KAPITEL
38

 

 

Zadok schleppte sich müde über die weite Fläche. Das Gras reichte ihm bis zu den Knien, und die Wildblumen bewegten sich leicht in der kühlen Brise. Die wenigen ihm noch verbliebenen Haare standen angesichts Epagaels machtvoller Gegenwart wie Stacheln von seinem Kopf ab.

»Das Reshimu ist die Quelle des Bösen im Universum?« murmelte er zu sich selbst. »Doch welche Rolle spielt dann Aktariel, der Betrüger? Und warum warten alle Engel im Himmel begierig auf das Ergebnis seines Plans, mein Universum zu zerstören?«

Er grübelte über dieses Rätsel nach, obwohl er wußte, daß die einfachste Lösung darin bestand, Epagael zu fragen, sobald er den Schleier erreicht hatte. Doch Zadok hatte noch nie viel für einfache Lösungen übrig gehabt. Er hatte es stets vorgezogen, den Dingen selbst auf den Grund zu kommen.

Als er einen sanften Hügel erklomm, konnte er die sieben kristallenen Paläste am Fuß der schneebedeckten blauen Berge erkennen. Ihre facettierten Oberflächen reflektierten das Licht in allen Regenbogenfarben. Vier Türme erhoben sich wie Speere und durchbohrten die Wolken. Pausbäckige Cherubim tummelten sich dazwischen und deuteten lachend auf die Feuerräder, die über den Himmel rollten.

»Zadok?« rief eine volltönende himmlische Stimme. Anapiel, der letzte Torwächter, trat aus dem kristallenen Eingang. Ein goldener Gürtel hielt sein blaues Gewand zusammen, und seine Flügel schlugen gemächlich. »Du kommst früh. Ich dachte, Michael würde dich länger aufhalten.«

»Nein, Herr«, antwortete Zadok und humpelte schneller. »Michael und ich sind diesmal recht freundschaftlich miteinander umgegangen.«

»Das überrascht mich. Ich bin sicher, daß er dafür gewettet hat.«

»Für was?«

Anapiel lachte leise und lehnte sich gegen die schimmernde Mauer. »Kümmere dich nicht darum. Es genügt zu sagen, daß Michael recht sentimental ist. Er hegt noch immer Loyalitäten, die er schon vor Millennien hätte aufgeben müssen.«

Zadok runzelte die Stirn. Loyalitäten gegenüber wem? Die Zweifel kehrten zurück, die ihn beschlichen hatten, als er vor Michael stand. Doch nicht für Aktariel? Alle alten Schriften berichteten davon, daß die verderbte Kreatur einst der Auserwählte Epagaels gewesen war und alle anderen Engel angeführt hatte. Aber Michael wußte doch bestimmt, daß Aktariel seit seinem Himmelssturz böse geworden war. Genau wie das Reshimu.

»Anapiel«, sagte Zadok, während er sich zum offenen Tor schleppte, »bitte verzeih mir, aber ich muß unbedingt mit Epagael sprechen.«

Anapiel stellte sich vor Zadok und versperrte ihm den Weg. »Noch nicht, Patriarch. Epagael hat gesagt, er würde es mich wissen lassen, wenn er bereit ist, dich zu empfangen.«

»Er hat mich noch nie warten lassen. Weshalb diese Verzögerung?«

»Oh, eine letzte Kriegslist Aktariels«, erwiderte der Engel gleichmütig, doch seine bernsteinfarbenen Augen flammten. »Du darfst dich ruhig setzen, Zadok. Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauern wird. Aber glaube mir – wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich dich sogar noch zur Eile antreiben. Ich habe nämlich dagegen gewettet.«

 

Cole Tahn stürmte durch den weißen Gang, ohne die Ehrenbezeugungen der Crewmitglieder zu erwidern. Er drückte den Fahrtknopf des Aufzugs und befahl: »Brücke«. Zum ersten Mal seit Wochen hatte er ruhig und fest geschlafen, als Halloways drängende Alarmmeldung ihn aufscheuchte. »Diese gottverdammten Gamanten! Was haben sie jetzt schon wieder angestellt?«

Er rannte durch die Tür und lief mitten in ein holographisches Display hinein. Die Oberfläche von Horeb breitete sich als durchsichtiges Bild, hinter dem die Offiziere gut zu erkennen waren, über die Brücke aus. Ein massiver Gebirgszug aus Sandstein, öde Wüstenflächen, Häuser, alles war hervorragend zu sehen.

