Kapitel 52
Von: Beth Fremont
An: Jennifer Scribner-Snyder
Gesendet: Mo., 20. 12. 1999, 13:45 Uhr
Betreff: Mein süßer Typ hat ein Kind
Kannst du das fassen? Ein Kind! Und vermutlich auch noch eine Frau. Wie konnte er mir das bloß antun?
Von Jennifer an Beth: ???
Von Beth an Jennifer: Genau das hab ich auch gedacht.
Von Jennifer an Beth: Was ich meinte, war: Versorg mich doch bitte auch mit den Informationen, über die du verfügst und ich nicht – und die dich wie eine Verrückte klingen lassen.
Von Beth an Jennifer: Ich hab ihn (sie) gestern beim Cinema Center gesehen. Ich hatte vor, mir noch mal Fight Club anzuschauen, und als ich mir gerade die Karte kaufen wollte, hab ich Meinen süßen Typen in der Popcornschlange entdeckt. Also – und verurteile mich deshalb jetzt bitte nicht – hab ich mich hinter ihm (ihnen) eingereiht, mich direkt hinter ihn gestellt und dreieinhalb Minuten seine Gegenwart in mich aufgesogen.
Von Jennifer an Beth: Ich bin immer noch verwirrt. Hast du ihn mit Frau und Kind gesehen? Und dann hast du seine Gegenwart in dich aufgesogen? Und wie macht man das überhaupt?
Von Beth an Jennifer:
1. Nur mit seinem Kind. Ein etwa 5- bis 10-jähriger Junge.
2. Und »seine Gegenwart in mich aufsaugen« geht so:
Dastehen. Ihn vergöttern. Einatmen. Versuchen, ihm nicht in die Schulter zu beißen.
Feststellen, dass mein Mund auf genau der gleichen Höhe ist wie seine Schulter.
Mir einprägen, was er trägt – Tarnhose, Wanderstiefel, eine Levi’s-Jeansjacke. (So eine 1985er Levi’s-Jeansjacke. Schwer zu erklären, aber sehr, sehr niedlich.)
Feststellen, dass seine Schultern vermutlich die breitesten Schultern sind, die ich je bei jemandem gesehen habe, der kein Holzfäller ist. Mich darüber wundern, dass ich zu den Frauen gehöre, die einen breiten Nacken attraktiv finden. (Sprechen wir hier von breiten Nacken im Allgemeinen? Oder nur von seinem? Ich habe keine Ahnung.)
Mir vorstellen, dass die Leute in einer anderen Situation, wie zum Beispiel in einem Geschäft oder Restaurant, denken könnten, dass wir zusammen sind, wenn wir so nah beieinanderstehen würden.
Feststellen, dass sein Haar ungefähr drei Nuancen heller ist als meines. Milchschokoladenbraun.
Überlegen, dass ich ihn eigentlich ja auch anrempeln und dann so tun könnte, als wäre es aus Versehen passiert.
Mich fragen, wie er wohl heißt. Und ob er wirklich so nett ist, wie er wirkt. Und ob er wohl Piña Coladas mag und gerne vom Regen überrascht wird …
Von Jennifer an Beth: Hmmm. Jetzt verurteile ich dich doch. Ich komme nicht dagegen an.
Von Beth an Jennifer: Aber eigentlich hab ich ja gar nichts gemacht. Er war da. Und ich war da. Und wir essen beide gerne Popcorn …
Von Jennifer an Beth: Das mit dem Vergöttern hättest du ruhig lassen können.
Von Beth an Jennifer: Au contraire, mon frère. Das auszulassen wäre völlig unmöglich gewesen.
Von Jennifer an Beth: Woher weißt du, dass es sein Sohn war? Vielleicht war es sein kleiner Bruder. Oder er ist für ihn einer von diesen ehrenamtlichen »Großen Brüdern«.
