Dokument 19
VERTRAULICH!
NUR FÜR MITGLIEDER DES PRÄSIDIUMS DES WELTRATS!
Ex. Nr. 115
Aufzeichnung einer Unterredung im »Leonidsheim«
(Krāslava, Lettland) am 14. Mai’99
Teilnehmer: L. A. Gorbowski, Mitglied des
Weltrates; G. J. Komow, Mitglied des Weltrates, amtierender
Präsident des Sektors Ural/ Norden der KK 2; D. A. Logowenko,
Stellvertreter des Direktors der Charkower Filiale des IMF
KOMOW: Das heißt, Sie unterscheiden sich faktisch
in nichts von einem gewöhnlichen Menschen?
LOGOWENKO: Nein. Der Unterschied ist sehr groß,
aber jetzt, da ich hier sitze und mich mit Ihnen unterhalte,
unterscheide ich mich von Ihnen nur durch das Bewusstsein, dass ich
anders bin als Sie. Das ist eines meiner Niveaus, ein ziemlich
anstrengendes, übrigens. Es kostet Mühe, aber ich bin es ja
gewöhnt. Die meisten von uns sind allerdings schon für immer davon
entwöhnt. Auf diesem Niveau kann man den Unterschied nur mit Hilfe
einer Spezialapparatur feststellen.
KOMOW: Sie wollen sagen, dass auf den anderen
Niveaus …
LOGOWENKO: Ja. Auf den anderen Niveaus ist alles
anders. Ein anderes Bewusstsein, eine andere Physiologie, sogar
eine andere Gestalt.
KOMOW: Also sind Sie auf den anderen Niveaus schon
keine Menschen mehr?
LOGOWENKO: Nein, wir sind überhaupt keine
Menschen. Lassen Sie sich nicht davon verwirren, dass wir von
Menschen gezeugt und geboren wurden.
GORBOWSKI: Entschuldigen Sie bitte, Daniil
Alexandrowitsch. Könnten Sie uns so etwas vielleicht einmal zeigen?
Verstehen
Sie mich richtig, ich möchte Sie nicht kränken, aber vorläufig
sind das alles nur Worte … Ja? Irgendein anderes Niveau, wenn es
Ihnen keine Umstände macht.
LOGOWENKO (belustigt): Bitte sehr … Es
ertönen leise Geräusche, die an ein Pfeifen mit ineinander
übergehenden Trillern erinnern, ein unverständlicher Ausruf, das
Klingen zerbrechenden Glases.
LOGOWENKO: Entschuldigen Sie, ich dachte, sie sei
nicht zerbrechlich.
Etwa zehn Sekunden Pause.
LOGOWENKO: Ist sie das?
GORBOWSKI: N-nein. Ich glaube … Nein, nein, das
ist nicht die Richtige. Die Richtige steht dort auf dem
Fensterbrett.
LOGOWENKO: Einen Moment …
GORBOWSKI: Nicht nötig, bemühen Sie sich nicht,
Sie haben mich überzeugt. Danke.
KOMOW: Ich habe nicht verstanden, was geschehen
ist. Ist das ein Trick? Ich würde … Im Fonogramm folgt eine
Lücke von 12 Minuten und 23 Sekunden Dauer.
LOGOWENKO: … ganz anderer.
KOMOW: Und was hat die Fukamisation damit zu
tun?
LOGOWENKO: Die Enthemmung des Hypothalamus führt
zur Zerstörung des dritten Impulssystems. Das konnten wir nicht
zulassen, solange wir nicht wussten, wie es wiederherzustellen
war.
KOMOW: Und dann haben Sie die Kampagne zur
Einführung der Gesetzesnovelle durchgeführt.
LOGOWENKO: Eigentlich haben Sie die Kampagne
veranstaltet, aber auf unsere Initiative hin natürlich.
KOMOW: Und das »Pinguin-Syndrom«?
LOGOWENKO: Ich verstehe nicht.
KOMOW: Na ja, die Phobien, die Sie mit Ihren
Experimenten hervorgerufen haben: Kosmophobie, Xenophobie etc.
LOGOWENKO: Ah, ich verstehe, ich verstehe. Sehen
Sie, es gibt mehrere Wege und Methoden, bei einem Menschen das
dritte Impulssystem aufzuspüren. Ich selbst bin für die apparativen
Verfahren, aber meine Kollegen …
KOMOW: Das heißt, das ist Ihr Werk?
