Kapitel 84
Von: Beth Fremont
An: Jennifer Scribner-Snyder
Gesendet: Mo., 20. 03. 2000, 12:22 Uhr
Betreff: Weißt du noch, wie ich dir erzählt habe, es wäre zu früh für Verabredungen?
Da lag ich wohl falsch. Ich hab ein Date.
Von Jennifer an Beth: Mit deinem süßen Typen?
Von Beth an Jennifer: Mit einem süßen Typen, aber nicht mit Meinem süßen Typen. Erinnerst du dich noch daran, dass ich letztes Jahr diesen Artikel über das Indian-Hills-Kino geschrieben habe und dass ich dem süßen Pharmaziestudenten erzählt habe, ich wäre verlobt?
Na ja, dem bin ich gestern Abend bei der großen Abschiedsparty über den Weg gelaufen.
Er kam auf mich zu und hat mir verraten, dass er immer meine Kritiken liest, seit ich ihn interviewt habe, und dass er über meine Titanic-Rezension laut lachen musste. Und dann haben wir beide darüber gelacht, wie witzig ich bin, und er hat mich gefragt, ob es wohl einen Interessenkonflikt darstellt, wenn er mich auf einen Drink einlädt.
Da ich darin tatsächlich einen Interessenkonflikt gesehen habe, hab ich ihn stattdessen eingeladen. Und dann saßen wir im Kino nebeneinander, in der allerletzten Vorstellung im Indian Hills, Das war der wilde Westen, einer der letzten Filme, die je in Cinerama gedreht worden waren.
Das war der wilde Westen dauert 162 Minuten, also fast drei Stunden, und außerdem gab es zwischendurch noch eine Pause. Ich hab mir so viele Filme allein angesehen und hatte völlig vergessen, wie das ist, mit einem Typen im Kino zu sitzen, der alle paar Minuten zu dir rüberguckt, jedes Mal, wenn du zu ihm rüberschaust. Ich hatte ganz vergessen, wie sich die Schultern berühren, man sich rüberbeugt und flüstert.
Sean – ja, wirklich, er hat tatsächlich einen Namen, einen richtigen Namen, er wird jetzt nicht als »Der süße Demonstrant« oder »Der kleine rothaarige Pharmaziestudent« in die Annalen eingehen – und ich sind in der Pause sitzen geblieben und haben uns darüber unterhalten, dass uns Henry Fonda besser gefällt als John Wayne und dass Karl Madden sowieso der Beste von allen ist.
Und als der Film vorbei war, sind wir noch den ganzen Abspann lang sitzen geblieben und haben danach in der Lobby rumgelungert. Und schließlich meinte er: »Ich nehme mal an, du bist immer noch verlobt, oder?«
»Um ehrlich zu sein«, erklärte ich, »bin ich das nicht.«
Er hat eine süße, überraschte Miene aufgesetzt, als ob ihn meine Antwort völlig aus dem Konzept gebracht hätte. »Oh … dann würde ich wohl mal sagen, tut mir leid?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das muss es nicht.«
Und dann sagte er, er hätte eigentlich erwartet, dass er an diesem Abend die ganze Zeit traurig und niedergeschlagen sein würde, aber stattdessen hätte er das Gefühl, das »beste Date seines Lebens« hinter sich zu haben.
Und dann hat er mich gefragt, ob wir uns vielleicht wiedersehen könnten.
Von Jennifer an Beth: Und was hast du gesagt?
Von Beth an Jennifer: Ich hab ja gesagt!
Aber ich hab ihm klargemacht, dass wir uns nicht offiziell verabreden können, bis ich nicht meine Berichterstattung über das Indian Hills abgeschlossen hätte. Er hat mir versichert, es würde keine weiteren Klagen oder Proteste oder Berufungen bei der Planungsbehörde geben. »Auf einmal bin ich wirklich froh festzustellen, dass uns keine Alternativen mehr bleiben«, erklärte er. »Die Anstrengungen, das Kino zu erhalten, sind ein für alle Mal vorbei.«
Und ich habe ihm erklärt, in meiner letzten Story würde es um den Abriss gehen.
»Ich werde da sein«, versprach er.
»Ich auch.«
»Dann«, sagte er lachend und machte seine folgenden Worte damit zu etwas Lustigem und Nettem statt zu etwas Kitschigem und Blödem, »haben wir ein Date.«
Also – habe ich wohl ein Date!
Von Jennifer an Beth: Herzlichen Glückwunsch! Und du freust dich darüber, oder?
Von Beth an Jennifer: Und ob. Ich weiß, dass es zu früh ist. Aber bisher mag ich diesen Typen wirklich, und er mag mich wirklich. (Wirklich so richtig – das hab ich gemerkt.) Und wenn ich Nein sage, wer weiß schon, wann der nächste nette Typ, der mich mag, um die Ecke kommt? Vielleicht ja nie.
Und außerdem war er zwar nett und süß und ich hab mich wirklich total amüsiert, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass er mich mit einem Voodoo-Liebeszauber belegt (wie z. B. Chris).
Vielleicht ist er ja sogar der Anti-Chris. Ein Pharmaziestudent? Jemand, der sich für seine Gemeinschaft einsetzt? Ein Typ, der einen marineblauen Anzug besitzt? Und er ist mindestens 15 Zentimeter kleiner.
Von Jennifer an Beth: Na ja, ich hab dir ja geraten, die süßen Typen zu nutzen. Ich denke mal, du hast meine Billigung. Wann reißen die denn das Kino ab?
Von Beth an Jennifer: Am Samstag. Diese Pflegeschüler müssen ja auch irgendwo parken.
Von Jennifer an Beth: Also hast du genau genommen ja doch eine Verabredung mit ihm, bevor du deine letzte Indian-Hills-Story schreibst. Du solltest ihn besser nicht zitieren, das wäre moralisch nicht vertretbar.
Von Beth an Jennifer: Stell dir das Zitat mal vor:
»Küsst du eigentlich schon bei der ersten Verabredung?«, fragte einer der Demonstranten.
»Sind Smacks für Kinder?«, antwortete die Reporterin.