KAPITEL
6

 

 

Jeremiel duckte sich in das nasse Gras unter einer hoch aufragenden Kiefer. Der eisige Wind drang durch seine Kleidung. Er beobachtete, wie das blaßblaue Licht des Morgens die Tautropfen färbte, die rings um ihn in den Büschen glitzerten, und richtete dann den Blick auf die vor ihm liegenden Höhlen.

Die richtigen Höhlen? Er zog eine Karte aus der Tasche, überprüfte die Eintragungen und verglich sie mit der Umgebung, wobei er seine eigene Position zu bestimmen versuchte, so gut es in diesem Gewirr aus Bäumen und Felsspitzen möglich war. Das hier mußten Zadoks Höhlen sein.

Doch ganz sicher war er sich seiner Sache nicht, und einfach in ein unbekanntes Lager hinein zu marschieren wäre selbstmörderisch. Er stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ sich in das feuchte Gras sinken, um nachzudenken. Der scharfe Duft der nassen Bäume kitzelte seine Nase, und er atmete gierig ein.

»Ich muß ganz in der Nähe sein.«

Rudy hatte ihn einen Dreitagesmarsch von den Höhlen entfernt abgesetzt, was hoffentlich weit genug weg war, um keinen Verdacht zu erregen, selbst wenn jemand seine Landung mit dem Jetpack gesehen haben sollte. Doch diese Entfernung machte es schwer, der Karte zu folgen. Kayan starrte nur so von tiefen Schluchten, hohen Hügelkämmen, ausgedehnten Wäldern und dichtem Unterholz, und während des letzten Tages war es ihm beinahe so vorgekommen, als würden die Berge ihn einem Intelligenztest unterziehen.

Eine Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit, und er beugte sich vorsichtig vor. Zwei Männer kamen aus den Höhlen und gingen zu einer kleinen Wiese hinüber. Im schwachen Licht des Morgengrauens konnte Jeremiel ihre Gesichter nicht erkennen. Er ließ den Rucksack von seinen Schultern gleiten, zog den Feldstecher heraus und richtete ihn auf den kleineren Mann. Sein Herz machte einen Sprung. Zadok. Doch wer war der andere? Nach allem, was Jeremiel wußte, konnte das ebenso gut ein Botschafter der Magistraten sein. Er durfte es jedenfalls jetzt noch nicht wagen, aus seinem Versteck hervorzukommen.

Zadok setzte sich in Bewegung und geleitete den Fremden einen grasbewachsenen Pfad entlang, der sich um den Fuß des Berges herumwand und zur Hauptstadt hinabführte. Jeremiel erhob sich geräuschlos und huschte zwischen den Bäumen hindurch, um den beiden Männern zu folgen.

Während er sie beschattete, trieb der Wind einige Gesprächsfetzen heran. Offenbar diskutierten die beiden über gamantische Politik, Ethik und Geschichte. Der große, weißhaarige Mann nickte jedesmal gehorsam, wenn Zadok energisch den Finger hob.

Als sie die Straße erreichten, die in die Stadt hineinführte, verbarg sich Jeremiel in einem dichten Gehölz oberhalb des Raumhafens, um dort das weitere Geschehen abzuwarten. Er sah, wie Zadok vor dem Eingang zögerte und heftig mit den Armen gestikulierte.

»Verdammt, Zadok«, flüsterte er, »geh nicht hinein. Wenn jemand dich ermorden will, bist du dort so wehrlos wie eine brütende Ente.«

Jeremiels Anspannung wuchs, während er Zadoks Zögern und die bittenden Gesten des weißhaarigen Manns beobachtete. »Tu es nicht!«

Schließlich warf Zadok die Arme hoch und betrat den Raumhafen. Der Fremde folgte ihm. Jeremiel schüttelte den Kopf. Zadok, dieses alte Schlachtroß, hatte sich überreden lassen, ein von Menschen wimmelndes Regierungsgebäude zu betreten, in dem es keine Möglichkeit zur raschen Flucht gab? Das machte keinen Sinn. Mehr noch, es löste in seinem Innern die Alarmglocken aus. Die Magistraten waren sehr gerissen. Möglicherweise benutzten sie Zadok als Köder – um ihn in das verdammte Gebäude zu locken.

