27

Lara betrachtete im Vorüberfahren das dreieckige Verkehrsschild mit der roten Umrandung. »Achtung, Kinder«. Es war erst kürzlich aufgestellt worden. Das Piktogramm mit den beiden schwarzen Strichmännchen stand sinnbildlich für die Kinder, die ab nächster Woche hier die Straße überqueren würden. Wieso wurde die evangelische Grundschule eigentlich an einem Donnerstag eingeweiht? Sie parkte ihren gelben Mini neben einem dicken schwarzen Volvo und überprüfte ihre Ausrüstung. Ein Kleinbus bog in den Schulhof ein und hinterließ zwei Staubfahnen. Nur langsam legte sich der helle Nebel wieder. Lara nahm ihre Tasche und folgte dem Transporter. Einzelne Töne einer Trompete durchstießen die Luft. Noch ehe sie um die Ecke bog, hörte sie aufgeregte Kinderstimmen.

Auf dem Schulhof hatten sich mindestens hundert Menschen versammelt. Neben dem Hintereingang war eine kleine Bühne errichtet worden, auf der sich gerade etwa zwanzig Kinder postierten. Eine mütterlich wirkende Lehrerin stand vor ihnen und gestikulierte temperamentvoll. Neben dem Podest wartete das Blasorchester der freiwilligen Feuerwehr auf seinen Einsatz. Die Instrumente glänzten in der Sonne.

»Hallo, Lara!« Ein leichter Klaps auf ihre Schulter begleitete die Worte. Lara drehte sich um. Frank Schweizer von der Tagespost grinste, dass sein Schnurrbart wackelte. »Du berichtest über die Eröffnung?«

»Wie du siehst.« Sie erwiderte die Begrüßung mit einem Knuff gegen seinen Oberarm.

»Sollte nicht Friedrich Westermann hier sein?« Frank grinste immer noch und knipste dabei unentwegt.

»Der hat einen Zahnarzttermin.« Lara fragte sich, wo ihr bestellter Fotograf blieb. Der Kinderchor sang zur Einstimmung ein paar Tonfolgen. Friedrich hatte Rolf Martin bestellt. Jo wäre ihr persönlich lieber gewesen, aber Jo hatte keine Zeit gehabt. Rolf war nicht immer der Zuverlässigste. Und sie hatte keinen Fotoapparat mit. Lara hasste es, selbst Bilder zu machen. Erstens fehlte ihr dafür die Ausrüstung, zweitens entsprachen die Fotos in ihrer Qualität nie dem, was Hampenmann sich vorstellte. Und drittens konnte sie sich dann nicht auf ihre Reportage konzentrieren. Mitten in ihre Gedanken hinein schmetterte das Blasorchester einen Tusch. Voller Inbrunst malträtierten die jungen Leute ihre Instrumente. Frank Schweizer verzog das Gesicht. Sagen konnte er nichts, weil das Getöse der Trompeten, Hörner, Posaunen und Tuben alles überschallte.

Nachdem das enthusiastische Klatschen der Zuhörer verklungen war, kündigte die mütterliche Lehrerin mehrere offizielle Gäste mit Grußworten an, und Lara machte sich eine Notiz, die Schreibweise der Namen und die Dienstbezeichnungen nachzufragen. Rolf Martin war noch immer nicht da. Ein grauhaariger Mann im Anzug betrat die Bühne und begann mit einer Rede. Frank Schweizer stupste Lara in die Seite und machte ihr ein Zeichen, ihm zu folgen. Vorsichtig bahnten sie sich einen Weg durch die Menschen bis in den Schatten eines übermächtigen weißen Zeltes, neben dem schon ein monströser Würstchengrill rauchte.

»Ich habe dich am Dienstagabend im Lindencafé gesehen!« Franks Schnurrbart wellte sich mitsamt seinen Mundwinkeln nach oben. »Mit Kriminalobermeister Schädlich.« In seinen Augen glitzerten Lachfünkchen.

