36
Er parkte vor Bobs Haus. Er blieb am Steuer sitzen und fragte sich, ob er es durchziehen könnte. Im Radio wurden Lieder aus den 1980ern gespielt: Rick Astley, Mel & Kim. Damals hatte er das Zeug gehasst, aber jetzt erfüllte es ihn mit akuter und schmerzlicher Nostalgie. Er fragte sich, wie er hier gelandet war, in diesem Auto, heute Abend. Er hörte sich den Anfang der Sieben-Uhr-Nachrichten an. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
Im besten Fall war sein Zeitplan annähernd richtig. Im schlechtesten Fall war er vom Glück abhängig. Justin würde das, was Nathan da machte, »sich durchmogeln« nennen.
Bob machte auf. Er hatte sich rasiert, aber sein Haar war ein wirres Knäuel mit fettigem Ansatz.
Mit der Aktentasche unterm Arm ließ Nathan sich hineinführen. Während er Bobs schweren, tollpatschigen Schritten durch den Flur folgte, fragte er: »Hast du in letzter Zeit überhaupt das Haus verlassen?«
»Ja, um Milch zu kaufen. Wieso?«
»Du musst an die frische Luft, Junge.«
Bob schnaubte wie ein Bulle, und sie gingen nach unten.
Das Apartment sah anders aus. Der ganze Kleinkram war an die Wände geschoben worden. Der Großteil der Möbel ebenfalls. Der Teppich war herausgerissen und lag halb zusammengerollt, halb gefaltet, in der Kochnische. Bob hatte die graue Unterlage entfernt. Reste davon klebten noch am Betonboden. Auf den Beton hatte er einen großen Kreidekreis gezeichnet und um den Kreis herum eine Reihe von Bildzeichen eingeritzt. Sie waren sorgfältig ausgearbeitet und erinnerten an Tierkreiszeichen. In den Kreis hatte er ein Sofa und den Fernseher geschoben.
»Was zum Teufel ist das denn?«, fragte Nathan.
»Es beschützt.«
»Muss ich irgendwas machen, bevor ich hineintreten kann?«
Bob sah Nathan an, als sei er komplett bescheuert.
»Nein.«
»Okay.«
Nathan machte seine Aktenasche auf und nahm eine Flasche Laphroaig heraus. »Willst du was trinken?«
»Wir brauchen einen klaren Kopf.«
Er zeigte Bob die Flasche.
»Der ist fünfzehn Jahre alt.«
Bob betrachtete sie.
Nathan sagte: »Ich kann das nicht ohne einen Drink, Bob. Mach du, was du willst.«
Er ging zur Arbeitsplatte. Ein paar Stunden zuvor hatte er dreißig Temazepam-Kapseln in dem Whisky aufgelöst. Dann hatte er den Metallverschluss mühevoll von Hand wieder zugelötet, wobei er auf dem Fahrersitz seines Wagens gesessen und die Flasche zwischen den Knien gehalten hatte. Jetzt sah er, dass er keine gute Arbeit geleistet hatte: Kleine Tröpfchen Lötmetall waren an der Naht sichtbar. Aber er wollte, dass Bob das leise Krachen hörte, wenn der Verschluss aufging, also drehte er sich zu ihm um, als er ihn öffnete – wie Leute es tun, wenn sie Champagner aufmachen.
»Eis?«
»Es gibt kein Eis.«
Nathan schenkte Bob einen Becher ein und ließ ein paar Tröpfchen Leitungswasser hineinlaufen. Dann goss er sich selbst einen winzigen Schuss ein. Er füllte das Glas bis zum Rand mit Wasser.
Er trat in den Kreis und reichte Bob das Glas.
»Prost.«
Bob schüttete den halben Drink hinunter. Er war mürrisch und hatte rote Augen. Nathan nahm einen kleinstmöglichen Schluck. Er behielt ihn im Mund. Als Bob wegschaute, spuckte er ihn zurück.
»Der schmeckt komisch.«
»Das kommt vom Torf. Es ist ein sehr torfiger Whisky.«
Bob schwenkte den Rest auf dem Boden des Bechers.
