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Aus: »Skeptizismus als Motor der Philosophie – Habich, Borchert, Janker und der Paradigmenwechsel zu Beginn des 21. Jahrhunderts«, Synthese 189, Sommer 2019, S. 346 f.

 

»Leonard Habich war nicht der Erste, der sich über die Autonomie der Sprache Gedanken gemacht hat. Die Idee hatte bereits in den achtziger Jahren, als er mit ihr zu spielen begann, eine lange Tradition hinter sich. Der Erste, der in dieser Richtung gedacht hatte, war Friedrich Schlegel, der 1808 in einem Aufsatz die Sprache als ›lebendiges Gewebe‹ bezeichnet hatte. Eine Vorstellung, die von den Romantikern begeistert aufgenommen wurde und Wilhelm von Humboldt darauf brachte, den Begriff vom ›Organismus der Sprache‹ zu prägen. August Schleicher formulierte den Gedanken dann so: ›Die Sprachen sind Naturorganismen, die, ohne vom Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstunden, nach bestimmten Gesetzen wuchsen und sich entwickelten und wiederum altern und absterben; auch ihnen ist jene Reihe von Erscheinungen eigen, die man unter dem Namen ›Leben‹ zu verstehen pflegt.‹ Ganz ähnlich war Novalis von der Sprache als Lebewesen, als Organismus, als selbständiges Tier fasziniert: ›Gerade das Eigenthümliche der Sprache, daß sie sich blos um sich selbst bekümmert, weiß keiner. Darum ist sie ein so wunderbares und fruchtbares Geheimniß (…) wer ein feines Gefühl ihrer Applicatur, ihres Takts, ihres musikalischen Geistes hat, wer in sich das zarte Wirken ihrer innern Natur vernimmt, und danach seine Zunge oder seine Hand bewegt, der wird ein Prophet sein (…) Wie, wenn ich aber reden müßte? und dieser Sprachtrieb zu sprechen das Kennzeichen der Eingebung der Sprache, der Wirksamkeit der Sprache in mir wäre?‹

Was Novalis in seiner dunklen, lyrischen Sprache nur anreißt, wird Heidegger später in seinem ›Satz vom Grund‹ dann so formulieren: ›Die Sprache spricht, nicht der Mensch. Der Mensch spricht nur, indem er geschickt der Sprache entspricht.‹

Doch was soll das heißen? Wie können wir uns das vorstellen – wenn es eben keine Metapher sein soll – sondern eine Tatsachenaussage?«

 

 

»Linguistik als Teil der Biologie«, las Karl vor.

Er und Lara hatten auf der Wiese unten am See eine Decke in der Herbstsonne ausgebreitet und darauf Platz genommen. Karl hatte eines von Habichs Notizheften, die außer den Briefen in dem Schließfach gewesen waren, mitgenommen und begonnen, ihr ein wenig daraus vorzulesen.

»Das ist nichts Neues«, ließ sich Lara vernehmen.

 

Karl hatte fast sechzehn Stunden hintereinander geschlafen und fühlte sich deutlich erholt. Als ihm klargeworden war, was sein Vater ihm angetan hatte, dass er ihm während der Operation nach dem Radunfall eine Elektrode eingepflanzt hatte, die er mit Habich zu einem späteren Zeitpunkt an eine Steuerungseinheit anschließen wollte, hatte Karl das Gefühl gehabt, sich regelrecht übergeben zu müssen. Er hatte auf dem Sofa in der Bibliothek gelegen und kaum mehr gewagt, Luft zu holen. Dann jedoch hatte langsam der Trotz in ihm die Oberhand gewonnen. Habich war tot. Sein Vater ebenfalls. Er aber, Karl, hatte sie beide überlebt. Sie hatten mit ihm gemacht, was sie wollten, sie hatten ihn nicht um Erlaubnis gefragt. Sein Vater mochte sich noch so sehr Vorwürfe gemacht haben, in dem entscheidenden Moment war er nicht davor zurückgeschreckt und hatte Karl das Implantat eingesetzt. Jetzt aber waren sie tot, und er war derjenige, der Einzige, der zu Ende bringen konnte, was sie angefangen hatten. Er würde es sein, der zu dem vordrang, zu dem durchdrang, was sie so besessen hatte, dass sie nicht davor zurückgeschreckt waren, ihn dafür zu operieren.