»Oh … Das war dienstlich.«

»Ah, ja. Verstehe.«

»Nichts verstehst du. Schädlich hat mich angerufen. Wir haben einen aktuellen Fall besprochen. Mehr nicht.« Das musste reichen. Lara hatte keine Lust, dem Kollegen Details zu erzählen. Und letztendlich war es dienstlich gewesen. Schädlich hatte am Telefon angeboten, ihr bei einem Treffen unter dem Siegel der Verschwiegenheit die aktuellen Ermittlungsergebnisse im Fall der Plattenbauleiche zu verraten. Etwas aufregend Neues war jedoch nicht dabei gewesen. Die Kripo hatte inzwischen ermittelt, wer der Tote gewesen war: ein Rentner namens Siegfried Meller aus Wurzen. Die DNA-Spuren waren immer noch nicht vollständig ausgewertet. Ein Motiv für die Tat hatten sie angeblich auch noch nicht.

Lara hatte sich bei der Verabschiedung gefragt, warum der Kriminalobermeister sie überhaupt angerufen hatte. Wegen der Informationen konnte es nicht gewesen sein. Die waren wertlos, der Fall schon über zwei Wochen alt. Wahrscheinlich hatte Schädlich nur einen Vorwand gesucht, um sich mit ihr zu verabreden. Das nächste Mal würde sie nicht darauf hereinfallen.

Wahrscheinlich würde Ralf Schädlich sie jetzt ohnehin nicht mehr anrufen, um ihr vertrauliche Informationen zukommen zu lassen, aber damit konnte sie leben. Der Polizist hatte ein ganz schön bedeppertes Gesicht gemacht, als Jo gegen zwanzig Uhr dreißig aufgetaucht war, um Lara abzuholen.

Es zischte, und weiße Schwaden zogen vorbei. Der Duft nach gegrilltem Fleisch waberte schwerfällig durch die warme Luft. Lara schluckte mehrmals. Der Anzugträger verließ die Bühne, und das Blasorchester setzte erneut zu ohrenbetäubendem Lärm an. Lara dachte an das Essen mit Jo. Sie sah sich im Bella Italia sitzen und vermeinte noch immer den harzigen Nachgeschmack des schweren Rotweins an ihrem Gaumen zu schmecken. Bei der Unterhaltung über Bücher, Kinofilme und ihre jeweilige Lieblingsmusik war die Zeit wie mit Siebenmeilenstiefeln davongeeilt, und ehe sie es sich versahen, waren sie die beiden letzten Gäste in dem Restaurant gewesen. Sie hatten getrennt bezahlt und noch zehn Minuten draußen gestanden; betäubt vom süßen Duft der Linden Belanglosigkeiten ausgetauscht und den Mond bewundert. Dann waren sie in ihre Autos gestiegen und nach Hause gefahren. Kein Abschiedskuss, nicht einmal der Versuch. Lara hatte sich eingeredet, dass sie das besser fand, als wenn Jo ihr beim ersten richtigen Date gleich Avancen gemacht hätte. Aber war es überhaupt ein Date gewesen? Jetzt, zwei Tage später, war sie sich dessen nicht mehr so sicher. Eigentlich waren ja nur zwei befreundete Kollegen essen gegangen.

»Dieser Grillgeruch macht mich noch wahnsinnig. In meinem Magen rumort es, als hätte ich seit Tagen nichts mehr gegessen.« Frank Schweizer redete leise vor sich hin, während er den nächsten Redner, einen kleinen beleibten Mann mit Stiernacken, fotografierte. »Ich habe einen Bärenhunger! Hoffentlich sind die mit dem offiziellen Teil bald fertig, damit wir uns eine Bratwurst holen können. Wir stehen strategisch günstig.«

Lara warf einen Blick auf den Grill. Steaks und Würste. Alles schon schön knusprig. Das Essen erinnerte sie an etwas, was ihr Kollege vorhin gesagt hatte.

»Du hast mich also am Dienstag im Lindencafé beobachtet, hm?«

»Nicht beobachtet. Gesehen, Lara. Ich habe dich gesehen

»Das heißt, du warst auch dort?«

Frank Schweizer ließ seine Kamera sinken und schaute zu ihr. Dann wanderte der Schnurrbart nach oben. »Gut geschlussfolgert, meine Liebe. Ja, ich bin dort gewesen.«

»Allein?« Jetzt war Laras Neugierde geweckt.