»Er hat einen Nachgeschmack.«
»Er ist fünfzehn Jahre alt.«
»Meinetwegen.«
Noch einmal spuckte Nathan zurück in seinen Whiskey, während Bob seinen Drink leerte und das Glas abstellte.
»Also. Bringen wir’s hinter uns.«
Er ging hinüber zum schmuddeligen Bett. Bückte sich und kramte darunter herum. Dann zog er einen alten Samsonite-Koffer hervor.
»Willst du sie etwa in einen Koffer packen?«
»Was schlägst du denn vor?«
Nathan fiel nichts ein. Ein Koffer war das Unverdächtigste der Welt.
Er verlagerte sein Gewicht ein wenig und griff in seine Tasche, um zu prüfen, ob die zusammengerollten Latexhandschuhe noch darin waren. Er holte seine Zigarettenschachtel heraus. Sie war leer.
»Meine Zigaretten sind alle.«
»Nimm meine.«
»Ich bin in fünf Minuten wieder da.«
»Wir müssen das jetzt durchziehen.«
»Ich kann das nicht ohne Zigaretten.«
»Na schön. Von mir aus. Aber beeil dich, verdammt noch mal.«
»Fünf Minuten.«
»Okay. Von mir aus.«
»Kann ich deinen Schlüssel haben?«
»Lass die Tür angelehnt.«
Nathan biss die Zähne zusammen. Dann lockerte er seine zu Fäusten geballten Hände.
»Na gut. Bis gleich.«
Er ging nach oben. Er ließ die Eingangstür angelehnt. Am Gartentor verlor er die Kontrolle über sich. Er begann zu zittern.
Er setzte sich auf die niedrige Mauer und wartete, bis es vorbei war.
Er ging zum Laden an der Ecke. Er kämpfte so sehr gegen den Drang, sich zu beeilen oder gar zu rennen, dass seine Beine schmerzten.
Er fragte sich, wie er je an die Schlüssel kommen sollte.
Im Laden kaufte er zwei Päckchen Marlboro Lights. Er bemerkte die Überwachungskamera in der Ecke über dem Tresen. Ein kleiner Monitor zeigte ihn in Schwarz-weiß, optisch verkürzt. Die kleine kahle Stelle auf seinem Kopf wirkte riesig. Er hoffte, dass der Ladenbesitzer die Videobänder über Nacht löschte.
Vor dem Laden zündete er sich eine Zigarette an und ging so langsam er nur irgendwie konnte zu Bob zurück – damit das Temazepam, dessen Effekt vom Alkohol stark vervielfacht wurde, Zeit hatte zu wirken. Die Nacht war kalt. Er schwitzte.
Die Tür war noch angelehnt. Er machte sie hinter sich fest zu und ging durch den Flur hinunter ins Apartment.
Er trat ein und schloss die Tür.
Drinnen saß Bob auf dem Sofa. Der Koffer lag geöffnet zu seinen Füßen. Bob leerte gerade einen weiteren Drink und las den laminierten Zettel.
»Das wurde auch Zeit.«
»Sorry.«
Bob hielt den Zettel an den Ecken fest, reinigte ihn von Fingerabrücken und warf ihn danach achtlos in den offenen Koffer.
Dann fragte er: »Warum hast du in die Garage eingebrochen?«
»Ich dachte, du hättest das Haus nicht verlassen.«
»Ich wusste, dass du das tun würdest.«
»Was soll ich sagen?«
»Wie kannst du es nicht merken? Sie ist hier. Genau jetzt. In diesem Zimmer.«
»Ich weiß, dass sie hier ist.«
Er warf Bob eine Zigarette zu. Bob versuchte sie zu fangen. Griff daneben. Er tastete danach, fiel fast vom Stuhl.
»O Mann«, stöhnte er, »was ist bloß drin in dem Zeug?«
»Es ist fünfzehn Jahre alt.«
Nathan warf einen Blick auf die Uhr. Es war 19.40 Uhr. Er dachte an die kalte Luftschicht, die nachts über einem Fluss liegt.
»In gewisser Weise«, sagte er, »sollte ich dir wahrscheinlich dankbar sein.«
»Wofür?«
»Für mein Leben.«
Bobs Gesicht verzog sich spöttisch.