 

Als ihm das klargeworden war, war Karl aufgestanden und in sein Gästezimmer gegangen. Sein Kopf hatte ein wenig geschmerzt, aber der Arzt im Krankenhaus hatte ihm versichert, dass er im Prinzip durch das Implantat keinerlei Beschwerden haben dürfte, da er auch bisher beschwerdefrei damit gelebt habe. Bei Gelegenheit könnte man darüber nachdenken, es zu entfernen, aber es gäbe keinen Grund, das gleich jetzt zu tun.

 

Also hatte sich Karl ins Bett gelegt und war in einen tiefen und traumlosen Schlaf gesunken, aus dem er erst am nächsten Morgen erwacht war. Er war aufgestanden, hatte Lara im Frühstücksraum getroffen und ihr eröffnet, dass er in seinem Leben noch genug Zeit haben würde, um über das, was ihr Mann und sein Vater mit ihm angestellt hatten, nachzudenken. Jetzt aber würde ihm etwas anderes wichtiger sein: der Hypothese, der die beiden nachgejagt waren, auf den Grund zu gehen.

 

»Wir müssen uns die Sprache als Parasiten vorstellen«, las Karl aus Habichs Notizheft weiter vor. »Das wirft die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem parasitären Organismus und seinem Wirt auf. Profitieren beide von der Beziehung? Schadet der Parasit dem Menschen? Nutzt er ihm? Ist es in Wahrheit keine parasitäre Beziehung, sondern eine Symbiose? Ist die Sprache ein Symbiont, also ein für die Menschen vorteilhafter Parasit?«

Er sah zu Lara. Sie hatte einen Grashalm ausgerissen und kaute darauf herum, die Augen auf den See gerichtet.

Karl schaute zurück ins Notizbuch. »Wenden wir das Begriffs-Instrumentarium der Parasitenforschung auf unsere Intuition an«, las er, »so kommen wir zu folgendem Ergebnis: Der Sprachparasit ist ein Ektoparasit, er lebt im Inneren seines Wirtes. Er ist zudem ein monoxener Parasit, es gibt ihn nur auf einer Art von Wirt. Und es ist ein obligater Parasitismus, denn er kann ohne den Wirt nicht leben. Außerdem ist es ein stationärer Parasitismus – der Parasit lebt sein gesamtes Leben im Wirt.« Er blätterte um und las weiter. »Ist die Sprache ohne den Menschen lebensfähig? Nein. Ist der Mensch ohne die Sprache lebensfähig? Ja. Profitiert der Mensch von der Sprache? Schwer zu sagen.«

Karl ließ das Büchlein sinken. »Profitiert der Mensch von der Sprache?«

Lara hatte sich auf den Rücken gelegt und schaute nachdenklich in den Himmel.

Karl überflog die nächsten Zeilen. »Ist der Mensch auch ohne Sprache Mensch? Schwer zu sagen. Sollten wir uns die Beziehung zwischen Mensch und Sprache lieber als die zwischen einem Sprachparasiten und seinem humanoiden Wirt vorstellen? Den Menschen, so wie wir ihn kennen, also als Ergebnis einer Koevolution von Sprachparasit und Wirt? Aber was ist mit den berühmten Findlingskindern wie Kaspar Hauser oder Nell, die ohne Sprache aufgewachsen sind? Sind sie keine Menschen? Oder aber müssen wir annehmen, dass die Koevolution bereits seit Jahrtausenden andauert, dass der Sprachparasit sozusagen fest in die Hardware des Menschen eingebaut ist – und somit auch in den Findlingskindern mit drinsteckt?«

Wieder schaute er zu Lara. Sie hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und hörte ihm zu.

»Egal, wie wir die Beziehung beschreiben«, las Karl weiter, »wenn wir von einem Parasiten ausgehen, steht fest, dass der Sprachursprung der Befall des Menschen mit dem Parasiten war. Fraglich ist nur, was mit dem Spracherwerb ist. Wird jeder Mensch beim Spracherwerb von dem Parasiten befallen – oder ist der Parasit immer schon in ihm drin?«

Karl langte nach einer Wasserflasche, die Lara mitgebracht hatte, und trank einen Schluck, bevor er sich wieder in das Büchlein vertiefte. »Angenommen, es ist eine symbiotische Beziehung, also eine, von der beide, die Sprache und ihr Wirt, profitieren. Dass die Sprache die Überlebenschancen des Menschen verbessert, ist klar. Was aber gibt der Mensch der Sprache? Ohne ihn würde sie nicht existieren? Siehe Kortlandt und die Leiden theory of language evolution, wo argumentiert wird, dass Sprechen und Hören die männlichen beziehungsweise weiblichen Sexualorgane des Sprachparasiten sind.«

Karl atmete hörbar durch die Nase aus. »Wow.«

Lara drehte ihm den Kopf zu. »Wie soll ich das verstehen? Also wenn du etwas sagst, dann – was?«

»Dann, ja … also dann schläft mein Sprachparasit mit dir, oder?« Karl sah sie mit undurchdringlichem Gesicht an.