»Nein.«

»Mit jemandem, den ich kenne?« Warum tat er so verschwörerisch? Rolf Martin, Laras bestellter Fotograf, schoss in diesem Moment um die Ecke und prallte auf eine dicke Frau. Ohne sich zu entschuldigen, drängte er sich durch die Menge, den Hals gereckt, und hielt nach ihr Ausschau. Die Dicke sah ihm mit entrüstetem Gesichtsausdruck nach. Lara trat einen Schritt beiseite, sodass sie von Franks massiger Gestalt verdeckt wurde. Sollte der unpünktliche Kollege ruhig erst einmal ein bisschen suchen.

»Ich war mit Frau Sandmann dort. Du weißt schon  – die Blonde vom Jugendamt.« Ein verschwörerischer Puff auf ihren Oberarm, begleitet von einem verschmitzten Lächeln.

»Was?«

»Maria Sandmann. Erinnerst du dich nicht? Sie war bei dem Gerichtsprozess gegen den pädophilen Arzt dabei.«

»Ja. Ich weiß, wen du meinst.« Lara erinnerte sich nur zu gut. Erst vorgestern hatte sie mit Mark über die Frau gesprochen. Sie hatte um einen Termin bei dem Psychotherapeuten gebeten. Ob Frank davon wusste? Er machte nicht den Eindruck. Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie Mark noch einmal wegen ihrer Vorahnungen hatte anrufen sollen. Auch am Dienstagabend. Als sie mit Schädlich im Café gesessen hatte und danach mit Jo ausgegangen war. Lara hatte es komplett vergessen, und Mark hatte sich seitdem auch nicht mehr gemeldet.

»Sie hat mich angerufen, stell dir vor!« Der Kollege schüttelte den Kopf, noch immer fassungslos über so viel Glück.

»Toll.« Frau Sandmann hatte am Montag nach Laras Dafürhalten nicht den Eindruck gemacht, als ob sie Interesse an Frank Schweizer hätte, aber vielleicht war das auch ein Irrtum gewesen. Rolf Martin hatte Lara entdeckt, winkte und kam näher.

»Ja, und dann hat sie mich gefragt, ob wir nicht mal zusammen ausgehen können!«

»Das freut mich für dich.«

»Da konnte ich doch nicht nein sagen! Das Lindencafé ist ein schönes Restaurant, um gemütlich zusammenzusitzen, nicht? Ich finde es besonders im Sommer klasse. Man kann draußen im Grünen sitzen und die Natur genießen. Und das Essen ist dort auch gut.« Das Hochgefühl über das unerwartete Treffen hatte Frank Schweizer so euphorisch gemacht, dass er redete wie ein Wasserfall. »Am Wochenende wollen wir ins Kino gehen.«

Rolf Martin hatte sich herangekämpft. »Sorry, Lara. Ein Auffahrunfall auf dem Autobahnzubringer. Alles verstopft. Was soll ich fotografieren?« Lara gab ihm ein paar knappe Instruktionen, und der Fotograf setzte sich in Bewegung. Auf der Bühne sprach inzwischen eine Business-Lady. Ihr Mund war zu dicht am Mikro, sodass es bei jedem Wort rauschte.

»Los, pirschen wir uns an den Grill ran.« Frank verstaute seine Kamera. »Ich hab alles, was ich für meinen Artikel brauche. Nachher noch ein bisschen O-Ton und das wär’s.« Lara folgte ihm zu dem weißbekittelten Würstchenmann.

 

»So. Ich bin hier fertig. Und du?«

»Ich auch.« Lara schaltete ihr Diktiergerät ab. »Ich hoffe, Rolfs Fotos werden gut. Nur der nackte Text  – das ist langweilig.«

»Hm. Wo hast du dein Auto geparkt?« Frank Schweizer marschierte vorneweg. Seine Schuhsohlen ließen bei jedem Schritt feine Wölkchen aufwirbeln.

»Gleich vor der Schule.« Lara wühlte in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel.

»Ich hab dich übrigens vorgestern vermisst.«

»Wie meinst du das?« Lara verstand den Sinn der Frage nicht. Sie sah sich mit Ralf Schädlich im Lindencafé sitzen. Frank war mit Maria Sandmann dort gewesen. Wie konnte er sie dabei vermissen?

