Kapitel 43
Okay, sie hatte also nichts über ihn geschrieben. Aber zumindest auch nicht: Ich hab mir den Typen noch mal genau angeguckt, und er ist doch nicht so süß, wie ich dachte.
Trotzdem konnte Lincoln nicht umhin, zu bemerken, dass er für den Rest des Abends lächelte. Er spielte Online-Scrabble, bis seine Schicht vorbei war, und schlief ein, sobald sein Kopf das Kissen berührte.
»Du bist ja früh auf«, bemerkte seine Mutter, als er am nächsten Morgen um neun Uhr nach unten kam.
»Ja, ich denke, ich werde ein bisschen Sport machen.«
»Tatsächlich.«
»Ja.«
»Und wo?«, fragte sie misstrauisch, als könnte die Antwort »Im Kasino« oder »In einem Massagesalon« lauten.
»Im Fitnessstudio«, erklärte er.
»In was für einem Fitnessstudio?«
»Better Bodies.«
»Better Bodies?«, hakte sie nach.
»Das ist gleich am Ende der Straße.«
»Ich weiß. Ich bin schon mal daran vorbeigekommen. Möchtest du einen Bagel?«
»Sicher.« Er lächelte, in letzter Zeit machte er ja nichts anderes. Und außerdem hatte er aufgehört, seine Mutter darum zu bitten, ihn nicht mehr zu füttern, vor allem nach dem Streit mit Eve. Essen war zwischen seiner Mutter und ihm immer etwas Gutes gewesen. Ohne Spannungen. »Danke.«
Sie begann, ihm einen Bagel fertig zu machen, mit viel Frischkäse, Räucherlachs und roten Zwiebeln. »Better Bodies«, murmelte sie wieder. »Ist das nicht die reinste Fleischbeschau?«
»Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich war erst ein Mal dort, und zu dem Zeitpunkt waren vor allem ältere Leute da. Die Fleischbeschau geht wahrscheinlich später los, wenn die Leute von der Arbeit kommen.«
»Hmmm«, machte seine Mutter und schaute sehr nachdenklich drein. Lincoln tat so, als würde er es nicht bemerken.
»Es ist nur«, begann sie wieder, »der Name. Der stellt das Aussehen so in den Mittelpunkt. Als wäre das der Grund, warum Leute Sport machen sollten, um einen besseren Körper zu bekommen. Noch nicht mal einen guten Körper. Einen besseren Körper. Als ob die Leute umhergehen und denken sollten: ›Mein Körper ist so viel besser als deiner.‹«
»Ich liebe dich, Mom«, sagte er, und er meinte es ernst. »Danke für das Frühstück. Ich gehe jetzt ins Fitnessstudio.«
»Duschst du da etwa auch? Das solltest du wirklich nicht machen, Lincoln, denk doch nur an die Pilze.«
»Jetzt kann ich wohl nicht mehr anders.«
Es fiel ihm nicht schwer, ins Fitnessstudio zu gehen, wenn er sich direkt nach dem Aufstehen auf den Weg machte, noch bevor er Zeit hatte, darüber nachzudenken. Dieser Frühsport gab ihm das Gefühl, den Tag wie ein Flipper anzufangen, mit Power und Schwung. Manchmal hielt dieses Gefühl bis um sechs oder sieben Uhr abends an (wenn es von dem Eindruck abgelöst wurde, dass er sich einfach kläglich von einer Situation zur nächsten treiben ließ, ohne Zweck und Ziel).
Im Fitnessstudio mochte er alle Geräte. Er mochte die Gewichte und Flaschenzüge und die Diagramme mit den Anweisungen. Er verbrachte mühelos ein oder zwei Stunden damit, von Gerät zu Gerät zu gehen. Er dachte darüber nach, es auch mal mit den Hanteln zu probieren, um Beths Vorstellung, die sie von ihm hatte, nahezukommen. Aber dann hätte er jemanden um Hilfe bitten müssen, und Lincoln wollte im Fitnessstudio mit niemandem reden. Erst recht nicht mit den Trainern, die immer am Empfangstisch standen und lästerten, wenn er sich ein Handtuch holte.
Es gefiel ihm, wie sauber er sich fühlte, wenn er schließlich ging. Das lockere Gefühl in Armen und Beinen. Wie kühl der Wind ihm durch die feuchten Haare strich. Er stellte fest, dass er sich auf einmal sogar dann bewegte, wenn es gar nicht nötig war, dass er zum Beispiel über die Straße rannte, auch wenn gerade gar kein Auto kam, oder einfach nur so die Treppe hochsprang.
An diesem Wochenende brachte Lincoln Rick bei ihrem Dungeons-&-Dragons-Spiel zum Lachen, und zwar so sehr, dass ihm die Mountain-Dew-Limo zur Nase rauskam. Es war ein Ork-Witz, schwierig zu erklären, aber Christine kicherte für den Rest des Abends, und selbst Larry lachte.
Vielleicht war Lincoln ja Der Witzige.