LOGOWENKO: Selbstverständlich! Es gibt ja erst
sehr wenige von uns. Wir erschaffen unsere Rasse eigenhändig, im
Moment und aus dem Stegreif. Ich verstehe, dass Sie einige unserer
Methoden für amoralisch halten, sogar für grausam. Aber Sie müssen
zugeben, dass es nie zu Aktionen mit irreversiblen Folgen gekommen
ist.
KOMOW: Es sieht so aus. Wenn wir die Wale außer
Betracht lassen.
LOGOWENKO: Verzeihen Sie. Nicht »es sieht so aus«,
sondern wir haben es tatsächlich nicht dazu kommen lassen. Was die
Walartigen angeht … Im Fonogramm folgt eine Lücke von 2 Minuten
und 12 Sekunden Dauer.
KOMOW: … anderes von Interesse. Sehen Sie, Leonid
Andrejewitsch, unsere Jungs sind einer falschen Fährte gefolgt,
aber in allem, außer in der Interpretation, hatten sie Recht.
LOGOWENKO: Wieso »außer«? Ich weiß nicht, wer Ihre
»Jungs« sind, aber Maxim Kammerer hat uns absolut genau deduziert.
Ich weiß immer noch nicht, wie er an diese Liste mit allen Menten
gekommen ist, die in den letzten drei Jahren initiiert
wurden.
GORBOWSKI: Entschuldigen Sie, sagten Sie
»Menten«?
LOGOWENKO: Wir haben noch keine allgemein
anerkannte Bezeichnung für uns selbst. Die meisten benutzen den
Terminus »Metanthropus«, also »Meta-Mensch«. Manche nennen sich
»Mysiten«. Ich ziehe die Bezeichnung »Menten« vor. Erstens klingt
darin das Wort »Mensch« an, zweitens war einer der ersten Menten
Pawel Mentow, sozusagen unser Adam. Zudem gibt es das lateinische
»Mens«, »mental« …
KOMOW: »Geist«, »geistig« …
LOGOWENKO: Ja. Durch den Geist wirkend - in
unserem Fall zudem auch: den Geist spielen lassend. Und dann ist da
auch der Name Mentor; aber das passt schon weniger … Also, Maxim
hat sich eine Liste der Menten verschafft und sie sehr geschickt
präsentiert, um mir zu verstehen zu geben, dass wir kein Geheimnis
mehr für euch sind. Offen gesagt, ich war erleichtert. Denn es
schien mir ein direkter Anlass zu sein, um endlich Verhandlungen
aufzunehmen. Ich hatte ja schon seit einem Monat jemandes Hand an
meinem Puls gefühlt und versucht, ihn - Maxim - zu
identifizieren.
KOMOW: Gedanken lesen können Sie also nicht? Denn
die Reader … Im Fonogramm folgt eine Lücke von 9 Minuten und 44
Sekunden Dauer.
LOGOWENKO: … stören. Und nicht nur deshalb. Wir
gingen davon aus, dass man das Geheimnis vor allem in eurem
Interesse bewahren sollte, im Interesse der Menschheit. Und ich
möchte, dass in dieser Frage wirklich Klarheit besteht. Wir sind
keine Menschen. Wir sind Menten. Verfallen Sie keinem Irrtum. Wir
sind nicht das Ergebnis einer biologischen Revolution. Es gibt uns
nur, weil die Menschheit eine bestimmte Stufe der
gesellschaftlichen und technologischen Organisation erreicht hat.
Das dritte Impulssystem im menschlichen Organismus hätte man schon
vor hundert Jahren entdecken können, aber es zu initiieren ist erst
seit Anfang des Jahrhunderts möglich. Und einen Menten auf der
Spirale der psychophysiologischen Entwicklung zu halten, ihn von
Niveau zu Niveau bis ans Ende zu führen - in Ihren Begriffen hieße
das, einen Menten zu erziehen -, das konnte erst vor kurzem
erreicht werden.
GORBOWSKI: Moment, Moment! Dieses dritte
Impulssystem ist also doch in jedem menschlichen Organismus
vorhanden?
LOGOWENKO: Leider nicht, Leonid Andrejewitsch.
Darin besteht ja die Tragik. Das dritte Impulssystem tritt mit
einer Wahrscheinlichkeit von höchstens eins zu einhunderttausend
auf, und wir wissen bisher nicht, wie und warum es sich
entwickelte. Am ehesten ist es wohl die Folge einer lange
zurückliegenden Mutation.
