Dokument 21
An M. Kammerer
»Pappel« 11, Wohnung 9716
Swerdlowsk
18. Mai’99
»Pappel« 11, Wohnung 9716
Swerdlowsk
18. Mai’99
Big Bug!
Heute hat mich Logowenko besucht. Das Gespräch
dauerte von 12:15 Uhr bis 14:05 Uhr. Logowenko war sehr
überzeugend. Es ging ihm um Folgendes: Es sei nicht alles so
einfach, wie wir es uns vorstellten. Es werde zum Beispiel
behauptet, die relativ stabile Entwicklungsphase der Menschheit
gehe zu Ende und es stünde eine Epoche biosozialer und
psychosozialer Erschütterungen bevor. Die Hauptaufgabe der Menten
gegenüber der Menschheit sei es nun, auf Wache zu stehen (als
»Fänger im Roggen« sozusagen). Gegenwärtig leben 432 Menten auf der
Erde oder im Kosmos. Man schlägt mir vor, der
vierhundertdreiunddreißigste zu werden. Zu diesem Zweck soll ich
übermorgen, am 20. Mai, 10 Uhr, im Institut der Sonderlinge in
Charkow erscheinen.
Und der Feind des Menschengeschlechts flüstert mir
ein, nur ein Idiot könne die Chance ausschlagen, höchstes Wissen
und Macht über das Universum zu erlangen. Diese Einflüsterungen
kann ich allerdings mühelos ignorieren. Zum einen,
weil ich ein Mensch ohne jegliches Prestigedenken bin, wie Ihnen
bestens bekannt ist. Zum anderen, weil ich Eliten, in welchem
Gewande sie auch stecken mögen, rundherum ablehne.
Ich will nicht verschweigen, dass sich der Eindruck
unseres letzten Gesprächs tiefer in mir festgesetzt hat, als mir
lieb ist. Es ist sehr unangenehm, sich als Deserteur zu fühlen. Ich
hätte auch keine Sekunde mit meiner Zustimmung gezögert, aber ich
bin mir absolut sicher: Sobald man mich in einen Menten verwandelt
hätte, wäre nichts (nichts!) Menschliches mehr in mir
verblieben. Geben Sie zu, im Grunde denken Sie genauso.
In den letzten Tagen habe ich alles gründlich
überdacht, und ich werde nicht nach Charkow fahren. Erstens, weil
es Verrat an Assja wäre. Zweitens, weil ich meine Mutter liebe und
sehr schätze. Drittens, weil mir meine Weggefährten und meine
Vergangenheit viel bedeuten. Die Umwandlung in einen Menten wäre
mein Tod. Nein, sie wäre schlimmer als der Tod, denn für die, die
mich lieben, bleibe ich am Leben, allerdings bis zur
Unkenntlichkeit entstellt: Eine hochnäsige, selbstzufriedene,
anmaßende Person. Und wahrscheinlich unsterblich dazu.
Morgen werde ich Assja auf die Pandora
folgen.
Leben Sie wohl. Ich wünsche Ihnen Erfolg.
Ihr Toivo Glumow