Er duckte sich ins Gebüsch und beobachtete das Bauwerk genau. Soldaten bewachten sämtliche Eingänge, doch sie schienen nicht zu den Spezialeinheiten zu gehören. Sie liefen sorglos umher und unterhielten sich lautstark. »Schlecht ausgebildet. Vermutlich gehören sie zu den planetaren Truppen.« Es war allgemein bekannt, daß die kayanischen Militärstützpunkte hauptsächlich mit Buchhaltern und anderen Schreibtischhengsten besetzt waren.

Doch bei den Magistraten konnte man nie sicher sein. Es mochte durchaus sein, daß sie in der vergangenen Woche eine geheime Einheit hier abgesetzt hatten. Teufel auch, es war sogar möglich, daß sich genau in diesem Moment ein Kreuzer im Orbit befand.

Er warf einen unbehaglichen Blick zum blauen Himmel und zog sich tiefer ins nasse Unterholz zurück.

Die Magistraten waren den meisten Spezies der Galaxis ein Rätsel. Alle vier waren Giclasianer und besaßen außergewöhnliches Geschick, wenn es um Organisation und Manipulation ging. Ihre gewalttätige Natur galt schon als sprichwörtlich. Vor mehr als zwei Millennien, als sie vorgaben, die Galaxis durch die Etablierung einheitlicher ökonomischer Strukturen einigen zu wollen, hatten die Giclasianer mächtige Flotten in die verschiedenen Sonnensysteme geschickt und jeden getötet, der ihren Plänen nicht zustimmte. Anschließend hatten sie die Gründung der Union der Solaren Systeme erzwungen und sich selbst als Herrscher eingesetzt, um die Bürger zu schützen und die Nutzung und Neuverteilung sämtlicher Ressourcen zu überwachen. Wie sich zeigte, beherrschten sie das so gut, daß es den Bewohnern der meisten Planeten nicht einmal auffiel, wenn sie um all ihre Schätze geprellt wurden. Die Gamanten freilich reagierten anders. In der Anfangszeit, bevor die Magistraten ihre Ausbeutungsmethoden perfektionierten, hatten sie mit ansehen müssen, wie ihre reiche Welt praktisch bis hin zur Verwüstung ausgeplündert wurde. Widerstand war die Folge. Die Gamanten verlangten das Recht, die Nutzung ihrer Ressourcen selbst zu verwalten. Als die Magistraten dieses Ansinnen ablehnten, stellten die Gamanten eine Geheimarmee auf, die magistratische Einrichtungen infiltrieren und sabotieren sollte. Nach der Vertreibung ins Exil waren sie auf Dutzenden verschiedener Welten vernichtend geschlagen worden. Der Kampf zog sich jahrhundertelang hin, doch schließlich hatten die Gamanten auf der Ebene von Lysomia gesiegt – und waren praktisch aus der Union hinausgeworfen worden. Obwohl der Vertrag festhielt, daß die Gamanten auch weiterhin »Bürger der Galaxis« und somit in bestimmten Belangen den Gesetzen der Regierung unterworfen waren, überließ man sie weitgehend sich selbst. Oder isolierte sie hoffnungslos, je nach Standpunkt. Handelswege wurden unterbrochen, Geschäftspartner eingeschüchtert oder mental »korrigiert«, bis die gamantischen Planeten schließlich zu einsamen Inseln inmitten der Union wurden. Die Situation hatte sich in jüngster Zeit verschärft, nachdem die Regierung ihr Recht wahrnahm, »friedliche« militärische Stützpunkte auf gamantischen Planeten einzurichten und überdies Vereinbarungen anzustreben, die es ihr erlaubten, gamantische Kinder zu »unterrichten«.

Jeder wußte, was in diesen Schulen geschah. Die Magistraten hatten ein Programm gestartet, bei dem die Zerstörung der gamantischen Kultur schon in den Gehirnen der Menschen begann. Und die Militärbasen sollten diesen Prozeß absichern, falls sich Widerstand regte.

Jeremiel veränderte seine Position und beugte sich vor, um die Wachen zu beobachten, die die Eingangstüren verlassen hatten, um sich auf dem Landefeld zu sammeln. »Verdammt, wenn wir doch nur ihre zentrale Basis vernichten könnten.«

Palaia Station war der Schlüssel. Sie war eingerichtet worden, um die Mitglieder der Regierung und die Energiereserven zu schützen, doch noch nie war es einem Außenseiter gelungen, den Schleier zu lüften, der ihre Geheimnisse verbarg. Eine schier endlose Reihe elektromagnetischer Schilde schützte die Station und verwandelte sie in eine undurchdringliche Festung. Jeremiel hatte oft genug versucht, dort einzudringen, doch stets ohne Erfolg. Der Mann, dem es gelang, Palaias Geheimnis zu ergründen, würde die Galaxis beherrschen.