»Mit mir? Mit meinem Sprachparasiten, meinst du«, entgegnete sie.

»Mit deinem Sprachparasiten, richtig. Oder mit deinem Sprachsymbionten, je nachdem. Noch ist ja offen, ob es eine parasitäre oder eine symbiotische Beziehung ist, also ob der Parasit dem Wirt schadet oder nicht.«

»Okay.« Lara runzelte die Stirn. »Also: Wenn ich zum Beispiel sage, ›Heute ist ein schöner Tag‹ – was passiert dann genau? Will ich, dass du glaubst, dass ich glaube, dass heute ein schöner Tag ist? Nein. Mein Sprachparasit will, dass dein Sprachparasit etwas glaubt. Das kann nicht sein, oder? Dann müsste er ja selbst über einen Sprachparasiten verfügen. Also was? Will er mit deinem Sprachparasiten schlafen? Ist das gemeint, wenn es heißt, dass er sich mit deinem Sprachparasiten fortpflanzt, wenn ich dir was sage?«

»Ich weiß nicht.« Karl sah sie an. »Und was macht meiner, wenn ich das sage? Also wenn ich ›Ich weiß nicht?‹ sage.«

»Er pflanzt sich mit meinem fort«, entgegnete sie und hielt seinem Blick stand.

»Sagst du das – oder dein Parasit?«

»Mein Parasit, natürlich.«

»Während wir reden, treiben sie es die ganze Zeit miteinander.«

»Ja. Spürst du es nicht?« Ihre Augen blinkten ihn an.

Karl musste regelrecht Luft holen, um nicht auf der Decke über sie herzufallen.

 

Eine Zeitlang lagen sie nebeneinander und starrten zum See. Karl brach als Erster das Schweigen. »Kennst du diese Urban Legend von der Frau, die in den Dschungel reist?«

Lara zog fragend die Augenbrauen hoch.

»Die Frau schläft auf einer Lichtung im Dschungel ein«, sagte Karl, »direkt neben einem schönen, kleinen Teich. Als sie aufwacht, spürt sie ein leises Krabbeln an ihrer Wange, wischt dorthin – und siehe da, eine Spinne klettert an ihrem Hals herunter und verschwindet im Gras. Na ja, die Frau ist nicht gerade spinnenlieb und hat sich ein wenig erschrocken – aber es ist ja nichts weiter passiert.«

»Gott sei Dank.«

»Eben. Ein paar Tage später fährt sie wieder zurück nach Deutschland, alles bestens. Bis sie eine Woche darauf Kopfschmerzen bekommt, die sich auch mit den stärksten Mitteln nicht bekämpfen lassen und immer schlimmer werden.«

»Mmh.«

»Sie geht zum Arzt, es werden Tests gemacht, aber die Experten sind ratlos. Dabei wird es für die Frau immer schlimmer. Sie hat Probleme beim Sehen, der Schmerz im Kopf ist zu einem rasenden Hämmern angeschwollen. Schließlich wird sie geröntgt, und man stellt einen dunklen Fleck in ihrem Gehirn fest. Ein Tumor scheint es nicht zu sein. Keiner kann sich erklären, was es ist. Da es der Frau rapide schlechter geht, entschließt man sich zu einer Notoperation. Die Frau wird betäubt, ihr Schädel wird an der Stelle über dem Schatten aufgebohrt – und in dem Moment, in dem die Schädeldecke durchbohrt ist … krabbeln Hunderte kleine, weiße Spinnen aus dem Loch hervor.« Karl stülpte die Lippen nach innen. »Mama Spinne war durch das Ohr der Frau gekrochen und hatte ein paar Eier in ihrem Gehirn abgelegt.«

»Sehr schön.« Lara winkelte die Beine an und schlug sie übereinander. »Der Sprachparasit wäre also eine Art Spinne im Kopf.«

»Sieht so aus, oder? Wobei das Tolle daran ist, dass jeder von uns so ein Monster im Hirn sitzen hat – wenn man Habich Glauben schenken kann.«

»Und warum hat man es noch auf keiner Röntgenaufnahme gesehen?«

Da hatte sie natürlich recht. »Vielleicht weil wir gar kein menschliches Hirn ohne Parasiten kennen. Beziehungsweise doch – es gibt ja Aphasiker, die nicht sprechen können –«

»Aber deren Hirn sieht auch echt anders aus«, unterbrach Lara ihn.

