4. JUNI’78
Isaac Bromberg. Die Schlacht der eisernen Alten
»Versuchen wir, uns in Ruhe zu unterhalten«, schlug Seine Exzellenz vor.
»Versuchen wir’s, versuchen wir’s!«, erwiderte Bromberg heiter. »Aber was ist das für ein junger Mann, der die Wand da neben der Türe festhält? Haben Sie sich einen Leibwächter zugelegt?«
Seine Exzellenz antwortete nicht gleich. Vielleicht hatte er die Absicht, mich fortzuschicken. »Maxim, du kannst gehen« - und ich wäre natürlich gegangen. Doch es hätte mich gekränkt, und Seiner Exzellenz war das selbstverständlich klar. Es ist durchaus möglich, dass er noch andere Gründe hatte. Jedenfalls deutete er lässig in meine Richtung und sagte: »Das ist Maxim Kammerer, Mitarbeiter der KomKon. Maxim, das ist Doktor Isaac Bromberg, Wissenschaftshistoriker.«
Ich verbeugte mich, und Bromberg erklärte: »Habe ich’s mir doch gedacht. Klar, Sie hatten Angst, Sie könnten Mann gegen Mann nicht mit mir fertig werden, Sikorsky. Setzen Sie sich, setzen Sie sich, junger Mann, machen Sie’s sich bequem. Soweit ich Ihren Chef kenne, wird es ein langes Gespräch.«
»Setz dich, Mak«, sagte Seine Exzellenz.
Ich nahm in dem mir schon bekannten Besuchersessel Platz.
»Also, ich erwarte Ihre Erklärungen, Sikorsky«, ließ sich Bromberg vernehmen. »Was hat dieser Hinterhalt zu bedeuten?«
»Wie ich sehe, haben Sie sich arg erschrocken.«
»Was für ein Unsinn!«, ereiferte sich Bromberg auf der Stelle. »Dummes Zeug! Gott sei Dank gehöre ich nicht zu den Schreckhaften! Und wenn mir schon jemand einen Schrecken einjagen kann, Sikorsky …«
»Aber Sie haben so fürchterlich geschrien und so viele Möbel umgeworfen.«
»Na, wissen Sie, wenn Ihnen jemand nachts in einem absolut leeren Gebäude etwas ins Ohr …«
»Es gibt auch keinen Grund, nachts durch absolut leere Gebäude zu laufen …«
»Erstens geht Sie das gar nichts an, Sikorsky, wo ich wann hingehe! Und zweitens, wann sollte ich es Ihrer Meinung nach denn sonst tun? Am Tage lässt man mich nicht herein. Am Tage veranstaltet man hier irgendwelche verdächtigen Renovierungen oder albernen Ausstellungswechsel. Hören Sie, Sikorsky, geben Sie’s zu: Das ist alles Ihr Werk - das Museum zu schließen! Ich habe dringend gewisse Daten im Gedächtnis aufzufrischen. Ich erscheine hier. Man lässt mich nicht hinein. Mich! Ein Mitglied des wissenschaftlichen Rates dieses Museums! Ich rufe den Direktor an: Was ist los? Der Direktor, der liebe Grant Hotschikjan, in gewissem Sinne mein Schüler … Der Ärmste windet sich, der Ärmste wird rot vor Scham über sich selbst und vor mir. Aber er kann nichts machen, er hat sein Wort gegeben! Ihn haben ziemlich angesehene Leute darum gebeten, und er hat sein Wort gegeben! Interessant, wer hat ihn wohl gebeten? Vielleicht ein gewisser Rudolf Sikorsky? Nein! Oh nein! Niemand hat hier von einem Rudolf Sikorsky auch nur gehört! Aber mich kann man nicht so leicht täuschen! Mir war sofort klar, wessen Ohren da hinter den Kulissen hervorschauen! Und trotzdem wüsste ich gern, Sikorsky, warum Sie schon eine geschlagene Stunde schweigen und nicht auf meine Fragen antworten? Was wollten Sie damit erreichen, frage ich! Das Museum zu schließen! Der schändliche Versuch, aus dem Museum Exponate zu entwenden, die ihm gehören! Nächtliche Hinterhalte! Und wer, zum Teufel, hat hier den Strom abgeschaltet? Ich weiß nicht, was ich hätte tun sollen, wenn ich nicht eine Taschenlampe im Gleiter gehabt hätte! Ich habe mir sogar eine Beule geholt, ja, ja, zum Teufel mit Ihnen! Und dort drüben hab ich etwas umgeworfen! Ich kann nur hoffen - will hoffen! -, dass es bloß eine Attrappe war. Und beten Sie zu Gott, Sikorsky, dass es bloß eine Attrappe gewesen ist, denn wenn es ein Original war, werden Sie es mir bis zur letzten Schweißnaht wieder zusammensetzen! Bis zur letzten Schweißnaht! Und wenn auch nur eine Schweißnaht fehlt, werden Sie sich brav auf die Tagora begeben …«
Ihm versagte die Stimme, und er begann krampfhaft zu keuchen, wobei er sich mit beiden Fäusten gegen die Brust schlug.