Jeremiel erhob sich und wagte sich bis an den Rand des Waldes vor, wobei er weiterhin argwöhnisch den Raumhafen beobachtete. Seine Haut kribbelte angesichts der Gefahr.

»Verdammt«, verfluchte er sich selbst. Er verspürte das überwältigende Verlangen, selbst den Hafen zu betreten und Zadok dort herauszuholen.

»Jetzt benimm dich nicht wie ein Narr. Das wäre viel zu riskant. Wahrscheinlich trifft sich Zadok dort nur mit jemandem und ist gleich wieder draußen.«

Mit einem unguten Gefühl verbarg er sich im dichten Gebüsch neben einem Mahagonibaum und wartete. Sein Blick ruhte starr auf der Eingangstür.

 

Yosef Calas rückte seine runde Brille zurecht und drängte sich dicht an das Bullauge, um die smaragdgrüne Welt dort unten zu betrachten. Der keilförmige Kontinent Taxo leuchtete opalisierend inmitten der ihn umgebenden Nebelbänke. Als das Schiff tiefer herabsank, erzeugte der sich ändernde Winkel der Sonnenstrahlen sämtliche Farben des Regenbogens. Tiefe grüne Täler und gezackte Granitgipfel tauchten vor ihnen auf, als sie näher kamen.

»Ari? Komm her und schau dir das an. Es ist wirklich schön.«

Sein Freund rührte sich nicht aus seinem Sessel. »Für mich sehen sie alle gleich aus. Planeten sind Planeten. Riesige Kugeln aus Staub.«

Yosef zog ein finsteres Gesicht. Ari hatte die langen Beine auf das Kontrollpult des kleinen Schiffs gelegt und trank ein Bier. Er war ein außergewöhnlich großer, alter Mann mit dickem grauem Haar, das ihm als verfilztes, ungekämmtes Gestrüpp über die Ohren fiel. In seinem faltigen, hohlwangigen Gesicht fiel die gebrochene Nase auf – ein deutliches Zeichen, daß er in der Ginbrennerei einen Streit zuviel vom Zaun gebrochen hatte. Yosef fragte sich mitunter, ob die einzelnen Teile des dünnen Körpers seines Freundes tatsächlich mit dem Kopf verbunden waren.

»Du Traumtänzer«, rief Yosef ungehalten. Er schlenderte zu Ari hinüber und schob dessen Stiefel unsanft von der weißen Konsole. »Wie oft muß der Captain dir noch sagen, daß du uns damit alle in die Luft jagen kannst?«

»Er kümmert sich doch gar nicht mehr darum!« meinte Ari und deutete auf den Mann mittleren Alters im grauen Raumanzug, der das Helmvisier geschlossen hatte und dessen Hand verdächtig nahe beim Auslöser des Schleudersitzes lag.

»Na klar, und deine Mutter weiß auch genau, wer dein Vater war. Der arme Mann ist es nur leid, dich ständig zu ermahnen, du einfältiger …«

»Bah!« Ari grinste ihn breit an. »He, komm mal her. Willst du wissen, wofür dieser Schalter ist?« Seine Finger tasteten nach einem roten Hebel, unter dem »AutoDes« stand.

»Nicht berühren!« brüllte der Captain und schoß halb aus seinem Sessel hoch.

Yosef zuckte zurück und riß erschrocken die Augen auf. Die Stimme des Mannes drang krächzend aus dem Helmlautsprecher. »Verschwindet hier und setzt euch auf die Passagierplätze! Verflucht! Ich weiß gar nicht, warum ich solche Aufträge überhaupt annehme!«

Ari knuffte Yosef in die Seite und zwinkerte. »Er ist hier der Einfältige. Wir bezahlen ihn fürstlich und er weiß nicht, weshalb …«

»Ihr habt für die Geschwindigkeit bezahlt, du alter Narr. Das hier ist eines der schnellsten Schiffe im ganzen Sektor«, verteidigte sich der Captain.