Karl überlegte. »Bei uns Menschen eingezogen ist er also im Augenblick des Sprachursprungs. Und wir nehmen ihn nicht wahr, weil wir uns ein Gehirn ohne Sprachparasiten nicht richtig vorstellen können.«

»Wir könnten ohne ihn gar nicht denken.«

»Kann man nur sprachlich denken? Das habe ich mich schon öfter gefragt. Aber ich glaube, so stimmt das auch wieder nicht.« Karl ballte die Hand zur Faust und streckte den Daumen. »Erstens: Tiere können doch denken, oder? Ich meine, es sind schon mentale Abläufe im Kopf der Katze, die sie befähigen, einer Maus so hinterherzulaufen, dass sie sie erlegen kann. Auch wenn die Katze keine Sprache spricht.« Er streckte den Zeigefinger neben den Daumen. »Zweitens: Wenn wir zum Beispiel Billard spielen. Das sind doch auch mentale Abläufe, wenn wir überlegen, wo wir die Kugel treffen müssen. Aber es ist nichts Sprachliches, was da in unserem Kopf abläuft.«

»Na schön«, sagte Lara, rollte sich auf die Seite und sah zu ihm. »Es sitzt also diese Spinne in unser aller Köpfe – und macht was? Steuert, was wir denken? Flüstert uns ein, was wir sagen? Sie ist es, die auch jetzt gerade durch uns spricht?«

»Hm.« Karl ließ die Hand sinken und schaute auf den See, um sich von Laras Anblick nicht ablenken zu lassen. »Also noch mal von vorne. Wir verschaffen uns sprachlich über uns selbst Klarheit – aber gerade die Sprache soll nun ein von uns zu unterscheidendes Wesen sein. Das ist natürlich eine ziemliche Verrenkung – aber wenn es nicht so wäre, wären die Leute vielleicht schon viel früher darauf gekommen. Jedenfalls lassen sich einige Phänomene tatsächlich ganz gut erklären, wenn wir so ein Sprachwesen annehmen.«

»So, findest du.« Lara lächelte.

»Nimm zum Beispiel das Gefühl, dass uns die Sprache nicht gehorcht«, erwiderte Karl. »Wir können nicht sagen, was wir wollen. Wir müssen uns den Regeln der Sprache beugen, wenn wir uns verständlich machen wollen. Geht man weiter, kann man sagen: Wir gehorchen der Sprache. Unser ganzes Leben ist determiniert von sprachlich vermittelten Zwängen. Das ist ja eine Intuition, die relativ weitverbreitet ist. Was noch? Dann gibt es noch die innere Stimme. Man muss doch nicht schizophren sein, um eine solche Stimme in sich wahrzunehmen. Am deutlichsten tritt sie zutage, wenn man versucht, sie zum Verstummen zu bringen – was ja das Ziel einer ganzen Reihe von Meditationstechniken ist.«

Er sah sie an.

Lara presste übertrieben bemüht die Lippen aufeinander. Was für eine bezaubernde Frau, dachte Karl – und im selben Moment: Das war sie, die Stimme! »Ich sollte es auch versuchen«, hörte er sich zu sich selbst sagen. »Nichts zu denken – die Stimme zum Schweigen zu bringen.«

Für einen Augenblick vernahm er so etwas wie ein dumpfes Rauschen – dann meldete sich die Stimme schon wieder: »Ich muss noch das Notizbüchlein zu Ende lesen.« Er schnaufte. »Wie lange hatte ich eigentlich keinen Sex? Ich will nichts denken! Wie soll das gehen – nichts denken? Also das ist der Sprachparasit. Hallo Parasit, schön, Sie kennenzulernen. Na, wie geht es Ihnen da oben denn so? Haben Sie sich schön bei mir eingenistet? Sagen Sie mal, können Sie nicht mal den Mund halten? Hä? Na also. Es geht doch – aber jetzt reden Sie ja schon wieder!«

Karl hörte, wie Lara laut neben ihm ausatmete. »Das Reden nimmt ja gar kein Ende«, sagte sie.

