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Hast du den Tisch für heute Abend reserviert?« Tamara stand in der Tür zum Badezimmer und ließ ihn nicht aus den Augen. Die elektrische Zahnbürste surrte in ihrer Hand.

Karl schlug die Bettdecke zurück und setzte sich auf. »Hab ich.«

Er hatte gestern Abend noch in dem Lokal angerufen. Und einen Tisch bestellt. Auf den Namen Borchert. Für acht Personen. Was sollte da schiefgehen?

Er wischte sich mit den Händen übers Gesicht. Natürlich würde nichts schiefgehen. Da konnte er sicher sein. Oder? Was, wenn sie heute Abend das Lokal betraten und die Kellner die Bestellung nicht mehr fanden?

Borchert? Nee, ham wa nich. Was haben Sie? Reserviert? Bei wem?

Den Namen des Kellners, der die Bestellung entgegengenommen hatte, hatte er sich natürlich nicht geben lassen.

»Ich kann ja nachher noch mal im Restaurant anrufen«, schlug er vor und stand auf. »Zur Sicherheit.« Ihm würde es ja nichts ausmachen, wenn sie das Lokal wieder verlassen müssten. Aber Tamara würde ihm das nicht verzeihen.

»Würdest du das tun?« Tamara lächelte ihn an. »Das ist lieb von dir.« Sie schob die noch immer rotierende Zahnbürste zurück in den Mund und verschwand wieder im Badezimmer.

Karl trat zu der verspiegelten Schrankwand und zog eine der Türen auf. Dahinter kamen seine Anzüge zum Vorschein. Braun. Grau. Blau. Leinen. Nadelstreifen. Schurwolle.

Er klappte die Tür wieder zu und wandte sich zu dem Stuhl, der neben seinem Bett stand und auf dem seine Jeans lag. Dazu das hellblaue Hemd, das er in New York gekauft hatte, und das Fischgräten-Jackett aus Rom. Vielleicht entsprach das nicht gerade der Kleiderordnung im Institut. Aber egal. Sie würden ihre Entscheidung doch nicht davon abhängig machen, was er anhatte. Sie wussten doch längst, was sie tun wollten. Da konnte er praktisch nackt auftauchen, das würde auch nichts mehr ändern.

Er zog die entsprechende Schranktür auf, fischte Hemd und Jackett heraus, warf sie aufs Bett und betrat das Badezimmer, das direkt vom Schlafzimmer abging und inzwischen von Tamara wieder verlassen worden war.

Ihm hätte der Termin im Institut heute vollkommen ausgereicht. Aber Tamara hatte ja unbedingt noch das Essen im Restaurant organisieren müssen. Es sei höchste Zeit, dass er anfing, seine Ideen gezielter in der Wirtschaft zu verbreiten, hatte sie gesagt. Vielleicht hatte sie damit ja sogar recht. Ohne zusätzliche Unterstützung würde sich das Projekt nicht wirklich durchführen lassen. Warum also nicht Tamaras Kontakte nutzen? Aber ausgerechnet heute Abend, gleich nach dem Termin im Institut? Das hatte Karl nie so richtig gepasst.

 

Frisch geduscht, in Jeans, Hemd und Jacke, durchquerte er wenig später das Wohnzimmer Richtung Küche. Durch die breite Panoramascheibe fiel sein Blick auf den Platz vor dem Haus und das gegenüberliegende Konzerthaus. Hinter dem Giebel des Schinkelbaus wölbte sich ein bleicher Herbsthimmel über der Stadt. Es versprach ein kalter Tag zu werden.

»Was soll schon passieren?«, sagte Tamara, als er die Küche betrat. »Forkenbeck steht doch dahinter.«

Sie saß an dem polierten Eichenholztisch und goss sich gerade etwas Biomilch in ihr Müsli.

Karl nickte.

»Außerdem ist es nicht das erste Stipendium, das du bekommst, Karl«, fuhr sie fort und streute sich noch ein paar Sonnenblumenkerne in ihre Schale. »Die wissen doch, dass sie dir was bieten müssen, wenn sie dich halten wollen.«

Klar. Als wenn es nicht Hunderte von hochqualifizierten Wissenschaftlern gäbe, die sich begeistert eine Hand abhacken würden, wenn sie dadurch nur an die Gelder der Forschungsgemeinschaft kämen.

Karl füllte den Kaffeeträger der Espressomaschine, schob ihn unter das Ventil und betätigte die Taste. Röhrend und zischend erwachte die Gaggia zum Leben. Rasch stellte er eine Tasse darunter.

»Ich weiß nicht, wie lange es nachher dauert«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Kann sein, dass sie alles ganz genau wissen wollen. Vielleicht muss ich später noch kurz mit ihnen was essen gehen.«

Er spürte, wie sich Tamara am Tisch aufrichtete.

»Das geht aber nicht«, hörte er sie hinter sich sagen. »Heute Abend ist doch unser Treffen.«

Karl schaltete die Espressomaschine wieder aus, nahm die Tasse heraus und drehte sich um. »Ja, ich glaube, bis dahin bin ich auch fertig.« Karl nippte an dem Espresso. Er war stark und gut.

»Du glaubst?« Tamara sah ihn unwillig an.

Karl kippte den Rest der schwarzen Flüssigkeit hinunter. »Ich ruf dich an, wenn ich fertig bin, okay? Es hat doch keinen Sinn, das alles jetzt schon zu besprechen. Hören wir erst mal, was die Leute von der Forschungsgemeinschaft sagen.«

Tamara ließ den Löffel sinken. »Wie stellst du dir das denn vor?« Ihre Stimme wurde eindringlich. »Soll ich die Herren in letzter Minute vielleicht wieder ausladen?«

Da hatte sie natürlich recht. Karl spürte, wie er ärgerlich wurde. Er hätte sich auf das Treffen im Restaurant erst gar nicht einlassen sollen. »Nein, lass alles so, wie es ist.« Er stellte die Espressotasse in die Spüle. »Ich komm um acht dazu.« Wenn die Forschungsgemeinschaft ihn förderte, würden Tamaras Bekannte schon damit klarkommen, dass er sie sitzenließ, weil er mit den anderen noch essen gehen musste. Und wenn nicht? Dann war sowieso alles egal.

»Sicher?«

»Jaha.«

Er ging um den Tisch herum und beugte sich leicht zu ihr herunter. Tamara spitzte die Lippen. Er küsste sie flüchtig.

»Bis nachher.«

Sie nickte. Für einen Sekundenbruchteil glaubte er zu sehen, wie ein Schatten von Verletzlichkeit in ihren Augen aufblitzte. Eine Regung, die sie offenbar nicht zulassen wollte.

»Und denk daran, dass wir am Wochenende zu Papa fahren«, mahnte sie.

Karl wandte sich ab. Auch das noch. Musste er eigentlich jedes zweite Wochenende mit ihren Eltern verbringen? Aber da war er schon aus der Küche, durchquerte den Flur und zog an der Haustür.

Mit lautem Krachen ließ er sie hinter sich ins Schloss fallen. Und ahnte nicht, dass er Tamara, mit der er seit zwei Jahren zusammenlebte, nie wiedersehen würde.