Yosef warf die Hände empor und setzte sich in einen der lavendelblauen Passagiersessel, wo er den Knopf drückte, der die Lebenserhaltungssysteme an seinem Platz aktivierte.

Ari beäugte ihn herablassend. »Du hast doch nicht etwa Angst, oder?«

»Nicht, solange ich vor dem Vakuum geschützt bin.« Yosef betätigte den Musikschalter in seiner Armlehne und drehte die Lautstärke so weit auf, daß er Aris weitere Bemerkungen nicht mehr hörte. Unglücklicherweise konnte er seine rudernden Armbewegungen jedoch immer noch sehen.

Die Seros war ein sehr kleines Schiff. In erster Linie für hohe Geschwindigkeit gebaut, bot sie lediglich Platz für vier Mitreisende. Anzeigentafeln voller wabernder, bunter Linien bedeckten die Stirnwand, während das Kontrollpult darunter von Hebeln, Knöpfen und Computerschirmen bedeckt war. An jeder Seite des Schiffs befand sich jeweils nur ein einfaches rundes Bullauge. Als Yosef sich umschaute, fiel sein Blick auf das Spiegelbild in der silbernen Abdeckung über seinem Kopf. Er sah einen kurzgewachsenen, rundlichen Mann, dessen ansonsten kahler Schädel von einem Kranz dicht anliegenden weißen Haars umgeben war. Nur um sicher zu gehen, befeuchtete er seine Handflächen und strich die Haare nochmals glatt. Sein rundes Gesicht war in den letzten fünfzig Jahren deutlich schlaffer geworden. Tiefe Falten in seiner sonnengebräunten Haut kündeten von harten Zeiten, doch seine braunen Augen blitzten noch immer dunkel und aufmerksam über der stumpfen Nase. Er rückte den hohen Kragen seines blaßgrünen Anzugs gerade und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Ari zu.

Sein langjähriger Freund stand neben dem Captain und versuchte, auf irgendwelche Knöpfe zu drücken, während der Mann im Raumanzug Aris Hände immer wieder von den Kontrollen fortschob. Das Gesicht des Captains war rot angelaufen, und sein Mund stieß eindeutig einen Strom von Beleidigungen aus. Yosef schüttelte den Kopf und schloß die Augen, um das vertraute Gefühl der Schwerelosigkeit zu genießen, das sich kurz vor der Landung stets einstellte.

Das Schiff schwankte ein wenig, bevor es sanft auf der Landefläche aufsetzte. Yosef öffnete die Augen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Captain drohend die Faust gegen Ari schüttelte, sich dann seinen Pilotenkoffer schnappte und durch die geöffnete Luke verschwand. Yosef schaltete den Sicherheitsschirm ab und beugte sich vor.

»So ein Paragraphenreiter«, rief Ari und zeigte auf die Luke. »Er wollte mich nicht einmal versuchen lassen, das Schiff zu landen.«

Yosef stieß einen tiefen Seufzer aus und ging zum Gepäckabteil, um seine Reisetasche zu holen. »Komm schon. Zadok wartet wahrscheinlich schon seit Stunden.«

»Wir haben zweitausend Lirot bezahlt und sind trotzdem noch zu spät. Wir sollten wirklich …«

»Wenn du den Beschleunigungshebel nicht direkt nach dem Start verklemmt hättest, wären wir vermutlich pünktlich gewesen«, erklärte Yosef, als er aus der Luke in das helle Sonnenlicht Kayans hinaustrat.

Der kalte, Regen verheißende Wind schnitt in sein Gesicht. Am Horizont war eine schwarzblaue Wolkenbank zu sehen, die sich auf die Stadt zubewegte. Der Raumhafen befand sich in einer Art Senke, umgeben von dicht mit Bäumen bewachsenen Hügeln. Direkt vor ihm bildete ein Komplex einstöckiger grauer Gebäude einen Halbkreis. Buntgekleidete Menschen, die offenbar von einer ganzen Reihe verschiedener Planeten stammten, drängten sich an einer Stelle zusammen. Yosef setzte sich in Bewegung, um zu ihnen hinüberzugehen, da er vermutete, der Haupteingang sei geschlossen.

»Warte mal«, sagte Ari hinter ihm.

