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Aus: »Das vierte Paradigma. Fakten, Protagonisten, Hintergründe«, Berlin 2014, S. 224 f.
»Fest steht, dass Borchert am 9. Oktober um 19.25 Uhr im Kreiskrankenhaus Neuruppin eingeliefert worden ist. Lara Kronstedt tauchte mit ihm in der Notaufnahme auf. Borchert blutete am Kopf, konnte jedoch laufen. Der aufnehmende Notarzt stellte eine gewisse Verwirrung bei ihm fest, so konnte Borchert einfachste Fragen, wie die nach seinem Namen oder seiner Adresse, zwar beantworten, jedoch keine Angaben darüber machen, wie es zu der Verletzung gekommen war. Über Schmerzen oder Unwohlsein klagte er nicht, aber es war ganz offensichtlich, dass er aufgrund der Wunde an seinem Kopf äußerst beunruhigt war. Wiederholt fragte er danach, ob er operiert und wie tief ihm dabei in den Kopf geschnitten werden müsste.
Fest steht ferner, dass der aufnehmende Arzt entschied, Borchert umgehend röntgen zu lassen, und dass er Frau Kronstedt über diese Absicht in Kenntnis gesetzt hat. Weder ist jedoch bekannt, ob der Arzt im Laufe der Behandlung Borcherts einen Kollegen konsultiert hat, noch ist es gelungen, den Arzt selbst oder die Radiologieassistentin zu befragen, die die Röntgenaufnahme durchgeführt hat. Mehrere Journalisten, die über das ›Vierte Paradigma‹ recherchiert haben, haben versucht, an die Krankenhausakten heranzukommen, in denen Einzelheiten über die Untersuchung festgehalten worden sein müssten. Die entsprechenden Akten sind wenige Stunden, nachdem die Behörden über die Ereignisse vom 12. Oktober informiert worden sind, aus dem Krankenhausarchiv entfernt worden. Und es gibt guten Grund zu der Annahme, dass die Urquardt-Kommission das Material beschlagnahmt hat.
Worüber wieder Klarheit besteht, ist, dass Karl Borchert und Lara Kronstedt die Klinik um 22.53 Uhr verlassen haben. Und zwar ordnungsgemäß nach Abmeldung und durch den Haupteingang. Borchert lief am Arm von Frau Kronstedt, die Wunde an seinem Kopf war versorgt. Er machte auf den wachhabenden Pförtner zwar einen geschwächten und angeschlagenen Eindruck, war zugleich jedoch geistesgegenwärtig genug, um den Angestellten zum Abschied zu grüßen.
Es besteht also kein Zweifel daran, dass das medizinische Personal über Borcherts Verlassen der Klinik informiert war. Für das, was davor, nach der Röntgenaufnahme und bei Borcherts Gespräch mit dem behandelnden Arzt passiert ist, gibt es im Grunde genommen somit nur eine plausible Vermutung: Borchert muss darauf bestanden haben, noch am selben Abend aus dem Krankenhaus entlassen zu werden. Ob diese Vermutung auch wirklich zutrifft, konnte bislang jedoch nicht geklärt werden. Die Kommission hat sich trotz wiederholter Anfragen hartnäckig geweigert, dazu Stellung zu nehmen, bis die Ereignisse vom 6. und 12. Oktober nicht vollständig geklärt worden seien.«