»Erläutern Sie die Lage, Lieutenant«, befahl Tahn, während er den Blick über die Projektion schweifen ließ.

Halloway sprang auf und ging zu dem hügeligen Gelände außerhalb Seirs hinüber. »Hier ist es, Sir. Obgleich der Platz getarnt ist, können Sie die Geschützstellungen erkennen. Und die Männer, die hier und da aus dem Boden kommen, sind zweifellos Soldaten. Sie …«

»Verdammt!« fluchte Tahn ungläubig. »Haben die den Verstand verloren?« Er ging zu Halloway hinüber und betrachtete das fragliche Gebiet genauer. Das Display konnte eine Ameise aus fünfhundert Meilen Höhe aufspüren und den unsichtbaren Weg zu ihrem Loch ausfindig machen. Wieso waren ihnen die Vorbereitungen dieser Aktionen entgangen? »Ja, das sind definitiv Truppen.« Jeder der Soldaten trug ein Gewehr und eine Pistole. Die Bündel auf ihren Rücken legten die Vermutung nahe, daß ihr Vorhaben sie für mehrere Tage, möglicherweise sogar eine Woche von ihren Nachschubbasen abschneiden würde. »Diese Narren. Wissen sie nicht, daß ein Krieg mich zum Eingreifen zwingt?«

»Ich rate Ihnen dringend, sie nochmals darauf hinzuweisen, Sir.«

Er wirbelte herum. »Verbinden Sie mich mit diesem verdammten Ratsherrn, Macey!«

»Captain«, sagte Halloway, »Sie sollten auch wissen, daß der Mashiah und eine unbekannte Frau Seir vor vier Stunden verlassen haben. Ihr Schiff ist in der Polarregion gelandet, kurz bevor ich Sie gestört habe.«

»Gestört? Sie haben mich aus dem ersten angenehmen Traum gerissen, den ich seit Wochen hatte.«

»Angenehm?« murmelte sie. »Dann vermute ich, er hatte nichts mit gamantischer Politik zu tun?«

»Nicht im entferntesten.« Er ließ sich in seinen Kommandosessel fallen. »Gibt es irgendeinen Grund, weshalb der Mashiah es vorgezogen hat, die Stadt ausgerechnet in diesem Moment zu verlassen?«

»Wir können lediglich vermuten, daß er vor dem bevorstehenden Kampf geflohen ist.«

»Aha. Na schön. Schalten Sie das Holo ab, Halloway, und hängen Sie sich ans Interkom. Dannon kennt Baruchs strategische Methoden. Schaffen Sie ihn her. Wenn diese ganze ›Feilscherei‹ nur ein Trick war, um Baruch die Zeit zu verschaffen, eine Revolte zu organisieren, werde ich …«

»Sir«, unterbrach ihn Macey. Die goldene Kom-Aura um seinen Kopf leuchtete wie ein Heiligenschein. »Eine vertrauliche Nachricht von Kayan. Dringlichkeitsstufe eins. Bogomil will sofort mit Ihnen sprechen.«

Tahn schloß die Augen. »Was ist jetzt wieder los? Bringen Sie ihn auf den Schirm.«

Bogomils Gesicht war naßgeschwitzt, und das Haar klebte ihm an der Stirn. Im Hintergrund konnte Tahn Silbersay erkennen. Der Offizier saß steif da und hatte das Gesicht vom Schirm abgewendet.

»Sie sehen aus, als wäre eine Monsterhorde hinter Ihnen her, Brent. Was ist denn los?«

»Danke, daß Sie sich so schnell gemeldet haben, Cole. Die Dinge auf Kayan laufen nicht besonders gut.«

»Erzählen Sie mir nicht, dort würde auch eine Schlacht vorbereitet.«

»Auch?«

»Ja, wir haben gerade entdeckt, daß auf Horeb in Kürze die Hölle losbricht. Was geschieht auf den anderen gamantischen Planeten? Haben Sie irgendwelche Gerüchte gehört? Sind das lokale Vorfälle, oder steckt ein Muster dahinter? Wir stehen doch nicht vor einer neuerlichen gamantischen Revolte, oder?«