Yosef blieb stehen und warf seinem Freund einen strengen Blick zu. Aris blauer Anzug sah aus, als hätte er darin geschlafen. »Was ist denn jetzt wieder?«

»Schau dir das an.«

Yosef rückte die Brille zurecht und spähte zu den Männern in purpurfarbener Kleidung hinüber, die die Menschen durchsuchten. »Das sind Marines. Was stimmt damit nicht?«

»Marines bewachen keine Raumhäfen, es sei denn …«

»Warst du schon einmal auf Kayan?«

»Das spielt keine Rolle. Marines überwachen keine …«

»Sie werden dich schon nicht belästigen. Jetzt komm endlich!«

»Mich belästigen? Natürlich nicht. Ich habe auch nicht vor, mich dort anzustellen, damit sie mich abtasten können.« Er schob sich an Yosef vorbei. Der kniff die Augen zusammen und seufzte. Er hatte keine Ahnung, was Ari vorhatte. Zögernd folgte er ihm.

Als sie sich dem Gebäude näherten, waren die Soldaten gerade damit beschäftigt, jemand anderen auszufragen. Ari nutzte die Gelegenheit, den Öffner jener Tür zu betätigen, über der »Ankunft – Zollabfertigung« stand. Er war schon halb durch die Tür, als ein lauter Befehl ihn stoppte.

»He!« rief einer der Wächter und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Stehenbleiben.«

Ari schaute sich suchend um, als überlege er, wen die Wache wohl meinen mochte.

Yosef preßte erschrocken die Lippen zusammen und murmelte: »Du Idiot. Jetzt werden sie uns wahrscheinlich einsperren.«

»Sie beide«, befahl der Wächter, »kommen Sie her. Wir müssen Ihre Papiere überprüfen, bevor Sie dort hinein dürfen.«

Ari legte fragend den Kopf schief, als würde er die intergalaktische Sprache nicht verstehen. Yosef watschelte eilig zu dem Soldaten hinüber und erklärte: »Er ist senil. Sie müssen ihm Handzeichen geben.« Mit einer übertriebenen Geste winkte er seinen Freund heran. »Sehen Sie? Als würde man einen Hund rufen.«

Ari blickte verwirrt drein, gehorchte aber. Als er nahe genug gekommen war, raunte er Yosef zu: »Du hast es wie immer vermasselt. Wir wären mit Leichtigkeit durchgeschlüpft, wenn du nicht …«

»Entschuldigen Sie«, unterbrach ihn die Wache und wiederholte Yosefs übertriebene Geste, um Ari klarzumachen, er solle näher herankommen.

Ari warf Yosef einen vernichtenden Blick zu. »Was wollen Sie?«

Höflich erklärte der Wächter: »Ich muß Sie durchsuchen, Sir. Bitte legen Sie die Hände hinter den Kopf und spreizen Sie die Beine.«

Zögernd gehorchte Ari. Der Wächter zog einen langen Stab aus dem Gürtel und fuhr damit an Aris Beinen entlang, wobei er das Anzeigenfeld betrachtete, um mögliche Hinweise auf verborgene Substanzen zu erhalten. »Gut«, meinte der Soldat. »Sieht so aus, als wäre bei Ihnen alles in Ordnung.«

»Natürlich ist bei mir alles in Ordnung.«

»Nur eine Sache noch«, meinte der Wächter und kniete nieder, um Aris Beine mit den Händen abzutasten.

Ari machte einen Luftsprung. »Moment mal …«

»Das gehört zur Standardprozedur, Sir.«

»Ist mir egal. Ich …«

»Halten Sie still!« verlangte der Wächter, als Ari wie ein Fisch am Haken zappelte.

Ari Funk biß die Zähne zusammen, machte ein finsteres Gesicht und warf Yosef einen Blick zu, als wäre der an allem Schuld. Yosef gähnte und schenkte ihm keine Beachtung.

Als der Wächter seine Hand zu Aris Schritt hob, grinste der alte Mann breit. »Ganz nett, nicht wahr?«

Der Wächter hielt inne. Sein Gesicht lief rot an. »Wie bitte?«

Yosef schloß die Augen und sah sich schon in einer Gefängniszelle sitzen. Ari ließ keine Gelegenheit aus, sich mit Regierungsvertretern anzulegen.

Der Wächter stand auf und streckte eine Hand aus. »Zeigen Sie mir Ihre Papiere.«

Yosef wühlte in seiner Jackentasche, zog die Papiere heraus und wartete, bis Ari seinem Beispiel gefolgt war. Dann stieß er den Freund in die Rippen und flüsterte: »Ich muß mit dir reden.«

»Worüber?«

Yosef packte Ari am Ärmel und zog ihn ein Stück beiseite, während der Soldat ihre Reisegenehmigungen überprüfte.

