Neurotechnologischer Fortschritt?
Worte und Bezeichnungen sind nicht so unschuldig, wie sie oft erscheinen mögen oder erscheinen sollen. Sie decken auf, wie wir denken, wie wir fühlen und in welcher Stimmung wir sind. Das gilt auch für angeblich sachliche Begriffe, wie die Naturwissenschaften sie prägen.
Wenn ich von Hirndoping spreche, habe ich nicht die Illusion, eine unschuldige Bezeichnung zu verwenden, die stimmungsneutral gelesen werden wird. Eine alternative Bezeichnung wäre der Begriff Neurotechnologie.
Der Begriff Technologie bezieht sich auf eine Gesamtheit von Verfahren zur Produktion von Waren und Dienstleistungen, eine Methode, die eingesetzt wird, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Meist ist dann auch der technische Fortschritt nicht weit.
Inzwischen ist der technische Fortschritt so weit fortgeschritten, dass der moderne Mensch nicht nur die ihn umgebende Natur, sondern mehr und mehr auch sich selbst technisch »behandeln« kann. Man kann sich selbst zum Gegenstand machen oder wird zum Gegenstand fortschrittlicher Entwicklung gemacht. Dort ist es denn auch, wo die Neurotechnologien ihre Anwendung finden: am und im Menschen. Es geht also nicht mehr allein um Technologisierung, sondern um Selbsttechnologisierung.
Im engeren Sinne spricht man von Neurotechnologien, wenn es um technische Eingriffe in das Gehirn von Menschen geht mit dem Ziel, die Funktionen des Gehirns zu verändern. Zu den frühen Neurotechnologien und Pionierleistungen auf diesem Gebiet gehört die Lobotomie.[136] Dabei werden operativ Teile des Gehirns durchtrennt. Neuere Verfahren sind etwa die transkranielle Magnetstimulation[137] , die chemische Intervention oder auch die tiefe Hirnstimulation (DBS=Deep Brain Stimulation).
Bei der tiefen Hirnstimulation werden Elektroden ins Gehirn geschoben, um über einen Sensor von außen bestimmte Regionen im Gehirn zu stimulieren oder zu hemmen. Das Verfahren, das unter der Bezeichnung »Hirnschrittmacher« eine gewisse Popularität erreicht hat, wird bei Bewegungsstörungen, etwa beim Morbus Parkinson, inzwischen aber auch bei zwanghaften Impulsen und Depressionen eingesetzt. Einer gelungenen Operation können jedoch vorübergehende oder länger andauernde Sprachstörungen, inadäquat gehobene Stimmung, abnorme Antriebssteigerung, materielles Verschwendungsverhalten (etwa unvernünftige Finanztransaktionen) und eine starke Einschränkung der persönlichen Leistungsfähigkeit folgen.[138] Manche Patienten werden aber auch trotz Besserung der motorischen Störungen und trotz des Ziels einer Unterdrückung depressiver Gefühle nach der tiefen Hirnstimulation depressiv.
Ein Parkinson-Patient hat seine Erfahrungen mit dem Hirnschrittmacher beschrieben:[139]
Wegen der Nebenwirkungen, besonders der auftretenden Sprachprobleme, entschied er sich, den Schrittmacher zeitweise über eine Fernbedienung auszuschalten und damit auf die technische Beherrschung eines Teils seines Gehirns zu verzichten. »In derselben Sekunde kehrte meine Stimme zurück, sonor, wohlartikuliert, nur ein wenig heiser. Interessant war, dass nicht nur das Sprechen im technischen Sinne wieder sofort funktionierte, sondern auch meine Verstandestätigkeit und die kognitiven Funktionen – im buchstäblichen Sinne – wieder angeknipst waren […] mein Hirn arbeitete.«[140] Das Ausschalten brachte dem Patienten noch etwas anderes: »Die Möglichkeit, die Fernsteuerung meines Schrittmachers durch die Bedienung eines Knopfes für eine Zeit abzustellen, in der ich so klar und prägnant reden konnte wie früher, sicherte mir das Verbleiben im Beruf und gab mir meinen Stolz und meine professionelle Autorität zurück.«[141]
Das Ausschalten des Hirnschrittmachers ermöglichte ihm, wenigstens vorübergehend die Autorität über sein Leben wieder zu übernehmen.
Ebenso wie das Ausschalten hinterlässt das Anschalten des Geräts einen tiefen und ambivalenten Eindruck: »Faszinierend wie erschreckend war vor allem, dass die Depression von mir abfiel, so als sei ein eisernes Band um meine Seele gesprungen. Faszinierend war die Leichtigkeit dieses Vorganges. Ein Knopfdruck, bestätigt durch ein kaum hörbares digitales Piepsen, unterstützt von einer winzigen Leuchtdiode, öffnete schlagartig den mir verhangenen Himmel. Freunde, die ich anrief, meinten, ich wäre frisch verliebt, so fröhlich muss ich geklungen haben.«[142]
Erschreckend hingegen das Gefühl einer Entwertung eigener Anstrengungen: »Erschreckend und irgendwie demütigend war die Banalität dieses Vorganges. In den zahllosen traurigen Geschichten, die mir in diesem Jahr durch den Kopf gegangen waren, hatte ich das Gewicht der Welt gespürt. Dies einfach per Knopfdruck wegzudrücken, erschien mir geradezu frivol«[143] , und »dass man durch einen Knopfdruck um die Früchte einer schweren Trauerarbeit gebracht wird«.[144] Das Resümee des Autors: »Die moderne Medizin wird uns bei der Suche nach dem verlorenen Glück nicht helfen können.«[145]