»Aufstände kommen von Zeit zu Zeit auf praktisch jedem gamantischen Planeten vor, aber es scheint keine Organisation dafür verantwortlich zu sein. Außer hier auf Kayan. Hier steht uns ein ausgewachsener Krieg bevor, Tahn.« Bogomil zögerte und warf einen unbehaglichen Blick auf Silbersay. Der Colonel rührte sich nicht. »Die Magistraten haben ein Hauptangriffs-Manöver der Stufe Zwei gestattet, Cole. Wie schnell können Sie das durchführen?«

Tahns Muskeln verspannten sich. Er senkte den Blick und rieb sich die Stirn. Halloway flüsterte leise: »Bogomil ist stets für endgültige Lösungen. Für wen hält er sich? Für Slothens Killer?«

Tahn atmete geräuschvoll aus. »Ein Hauptangriffs-Manöver! Ich kann mir nicht vorstellen, daß es keine anderen Möglichkeiten mehr gibt. Haben Sie es mit selektiven Sterilisationen versucht?«

»Wir haben alles versucht. Aber nichts hat geholfen«, verteidigte sich Bogomil, als wollte er Tahns Unterstellung, er könnte etwas übersehen haben, weit von sich weisen. »Im Augenblick befinden wir uns tief unter der Erde, weil der Gegner die Anlagen über uns stürmt. Gestern haben sie zwei Kasernen bombardiert.«

»Bombardiert? Wie sollte ein Planet, der von rückständigen Barbaren bewohnt ist, an Bomben kommen?«

»Sie haben sie offenbar mit eigenen Mitteln hergestellt. Ziemlich primitive Dinger, aber sie funktionieren. Bei den Explosionen sind mehr als sechshundert unserer Männer umgekommen.«

Tahn ließ sich zurücksinken. Not machte stets erfinderisch, doch wie konnte eine Horde ungebildeter Höhlenbewohner den magistratischen Streitkräften eine derartige Niederlage zufügen? »Garold, wie sieht Ihre Einschätzung der Lage aus?«

Silbersay stieß einen unwilligen Seufzer aus und wandte sich dem Schirm zu. »Ich habe den Magistraten gesagt, daß eine Politik der Stärke zu nichts führt. Aber Sie wissen ja, wie die Magistraten sind. Sie …«

»Der Befehl«, unterbrach Bogomil ihn, »ist bereits bestätigt. Eine Diskussion über diesen Punkt erübrigt sich. Wie schnell kann die Hoyer hier sein, Tahn?«

»Carey, berechnen Sie die Flugzeit nach Kayan.«

Sie warf Bogomil einen angewiderten Blick zu und betätigte dann die Tastatur ihrer Konsole. »Vierundsiebzig Stunden, Sir.«

»Haben Sie’s mitbekommen, Brent?«

Erleichterung breitete sich auf Bogomils Gesicht aus. »Ja. Gibt es irgend etwas, womit wir Sie von hier aus unterstützen können?«

»Schaffen Sie so schnell wie möglich jeden von diesem Planeten fort. Sie wissen doch, wie die Sache läuft: Wir feuern, sobald wir den Orbit erreicht haben.«

»Ich werde …«, begann Bogomil, doch hinter ihm sprang Silbersay auf die Füße. Sein Gesicht war zorngerötet. »Ich habe es ihnen gesagt! Ich habe ihnen gesagt, was passieren würde, aber sie wollten nicht auf mich hören! Jetzt klebt noch mehr unschuldiges Blut an unseren Händen, und alles nur, weil die Magistraten zu dumm sind …«

»Hören Sie auf!« zischte Bogomil mit weit aufgerissenen Augen. »Sie werden diese Kom-Verbindung abhören, Garold. Um Gottes willen, Sie wollen doch nicht …«

»Das ist mir gleich! Jemand muß wissen, was wir hier getan haben. Wir können nicht weiterhin grundlos Kinder erschießen!«

»Silbersay!« Bogomil sprang auf, sein Oberkörper verdeckte den Schirm.

»Garold? Garold!« rief Tahn und richtete sich auf. »Lassen Sie ihn reden, Brent. Verdammt, was geht dort vor?« Er schaute hilflos zu, wie Bogomil den Captain fortzerrte und zur Tür hinausdrängte.