»Warum hast du das gemacht? Jetzt werden sie uns in die Mangel nehmen.«

»Bah!« Ari machte eine wegwerfende Handbewegurig. »Ich habe doch gar nichts gemacht. Das war er.«

»Du Schwachkopf. Du hast dich doch gewehrt.«

»Hast du gesehen, wie er bei einem anderen Mann die Familienjuwelen abgetastet hat?«

Yosef überlegte kurz. »Nein, aber …«

»Diese Philister sind doch alle neidisch. Sie wollen sich unbedingt vergewissern, ob die Geschichten über die Gamanten stimmen.«

»Ich wußte, ich hätte dich nicht mitnehmen sollen. Du machst nichts als Ärger. Beschuldigst andere …«

»Hast du jemals die Hoden von Philistern gesehen?« hakte Ari nach und stemmte seine Hände auf die knochigen Hüften.

»Ich habe noch keine Studien betrieben.«

Sein Freund formte aus Daumen und Zeigefinger einen kleinen Kreis. »Armselige Dinger.«

»Was soll das? Verbringst du deine ganze Zeit auf Latrinen, um andere Leute zu beobachten?«

»Man muß da gar nicht wissenschaftlich vorgehen. Es reicht schon, wenn du einen oder zwei gesehen hast, um den Unterschied zu erkennen.«

»Calas! Funk!« rief der Wächter scharf. »Hier sind Ihre Papiere.«

Sie gingen zurück und nahmen die Unterlagen an sich. »Danke sehr«, sagte Yosef höflich und wollte in Richtung Tür.

»Einen Moment!« Der Wächter deutete barsch zur Seros hinüber. »Kehren Sie zum Schiff zurück. Der Planet ist heute für Gamanten gesperrt.«

Yosef warf einen raschen Seitenblick auf Ari und krümmte sich innerlich, als er sah, wie sein Freund die Lippen zusammenpreßte, bis sein Mund wie eine vertrocknete Pflaume aussah. »Was soll das heißen? Wir sind genauso gut wie …«

»Schluß damit! Mir ist völlig gleichgültig, von wem Sie abstammen. Meine Befehle lauten, heute keinen Gamanten durchzulassen. Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn die Lage sich wieder entspannt hat.«

»Was gibt’s denn für Spannungen?« hakte Ari mit vorgerecktem Kinn nach.

»Ich habe keinen Zugang zu dieser Information.«

»Na, dann finden Sie es heraus!«

Zorn loderte in den Augen der Wache auf. Yosef packte Ari am Schoß seiner Jacke und zog ihn nach hinten. »Sehen Sie ihm das bitte nach, Soldat«, flüsterte er verschwörerisch. »Seine Ärzte haben Tag und Nacht herauszufinden versucht, was mit seinem Gehirn nicht stimmt, doch bisher ohne Ergebnis.«

Der junge Mann runzelte argwöhnisch die Stirn. »Dann schlage ich vor, daß Sie ihn ins Schiff zurückbringen, damit er nicht in irgendwelche Schwierigkeiten gerät.«

»Das werde ich machen.«

Yosef zerrte seinen Freund gewaltsam fort. Doch kaum hatten sie zehn Schritte gemacht, da platzte Ari los: »Ich gehe nicht! Sie dürfen uns nicht so behandeln. Wir sind schließlich auch Bürger der Galaxis.«

Yosef öffnete den Mund zu einer Erwiderung, doch ein so plötzlicher, furchtbarer Schmerz durchzuckte seinen Kopf, daß er ins Stolpern geriet. Die ganze Welt drehte sich um ihn. Was war das? Irgend etwas stimmte hier nicht. Irgend etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Yosef barg den Kopf zwischen den Händen und versuchte den Schmerz fortzudrücken.

»Ich weigere mich …«

»Sei still!«

Ari runzelte angesichts des scharfen Tons die Stirn, und sein Gesichtsausdruck wechselte von Trotz zu Besorgnis. »Ist alles in Ordnung?« flüsterte er und packte Yosefs Arm, um ihn zu stützen, als er rückwärts taumelte. »Was ist los?«

»Mein Kopf … Ich …«

»Komm mit, wir suchen uns einen Platz zum Ausruhen.«

»Ich muß zur Beerdigung meiner Nichte, Ari. Wenn ich im Gefängnis lande, weil du …«

»Ist schon recht«, gestand Ari schuldbewußt ein. »Ich wollte nicht alles durcheinander bringen.« Er stützte sanft Yosefs Arm und geleitete ihn zur Seros zurück.

