Kapitel 5
Von: Jennifer Scribner-Snyder
An: Beth Fremont
Gesendet: Mi., 25. 08. 1999, 10:33 Uhr
Betreff: Das ist nur ein Test. Im Falle eines wirklichen Notfalls …
Sie ist da. Kehr bitte wieder zu deiner üblichen Programmiererei zurück.
Von Beth an Jennifer: Sie?
Von Jennifer an Beth: Du weißt schon … sie, die Verkünderin der frohen Botschaft: Du bist nicht schwanger.
Von Beth an Jennifer: Sie? Meinst du vielleicht deine Periode? Deine Tage? Ist Tante Rot mal wieder zu Besuch? Geht es … um diese Zeit des Monats?
Warum hörst du dich denn an wie ein Werbespot für Damenbinden?
Von Jennifer an Beth: Ich versuche einfach, vorsichtig zu sein. Ich will nicht eines von diesen Wörtern gebrauchen, die das E-Mail-Programm hellhörig werden lassen und irgendeinen Firmenwachhund in Rage versetzen, nur weil ich eine Mail über sie schreibe.
Von Beth an Jennifer: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Warnsignale gibt, die was mit Menstruation zu tun haben.
Von Jennifer an Beth: Darüber machst du dir also keine Gedanken?
Von Beth an Jennifer: Über deine Periode?
Von Jennifer an Beth: Nein, über diese Mitteilung. Dass wir keine persönlichen E-Mails verschicken sollen. Diese Warnung darüber, dass wir bei unangemessenem Gebrauch der Computer gefeuert werden können.
Von Beth an Jennifer: Ob ich mir darüber Gedanken mache, dass die bösen Jungs aus Hackers unsere E-Mails lesen? Äh, nein. Bei diesem ganzen Sicherheitskram geht es nicht um Leute wie uns. Die versuchen doch nur, die Perversen zu schnappen. Die Online-Porno-Abhängigen, die Internet-Zocker, die Firmenspione …
Von Jennifer an Beth: Ich wette, das sind alles Wörter von der Signalliste. Perverse. Porno. Spione. Ich wette, selbst Alarmglocken lässt die Alarmglocken läuten.
Von Beth an Jennifer: Ist mir doch egal, wenn die unsere E-Mails lesen. Haut rein, ihr Hacker! Versucht ruhig, mir meine Redefreiheit zu nehmen. Ich bin Journalistin. Ich hab mir die freie Meinungsäußerung auf meine Fahnen geschrieben. Ich kämpfe in der Armee des ersten Verfassungszusatzes. Ich arbeite hier bestimmt nicht wegen der miesen Bezahlung oder der Krankenversicherung, die sie immer weiter beschneiden. Ich bin hier wegen der Wahrheit, wegen des Lichtes, um verschlossene Türen aufzustoßen!
Von Jennifer an Beth: Der Kampf um die freie Meinungsäußerung. Verstehe. Wofür kämpfst du da genau? Für das Recht, Billy Madison fünf Sterne zu geben?
Von Beth an Jennifer: Hey! Ich war nicht immer eine verhätschelte Filmkritikerin. Vergiss meine zwei Jahre in North Havenbrook nicht. Zwei Jahre im Schützengraben. Ich habe meine Tinte über den ganzen Vorort vergossen. Ich bin zum reinsten Bob Woodward geworden.
Außerdem hätte ich persönlich Billy Madison sechs Sterne gegeben, wenn das möglich wäre. Du kennst ja meine Schwäche für Adam Sandler – und du weißt, dass ich für Songs von den Styx Extra-Sterne vergebe. (Sogar zwei, wenn es sich bei dem Lied um Renegade handelt.)
Von Jennifer an Beth: Gut. Ich geb’s auf. K@ck auf die Internetpolitik der Firma: Ich hab gestern meine Tage gekriegt.
Von Beth an Jennifer: Immer raus damit, dafür muss man sich nicht schämen. Meinen Glückwunsch.
Von Jennifer an Beth: Ja, das ist eben die Sache …
Von Beth an Jennifer: Was für eine Sache?
Von Jennifer an Beth: Als es losging, war ich gar nicht so unendlich erleichtert wie sonst, und ich hatte auch gar keine Lust auf Zima.
