Der Panzer fuhr jetzt durch dichte schwarze Rauchschwaden. Links brannte ein Soldat. Gleich darauf musste Maxim scharf ausweichen, um nicht über einen von Ketten schon fast zerquetschten Toten zu fahren. Ein schiefer Grenzpfahl tauchte aus dem Qualm auf und verschwand wieder, dann folgten niedergerissene, zerfetzte Drahtsperren. Aus einem fast unsichtbaren Graben reckte sich kurz ein Mann in einem seltsamen weißen Helm, schüttelte wütend seine erhobenen Fäuste und verschwand wieder, als hätte ihn die Erde verschluckt. Der Schleier vor ihnen lichtete sich nun ein wenig, und Maxim sah die runden braunen Hügel schon ganz nahe - und davor das schlammverschmierte Heck eines Panzers, der sich schräg zur allgemeinen Bewegungsrichtung vorwärtsschleppte, und einen weiteren Panzer, der brannte. Maxim lenkte nach links und steuerte auf eine strauchbewachsene Mulde zwischen zwei höheren Hügeln zu. Doch ehe er sie erreichte, sprühte ihm Feuer entgegen und der ganze Panzer schepperte und vibrierte unter einem furchtbaren Schlag. Maxim war so verwirrt, dass er Vollgas gab; die Büsche und die fahlweiße Rauchwolke darüber schnellten ihm entgegen. Jetzt tauchten weiß schimmernde Helme vor ihm auf, hassverzerrte Gesichter und erhobene Fäuste. Und plötzlich hörte er, wie unter den Ketten Eisen krachte und zerbrach. Maxim biss die Zähne zusammen, wendete scharf nach rechts, nur fort von dieser Stelle. Er umfuhr einen Hügel über die Flanke, wobei sie Schlagseite bekamen und fast umgekippt wären; dann erreichte er endlich eine schmale, mit jungen Bäumchen bewachsene Senke. Hier hielt er an. Er klappte die vordere Luke auf, lehnte sich bis zum Gürtel hinaus und sah sich um. Der Ort schien geeignet: Von allen Seiten war der Panzer von hohen braunen Hängen umgeben. Maxim würgte das Triebwerk ab - und hörte, wie Gai in heiserem Falsett eine selbst erdachte Ode zu Ehren des mächtigen, über alles geliebten Mak kreischte, plump gereimt und voller Ergebenheit - ein Hund hätte dieses Lied dichten können, wäre er der menschlichen Sprache mächtig.
»Sei still!«, befahl Maxim. »Hol diese Leute raus und lege sie neben den Panzer … Halt, ich bin noch nicht fertig. Sei vorsichtig, es sind meine geliebten Freunde, unsere geliebten Freunde.«
»Und wohin willst du?«, fragte Gai entsetzt.
»Ich bleibe hier, in der Nähe.«
»Geh nicht fort«, jammerte Gai. »Oder erlaube, dass ich mitkomme.«
»Du gehorchst mir nicht«, sagte Maxim streng. »Tu, was ich verlangt habe. Vorsichtig. Denk dran, es sind unsere Freunde.«
Gai klagte laut, doch Maxim hörte schon nicht mehr hin. Er kletterte hinaus und lief auf einen der Hügel zu. Nach wie vor drängten die Panzer nach vorn, angestrengt heulten ihre Triebwerke, rasselten die Ketten, donnerten hin und wieder die Kanonen. Hoch am Himmel pfiff eine Granate vorbei. Gebückt lief Maxim den Hügel hinauf, kauerte dort zwischen den Sträuchern nieder und gratulierte sich noch einmal zu der gelungenen Wahl dieses Standorts.