Tahns Eingeweide verkrampften sich. Er spürte die Anspannung, die plötzlich auf der Brücke herrschte. Offensichtlich war Silbersay seines Kommandos enthoben worden. Halloway betrachtete ihn nachdenklich und murmelte: »Ich nehme an, die Gesetzesregeln, die seinerzeit bei den Verhandlungen auf Narmber verfügt wurden, gelten nicht mehr, wie?«

Tahn starrte sie finster an. »Haben Sie jemals einer magistratischen Kriegsgerichtsverhandlung beigewohnt, Lieutenant?«

»Nein, Sir, aber …«

»Nun, ich schon. Und ich habe keineswegs das Verlangen, dort als Angeklagter zu erscheinen. Davon abgesehen würde ich auch meine Pflicht gegenüber unseren Männern und Frauen auf Kayan nicht vernachlässigen.«

»Aha. Ohlendorf wäre stolz auf Sie, Captain.«

»Wer, zum Teufel, ist das?«

»Tahn«, rief Bogomil drängend und beugte sich so weit vor, daß sein schwitzendes Gesicht den Monitor ausfüllte.

»Ich beginne sofort mit der Evakuierung. Kommen Sie so schnell wie möglich. Wir brauchen Sie hier.«

»Ich bin unterwegs, Brent.«

Der Schirm erlosch, und drückende Stille legte sich über die Brücke. Niemand rührte sich. Tahn blickte jeden einzelnen starr an und hatte dabei einen schlechten Geschmack im Mund. Seine Leute haßten diesen Auftrag ebenso wie er selbst. Vielleicht sogar noch mehr. Sie mußten ihn ausführen und dafür sorgen, daß kein bewohnter Ort des Planeten unsterilisiert blieb.

»Halloway, geben Sie die Kurskorrekturen für Kayan ein. Ich …«

»Was ist mit den militärischen Aktivitäten auf Horeb, Sir? Möchten Sie immer noch, daß ich Dannon aufwecke?«

»Nein, vergessen Sie das. Aber sagen Sie Lieutenant Talworth Bescheid, er soll das Shuttle nehmen und im Orbit um diesen gottverlassenen Planeten bleiben. Ich will regelmäßige Berichte über die Truppenbewegungen erhalten. Und streichen Sie auch das Gespräch mit dem Ratsherrn, Macey. Es sieht so aus, als hätten die Narren auf Kayan ihren horebianischen Verwandten eine Atempause verschafft.«

Er wandte sich zur Tür. »Ich gehe in mein Quartier. Stören Sie mich nur, wenn es dringend ist.«

Die Tür glitt hinter ihm zu, und er stand im Fahrstuhl und starrte ins Nichts. »Deck vier.« Wütend schlug er mit der Faust gegen die weiße Plastikwand der Kabine.

 

Mikael träumte von seinem Großvater. Sie saßen auf dem Boden seines Zimmers und spielten im Schein einer einzelnen Kerze. Seine Mutter beobachtete sie und schüttelte liebevoll lachend den Kopf. Selbst im Schlaf füllten seine Augen sich mit Tränen, und sein Herz sehnte sich nach ihnen. Einsam. So einsam.

»Mikael?« drang eine leise Stimme in seine Träume.

Er gähnte, drehte sich auf die Seite und blinzelte träge auf das goldene Licht, das von den zimtfarbenen Wänden zurückgeworfen wurde. Doch er erinnerte sich, die Kerze ausgeblasen zu haben … Er richtete sich auf und schnappte ängstlich nach Luft. Ein Mann aus glühendem Glas kniete neben ihm. Er trug einen grünen Umhang, dessen Kapuze hochgezogen war. Das Mea baumelte von der Kette in seiner Hand herab. Sein blauer Schimmer wirkte wie ein beruhigendes Leuchtfeuer.

»Ich glaube, das ist deines, nicht wahr?« fragte der Mann freundlich und streckte ihm den Globus hin. Mikaels Augen weiteten sich, doch er war zu überrascht, um danach zu greifen.

»Hab keine Angst«, sagte der Mann sanft. »Ich tue dir nichts.«

»Bist du … bist du ein Engel Gottes?«

»Ja.«

»Wie heißt du?«

»Du kannst mich Metatron nennen.«

»Der Prinz der Göttlichen Gegenwart? Ich habe von dir gelesen«, erzählte Mikael stolz. Metatron hatte Ezra mit in den Himmel genommen, wo er mit Epagael gesprochen hatte.