»Erhalte ich noch Antwort auf meine Fragen?«, japste er wütend und in Atemnot.
Ich saß da wie im Theater. Es machte alles einen eher komischen Eindruck auf mich. Dann aber schaute ich Seine Exzellenz an und erstarrte vor Erstaunen.
Seine Exzellenz Rudolf Sikorsky, dieser Eisklotz, dieses Granitmonument und Vorbild an Selbstbeherrschung und Kaltblütigkeit, dieser unfehlbare Mechanismus im Zutagefördern von Informationen, hatte einen puterroten Kopf bekommen. Er atmete schwer, presste krampfhaft seine knochigen, sommersprossigen Fäuste zusammen, und seine berühmten Ohren glühten und zuckten, dass es unheimlich anzusehen war. Er hatte sich freilich noch in der Gewalt, aber sicherlich wusste nur er allein, was ihn das kostete.
»Ich möchte gern wissen, Bromberg«, sagte er mit erstickter Stimme, »wozu Sie die Zünder brauchen.«
»Ach, das möchten Sie gern wissen!«, zischte Dr. Bromberg giftig. Dann beugte er sich plötzlich vor und blickte Seiner Exzellenz aus so kurzer Distanz ins Gesicht, dass seine lange Nase beinahe zwischen die Zähne meines Chefs geriet. »Und was möchten Sie noch gern über mich wissen? Vielleicht interessiert Sie mein Stuhlgang? Oder zum Beispiel, worüber ich mich unlängst mit Pilguj unterhalten habe?«
Die Erwähnung des Namens Pilguj in diesem Zusammenhang gefiel mir nicht. Pilguj befasste sich mit den Biogeneratoren, und meine Abteilung befasste sich schon den zweiten Monat mit Pilguj. Seine Exzellenz aber schenkte der Erwähnung Pilgujs keine Beachtung. Er beugte sich stattdessen selbst nach vorn, und zwar so plötzlich, dass Bromberg gerade noch zurückfahren konnte.
»Um Ihren Stuhlgang kümmern Sie sich gefälligst selbst!«, fauchte er. »Ich jedoch möchte wissen, warum Sie sich erlauben, nachts in das Museum einzubrechen, und warum Sie Ihre Krallen nach den Zündern ausstrecken, obwohl man Ihnen klipp und klar gesagt hat, dass für die nächsten paar Tage …«
»Sie wollen wohl mein Verhalten kritisieren? Ha! Wer? Sikorsky! Mich! Wegen Einbruchs! Da möchte ich gern wissen, wie Sie selbst in das Museum hineingekommen sind! He? Antworten Sie!«
»Das tut nichts zur Sache, Bromberg!«
»Sie sind ein Einbrecher, Sikorsky!«, verkündete Bromberg und zeigte mit seinem langen, knochigen Finger auf Seine Exzellenz. »Bis zum Einbruch sind Sie herabgesunken!«
»Sie sind bis zum Einbruch herabgesunken, Bromberg!«, brüllte Seine Exzellenz los. »Sie! Ihnen ist vollkommen klar und unzweideutig gesagt worden: Das Museum ist gesperrt! Jeder normale Mensch hätte an Ihrer Stelle …«
»Wenn ein normaler Mensch auf einen neuerlichen Akt geheimer Machenschaften stößt, dann ist es seine Pflicht …«
»Seine Pflicht ist, ein wenig seine grauen Zellen zu bemühen, Bromberg! Seine Pflicht ist, sich klarzuwerden, dass er nicht im Mittelalter lebt. Und wenn er auf ein Geheimnis stößt, dann ist das nicht jemandes Laune und kein böser Wille …«
»Ja, keine Laune und kein böser Wille - sondern Ihre verblüffende Selbstsicherheit, Sikorsky, Ihre lachhafte und wahrlich mittelalterliche, idiotisch-fanatische Überzeugung, dass es gerade Ihnen gegeben sei zu entscheiden, was Geheimnis ist und was nicht! Sie sind ein Greis, Sikorsky, und haben noch immer nicht begriffen, dass vor allem das unmoralisch ist!«
»Ich finde es lächerlich, mit einem Mann über Moral zu sprechen, der einen Einbruch begeht, nur um seinen kindischen Wunsch nach Protest zu befriedigen! Sie sind nicht einfach ein Greis, Bromberg, Sie sind ein armseliger, alter Greis, der in die Kindheit zurückgefallen ist!«
»Wunderbar!«, sagte Bromberg und war plötzlich wieder ruhig. Er steckte die Hand in die Tasche seines weißen Anzugs, holte einen glänzenden Gegenstand hervor und legte ihn geräuschvoll vor Seiner Exzellenz auf den Tisch. »Hier ist mein Schlüssel. Wie jedem Mitarbeiter dieses Museums steht mir ein Schlüssel für den Diensteingang zu, und den habe ich benutzt, um hereinzukommen …«
»Mitten in der Nacht und entgegen dem Verbot des Direktors?« Seine Exzellenz hatte keinen Schlüssel, sondern nur einen Magnetdietrich, und ihm blieb nur der Angriff.