»Bei Gericht.«

»Bei Gericht?« Laras Stimme machte bei dem Wort »Gericht« einen kleinen Quiekser.

»Ja, bei der Eröffnung des Verfahrens gegen diese vier Hooligans, am Dienstag. Der Termin kam, glaube ich, erst Montagnachmittag rein.«

»Die Fußballrowdys, die auf dem Bahnhof zwei Passanten zusammengeschlagen haben? Sollte das nicht erst nächste Woche losgehen?« Lara dachte darüber nach, wo sie am Montagnachmittag gewesen war. Zuerst beim Prozess gegen Doktor Schwärzlich, dann mit Frank und Maria Sandmann etwas trinken. Danach aber war sie noch einmal in die Redaktion gefahren, um ihren Artikel über den Klinikarzt abzuspeichern.

»Genau die. Man hat sich kurzfristig dazu entschieden, das vorzuverlegen, um die Zeitspanne zwischen Straftat und Prozess zu verkürzen. Das sei dann für die zum Teil noch jugendlichen Täter nachvollziehbarer.«

»Von der Terminverschiebung habe ich nichts mitbekommen.« Warum hatte ihr niemand Bescheid gesagt? Sonst riefen die Kollegen sie an oder legten ihr wenigstens einen Zettel auf den Schreibtisch. Am Montagabend aber war weder eine Notiz da gewesen noch eine Nachricht auf der Mailbox eingegangen. Noch während Lara darüber nachsann, hatte Frank schon weitergeredet.

»Es war aber, glaube ich, ein Kollege von dir da.«

»Ein Kollege

»Ich weiß nicht, wie er heißt. Könnte aber auch sein, dass er von einer anderen Zeitung kam.« Frank drückte auf die Fernbedienung, und sein Auto begrüßte ihn mit einem Blinken. In Laras Kopf lief ein Kurzfilm ab: sie am Dienstag an ihrem Computer, Isabell daneben. Sie fragte die Praktikantin, wo Tom sei und Isabell antwortete: »Keine Ahnung. Steht nur außer Haus in der Liste.« In ihrem Bauch ballte sich ein heißer Klumpen. »Wie sah der Kollege aus?«

»Mittelgroß, blonder Strubbelkopf, attraktiv. Ein Frauenversteher.« Frank war neben der Fahrertür stehen geblieben, nestelte eine Zigarette aus einer zerdrückten Packung und steckte sich das krumme Stäbchen zwischen die Lippen.

»Tom Fränkel?« Der Klumpen glühte jetzt, schleuderte Teilchen gegen Laras Magenwände.

»Fränkel, hm. Könnte sein.« Franks Feuerzeug klickte. Erst jetzt sah er Lara an. »Oh. Hat der dir den Termin weggeschnappt?«

»Gerichtsberichte sind mein Ressort! Ich wurde nicht einmal informiert!«

»Ich dachte, du hättest einen anderen Termin und der Schnösel vertritt dich.«

»Ich wurde übergangen. Dieser Typ will mir das Wasser abgraben.«

»Denkst du wirklich? Nicht paranoid werden, Lara!« Frank blies einen Rauchring und klopfte Lara dann auf die Schulter. »Ich muss los. Wir sehen uns. Vielleicht im Lindencafé.« Er kniff verschwörerisch das rechte Auge zu, warf die halb gerauchte Kippe in den Sand und stieg in sein Auto.

Lara versuchte, tief Luft zu holen, aber das Engegefühl in ihrem Hals wollte nicht weichen. Dieser hinterlistige Kotzbrocken! Tom Fränkel hatte sie erneut hereingelegt, aber dieses Mal würde er nicht ungeschoren davonkommen. Wütend sah sie Frank Schweizer hinterher.

 

»Hallo, Lara! Wieder da? Wie war’s?« Friedrich sah nicht auf. Seine Finger huschten über die Tasten. Ohne ihn zu beachten, warf Lara ihre Handtasche auf den Stuhl und stampfte zum Zimmer des Redaktionsleiters. Toms Platz war leer. Und das war gut so. Wer weiß, ob sie sich beim Anblick seiner dummdreisten Miene hätte beherrschen können. Sie hieb ihre Fingerknöchel gegen die Tür und drückte, ohne ein »Herein« abzuwarten, die Klinke nieder.

