Kapitel 59
Von: Beth Fremont
An: Jennifer Scribner-Snyder
Gesendet: Frei., 31. 12. 1999, 16:05 Uhr
Betreff: Neugähnjahr
Das ist mein Beitrag zum Schlagzeilen-Contest für die morgige Titelseite, was meinst du?
Von Jennifer an Beth: Verd@mmter Mist. Die ist viel besser als meine – Bla-llennium.
Von Beth an Jennifer: Machst du Witze? »Bla-llennium« ist fantastisch. Dereks Vorschlag war »Neues Jahr? Alter Hut«, das ist doch schlimmer als überhaupt keine Schlagzeile.
Ist es falsch von mir zuzugeben, dass ich ein bisschen enttäuscht bin, weil bis jetzt noch nichts Schlimmes passiert ist?
Von Jennifer an Beth: Nein, ich weiß! Eine echte Enttäuschung. Die Länder, die alle vor uns dran sind, machen die ganze Spannung zunichte.
Von Beth an Jennifer: CNN sollte den Lauftext mit »Achtung, Spoiler!« beginnen lassen.
Von Jennifer an Beth: Das ist sogar noch langweiliger als ein normales Silvester. Ich werde nicht mal aufbleiben.
Von Beth an Jennifer: Ich schon, ich muss arbeiten. Die Millennium-Sonderschichten sind nämlich nicht gecancelt worden. Allerdings werde ich den Großteil des Abends sowieso im Pausenraum verbringen.
Von Jennifer an Beth: Der Pausenraum – das hat nicht zufällig irgendwas mit deinem süßen Typen zu tun, oder?
Von Beth an Jennifer: Hm … hm hm.
Erinnerst du dich noch daran, dass ich gesagt habe, wenn ich je wieder MsT über den Weg laufe, würde ich nicht mit ihm reden? Weil mich das sonst zu einem Flittchen macht oder irgend so einen Unsinn?
Von Jennifer an Beth: Nur allzu lebhaft.
Von Beth an Jennifer: Ja … das war Quatsch. Wenn ich ihm je wieder über den Weg laufe, würde ich auf jeden Fall mit ihm reden. Ich würde sogar dastehen, mein bestes Komm-doch-mal-her-Lächeln zur Schau tragen und hoffen, er bemerkt nicht, dass ich den Bauch einziehe.
Von Jennifer an Beth: Flittchen. Bist du ihm etwa wieder gefolgt?
Von Beth an Jennifer: Nur in den Pausenraum.
Ich hab gesehen, wie er aus einem Büro im ersten Stock kam, dem mit dem zweiten Kartenlesegerät. Also gehört er wahrscheinlich doch zu den Sicherheitsleuten. Was auch erklären würde, warum er nachts arbeitet. Und warum ich ihn in verschiedenen Abteilungen gesehen habe. Und warum er so riesig ist. (Also, das erklärt natürlich nicht wirklich, warum er so ein kräftiger Kerl ist, aber die Tatsache, dass er so riesig ist, erklärt, warum er bei der Security arbeitet. Ich fühle mich ja schon sicherer, wenn ich mich im selben Raum befinde wie er.) Ich frage mich allerdings, warum er keine Uniform trägt, wie die Aufpasser am Eingang. Meinst du, er ist vielleicht ein Wachmann in Zivil? Ein Detektiv? Ein Spion? So wie Serpico?
Von Jennifer an Beth: War Serpico nicht ein Drogendealer?
Von Beth an Jennifer: Ich glaube, den verwechselst du mit Scarface.
Egal. Ich bin ihm also bis zum Pausenraum gefolgt und dann ein Dutzend Mal den Flur rauf- und runtergelaufen, um zu entscheiden, ob ich da jetzt reingehen soll oder nicht und was ich machen soll, wenn ich erst mal drin bin. Und dann hab ich einfach beschlossen, alle Bedenken in den Wind zu schlagen.
Von Jennifer an Beth: Alle Bedenken und deine Treue, du Flittchen.
Von Beth an Jennifer: Ich schlendere so locker rein, nach dem Motto »Beachtet mich gar nicht, ich bin nur wegen der Automaten hier«, und da sitzt er mit Doris. Sie haben beide Schokoladenkuchen gegessen. Und ich so: »Hi, Doris.« Ich hab sie beide angelächelt, mit beiden Blickkontakt gehabt, beide mit einem Komm-her-Blick bedacht, ein Päckchen Räucherfleisch gekauft und bin gegangen.
Von Jennifer an Beth: Räucherfleisch.
Von Beth an Jennifer: Zu dem Zeitpunkt hab ich einfach nur auf den erstbesten Knopf gedrückt. Und, wie schon gesagt, den Bauch eingezogen.
Von Jennifer an Beth: War es wie ein Feuerwerk, als ihr euch in die Augen gesehen habt?
Von Beth an Jennifer: Auf meiner Seite? Ganz klar. Römisches Licht. Bei ihm? Na ja, er hat mich freundlich angeschaut, als wollte er sagen, Freunde von Doris sind auch meine Freunde.
Von Jennifer an Beth: Sie haben beide Schokoladenkuchen gegessen? Haben sie sich eine Gabel geteilt?
Von Beth an Jennifer: Jetzt sei doch nicht albern.
Von Jennifer an Beth: Oh, jetzt bin ich albern. Ich dachte, du wolltest die Süße-Typen-Jagd aufgeben, weil dir klar geworden ist, dass es ziemlich peinlich werden könnte, wenn er es tatsächlich mal bemerkt und versucht, mit dir zu reden.
Von Beth an Jennifer: Ich kann ihn nicht aufgeben. Worauf soll ich mich denn dann noch freuen?
Von Jennifer an Beth: Ich weigere mich, noch länger darüber zu reden. Damit ermuntere ich dich ja nur noch.
Mitch hat mich angerufen, um mir seinen Triumph ein wenig unter die Nase zu reiben. Ich hab gestern Abend versucht, ihn zu überreden, dass er mit mir zum Großmarkt kommt. Ich wollte mich bei Sam’s Club mit Sachen für unser Millennium-Lager eindecken, aber er hat sich geweigert. Er meinte, lieber Armageddon als Sam’s Club.
Hast du dir irgendwelche Vorräte angelegt?
Von Beth an Jennifer: Gott, nein. Wenn um Mitternacht die Zivilisation zusammenbricht, dann will ich nun wirklich nicht in meiner Wohnung festsitzen und mich von ein paar Flaschen Wasser und Bohnen aus der Dose ernähren.