Der neue Arzt – die neue Gesundheit
Naiv wird die Frage nach der Rolle des Arztes umgangen und ebenso die nach der Unterscheidung zwischen krank und gesund. Eine Frage, die für das Hirndoping und seine Beurteilung von zentraler Bedeutung ist. Das Hirndoping ist Teil einer bisher weitgehend unterschätzten Veränderung der Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit und der Rolle ärztlichen Handelns. Gesundheit ist nicht länger etwas Gegebenes, das aber selbstverständlich von Gefahren bedroht sein kann. Gesundheit ist etwas Herstellbares und Optimierbares geworden, worauf ein Anspruch besteht. Niemand darf es versäumen, an ihrer Verbesserung zu arbeiten.
Der Arzt ist daher längst nicht mehr nur der Krankheitsexperte, der, wenn er es denn kann, heilt oder, wenn er es nicht (mehr) kann, den Kranken begleitet. Er ist zum Gesundheitsexperten mutiert, zu einem Gesundheitsproduzenten, der schon längst zum Lebensstilberater und Lebensstilkontrolleur geworden ist. Die Biologie ist nicht mehr Schicksal, sondern Ausgangsmaterial, das verfeinert und verbessert werden muss. Insofern passen der neue Gesundheitsbegriff und auch die neue Rolle des Arztes oder des Gesundheitssystems ganz in die zeitgenössische Vorstellung der hoffnungsvollen, optimistischen Selbstoptimierung. In der Medizin hat, ob man es nun wahrhaben will oder nicht, ein grundlegender Wandel stattgefunden. Das Ziel der Heilung oder Wiederherstellung (restitutio ad integrum) ist ersetzt oder zumindest ergänzt worden durch das Ziel der Entwicklung zum Besten (transformatio ad optimum). Das Hirndoping ist ein Teil dieses Veränderungsprozesses. Dies nicht zu überdenken ist nicht nur nachlässig, sondern unethisch. Stattdessen unreflektiert das Hirndoping als eine positive Entwicklung zu begrüßen und Ärzten selbstverständlich eine verantwortliche Rolle zuzubilligen oder gar als ein moralisches Korrektiv zu betrachten, ist nicht nur naiv, sondern ethisch problematisch.
Banal ist die immer wieder kolportierte Aussage, dass viele Verbesserungen menschlicher Leistungen, aber auch von Stimmungen und Vorstellungen ohnehin Veränderungen im Gehirn nach sich ziehen und dass das Hirndoping eben nur direkt auf die Funktionen und die Struktur des Gehirns einwirkt. Weniger banal ist dagegen die Schlussfolgerung, dass es daher keinen Unterschied mache, ob die Einwirkungen auf das Gehirn durch Lernen, Erfahrungen, Übungen, Erleben erfolgen oder direkt durch Hirndoping. Dem ist aber keineswegs so. Durch die Anwendung von Hirndoping kann sich die Antwort auf die Frage: »Wer bin ich?« verändern. Menschen können sich durch die Vorstellung davon, wer oder was sie sind, verändern. Hirndoping verändert uns also nicht nur aufgrund der chemischen Einwirkung, sondern noch drastischer und nachhaltiger durch die veränderte Vorstellung, die wir von uns entwickeln.