Kapitel 22

Am Freitagmorgen holte sich Lincoln ein Vorlesungsverzeichnis fürs Frühjahrssemester am lokalen College. Da gab es einen Anthropologieprofessor, der sich auf Afghanistan-Studien spezialisiert hatte. Vielleicht sollte er ein paar Kurse belegen? Tagsüber hatte er schließlich jede Menge Zeit, und er würde auf jeden Fall bei der Arbeit lernen können. Er würde sogar gerne bei der Arbeit lernen.

»Was ist denn das?«, fragte seine Mutter, als sie das Verzeichnis entdeckt hatte.

»Das ist etwas, was ich eigentlich in meinen Rucksack gesteckt hatte.« Er nahm ihr die Broschüre aus der Hand. »Jetzt mal im Ernst, Mom, schnüffelst du etwa in meinen Sachen herum? Öffnest du auch meine Post, über Wasserdampf?«

»Du kriegst ja gar keine Post.« Sie verschränkte die Arme. Man konnte ihr nie böse sein – sie kam einem immer zuvor. »Ich hab nur geguckt, ob du noch schmutziges Geschirr in der Tasche hast«, erklärte sie. »Heißt das, dass du wieder zur Uni gehen wirst?«

»Nicht sofort.« Das Herbstsemester hatte bereits angefangen.

»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, Lincoln.«

»Okay.«

»Ich denke, dass du vielleicht ein Problem hast. Mit dem Lernen.«

»Ich hatte noch nie ein Problem mit dem Lernen«, entgegnete er, aber ihm war schon klar, dass das wenig überzeugend klang.

»Du weißt genau, was ich meine«, versetzte sie und fuchtelte mit dem schmutzigen Löffel vor ihm herum. »Ein Problem. Wie diese Frauen, die von Schönheitsoperationen abhängig sind. Sie machen es wieder und wieder und versuchen, immer noch besser auszusehen, bis es plötzlich nicht mehr besser wird. Sie können nämlich nicht noch besser aussehen, weil sie ja nicht einmal mehr wie sie selbst aussehen. Und ich glaube, dann geht es ihnen nur noch darum, anders auszusehen. In einer Zeitschrift war da mal diese Frau, die sah aus wie eine Katze. Ich meine, wie ein Raubkatze, eine riesige Katze. Hast du die mal gesehen? Die hat jede Menge Geld. Sie kommt aus Österreich, glaube ich.«

»Nein«, antwortete er.

»Na ja, sie sieht extrem unglücklich aus.«

»Okay«, sagte er leise und packte die Broschüre wieder in seinen Rucksack.

»Okay?«

»Du willst nicht, dass ich wieder studiere oder dass ich mich einer Schönheitsoperation unterziehe, die mich wie eine Katze aussehen lässt. Hab’s verstanden. Ist notiert.«

»Und du willst nicht, dass ich an deinen Rucksacke gehe …«

»Das stört mich wirklich.«

»Gut«, verkündete sie, während sie zurück in die Küche ging. »Ist notiert.«

Beim Courier hatte man angefangen, wöchentliche Millennium-Vorbereitungstreffen abzuhalten. Die Vorgesetzten aller Abteilungen, inklusive Greg, mussten daran teilnehmen und hatten jedes Mal einen positiven Bericht abzuliefern. Greg kam von diesen Treffen meistens mit rotem Kopf und erhöhtem Blutdruck zurück.

»Ich weiß nicht, was die von mir wollen, Lincoln. Ich kann doch auch nicht hexen. Der Herausgeber findet, ich hätte das mit dieser Millennium-Sache vorhersehen müssen. Letzte Woche hat er mich runtergeputzt, weil ich all unsere alten Schreibmaschinen nach El Salvador geschickt habe. Dabei hab ich dafür vom Vorstand eine Auszeichnung bekommen. Die hängt noch in meiner Hütte … Und ich glaube, ich habe sie gerade dazu überredet, Backup-Generatoren anzuschaffen.«

Lincoln versuchte, Greg noch einmal klarzumachen, dass an Silvester seiner Meinung nach überhaupt nichts Schlimmes passieren würde. Selbst wenn bei der Codierung etwas schiefgehen würde, erklärte er, was wahrscheinlich aber gar nicht der Fall war, dann würden die Computer trotzdem nicht nervös werden und sich selbst vernichten. »Logan’s Run war nur ein Film«, versicherte er.

»Und warum fühle ich mich dann zu alt für diesen Mist?«, fragte Greg.

Lincoln musste lachen. Wenn er tagsüber arbeitete, mit Greg zusammen, dann dachte er nicht so oft darüber nach, den Job aufzugeben.

Liebe auf den zweiten Klick
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