»Ich meine das ernst«, sagte Nathan. »Ich mag mein Leben. Und es wäre nie so verlaufen, wenn du nicht …« Er konnte es nicht aussprechen. »Wenn du nicht getan hättest, was du getan hast.«
Bob prostete ihm zu. »Schön für dich.«
»Und ich hab nachgedacht. Über das Leben nach dem Tod: Wenn es eins gibt, landen wir alle da, früher oder später. Und wenn es keins gibt, wo ist der Unterschied? Wir werden es nie erfahren.« Er deutete auf die Bücher in Bobs muffiger, vollgestopfter Bibliothek. »Also was ist der Sinn? Welchen Sinn hat es, sein Leben mit Gedanken über den Tod zu verschwenden?«
»Was ist der Sinn von allem?«
»Das Leben ist der Sinn.«
Bob war schläfrig wie ein Löwe. Er starrte auf die Bildzeichen am Boden, in den offenen Koffer. Auf den laminierten Zettel. Nathan betrachtete ihn lange.
Dann sagte er: »Bob?«
Bob fuhr zusammen, als hätte er vergessen, dass Nathan da war. Er starrte ihm einige Momente lang mitten ins Gesicht, als versuche er, ihn einzuordnen.
Er sagte: »Ja«, und versuchte aufzustehen.
Aber er konnte nicht aufstehen. Er fiel zurück aufs Sofa.
Nathan sah auf die Uhr.
Dann nahm er die Latexhandschuhe aus der Tasche. Er hatte die Schachtel in der Apotheke gekauft. Er streifte sich die Handschuhe über. Zwei kleine Talkumflecken bildeten sich an seinen Handgelenken. Er holte eine Packung Temazepam aus seiner Tasche und begann die kleinen kastanienbraunen Geleebohnen eine nach der anderen in seine Handfläche zu drücken.
Er trat in den Kreis. Als Bob seine Entschlossenheit sah, versuchte er aufzustehen. Aber er fiel wieder nach hinten und schaute sich nur verwirrt um, als hätte er etwas verlegt.
Nathan drückte ihn aufs Sofa nieder.
»Was tust du da?«, fragte Bob.
Es klang unzusammenhängend und undeutlich, wie die Stimmen auf seinen Tonbändern.
Nathan legte die Hände um Bobs Kehle.
Bob griff nach Nathans Handgelenken. Er riss und zerrte daran.
Sie rangen eine Weile. Bob war ein starker Mann, aber seine Kräfte verließen ihn. Er atmete durch die Zähne. Er machte angestrengte, schnaufende Geräusche.
Nathan drückte einen Daumen in Bobs Auge.
Bob öffnete den Mund, um zu schreien.
Nathan stopfte Bob eine Hand voll Temazepam in den Mund.
Dann umschloss er Bobs Kehle mit der Armbeuge. Bob wollte den Mund nicht schließen. Er bewegte die Zunge und ließ ein paar Tabletten aufs Sofa und auf den verhexten Betonboden regnen, von dem sie aufsprangen.
Nathan schlug Bobs Kiefer mit dem Handballen zu. Es krachte laut.
Auf Bobs Lippen war Blut. Aber er wollte nicht schlucken. Sein Gesicht war pflaumenblau, auf seiner Stirn bildeten die Adern ein großes Dreieck.
Nathan hielt ihm die Nase zu.
Bob sträubte sich. Er stemmte sich hoch und warf sich hin und her, aber schwach, wie jemand, der träumt.
Er machte panische Geräusche, wimmerte tief unten in seiner Kehle.
Er versuchte aufzustehen.
Nathan drückte ihn nieder. Der scharfe Geruch von grünen Tomaten und Zigaretten und muffiger Kleidung. Bobs Haut und die Stoppeln und die Haare in seinem Gesicht.
Schließlich schluckte Bob.
Dann sah er zur Decke und schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender: »O Gott, was tust du da?«
Nathan hob so viel vom verstreuten Temazepam auf, wie er finden konnte, und steckte es Bob in den Mund. Es war viel dunkles Blut darin – und etwas von hellerem Rot. Bob hatte sich die Zungenspitze abgebissen.
