Wir ändern die Kriterien dafür, ob ein Gaul tot ist!
Der tote Gaul ist ja nur ein bisschen tot! Wenn er nur ein bisschen tot ist, dann können wir ihn doch noch weiterreiten! Von einem ganz und gar toten Gaul würden wir selbstverständlich sofort absteigen!
Sind die erlebten Unterschiede zu unseren gelebten Überzeugungen nicht allzu groß, halten wir an unseren Überzeugungen und dem Glauben an uns fest. In den berühmten Milgram-Experimenten[115] wird gefährliche Gewalt in Form von elektrischen Stromstößen von unbescholtenen Versuchspersonen gegen andere ausgeübt. Man muss lediglich mit der Verabreichung kleiner, kaum spürbarer Stromstöße beginnen. Die kann jede Versuchsperson vor sich selbst leicht rechtfertigen, sie kommt dabei aber gleichzeitig in eine Gewaltspirale hinein. Die einzelnen Schritte der Gewalteskalation, die Unterschiede zwischen den jeweils verabreichten Stromstärken sind sehr klein. Je höher man kommt, umso schwieriger wird es allerdings, abzubrechen und aus dem Experiment auszusteigen. Man könnte dann ja auch die früher vollzogenen Schritte nicht mehr rechtfertigen. Die Bekenntnisfrage: »Sind sie bereit, einen Menschen mit 450 Volt zu schocken und dabei sehr ernsthaft zu verletzten?«, wird kaum jemand bejahen. In der kleinschrittigen Folter sind aber zwei Drittel der Versuchspersonen bereit, bis zum Äußersten (Elektroschocks mit 450 Volt) zu gehen. Der sich selbstrechtfertigende Mechanismus wird nicht nur bei fremdschädigendem Verhalten vollzogen, sondern auch bei selbstschädigendem Verhalten. Die selbstschädigenden Verhaltensweisen bei Burn-out oder Depressionen funktionieren wie die Geschichte des Frosches, der, in einen Kochtopf geworfen, sich bei langsam ansteigender Temperatur bei lebendigem Leib kochen lässt, in kochendes Wasser geworfen dagegen alles unternehmen wird, aus dem Kochtopf auszusteigen.
Ärzte nehmen im Allgemeinen teure Geschenke pharmazeutischer Unternehmen nicht an, weil sie von ihnen als Bestechung verstanden und daher strikt abgelehnt werden. Dagegen meinen die meisten Ärzte, sich durch kleine Geschenke und Zuwendungen nicht kaufen zu lassen. Sie halten an ihrer Überzeugung von sich selbst fest, unbestechlich zu sein. Die Amerikanische Medizinische Gesellschaft rät denn auch ihren Mitgliedern nicht davon ab, Geschenke bis zu einem Wert von hundert Dollar anzunehmen.[116] Erst darüber soll es gefährlich werden. Das Gegenteil ist aber der Fall:[117] Die meisten Ärzte lassen sich von den kleinen Geschenken aber eher beeinflussen als von den großen. Die Annahme eines kleinen Geschenkes hat zur Folge, sich für die Annahme zu rechtfertigen, das heißt sich zu revanchieren. Es entsteht eine Kettenreaktion von Handlungen und Entscheidungen, die zu rechtfertigen sind mit weiteren Entscheidungen und Handlungen usw.
Um den guten Glauben an sich selbst zu bewahren, werden oft furchtbare, für andere oder uns selbst schädliche oder auch nur saublöde Dinge getan. Dabei wird kaum eine Anstrengung gescheut, um sich selbst über Selbstrechtfertigungen bei guter Stimmung zu halten – was auf die Dauer zum gegenteiligen Resultat führen wird.