»Mitten in der Nacht, aber immerhin mit einem Schlüssel! Und wo ist Ihr Schlüssel, Sikorsky? Zeigen Sie mir bitte Ihren Schlüssel!«
»Ich habe keinen Schlüssel! Ich brauche auch keinen! Ich bin dienstlich hier, und nicht, weil mich der Hafer sticht, Sie alter, hysterischer Narr!«
Und da ging es los! Ich bin sicher, dass in den Wänden dieses bescheidenen Arbeitszimmers noch nie so etwas vor sich gegangen war - Ausbrüche heiseren Brüllens, vermischt mit krächzenden Schreien, Beleidigungen und Bacchanalien von Gefühlen. Absurde Argumente und noch absurdere Gegenargumente. Ja, was heißt die Wände! Im Grunde handelte es sich ja nur um die Wände einer beschaulichen akademischen Institution, fernab von den Leidenschaften des Lebens. Aber ich - ein erwachsener Mann, der geglaubt hatte, schon vieles zu kennen -, selbst ich hatte niemals und nirgends so etwas gehört, jedenfalls nicht von Seiner Exzellenz.
Das Schlachtfeld war längst im Rauch versunken und der Streitgegenstand nicht mehr auszumachen. So wurden nur noch allerlei »verantwortungslose Schwätzer«, »feudale Mantel-und-Degen-Ritter«, »gesellschaftliche Provokateure«, »kahlköpfige Geheimagenten«, »verkalkte Demagogen« und »verkappte Kerkermeister der Ideen« wie glühende Kanonenkugeln hin und her geschossen. Und die weniger exotischen »alten Esel«, »Giftmorcheln« und »Marasmatiker« hagelten drein wie Schrapnells …
Mitunter jedoch verflüchtigte sich der Rauch, und dann eröffneten sich meinem erstaunten und gebannten Blick frappierende Retrospektiven. Dabei wurde mir klar, dass das Gefecht, dessen zufälliger Zeuge ich wurde, nur einer von zahllosen, der Welt verborgen gebliebenen Kämpfen in einem lautlosen Krieg war, der schon zu einer Zeit begonnen hatte, als meine Eltern gerade aus der Schule kamen.
Ziemlich schnell war mir wieder eingefallen, wer dieser Isaac Bromberg war. Ich hatte schon früher von ihm gehört, vielleicht sogar schon, als ich noch als Anfänger in der Gruppe für Freie Suche arbeitete. Eins seiner Bücher - »Wie es wirklich war« - hatte ich gelesen: Es war die Geschichte des »Albtraums von Massachusetts«. Ich erinnerte mich, dass mir das Buch nicht gefallen hatte. Es war als Pamphlet angelegt und der Autor ereiferte sich gar zu sehr, die romantische Verklärung dieser wirklich schrecklichen Geschichte ein für alle Mal zu zerstören. Zudem widmete er der Diskussion über die politischen Prinzipien des Herangehens an gefährliche Experimente zu viel Raum; auch diese Diskussion hatte mich damals nicht im Geringsten interessiert.
In bestimmten Kreisen war Brombergs Name freilich bekannt und hochgeachtet. Man konnte ihn als »Ultralinken« der Bewegung der Jiyuisten bezeichnen; sie war noch von Lamondois gegründet worden und forderte das Recht der Wissenschaft auf schrankenlose Entwicklung.