Von Beth an Jennifer: Nein, sie haben sich benommen wie Vater und Sohn. Ich hatte 75 Minuten, um die Situation einzuschätzen. Ich bin ihnen nämlich letztendlich – denk daran, verurteile mich bitte nicht – in ihren Film gefolgt, Pokemon – Der Film, und hab mich etwa sechs Reihen hinter sie gesetzt. MsT hatte seinen Arm die ganze Zeit um den Stuhl des Jungen gelegt. Er ist sogar dreimal aufgestanden, um ihn zur Toilette zu begleiten. Und als der Film vorbei war, hat er dem Jungen sorgfältig seinen Schal umgebunden.
Von Jennifer an Beth: Also bist du den ganzen Film dageblieben? Du hast Fight Club gar nicht gesehen? (Jetzt verurteile ich dich erst recht.)
Von Beth an Jennifer: Meinst du, ich verpasse meine Chance, anderthalb Stunden mit Meinem süßen Typen im Dunkeln zu verbringen? Ich weiß schon, wer Tyler Durden ist. (Und außerdem hab ich mir die letzte Vorführung von Fight Club angesehen, nachdem ich Meinem süßen Typen nach Hause gefolgt bin.)
Von Jennifer an Beth: Nimm das zurück. Du bist ihm nicht nach Hause gefolgt.
Von Beth an Jennifer: Ich hab’s zumindest versucht. Aber ich hab ihn auf dem Freeway verloren.
Von Jennifer an Beth: Das macht dich total unheimlich.
Von Beth an Jennifer: Echt? Ich hätte eher an neugierig gedacht.
Von Jennifer an Beth: Wie hast du ihn denn verloren? Hat er dich abgehängt?
Von Beth an Jennifer: Nein. Hast du schon mal jemanden im Auto verfolgt? Das ist echt schwierig, auch wenn sein Auto ziemlich leicht zu erkennen ist, ein Toyota Corolla. (Ein uralter Toyota Corolla aus der Zeit, als es noch peinlich war, einen japanischen Wagen zu fahren.) Ich hoffe, das heißt, dass er geschieden ist und sich kein vernünftiges Auto leisten kann. Aber ich weiß nicht, ob man jemandem überhaupt so etwas wünschen sollte, immerhin ist da ja ein Kind mit im Spiel. Ich wünschte, ich wüsste, ob er einen Ehering trägt …
Von Jennifer an Beth: Ich glaube kaum, dass Emilie sich dann an ihn ranschmeißen würde.
Von Beth an Jennifer: Ein gutes Argument. Trotzdem … ich bin einfach nicht sicher, ob ich schon dafür bereit bin, Stiefmutter zu werden.
Von Jennifer an Beth: Eine schwierige Frage.
Von Beth an Jennifer: Und ob.
Von Jennifer an Beth: Du wirst doch nicht wieder versuchen, ihm zu folgen, oder? Jetzt, wo du weißt, was für ein Auto er fährt?
Von Beth an Jennifer: Hmmm. Vermutlich nicht. Aber ich werde trotzdem noch so oft wie möglich im Aufenthaltsraum rumhängen, in der Hoffnung, ihm dort zu begegnen.
Von Jennifer an Beth: Das klingt vernünftig. Ich glaube nicht, dass man dich dafür festnehmen könnte. Was würdest du denn machen, wenn du ihm in die Arme laufen würdest?
Von Beth an Jennifer: Wenn ich ihm wortwörtlich in die Arme laufen würde? Keine Ahnung. Aber es könnte zur Folge haben, dass ich meinen Pulli nie wieder wasche.
Von Jennifer an Beth: Würdest du mit ihm reden? Und mit ihm flirten?
Von Beth an Jennifer: Machst du Witze? Hältst du mich etwa für ein Flittchen? Ich habe doch einen Freund. Mehr noch, ich lebe sogar mit ihm in Sünde.
Von Jennifer an Beth: Du bist eine komplizierte Frau.
Von Beth an Jennifer: Nein. Natürlich nicht.