Unten, nur einen Steinwurf von ihm entfernt, lag zwischen zwei Hügeln eine breite Passage, durch die sich eine lange Kolonne von Panzern schob; sie kamen aus der rauchbedeckten Ebene, bogen in die Passage ein und fuhren, dicht gedrängt und Kette an Kette, hintereinander her. Die Panzer waren flach, fast wie plattgedrückt, und wuchtig, hatten mächtige niedrige Türme und lange Kanonen. Das war keine Strafbrigade mehr, das war die reguläre Armee. Verblüfft, fast wie betäubt, beobachtete Maxim dieses Schauspiel; es kam ihm schaurig und unwirklich vor - wie ein Historienfilm. Die Luft schwang und zitterte vom Krachen und Heulen, der Hügel bebte unter seinen Füßen wie ein erschrecktes Tier, und doch schien es ihm, als bewegten sich die Panzer in einem düstren und drohenden Schweigen. Er wusste, dass dort, unter den Panzerplatten, verrückt gewordene Soldaten vor Begeisterung grölten, doch da alle Luken fest verschlossen waren, wirkten die Fahrzeuge wie hermetische Barren unbeseelten Metalls. Nachdem die letzten Fahrzeuge verschwunden waren, drehte sich Maxim um und blickte zurück zu seinem eigenen Panzer, der sich zwischen den Bäumen zur Seite geneigt hatte. Er wirkte wie ein ärmliches Blechspielzeug, wie eine hinfällige Parodie auf das echte Kriegsgerät, das er gerade beobachtet hatte. Ja, dort unten zog eine Macht vorbei, um auf eine andere, noch schrecklichere Macht zu treffen. Bei dem Gedanken an diese andere Macht sprang Maxim auf und hastete hinunter in das kleine Wäldchen.
Als er um den Panzer gebogen war, blieb er stehen.
Da lagen sie nebeneinander: Fank, der mit seinem bläulichweißen Gesicht einem Toten ähnelte; Sef, vor Schmerz gekrümmt und stöhnend, die schmutzig-fahlen Finger in den roten Schopf gekrallt, und der heiter lächelnde Haken mit den leblosen Augen einer Puppe. Der Befehl war präzise ausgeführt worden. Doch dort, etwas weiter entfernt, lag auch Gai auf dem Boden - zerschunden und blutbesudelt, das gekränkte, starre Gesicht vom Himmel abgekehrt und die Arme ausgebreitet. Um ihn herum war das Gras zerdrückt und niedergetreten, ein weißer Helm darauf plattgequetscht und mit dunklen Flecken übersät, und aus den zerknickten Sträuchern ragten Füße in Stiefeln.
»Massaraksch …«, murmelte Maxim, schaudernd bei dem Gedanken, dass hier vor wenigen Minuten zwei knurrende, heulende Hunde auf Leben und Tod aneinandergeraten waren, jeder zum Ruhme seines Herrn …
Und in dem Moment antwortete die andere Macht mit einem Gegenschlag.
Er traf Maxim in die Augen. Er schrie auf vor Schmerz, kniff mit aller Kraft die Lider zusammen - und stürzte auf Gai, von dem er wusste, dass er nicht mehr lebte, und den er dennoch mit seinem Körper zu schützen versuchte. Es war ein Reflex; er hatte nichts gedacht, nichts empfunden, nur den Schmerz gespürt und das eigene Fallen. Und dann schaltete sich sein Gehirn aus.
Als er wieder zu sich kam, war er schweißüberströmt, seine Kehle trocken, und sein Kopf dröhnte, als hätte man einen Knüppel darauf zerschlagen. Vermutlich hatte alles nur kurze Zeit gedauert, wenige Sekunden, aber ringsum hatte sich alles verändert. Die Welt war flammend rot, zugeschüttet mit Blättern und abgerissenen Zweigen, erfüllt von glühender Luft. Vom feurigen Himmel regnete es mit der Wurzel ausgerissene Sträucher, brennende Zweige und trockene, heiße Erdklumpen. Es herrschte eine unnatürliche, klingende Stille. Lebende und Tote waren nach allen Seiten verstreut. Gai lag, unter Blättern begraben, das Gesicht nach unten, in zehn Schritt Entfernung. Neben ihm saß Sef, eine Hand noch immer am Kopf, die andere vor den Augen. Fank war den Hang hinabgerollt, in einer Furche steckengeblieben und wälzte sich darin herum, rieb sein Gesicht an der Erde. Auch der Panzer war hinuntergedrückt und umgedreht worden. Und rücklings an die Kette gelehnt, lächelte immer noch heiter der tote Haken …
Maxim sprang auf, befreite sich von den vielen Zweigen, die auf ihm lagen, und rannte zu Gai. Er packte ihn, riss ihn an sich, blickte ihm in die glasigen Pupillen, schmiegte seine Wange an die seine und verfluchte dreimal diese Welt, in der er so einsam war, so hilflos, und wo die Toten für immer starben, weil es nichts gab und man keine Möglichkeit hatte, sie wieder zum Leben zu erwecken. Er weinte wohl auch, trommelte mit seinen Fäusten auf die Erde, trat auf dem weißen Helm herum - bis Sef einen langgezogenen Schmerzensschrei von sich gab, und er wieder zu sich kam. Ohne sich umzusehen und nichts fühlend außer Hass und Mordlust, schleppte er sich wieder den Hang hinauf zu seinem Beobachtungsstand.
