Humor ist, wenn man trotzdem lacht
Es gibt nicht den geringsten Beleg dafür, dass das Leben ernst und fehlerlos sein müsste. Im Gegenteil. Dort, wo es nur noch ernst und fehlerlos zugeht, geht es früher oder später todernst zu. Und das meint ja wohl das Gegenteil von lebendig und lebensfroh.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht, trotz oder wegen unserer Irrtümer und Fehler. Im Humor treten wir einen Schritt zurück, nehmen die ganze Fülle unseres Lebens wahr und machen sie sichtbar. Eine Fülle, zu der unsere Erfolge, aber auch unsere Misserfolge gehören, das, womit wir richtig lagen, aber auch das, wo wir danebenlagen und uns geirrt haben. Wir treten dann der Welt und uns selbst mit einem nachsichtigen, milden Lächeln gegenüber, menschlich eben.
Das Lachverbot dagegen ist mit einem Wahrheits- und Gewissheitsfundamentalismus verbunden, dass einem das Lachen vergeht. Humor hingegen enthüllt die Welt in ihrer Mehrdeutigkeit und uns Menschen in unserer Begrenztheit und Unfähigkeit, uns nicht zu irren. Humor erzeugt und entspringt dem Sinn für die Absurdität der Forderung nach Fehlerfreiheit und ist ein Gegenmittel gegen die Erniedrigung durch die Scham und den befürchteten Gesichtsverlust, den das Gebot der Perfektion uns aufnötigt.
Der Humor hat viel gemeinsam mit dem Irrtum. Witzige Situationen im Alltag ergeben sich häufig aus der Diskrepanz zwischen dem, was man denkt oder glaubt, und dem, was man tatsächlich tut oder was wirklich geschieht. Ähnlich besteht der Irrtum in dem Unterschied zwischen der Welt, wie sie ist, und der Welt, wie wir sie uns denken.
Auch die Kunst lebt vom Irrtum. Fehlerlose Kunst ist keine Kunst, sondern Kitsch,[102] sozialistischer Realismus oder »nichtentartete« Kunst. Blaue Pferde (Franz Marc hat sie gemalt) – wo gibt es denn so was?
Irrtümer und Fehler gibt es, weil wir die Wirklichkeit nie ganz erfassen können, wie sie ist. Der Künstler will das erst gar nicht. Kunst ist eine persönliche oder gar »falsche« Darstellung der Realität. Der Künstler zeigt uns seinen ganz eigenen Blick auf die Welt. Die Kunst erschafft eine Fiktion auf dem Hintergrund von Fehlbarkeit.[103] Ein gelungenes Leben, wie ein gelungenes Kunstwerk, verdankt sich der Fähigkeit, ohne Gewissheiten zu leben. Dafür sind unbekannte Territorien zu entdecken, außerhalb von uns oder in uns – und darin besteht ein wesentlicher Teil des Kunstgenusses wie des Lebensgenusses. Wir erwandern dabei unbekannte Welten. Kunst und Wissenschaft beschäftigen sich mit der begehbaren Überbrückung des Grabens zwischen unserem Geist, unseren Vorstellungen und der Welt. Sie verlangen nach Fehlern und Irrtümern.