Das Leben? Alles eine Frage der Ökonomie!
Das eigene Leben eine Ich-AG, die eigene Stimmung ein Geschäftsklimaindex – das sind keine Erfindungen von Sprachverwirrten, sondern weitverbreitete und angesehene Vorstellungen, abgesegnet mit der höchsten Ehrung, dem Nobelpreis. 1992 wird Gary Becker, Professor für Ökonomie und Soziologie an der Universität von Chicago, der Nobelpreis für Ökonomie verliehen. Ausdrücklich dafür, dass er das ökonomische Instrumentarium zur Analyse menschlichen Verhaltens über den begrenzten Bereich der Wirtschaft hinaus erweitert hat. Er fühlt sich als Ökonom berechtigt, nicht nur über die Produktion und den Verkauf von Autos, sondern auch über Familie, Schuld, Liebe – also über all das, was das Leben auch oder vor allem ausmacht – zu sprechen und darüber seine Werturteile abzugeben. Entscheidungen für oder gegen eine Ehe, für oder gegen Kinder, für oder gegen eine bestimmte Umgangsweise mit den Kindern und mit sich selbst werden bei ihm zu einer Frage der Ökonomie und der Nutzenmaximierung. Ehen und Kinder sind Kostenfaktoren, die berücksichtigt werden wollen, um das Lebensunternehmen weiterhin profitabel zu halten. Auch die »Qualität« der Kinder ist ein wichtiger Kostenfaktor: »Eine Familie muss nicht nur die Anzahl der Kinder bestimmen, sondern auch, wie viel sie für sie aufwenden will […] Ich werde teurere Kinder als Kinder ›höherer Qualität‹ bezeichnen, in der gleichen Weise wie Cadillacs Wagen von höherer Qualität sind als Chevrolets.«[132]
Ein Mensch, welche Rolle er auch immer gerade hat, ist ein Unternehmen, dessen Bestand durch unternehmerisch kluge Entscheidungen zu sichern ist, besser: das expandieren soll. Insofern erfordern die Gesetze des Marktes, dass der Ich-AG-Mensch zum Geschäftserfolg und zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines guten Geschäftsklimas sein Wissen und seine Kompetenzen, sein äußeres und inneres Erscheinungsbild, seine Gesundheit, sein Ansehen, seine Arbeitsmotivation, seine persönlichen Vorlieben und seine gute Stimmung als eine knappe Ressource zu betrachten hat, die notwendigerweise aufzubauen, zu erhalten und zu vergrößern ist. Entsprechende Investitionen sind notwendig.
Die Ich-AG ist ein Produktions-Unternehmen, das optimal gemanagt sein will. Der ökonomische Mensch ist ein Produktionsmittel, eine Kompetenzmaschine, die von demselben Menschen optimal entwickelt, gewartet und immer wieder nachoptimiert werden muss, will sie auf dem Markt der Konkurrenzunternehmen bestehen. Die Anforderungen an die Autonomie der Unternehmensentscheidungen sind gewaltig. Das Risiko des unternehmerischen Scheiterns ist immer gegenwärtig. Die Bedrohung der Insolvenz nie gebannt. Die Insolvenz, der Todesfall des Unternehmens, ist dann, wenn man der Unternehmer seines Lebens ist, sogar der individuelle Tod. Das erklärt uns auch eindringlich unser Universalökonom Becker: »Entsprechend dem ökonomischen Ansatz sind […] die meisten (wenn nicht alle) Todesfälle bis zu einem gewissen Grade ›Selbstmorde‹, in dem Sinne, dass man sie hätte hinausschieben können, wenn man mehr Ressourcen in die Lebensverlängerung investiert hätte.«[133]
Es steht viel auf dem Spiel. Man ist für alles verantwortlich. Man ist selbst schuld, wenn die Ich-AG Schaden nimmt und sich der Geschäftsklimaindex eintrübt.