KOMOW: Ein Hunderttausendstel ist gar nicht so
wenig, wenn man es auf unsere Milliarden umrechnet … Aber das hieße
wohl: Spaltung?
LOGOWENKO: Ja, daher die Geheimhaltung. Verstehen
Sie mich recht: Neunzig Prozent der Menten interessieren sich weder
für die Geschicke der Menschheit noch für die Menschheit überhaupt.
Aber es gibt auch solche wie mich - wir wollen nicht vergessen,
dass wir aus menschlichem Fleisch und Blut sind und dieselbe Heimat
haben wie ihr. Wir zerbrechen uns schon seit vielen Jahren den
Kopf, wie man die Folgen dieser unvermeidlichen Spaltung mildern
kann; denn faktisch sieht es so aus, als zerfalle die Menschheit in
eine höhere und eine niedrigere Rasse. Was kann schrecklicher sein?
Natürlich ist diese Analogie oberflächlich und im Grunde genommen
sogar falsch, aber dennoch wird es für euch immer erniedrigend sein
zu denken, dass einer von euch weit über die Grenze hinausgegangen
ist, die hunderttausend nicht überwinden können. Und dieser Eine
wird sein Schuldgefühl deswegen niemals loswerden. Und was das
Schlimmste ist: Der Riss geht mitten durch Familien, durch
Freundschaften …
KOMOW: Also verliert der Metanthropus seine
früheren emotionalen Bindungen?
LOGOWENKO: Das ist individuell sehr
unterschiedlich. Und nicht so einfach, wie Sie denken. Das beste
Beispiel für das Verhältnis eines Menten zu einem Menschen ist das
eines lebenserfahrenen, vielbeschäftigten Erwachsenen zu einem
sympathischen, aber über die Maßen aufdringlichen Kleinkind. Und
nun stellen Sie sich die Beziehungen vor: ein Ment und sein Vater,
ein Ment und sein bester Freund, ein Ment und sein Lehrer …
GORBOWSKI: Ein Ment und seine Freundin …
LOGOWENKO: Das sind Tragödien, Leonid
Andrejewitsch. Echte Tragödien.
KOMOW: Ich sehe, dass Ihnen das Problem nahegeht.
Wäre es dann nicht einfacher, mit allem aufzuhören? Letzten Endes
liegt es ja in Ihrer Hand …
LOGOWENKO: Meinen Sie nicht, dass das unmoralisch
wäre?
KOMOW: Und meinen Sie nicht, dass es
unmoralisch ist, die Menschheit in einen Schockzustand zu
versetzen? In der Psyche der Menschheit einen
Minderwertigkeitskomplex hervorzurufen? Die Jugend vor die Tatsache
zu stellen, dass sie schon am Ende ihrer Möglichkeiten ist!
LOGOWENKO: Deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen -
um einen Ausweg zu finden.
KOMOW: Da gibt es nur einen Ausweg. Ihr müsst die
Erde verlassen.
LOGOWENKO: Verzeihung. Wer ist »wir«?
KOMOW: Ihr, die Metanthropen.
LOGOWENKO: Gennadi Jurjewitsch, ich wiederhole:
Die überwiegende Mehrheit der Menten lebt nicht auf der Erde; all
ihre Interessen und ihr ganzes Leben stehen gar nicht mit der Erde
in Verbindung. Zum Teufel, Sie leben ja auch nicht im Bett! Nur die
Geburtshelfer wie ich und die Anthropopsychologen haben ständig mit
der Erde zu tun, und noch ein paar Dutzend der Unglücklichsten von
uns: die, die sich nicht von ihren Verwandten und Lieben losreißen
können!
GORBOWSKI: Ah!
LOGOWENKO: Was haben Sie gesagt?
GORBOWSKI: Nichts, nichts, ich höre aufmerksam
zu.
KOMOW: Sie behaupten also, dass sich die
Interessen der Metanthropen und die der Erdenmenschen im Grunde
nicht überschneiden?
LOGOWENKO: So ist es.
KOMOW: Ist eine Zusammenarbeit möglich?
LOGOWENKO: Auf welchem Gebiet?
KOMOW: Das wissen Sie besser.