Die Extremisten dieser Bewegung vertreten Prinzipien, die sich auf den ersten Blick völlig natürlich ausnehmen. In der Praxis jedoch erweisen sie sich als nicht umsetzbar - unabhängig davon, welcher Entwicklungsstand einer menschlichen Zivilisation gegeben ist. (Ich erinnere mich an den Schock, den ich erlitt, als ich mich mit der Geschichte der Zivilisation auf der Tagora beschäftigte. Dort sind diese Prinzipien seit der grauen Vorzeit ihrer Ersten Industriellen Revolution konsequent befolgt worden.)
Den Prinzipien zufolge wird jede wissenschaftliche Entdeckung, die sich verwirklichen lässt, unbedingt verwirklicht. Gegen dieses Prinzip ist schwer anzukommen, obwohl es eine ganze Reihe von Vorbehalten gibt. Zum Beispiel: Was macht man mit einer Entdeckung, die verwirklicht worden ist? Antwort: Man hält die Folgen unter Kontrolle. Schön. Und wenn wir nicht alle Folgen voraussehen? Was, wenn wir die einen Folgen über- und die anderen unterschätzen? Oder wenn klar ist, dass wir nicht einmal die offensichtlichsten und unangenehmsten Folgen unter Kontrolle halten können? Was, wenn dazu unvorstellbare Mengen an Energie und ein geradezu sittlich-moralischer Kraftakt nötig sind? (Das war übrigens bei der Massachusetts-Maschine der Fall: Vor den Augen der verblüfften Forscher entstand und entwickelte sich auf der Erde eine neue, nichtmenschliche Zivilisation.)
Die Forschungen einstellen!, befiehlt in solchen Fällen der Weltrat.
Auf gar keinen Fall! - skandieren dann, als Antwort, die Extremisten. Die Kontrolle verstärken? Ja. Die dafür nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen? Ja. Ein Risiko eingehen? Ja! Schließlich, »wer nicht trinkt und wer nicht raucht, stirbt gesund und unverbraucht« (aus dem Auftritt des Altvaters der Extremisten J. G. Prenson). Alles, nur keine Verbote! Sittlich-moralische Verbote sind für die Wissenschaft schlimmer als jede ethische Katastrophe, die infolge hochriskanter Entwicklungen im wissenschaftlichen Fortschritt ausgelöst wurde oder ausgelöst werden könnte. In seiner Dynamik ist es ein zweifellos beeindruckender Standpunkt, der unter jungen Wissenschaftlern vorbehaltlose Befürworter findet. Aber er ist äußerst gefährlich, wenn er von einem hervorragenden und bedeutenden Spezialisten vertreten wird, der über ein aktives, sehr begabtes Kollektiv und große Energieressourcen verfügt.
Die Extremisten der wissenschaftlichen Praxis machten im Wesentlichen die Klientel der KomKon 2 aus. Der alte Bromberg hingegen war ein theoretischer Extremist, was sicher der Grund dafür war, dass ich noch nie mit ihm in Kontakt gekommen war. Dafür hatte er Seiner Exzellenz, wie ich nun feststellte, unablässig das Leben schwergemacht.
Die KomKon 2 erteilt niemals Verbote. Dafür kennen wir uns nicht gut genug in der modernen Wissenschaft aus. Verbote erlässt der Weltrat. Unsere Aufgabe besteht darin, diese Verbote durchzusetzen und zu verhindern, dass trotzdem Informationen durchsickern. Denn gerade das Durchsickern von Informationen zeitigt in solchen Fällen die furchtbarsten Folgen.
Offensichtlich wollte oder konnte Bromberg das nicht einsehen. Der Kampf für die freie, vollkommen unbeschränkte Verbreitung von wissenschaftlichen Informationen war zu seiner fixen Idee geworden. Er hatte unglaubliches Temperament, eine unerschöpfliche Energie und unzählige Beziehungen in der Welt der Wissenschaft. Erfuhr er, dass irgendwo die Ergebnisse vielversprechender Forschungen auf Eis gelegt worden waren, tobte er und stürzte los, um zu entlarven, bloßzustellen und zu enthüllen. Daran ließ sich nichts ändern. Bromberg akzeptierte keine Kompromisse, deshalb konnte man sich nicht mit ihm einigen. Er erkannte keine Niederlagen an, deshalb war es unmöglich, ihn zu besiegen. Er war unlenkbar wie ein kosmischer Kataklysmus.