»Was ist denn jetzt…« Hampenmann saß hinter seinem Schreibtisch und musterte seine Angestellte mit hochgezogenen Augenbrauen. Auf seiner Stirn hatten sich mehrere vertikale Falten eingekerbt. »Frau Birkenfeld! Ich kann mich nicht erinnern, Sie hereingebeten zu haben!«

»Ich muss etwas klären. Sofort.« Lara warf die Tür hinter sich ins Schloss und blieb kurz stehen, um sich zu sammeln. Von hier aus konnte sie das Bänkchen sehen, auf das der Redaktionsleiter seine Füße stellte, weil seine Beine so kurz waren, dass sie von dem mächtigen Chefsessel aus nicht bis zum Boden reichten. Hampenmann bemerkte ihren Blick und wusste, was sie gesehen hatte. Seine Stirnfalten vertieften sich. »Jetzt nicht, Frau Birkenfeld. Ich habe zu arbeiten. Kommen Sie in einer halben Stunde wieder.«

»Nein! Wir besprechen das jetzt gleich!« Gernot Hampenmann, der den Blick in Erwartung, dass Lara seinen Anweisungen Folge leisten würde, wieder auf seinen Schreibtisch gesenkt hatte, sah hoch. Sein Mund stand ein wenig offen, die Augen waren weit geöffnet. »Wie bitte?«

»Es ist wichtig!«

»Drei Minuten.« Der Redaktionsleiter hob die Hand, Daumen, Zeige- und Mittelfinger ausgestreckt, eine symbolische Drei andeutend.

»Tom Fränkel sabotiert meine Arbeit!«

»Was?«

»Er reißt Berichte an sich, die in mein Ressort fallen.« Hampenmann öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Lara hatte schon weitergesprochen. »Er verschweigt mir Termine, die für mich bestimmt sind, und geht stattdessen selbst hin.«

»Haben Sie Beweise für Ihre Anschuldigungen?«

»Am Montagnachmittag kam ein neuer Gerichtstermin für Dienstag herein. Ich war unterwegs. Normalerweise werde ich in so einem Fall angerufen, wenn es eilig ist, oder man legt mir eine Notiz auf den Schreibtisch. Weder das eine noch das andere ist passiert, und ich war am Montagabend noch einmal hier, da hätte ich den Zettel doch finden müssen, nicht?«

»Und wie kommen Sie darauf, dass es gerade Tom war?«

»Weil er am Dienstag im Gericht war!« Lara hörte ihre Stimme wie durch Watte. Sie klang kurzatmig und deutlich höher als sonst.

»Das muss doch noch lange nicht heißen, dass er Ihnen den Termin böswillig verschwiegen hat, wie Sie unterstellen. Was, wenn ich ihn hingeschickt habe, weil Sie nicht erreichbar waren?« Der Redaktionsleiter verzog verächtlich das Gesicht. Lara fühlte, wie ihr Mund sich erstaunt öffnete. Wahrscheinlich trug sie gerade den Gesichtsausdruck eines hypnotisierten Kaninchens zur Schau.

»So, Frau Birkenfeld.« Hampenmanns Rechte machte eine Wegwerfbewegung in Richtung der Tür. »Ich schlage vor, Sie gehen jetzt nach draußen und überlegen sich in aller Ruhe, was Sie da eben getan haben. Aufgrund obskurer Verdächtigungen und falscher Annahmen schwärzen Sie einen kompetenten Kollegen bei mir an. Halten Sie das für ein seriöses Verhalten? Denken Sie gründlich darüber nach. Ich werde Tom vorerst nichts davon sagen.« Die Hand wedelte noch einmal, und Lara schloss ihren Mund mit einem Schnappen. Wie in Trance ging sie hinaus, die Augen auf einen entfernten Punkt gerichtet. Nahm Hampenmann Tom nur in Schutz, oder hatte er ihn tatsächlich selbst zu der Prozesseröffnung beordert? Lara setzte sich an ihren Schreibtisch, faltete die Hände im Schoß und stierte, ohne zu blinzeln, geradeaus.