Auch hier hatte sich alles verändert. Die Sträucher waren verschwunden, der Lehm gesintert - er qualmte und knackte, und der Nordhang des Hügels brannte. Noch weiter im Norden verschmolz der tiefrote Himmel mit einer dichten Wand aus schwarzbraunem Rauch, und über dieser Wand stiegen grell orangefarbene, ölig-fettige Wolken auf, die sichtlich anschwollen. Tausende und Abertausende von Tonnen glühender Asche - bis in ihre Atome hinein verbrannte, eingeäscherte Lebenshoffnungen - strebten zu der vom Schlag geborstenen Himmelsfeste hinauf. Und in diese höllische, von unglückseligen Dummköpfen für unglückselige Dummköpfe bereitete Feuerstätte zog von Süden, wie in ein Ofenloch, ein leichter feuchter Wind.
Maxim blickte hinab zu der Passage zwischen den Hügeln. Sie war leer. Der kettenzerwühlte, vom Atomschlag verbrannte Lehm schwelte noch, und Tausende von Flämmchen - glühende Blätter und abgerissene, brennende Äste - tanzten darauf. Die Ebene im Süden wirkte jetzt weit und öde. Sie war nicht mehr geschwärzt von den Abgasen, sondern rot unter dem roten Himmel und gesprenkelt von reglosen schwarzen Schächtelchen - den Panzern der Strafbrigade. Und auf dieser Ebene näherte sich nun eine dünne, durchbrochene Linie von seltsamen Fahrzeugen.
Sie ähnelten Panzern, trugen aber anstelle von Geschütztürmen hohe Gitterkegel mit rundlichen, matt schimmernden Gebilden an der Spitze. Sie bewegten sich schnell vorwärts und federten weich über die Unebenheiten. Sie waren weder schwarz wie die Panzer der Strafsoldaten noch graugrün wie die Armeepanzer, sondern gelb - leuchtend, fröhlich gelb, wie die Streifenwagen der Garde. Die rechte Flanke der Kolonne war schon hinter den Hügeln verschwunden, so dass Maxim insgesamt nur acht Emitter zählte. Die Fahrzeuge machten einen dreisten, unverschämten Eindruck: als fühlten sie sich als die Herren der Lage. Sie fuhren zwar in den Kampf, hielten aber weder Tarnung noch Deckung für notwendig. Stattdessen stellten sie die grelle Farbe, den hässlichen, fünf Meter hohen Buckel und das Fehlen jeglicher Kriegsausrüstung demonstrativ zur Schau. Wer ein solches Fahrzeug steuerte, wähnte sich in vollkommener Sicherheit. Aber darüber dachten sie gewiss nicht nach, sondern jagten einfach vorwärts. Mit ihren Strahlenpeitschen trieben sie die eiserne Herde vor sich her, die jetzt durch ein Inferno rollte, und vermutlich wussten sie nicht einmal von den Strahlen, wie sie auch nichts davon wussten, dass diese auch sie selbst trafen … Maxim bemerkte, dass der äußere linke Emitter in die Passage einschwenkte, und schritt ihm entgegen, den Hügel hinab.
Er ging hoch aufgerichtet. Ihm war klar, dass er die schwarzen Treiber würde gewaltsam aus ihren Eisenkisten reißen müssen, und er wollte es tun. Nie im Leben hatte er etwas so gewollt, wie nun diese Verbrecher in die Finger zu bekommen. Als er unten angelangt war, rollte das gelbe Fahrzeug direkt auf ihn zu und fixierte ihn aus den Periskopen. Der Gitterkegel schaukelte heftig, aber nicht im selben Rhythmus wie der Unterbau. Jetzt erkannte Maxim, dass sich auf der Spitze des Emitters eine silbrige Kugel wiegte, dicht gespickt mit langen blanken Nadeln.
Sie dachten gar nicht daran zu halten. Maxim machte ihnen den Weg frei und ließ sie vorbeifahren. Dann lief er ein paar Meter nebenher und sprang auf die Panzerung.
Gesammelte Werke 1
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