Doch offensichtlich braucht selbst die höchste und abstrakteste Idee einen ganz konkreten Angriffspunkt. Und zu diesem Angriffspunkt, zur Verkörperung der Kräfte des Bösen und der Finsternis, gegen die er focht, wurde die KomKon 2 im Allgemeinen und Seine Exzellenz im Besonderen. »KomKon 2!«, zischte er giftig, sprang auf Seine Exzellenz zu und wieder zurück. »Oh, ihr Jesuiten! Nehmt eine Abkürzung, die jeder kennt. Kommission für Kontakte mit anderen Zivilisationen! Edel, groß! Ruhmreich! - und dahinter versteckt ihr euer stinkendes Kontor! Kommission für Kontrolle, sieh einer an! Ein Komplott von Konservativen ist das - keine Kommission für Kontrolle! Eine komplette Konspiration!«
Seine Exzellenz war seiner über die letzten fünfzig Jahre unendlich überdrüssig geworden. Und zwar, wie mir schien, im wörtlichen Sinne: wie man einer Mücke oder einer aufdringlichen Fliege überdrüssig wird. Selbstverständlich konnte Bromberg unserer Sache nicht ernstlich schaden. Das stand nicht in seiner Macht. Aber dafür konnte er unablässig summen und brummen, lärmen und zirpen. Er konnte einen aus der Arbeit reißen, keine Ruhe geben und kleine, giftige Stiche austeilen. Er konnte die strikte Beachtung aller Formalitäten fordern und gleichzeitig die öffentliche Meinung gegen die Zunahme der Formalitäten mobilisieren. Mit einem Wort - er konnte einen in den Wahnsinn treiben. Mich würde nicht wundern, wenn sich herausstellte, dass Seine Exzellenz sich vor zwanzig Jahren in die blutigen Wirren auf dem Saraksch gestürzt hatte, nur um sich ein wenig von Bromberg zu erholen. Es tat mir für ihn auch deswegen leid, weil er ein prinzipientreuer und im höchsten Maße gerechter Mensch war und durchaus verstand, dass Brombergs Tun, abgesehen von seiner Form, eine positive soziale Funktion erfüllte: Es war eine Art gesellschaftliche Kontrolle - eine Kontrolle über der Kontrolle.
Was nun aber den verbohrten alten Bromberg anging, so war er bar jedes Gerechtigkeitssinns. Unsere Arbeit lehnte er grundsätzlich und unbesehen ab, hielt sie für schädlich, hasste sie aufrichtig und abgrundtief. Dabei waren die Formen, die dieser Hass annahm, derart dreist und Brombergs Manieren so unerträglich, dass Seine Exzellenz trotz all seiner Zurückhaltung und Selbstbeherrschung völlig das Gesicht verlor und sich in einen zänkischen, dummen und boshaften Schreihals verwandelte - und das anscheinend jedes Mal, wenn er Auge in Auge mit Bromberg zusammentraf. »Sie sind ein ignoranter Hirnfatzke!«, krächzte er mit überdrehter Stimme. »Sie schmarotzen sogar von den Irrtümern der Großen! Selbst sind Sie ja nicht imstande, auch nur einen Knopf zu erfinden, wollen aber über die Zukunft der Wissenschaft urteilen! Sie bringen die Sache, die Sie um jeden Preis verteidigen wollen, nur in Misskredit, ergötzen sich an billigen Anekdoten …«
Man sah, dass die zwei Alten ziemlich lange nicht aufeinandergestoßen waren und die aufgestaute Menge Gift und Galle jetzt mit umso größerer Wut übereinander ausgossen. Der Anblick war sehr lehrreich, obwohl er in krassem Gegensatz stand zu der bekannten These, der Mensch sei von Natur aus gut und schon allein das Wort »Mensch« klinge und mache stolz. Sie ähnelten nicht Menschen, sondern zwei alten, zerfledderten Kampfhähnen. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass Seine Exzellenz ein alter Mann war, ja, ein Greis.
Das Schauspiel war sehr unschön, lieferte mir aber eine Unmenge wertvollster Informationen. Manche Anspielung verstand ich nicht - wenn etwa von längst abgeschlossenen und vergessenen Fällen die Rede war. Einige der erwähnten Geschichten aber waren mir gut bekannt. Etliches hörte und begriff ich zum ersten Mal.