Karl sah zu ihr, froh, dass die Worte wieder von außen kamen. Lara hatte sich auf den Bauch gelegt und ihr Kinn in die Hände gestützt. »Was ist? Glaubst du, an Leos Idee ist etwas dran? Und dieses Wesen existiert wirklich?«

Karl überlegte kurz, bevor er antwortete. »Lass uns die Frage, ob es wirklich existiert, doch mal zurückstellen. Und stattdessen fragen, ob wir es uns überhaupt kohärent vorstellen können.«

»Als Spinne im Kopf?«

»Die Spinne ist natürlich nur eine Metapher, um dem Wesen einen Körper zu geben. Weiter vorne im Notizheft bin ich auf eine andere Metapher gestoßen. Habich erwähnt die Leiden Sprachtheorie und dass sie die Sprache mit einem Ameisenvolk vergleicht. Er selbst spricht von einem Heuschreckenschwarm.«

»Im Kopf?«

»Nimm zum Beispiel die Idee von der Existenz eines Sprachwesens. Einmal gehört, geht sie einem nicht mehr aus dem Kopf. Habichs Heuschreckenschwarm hat in unserem Kopf die Heuschrecke ›Es gibt ein Sprachwesen im Kopf‹ gezeugt.«

»Womit wir wieder bei den Sex-Organen wären.«

»Genau. Oder ›abgelegt‹, das ist vielleicht passender. Wenn ich also jemandem erzähle, ›das Sprachwesen ähnelt einem Heuschreckenschwarm‹, dann legt mein Heuschreckenschwarm eine einzelne Heuschrecke, die Idee vom Sprachwesen als Heuschreckenschwarm, in seinem Kopf ab.«

Lara stöhnte auf und griff sich ins Haar. »Langsam fängt mein Kopf an zu kribbeln.«

Karl grinste. »Spürt man richtig, oder?, wenn man mal drauf achtet, wie die Heuschrecken einem durchs Gehirn krabbeln. Wobei man aber nicht glauben soll, dass das ganze Gehirn sozusagen der Heuschreckenschwarm ist. Nein, dieser Parasit hat es befallen, und das Geräusch, das man auch hören kann, wenn sich ein Heuschreckenschwarm nähert, dieses Rascheln, Knistern – das ist die innere Stimme. Oder? So gesehen ist die Stimme des Sprachparasiten das Geräusch, das alle Heuschrecken gemeinsam erzeugen.«

»Also kann man nicht mit ihm reden.«

Karl sah sie an. »Wohl nicht, oder? Dafür müsste ich – als der Teil von mir, den er befallen hat – ja auch sprechen können – also auch ohne ihn sprechen können. Das wäre ein Widerspruch.«

Lara lauschte in sich hinein. »Mein Denken ist also so etwas wie das Geraschel eines heuschreckenschwarmartigen Sprachparasiten. Das sage ich mir – scheint es. In Wahrheit aber ist es der Sprachparasit, der es mir sagt!«

Karl lachte. »Er kann einem ganz schön zusetzen, was?« Und plötzlich fiel ihm etwas ein, von dem er spürte, dass es ihn beunruhigte, auch wenn er noch nicht genau wusste, weshalb. »Was glaubst du? Ist es Zufall, dass Habich gestorben ist, ausgerechnet jetzt, wo er gehofft hat, kurz davorzustehen, seine Theorie endlich beweisen zu können?«

»Vielleicht.«

Karl setzte sich auf. Langsam nahm Gestalt an, was zuerst nur ein diffuser Einfall gewesen war. »Ist es nicht sehr viel wahrscheinlicher, dass ihm diese Vorstellung von einem Sprachwesen, die uns jetzt gerade mal einen Tag lang beschäftigt, mit der er sich aber seit was weiß ich wie vielen Jahren schon herumgeschlagen hat, dass sie ihm regelrecht über den Kopf gewachsen ist?«

»Du meinst, die Vorstellung hat ihn getötet?« Lara setzte sich ebenfalls auf und sah ihn ungläubig an.

»Sie hat ihn verrückt gemacht«, sagte Karl. »Das wäre die eine Erklärung.«

»Und die andere?«

»Dass sich der Parasit gewehrt hat. Gewehrt dagegen, entdeckt zu werden.«