaden anzurichten. Wir haben ihn aus dem Wasser gezogen und versucht wiederzubeleben. Aber Herr Janker war tot, das war uns eigentlich sofort klar. Außer dem Notarzt haben wir auch die Rechtsmedizin benachrichtigt. Und den Fundort weiträumig abgesperrt.
Vorsitzender: Die Kollegen von der Kriminalpolizei hatten Sie bereits alarmiert.
Peters: Ja.
Vorsitzender: Sie sind dann jedoch nicht bei dem Fundort geblieben.
Peters: Wegener schon. Ich hatte sie darum gebeten. Ich selbst wollte mich möglichst unverzüglich auf dem Grundstück umsehen, um etwaige ermittlungsrelevante Spuren zu sichern.
Vorsitzender: Und Sie sind auf etwas gestoßen.
Peters: Ich bin hoch zum Haupthaus, aber dann bemerkte ich, dass die Haustür des Verwalter-Häuschens, in dem Janker mit seiner Familie wohnte, offen stand.
Vorsitzender: Die Haustür.
Peters: Ja. Ich bin hin und hab mir das angesehen. Die Tür war schwer beschädigt. Jemand musste sich gewaltsam Zutritt verschafft haben.
Vorsitzender: Haben Sie das Haus betreten?
Peters: Ja.
Vorsitzender: Was haben Sie dort vorgefunden?
Peters: Ich …
Vorsitzender: Ja?
Peters: Es … ich … entschuldigen Sie … es fällt mir schwer, darüber zu reden.
Vorsitzender: Lassen Sie sich Zeit, wir haben keine Eile.
Rechtsanwalt Leppin: Herr Peters hat das alles doch schon zu Protokoll gegeben.
Vorsitzender: Herr Peters, ich kann mir denken, dass das nicht einfach für Sie ist. Ich kann mich nur wiederholen. Die Umstände, unter denen Herr Janker zu Tode gekommen ist, haben zusammen mit den weiteren Ereignissen auf Haus Urquardt das Ministerium dazu veranlasst, diese Kommission ins Leben zu rufen. Unsere Aufgabe besteht darin, uns Klarheit darüber zu verschaffen, was in den Oktobertagen des Jahres 2012 dort vorgefallen ist. Zu diesem Zweck sind wir darauf angewiesen, alle verfügbaren Hinweise zu sammeln und auszuwerten. Als einer der ersten Beamten, die den Tatort betreten haben, sind Sie für uns ein wertvoller Augenzeuge. Ich frage Sie deshalb noch einmal: Was haben Sie vorgefunden, als Sie das Haus der Jankers betreten haben?
Peters: Herr Leppin, bitte, können Sie nicht dafür sorgen –
Leppin: Meine Güte, Herr Vorsitzender, Sie sehen es doch selbst. Mein Mandant ist nicht in der Verfassung, diese Befragung noch einmal durchzustehen. Hauptkommissar Peters ist in seiner Truppe als absolut bodenständiger Beamter bekannt. Muss er sich jetzt von Ihnen hier zum Weinen bringen lassen?
Peters: Was wollen Sie denn von mir? Sie wissen doch, was ich gesehen habe! Glauben Sie, ich hätte Ihnen etwas verschwiegen? Glauben Sie, jetzt hier in diesem Scheiß-Sitzungssaal fallen mir plötzlich noch irgendwelche verschissenen Details ein? Was ich dort gesehen habe, das werde ich nicht vergessen. Nie mehr. Es hat sich mir eingebrannt. Wissen Sie überhaupt, was das bedeutet? Haben Sie so etwas schon einmal erlebt? Dass Sie nachts aufwachen und daran denken müssen. Dass Sie morgens in Ihre Kaffeetasse gucken, und es starrt Ihnen entgegen? Dass Sie am liebsten ein Messer nehmen würden und sich diese Erinnerung aus dem Fleisch herausschneiden würden?«