Beispielsweise erfuhr ich, was es mit der Operation »Spiegel« auf sich hatte: So bezeichnete man die globalen, streng geheimen Manöver, die man vor vierzig Jahren zur Abwehr einer möglichen Aggression von außen (vermutlich einer Invasion der Wanderer) abgehalten hatte. Von dieser Operation wusste buchstäblich nur eine Handvoll Leute. Die Millionen Menschen dagegen, die an den Manövern beteiligt gewesen waren, hatten davon nicht die leiseste Ahnung gehabt. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen waren, wie das bei Operationen globalen Ausmaßes fast immer der Fall ist, einige Menschen ums Leben gekommen. Einer der Leiter der Operation »Spiegel« und verantwortlich für ihre Geheimhaltung war damals Seine Exzellenz.
Ich erfuhr, wie der Fall »Missgeburt« entstanden war. Bekanntlich hatte Jonathan Pereira seine Arbeit auf dem Gebiet der theoretischen Eugenik aus eigenem Entschluss eingestellt.
Der Weltrat legte daraufhin das gesamte Forschungsgebiet still und folgte dabei im Wesentlichen und vor allem der Empfehlung Pereiras. Wie sich nun herausstellte, hatte Bromberg davon Wind bekommen und sofort begeistert Einzelheiten von Pereiras Theorie herumerzählt - mit dem Resultat, dass fünf äußerst begabte Heißsporne aus dem Schweitzer-Laboratorium in Bamako ihr Experiment mit einer neuen Variante des Homo superior in Angriff nahmen und um ein Haar zu Ende geführt hätten.
Die Geschichte mit den Androiden war mir in groben Zügen schon vorher bekannt, vor allem weil sie als klassisches Beispiel eines unlösbaren ethischen Problems immer wieder angeführt wird. Es war jedoch interessant zu erfahren, dass die Androidenfrage für Dr. Bromberg mitnichten abgeschlossen war. Das Problem »Subjekt oder Objekt?« existiert für ihn im gegebenen Fall nicht. Das Persönlichkeitsgeheimnis der Gelehrten, die sich mit den Androiden befasst haben, ist ihm vollkommen gleichgültig, und das Recht der Androiden auf ein Persönlichkeitsgeheimnis hält er für Nonsens und Katachrese. Alle Details dieser Forschungen müssten, Bromberg zufolge, der Nachwelt zur Lehre veröffentlicht und die Arbeiten mit den Androiden fortgeführt werden … Und so weiter und so fort.
Unter den Geschichten, von denen ich nie zuvor gehört hatte, verfolgte ich eine besonders aufmerksam. Es ging um einen Gegenstand, den sie mal Sarkophag, mal Brutkasten nannten. Mit diesem Gegenstand brachten sie in ihrem Streit die »Zünder« in Zusammenhang - offensichtlich jene, um derentwillen Bromberg hier aufgetaucht war und die jetzt vor mir auf dem Tisch lagen, bedeckt mit dem geblümten Halstuch. Die Zünder wurden nur beiläufig, wenn auch mehrmals erwähnt; hauptsächlich aber ging es in dem Wortgefecht um den »dichten Nebel widerlicher Geheimhaltung«, mit dem Seine Exzellenz den Sarkophag-Brutkasten umgeben hatte. Ebendiese Geheimhaltung war schuld daran, dass Doktor Soundso, der in der Anthropometrie und Physiologie der Cro-Magnon-Menschen einzigartige Resultate erzielt hatte, diese unter Verschluss halten musste; dadurch aber wurde die Entwicklung der Paläanthropologie verzögert. Wieder ein anderer Doktor Soundso, der herausbekommen hatte, wie der Sarkophag-Brutkasten funktionierte, befand sich nun in der verfänglichen und peinlichen Lage, dass die wissenschaftliche Öffentlichkeit ihm die Erfindung dieses Prinzips zuschrieb; er gab die Wissenschaft daraufhin völlig auf und pinselt jetzt mittelmäßige Landschaften …
Ich horchte auf. Die Zünder standen also im Zusammenhang mit dem geheimnisvollen Sarkophag. Wegen der Zünder war Bromberg hier aufgekreuzt. Die Zünder hatte Seine Exzellenz als Köder für Abalkin ausgelegt. Ich hörte jetzt mit doppelter Aufmerksamkeit zu, in der Hoffnung, dass die Alten im Eifer des Gefechts noch etwas ausplaudern würden und ich endlich über Lew Abalkin erführe, was für mich von Bedeutung war. Aber ich hörte dies Bedeutsame erst, als sie sich wieder beruhigt hatten.
Gesammelte Werke 1
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