LOGOWENKO: Ich fürchte, ihr könnt uns nicht
wirklich von Nutzen sein. Und was uns betrifft … Wissen Sie, es
gibt einen alten Witz. Unter den gegebenen Umständen klingt er
vielleicht grausam, aber ich will ihn trotzdem wiedergeben: »Man
kann einem Bären das Radfahren beibringen, aber bringt das dem
Bären Nutzen und Vergnügen?« Verzeihen Sie, um Himmels willen. Aber
Sie haben es selbst gesagt: Unsere Interessen überschneiden sich
einfach nicht. Pause.
LOGOWENKO: Aber gesetzt den Fall, der Erde und der
Menschheit drohte irgendwann Gefahr, dann werden wir natürlich
sofort und mit allem, was in unserer Macht steht, zu Hilfe
kommen.
KOMOW: Wenigstens dafür vielen Dank. Lange
Pause, man hört eine Flüssigkeit gluckern, Glas an Glas klirren,
dumpfe Schluckgeräusche, ein Krächzen.
GORBOWSKI: Hm-ja, das ist eine große
Herausforderung für unseren Optimismus. Wenn ich es aber recht
bedenke, so hat sich die Menschheit schon schlimmeren
Herausforderungen gestellt. Und überhaupt, Gennadi, begreife ich
Sie nicht. Sie haben doch so leidenschaftlich für den vertikalen
Progress geworben. Da haben Sie ihn - das ist der vertikale
Progress! In reiner Form! Nachdem sich die Menschheit unter dem
klaren Himmel und über die blühende Ebene hin ausgebreitet hat, ist
sie auf einmal emporgeschossen. Natürlich nicht in ihrer ganzen
Masse, aber warum bekümmert
Sie das so? Das ist immer so gewesen. Und es wird gewiss immer so
sein. Die Menschheit ist stets in Gestalt ihrer besten Exemplare in
die Zukunft aufgebrochen. Wir waren stets stolz auf die Genies und
niemals traurig, dass wir nicht dazugehörten. Auch wenn uns Daniil
Alexandrowitsch immer wieder sagt, er sei kein Mensch, sondern ein
Ment, so bleibt es letztlich doch eine Frage der Bezeichnung. Trotz
allem seid ihr Menschen, mehr noch: Erdenmenschen, und das könnt
ihr nicht ändern. Ihr seid einfach sehr unerfahren.
KOMOW: Und Sie, Leonid Andrejewitsch, verblüffen
mich mitunter mit Ihrem Leichtsinn. Wir haben hier eine Spaltung!
Verstehen Sie? Eine Spaltung! Und Sie, verzeihen Sie, faseln da
irgendetwas Wohlmeinendes!
GORBOWSKI: Was sind Sie, mein Bester, doch für ein
… Hitzkopf. Natürlich ist das eine Spaltung. Ja, haben Sie denn je
Fortschritt ohne Spaltung gesehen? So ist der Fortschritt. Das ist
sein wahres Gesicht. Wo haben Sie jemals einen Fortschritt ohne
Schock, ohne Erniedrigung, ohne Bitterkeit gesehen? Ohne solche,
die weit vorauseilen, und solche, die zurückbleiben?
KOMOW: Das fehlte noch! »Und sie, die dereinst
mich vernichten, empfängt noch mein Hymnus als Gruß …«
GORBOWSKI: Hier passt wohl eher etwas in der Art
wie … ähm … »Und sie, die voraus mir enteilen, begleitet mein
Hymnus als Gruß.«
LOGOWENKO: Gennadi Jurjewitsch, wenn Sie erlauben,
kann ich Sie vielleicht trösten: Wir haben allen Grund zu der
Annahme, dass die jetzige Spaltung nicht die letzte sein wird.
Außer dem dritten Impulssystem haben wir im Organismus des Homo
sapiens nämlich noch ein viertes, niederfrequentes System entdeckt
sowie ein fünftes, das bisher noch keinen Namen hat. Was sich aus
der Initiation dieser Systeme ergeben wird, können wir - sogar wir!
-
nicht einmal vermuten. Und ebenso wenig, wie viele von diesen
Systemen es überhaupt im Menschen gibt. Und noch etwas, Gennadi
Jurjewitsch: Auch unter uns bahnt sich bereits eine Spaltung an!
Das ist unvermeidlich. Künstliche Evolution ist ein lawinenartiger
Prozess. Pause.