Ich meine, ich hab schon aufgeatmet – denn ich hab nicht nur Zima getrunken, ich hab im letzten halben Jahr so gar nichts mit Folsäure gegessen, ich hab vielleicht sogar Sachen gegessen, die dem Körper Folsäure entziehen, also war ich auf jeden Fall froh –, aber ich war nicht megabegeistert.
Ich bin nach unten gegangen, um es Mitch zu erzählen. Er hat an seinen Marschkapellen-Diagrammen gearbeitet, und dabei würde ich ihn normalerweise nicht unterbrechen, aber das war wichtig. »Ich wollte dir nur eben Bescheid sagen«, meinte ich. »Ich hab meine Tage gekriegt.«
Und er hat den Bleistift sinken lassen und machte nur: »Oh.« (Einfach so. »Oh.«)
Als ich ihn gefragt hab, was das heißen sollte, meinte er, er hätte gedacht, dass ich diesmal vielleicht wirklich schwanger wäre – und das wäre schön gewesen. »Du weißt doch, dass ich Kinder will«, hat er gesagt.
»Ja«, meinte ich. »Irgendwann mal.«
»Aber bald«, entgegnete er.
»Irgendwann in der Zukunft. Wenn wir so weit sind.«
Und dann hat er sich wieder über seine Diagramme gebeugt. Er war nicht wütend oder ungeduldig. Er war nur traurig, und das ist viel, viel schlimmer. Also hab ich’s noch mal wiederholt: »Wenn wir so weit sind, oder?« Und seine Antwort lautete …
»Ich bin jetzt so weit. Ich war letztes Jahr schon so weit, Jenny, und so langsam denke ich, dass du es vielleicht nie sein wirst. Du willst ja nicht einmal so weit sein. Du tust so, als wäre eine Schwangerschaft eine Krankheit, die man sich auf einer öffentlichen Toilette einfangen kann.«
Von Beth an Jennifer: Was hast du dazu gesagt?
Von Jennifer an Beth: Was sollte ich schon groß dazu sagen? Ich bin ja tatsächlich noch nicht so weit. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, Kinder zu haben …
Aber andererseits konnte ich mir auch nie vorstellen zu heiraten, bis ich Mitch getroffen habe. Ich hab immer gedacht, ich würde mich langsam an den Gedanken gewöhnen, Mutter zu sein, dass Mitchs gesunder Kinderwunsch nach und nach auf mich abfärben würde und dass ich eines Morgens aufwachen und denken würde: Was für eine zauberhafte Welt, um darin ein Kind großzuziehen.
Und wenn das nie passiert?
Was, wenn er eines Tages beschließt, das Weite zu suchen, bevor es zu spät ist, und sich eine ganz normale Frau zu suchen, die nicht nur von Natur aus dünn ist und nie Antidepressiva genommen hat, sondern auch noch so schnell wie möglich mit ihm Kinder bekommen will?
Von Beth an Jennifer: Quasi Barbie, ständig auf Eisprung.
Von Jennifer an Beth: Ja.
Von Beth an Jennifer: Wie diese fiktive neue Hauswirtschaftslehrerin.
Von Jennifer an Beth: Genau.
Von Beth an Jennifer: Das wird aber nie passieren.
Von Jennifer an Beth: Warum nicht?
Von Beth an Jennifer: Aus dem gleichen Grund, aus dem Mitch jeden Sommer versucht, Riesenkürbisse ranzuziehen – obwohl euer Innenhof viel zu klein ist, von einer Käferplage heimgesucht wird und zu wenig Sonne abbekommt. Mitch will das Leben nicht auf die leichte Tour. Für das, was ihm wirklich wichtig ist, möchte er auch was tun müssen.
Von Jennifer an Beth: Dann ist er ein Dummkopf. Ein Dummkopf, dessen Samen keinen Abnehmer findet.
Von Beth an Jennifer: Darum geht’s doch gar nicht. Es geht darum, dass er ein Dummkopf ist, der dich nicht verlassen wird.
Von Jennifer an Beth: Ich bin nicht sicher, ob du recht hast, aber ich glaub, jetzt geht es mir schon besser. Also, frohes Schaffen!
Von Beth an Jennifer: Jederzeit wieder gern.
(Du weißt, dass ich damit »jederzeit nach 10:30 Uhr« meine, oder?)
Von Jennifer an Beth: (Schon klar.)