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Karl warf sich gegen die schwere Eichentür. Das Holz ächzte, gab aber nicht nach. Dagegen getreten hatte er auch schon, alles ohne Erfolg. Die Tür musste innen verstärkt sein.
»Wir brauchen ein Beil, so was müssen Sie doch im Haus haben!« Er hielt sich die schmerzende Schulter und blickte fragend zu Lara. »Wo sind die Werkzeuge?«
Doch sie schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich ist er gar nicht mehr in dem Zimmer. An der Rückseite führt ein Fahrstuhlschacht in den Keller. Kommen Sie.«
Bevor Karl etwas erwidern konnte, eilte Lara bereits durch den Korridor zum hinteren Treppenhaus. Karl folgte ihr hinunter ins Erdgeschoss und über den unteren Flur an der Küche vorbei zu einer Fahrstuhltür, die ihm bisher noch gar nicht aufgefallen war.
Lara drückte den Knopf, der neben der Fahrstuhltür auf einem Bedienfeld in der Wand eingelassen war. Ein feines Sirren kündigte an, dass die Kabine kam – und zwar von unten.
»Er ist ins Labor gefahren«, sagte Lara und warf Karl einen Blick zu. »Da kommen wir nur über den Fahrstuhl rein. Ein Glück, dass er die Türen nicht blockiert hat.«
»Was für ein Labor?« Überrascht sah Karl sie an.
Aber im selben Moment wusste er die Antwort auch schon selbst. Hinter der Stahltür, auf die er im Keller gestoßen war, war keine Heizungsanlage. Es war eine Tür ins Labor.
Aus: »Den Spieß umdrehen«, Autobiographie Lara Kronstedt, Berlin 2016, S. 63
»Ich war insgesamt nicht öfter als sechs oder acht Mal im Labor. Ich weiß nicht, was es war – aber die paar Male, die ich es betreten habe, hatte ich nur einen Wunsch: so schnell wie möglich dort wieder herauszukommen. Vielleicht lag es daran, dass es ein Raum ohne Fenster war, acht Meter unter der Erde. Vielleicht lag es an dem feinen Schweißgeruch, den ich immer glaubte darin wahrzunehmen, wenn ich es betrat. Ein Geruch von Angst. Und es gab nur einen, von dem der Geruch stammen konnte. Von Leo. Es war, als würde man in dem Labor einer Seite von ihm begegnen, mit der man lieber keine Bekanntschaft schloss. Eine Seite, die einen unweigerlich abstieß. Als wäre alle Wärme, alles Menschliche von ihm aus diesem Aspekt seiner Persönlichkeit verbannt.«
Die Türen der Fahrstuhlkabine fuhren zurück. Und vor Karls Augen öffnete sich – in gleißendes Neonlicht getaucht – ein vollkommen verspiegelter Raum.
Von Habich keine Spur.
Karl folgte Lara aus der Kabine heraus in das Spiegelzimmer. Flüchtig nahm er einen Arztstuhl wahr und einen Rechner – vor allem aber die großflächigen Spiegel, die an allen sechs Seiten des würfelförmigen Kastens angebracht waren. Ein irritierender Effekt, durch den sich die gegenüberliegenden Seiten des Raumes bis in die Unendlichkeit hinein reflektierten.
Nur einer der Spiegel warf die übrigen Spiegel in einem anderen Winkel zurück. Es war eine Tür – und sie stand halb offen. Lara war bereits dahinter verschwunden.
Karl trat an die Tür, zog sie ganz auf und sah hindurch. Der Kontrast hätte nicht größer sein können. Hinter der Spiegeltür gähnte ihn das düstere Kellergewölbe an, in dem die Steinskulpturen lagerten. Das weiße Neonlicht des Labors schnitt ein Vieleck aus Helligkeit hinein, in dessen gleißendem Schein Staubpartikel tanzten.
Lara, die bereits ein paar Schritte in den Keller hineingelaufen war, blieb stehen und sah sich zu Karl um. »Kommen Sie.«
Er nickte und folgte ihr in die feuchte, erdige Luft des Untergeschosses.