»Ja, du hast fleißig gelernt. Ich habe dich beobachtet. Mikael, es gibt etwas sehr Wichtiges, das du für Gott und mich tun kannst. Wirst du uns helfen?«

»Was soll ich denn tun?«

»Du wirst das Mea brauchen.« Er hielt ihm den Globus abermals hin, und diesmal nahm Mikael ihn und hängte sich die Kette um den Hals. Sein Herz pochte, als die Kugel aufglühte.

»Ich werde alles tun, was Epagael von mir verlangt.«

»Du bist ein braver Junge. Gott wußte, daß er auf dich zählen kann. Hör genau zu, Mikael. Als neuer Führer der gamantischen Zivilisation bist du dafür verantwortlich, dein Volk zu retten. Wußtest du das?«

»O ja, ich weiß.«

Der Engel lächelte und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter. »Bevor du das tun kannst, mußt du dich erst selbst retten. Ich bin gekommen, um dir zu helfen.«

»Was wird denn geschehen? Wollen die Magistraten uns wieder angreifen?«

»Ich fürchte, ja. Gott will, daß du aufstehst, dich anziehst und ein paar Kleider einpackst. Du mußt so schnell wie du kannst nach Capitol laufen.«

Mikael warf die Decke zurück und sprang auf. Er schnappte sich sein braunes Gewand, zog es über und ließ sich dann auf den Bauch fallen, um seinen Rucksack unter dem Bett hervorzuholen. »Kann ich Onkel Mark Bescheid sagen, daß ich gehe?«

»Nein, tut mir leid. Das muß ein Geheimnis bleiben.«

»Ich verstehe. Großvater hat mir auch manchmal Geheimnisse anvertraut«, sagte er atemlos, während er Socken und Unterwäsche in den Rucksack stopfte.

Der Engel erhob sich. »In Capitol mußt du Colonel Silbersay finden. Kannst du dir den Namen merken?«

»Oh, natürlich. Ich habe den Namen schon oft gehört. Mama hat … hat immer mit ihm geredet.« Er schluckte die Tränen herunter, die in ihm aufsteigen wollten. Instinktiv wußte er, daß es nicht gut wäre, in Gegenwart eines Engels zu weinen.

Metatron beugte sich vor und strich ihm über das Haar. »Ist schon gut, Mikael. Du darfst ruhig weinen. Ich weiß, wie sehr du gelitten hast. Ich versuche dafür zu sorgen, daß niemand mehr so leiden muß.«

»Indem du Gott hilfst, uns zu retten?«

»… Ja.«

»Was soll ich Colonel Silbersay sagen, wenn ich ihn treffe?«

»Sag ihm, wer du bist, und daß deine Mutter bei seinem letzten Angriff getötet wurde. Sag ihm, du willst eine Audienz bei Direktor Slothen haben. Nach dem Vertrag von Lysomia ist das dein Recht als neuer Führer. Bestehe darauf.«

Mikael nickte, verschloß seinen Rucksack und stand auf. Er betrachtete den goldenen Engel eindringlich. »Was soll ich Slothen sagen?«

Der Engel seufzte, lächelte dann und streckte ihm die Hand hin. »Das ist eine gute Frage. Ich glaube, ich bringe dich zu Silbersays Büro. Wir können unterwegs darüber sprechen.«

Mikael ergriff die goldenen Finger und erschauerte angesichts der Wärme, die von ihnen ausging. Das Gesicht des Engels erinnerte ihn an die Züge seines Großvaters. Es war genauso sanft und weise. Und es hatte den gleichen Ausdruck von Traurigkeit um die Augen.

Mikael ließ sich von Metatron durch den dunklen Flur führen, der von seinem Strahlen erleuchtet wurde.

Als sie schließlich ins Freie traten, wurden sie von Nieselregen und kühlem Wind empfangen.

»Ist dir kalt?« fragte der Engel leise. Seine Stimme schien von den Hängen widerzuhallen.

»Nein.«

Mikael nickte, breitete jedoch gleichwohl seinen Umhang aus, hüllte Mikael darin ein und schützte ihn vor der Dunkelheit und dem Sturm.