LOGOWENKO: Was soll man machen! Wir haben sechs
wissenschaftlich-technische Revolutionen erlebt, zwei
technologische Konterrevolutionen, zwei erkenntnistheoretische
Krisen. Da fängt man nolens volens irgendwann an sich
weiterzuentwickeln.
GORBOWSKI: Eben. Würden wir still dasitzen wie die
Tagoraner oder die Leonidaner - hätten wir keinen Kummer. Wir
hatten die Wahl, ob wir auf die Technik setzen wollten oder
nicht!
KOMOW: Gut, gut. Und trotzdem, was ist das
eigentlich - ein Metanthropus? Welche Ziele hat er, Daniil
Alexandrowitsch? Welche Stimuli, Interessen? Oder ist das ein
Geheimnis?
LOGOWENKO: Es gibt keine Geheimnisse.
Damit bricht das Fonogramm ab. Der gesamte Rest
- 34 Minuten und 11 Sekunden - ist irreversibel gelöscht.
15. 05.’99
Ausführender: M. Kammerer

Ich schäme mich, wenn ich daran denke, aber all
die Tage zuvor hatte ich in einem fast euphorischen Zustand
verbracht. Mir war, als hätte eine schier unerträgliche körperliche
Belastung auf einmal ein Ende gefunden. Gewiss hat Sisyphus
Ähnliches empfunden, wenn sich der Felsbrocken aus seinen Händen
losriss und er, Sisyphus, Gelegenheit hatte, sich eine
Weile beglückt auf dem Gipfel auszuruhen - ehe alles wieder von
vorne begann.
Jeder Erdenmensch hat die Große Offenbarung auf
seine Weise erlebt. Und doch scheint mir, dass es mich schlimmer
traf als alle anderen.
Ich habe gerade noch einmal alles durchgelesen, was
ich bis jetzt geschrieben habe. Dabei kam mir die Befürchtung, das,
was ich bei der Großen Offenbarung durchlebt habe, könnte eventuell
falsch verstanden werden. Vielleicht entsteht der Eindruck, als
hätte ich damals Angst um das Schicksal der Menschheit empfunden.
Sicher, ich hatte Angst; ich wusste zum Beispiel gar nichts über
die Menten - außer, dass sie existierten. Da war also Angst. Und in
Gedanken hin und wieder auch ein kurzer, panischer Aufschrei: »Das
war’s, jetzt haben wir ausgespielt!« Oder die Empfindung, als sei
da eine furchtbar enge Kurve, und jeden Moment könne sich das
Steuer aus der Hand reißen, man würde sehr weit weg geschleudert
und sei hilflos wie ein Wilder während eines Erdbebens. Doch waren
all diese Ängste nichts gegen das erniedrigende Gefühl der totalen
beruflichen Unzulänglichkeit. Wir hatten es verschlafen,
verschwitzt und verschlampt, wir armseligen, erbärmlichen
Dilettanten.
Aber dann wich all das von mir - übrigens nicht
deshalb, weil Logowenko mich von irgendetwas überzeugt oder mich
dazu gebracht hätte, ihm zu glauben. Nein. Es war ganz etwas
anderes.
Mit dem Gefühl meiner beruflichen Niederlage hatte
ich in den letzten sechs Wochen zu leben gelernt. (»Gewissensqualen
lassen sich aushalten« - das ist eine der kleinen unangenehmen
Entdeckungen, die man macht, wenn man älter wird.)
Das Steuer drohte nicht mehr, mir zu entgleiten -
ich hatte es anderen übergeben. Und jetzt, ein wenig auf Distanz
gerückt, fand ich, dass Komow alles ein bisschen zu drastisch
sah, während Leonid Andrejewitsch wie gewohnt allzu sehr vom
glücklichen Ende jedes Kataklysmus überzeugt war.
Ich war wieder an meinem Platz, und mich
beherrschten die vertrauten, alltäglichen Sorgen - zum Beispiel,
wieder einen beständigen, umfänglichen Informationsstrom für all
jene in Gang zu bringen, die Entscheidungen zu treffen
hatten.
Am Abend des 15. erhielt ich von Komow den Befehl,
nach eigenem Ermessen zu handeln.
Am Morgen des 16. rief ich Toivo Glumow zu mir.
Ohne einführende Erklärung ließ ich ihn den Mitschnitt der
Unterredung im »Leonidsheim« abspielen. Erstaunlich, dass ich mir
des Erfolges praktisch sicher war.
Warum auch hätte ich zweifeln sollen?