»Sind es nur Kopfschmerzen oder etwas anderes?«

»Ich weiß nicht.« Yosef blinzelte, als der Schmerz so schnell nachließ, wie er gekommen war. »Aber es geht mir schon etwas besser.«

Schweigend stiegen sie die Stufen zum Schiff empor. Yosef warf seine Tasche wütend ins Gepäckabteil. Sie prallte von der Wand ab und landete auf dem Boden neben dem Kontrollpult. Yosef wankte zu einem der Sitze und ließ sich hineinfallen.

Ari stieß den angehaltenen Atem aus und ging zur winzigen Kombüse hinüber. Dort nahm er zwei Flaschen Bier aus der Kühleinheit, kehrte zu Yosef zurück und setzte sich neben ihn.

»Hier«, sagte er sanft und gab ihm das Bier. »Du brauchst es nötiger als ich.«

»Danke.«

Ari runzelte die Stirn und betrachtete Yosef forschend. Auf seinem faltigen Gesicht zeichnete sich seine Besorgnis deutlich ab. »Fühlst du dich jetzt besser? Du siehst blaß aus.«

»Es geht mir besser. Der Schmerz ist genauso schnell wieder verschwunden, wie er gekommen ist.«

»Wahrscheinlich lag es nur an der Sonne. Mach dir darüber keine Sorgen. Nach einem kühlen Schluck fühlst du dich besser.«

Eine Weile saßen sie schweigend da und nippten an dem kalten Bier. Die eisige Flasche fühlte sich in Yosefs erhitzter Hand gut an. Geistesabwesend betrachtete er die Reihen leerer Computerschirme auf dem Kontrollpult.

»Nun, was glaubst du?« sagte Ari ruhig. »Hat man Quoten für Gamanten festgesetzt oder so was in dieser Art?«

»Schon möglich.«

»Ich glaube eher, man hat irgend jemandem einen gewaltigen Schreck eingejagt. Marines überwachen keinen Raumhafen, es sei denn, sie erwarten ernste Probleme.«

»Von den Gamanten auf diesem Planeten?«

Ari schüttelte den Kopf und hob die Flasche, um einen tiefen Schluck zu nehmen, bevor er sich in den Sessel zurücksinken ließ. »Von jemandem, der hierher kommt.«

»Das könnte sein.«

»Was glaubst du, wen sie erwischen wollen?«

Yosef zuckte die Achseln. Im Moment war ihm das wirklich egal. Er versuchte den Aufruhr in seinem Innern zu analysieren. Seine Großmutter hatte unter den gleichen plötzlichen Attacken gelitten, wie er sie gerade erlebt hatte – und zwar immer, bevor etwas Furchtbares geschah. Er warf einen Blick aus dem Bullauge. Das Licht der Nachmittagssonne zauberte schimmernde, bernsteinfarbene Flecken auf die Nadeln der Kiefern, die sich rings um den Raumhafen drängten. Yosef holte tief Luft und stieß sie durch die Nase wieder aus. »Ich mache mir nur Gedanken darüber, wie ich zu meinem Bruder kommen kann. Ich weiß nicht, wieso, aber ich habe ein schlechtes Gefühl, hier draußen herumzusitzen.«

»Du bist auf dem Weg zu einer Beerdigung. Kein Wunder, daß du dich schlecht fühlst.«

»Das ist es nicht. Ich kannte Ezarin nicht einmal, und außer Mitleid empfinde ich nichts für sie. Aber Zadok …«

»Mach dir keine Sorgen. Wir treffen ihn bald.«

Yosef nickte, doch seine Finger umklammerten die Bierflasche so fest, daß sich die Nägel weiß verfärbten. Er kannte diesen blendenden Schmerz, hatte ihn zuvor schon zweimal erlebt. Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zurück in seine Kindheit und zu jenen Tagen vor dem schrecklichen Tod seiner Mutter.

Ein Gewicht lastete mit solch gewaltiger Macht auf seiner Brust, daß er kaum noch atmen konnte.