Nathan hockte sich hin und näherte sein Gesicht dem von Bob. Bobs Augen waren schwer, sein Blick war verschleiert. Heißer Whiskyatem, beißend und langsam, wie bei einem betäubten Tier.
Nathan warf einen Blick in die Ecke.
Dann trat er aus dem Kreis hinaus.
Er ging zu Bobs Computern. Er nahm das Band aus dem Tonbandgerät. Es war eine knifflige Arbeit und seine Finger waren ungeschickt. Er steckte das Band in seine Aktentasche.
Er ging zu Bob zurück und zog dabei die leeren Tablettenpackungen aus seiner Tasche. Er drückte sie Bob in die Faust. Dann öffnete er Bobs Faust wieder, nahm die Tablettenpackungen heraus und warf sie in die Küchenschublade.
Inzwischen war es 20.15 Uhr.
Er hatte Jacki gesagt, dass er sich um 20.30 Uhr mit Bob treffen wollte. Nur noch fünfzehn Minuten, und Bob war immer noch am Leben. Aus seiner Kehle kam ein unangenehmes Pfeifen.
Nathan konnte Jacki nicht viel später als 20.30 Uhr anrufen. Sie wusste, dass er pünktlich war. Das kam von seiner Verkaufsschulung.
»Fuck«, fluchte er und legte ein Ohr auf Bobs Brust. Sie hob und senkte sich so zaghaft wie Wasser, das bei Ebbe an einen Deich schwappt. Nathan wünschte, er hätte vorher alles gründlich recherchiert. Sich durchzumogeln wie Justin war einfach nicht seine Art.
Er hielt den Atem an, als wollte er gleich tauchen, und fuhr mit der Hand in Bobs speckige Hosentasche. Er wühlte darin herum. Er konnte die weichen, festen Rundungen von Bobs Schwanz und seinen Eiern spüren.
Die Schlüssel waren nicht da. Er sah auf die Uhr. Er ging zur Spüle und goss sich ein Glas Wasser ein. Er versuchte nicht in Panik zu geraten. Er zählte von zwanzig an rückwärts. Dann ging er zu Bobs Mantel, der hinter der Tür hing, und durchsuchte die Taschen. Die Schlüssel waren auch dort nicht.
Er begann die Wohnung zu durchsuchen. Innerhalb von Minuten hatte sich sein Entschluss, methodisch vorzugehen, in Luft aufgelöst. Er stürmte hin und her, schaute hinter Bücher, in Küchenschubladen, unters Bett. Er suchte unter den Tastaturen der Computer. Er suchte im Bad, im Spülkasten, im Medizinschränkchen. Er sah hinter den Sofas und zwischen den Sofakissen nach. Er suchte noch einmal an allen Orten, an denen er schon gesucht hatte. Er hielt wütend inne. Er sah auf die Uhr.
Es war 21.05 Uhr.
Dann entdeckte er eine Ecke von Bobs Aktentasche. Sie wurde halb verdeckt von der hastig aufgerollten, zerrissenen Teppichunterlage, die unter das niedrigste Bücherregal gestopft worden war – das, das an der längsten Wand entlanglief, neben dem verschlissenen, zerwühlten Bett. Nathan rannte darauf zu. Er wartete, beruhigte sich; es würde ihm nichts bringen, wenn er die Aktentasche hastig ausleerte. Er ging langsam vor. Es waren Papiere darin, Kugelschreiber und zwei auseinandergebrochene Hälften eines Schneidelineals. Ein Paar Lederhandschuhe. In einer Ecke vergraben, lag Bobs Schlüsselbund. Der Schlüssel zum Safe, größer und schwerer als die anderen, hing daran.
Nathan ging zu Bob.
Bob atmete nicht.
Nathan sah auf die Uhr. Dann wählte er mit Kurzwahl Jackis Nummer.
Es klingelte.
»Nathan?«
»Jacki, es ist was passiert.«
Er hörte, wie sie aufstand. Sie war zu Hause. Im Hintergrund lief der Fernseher.
»Wo bist du? Geht’s dir gut?«
Er sprach zu schnell. Er musste eine Pause machen, um Luft zu holen. Er brach ab und fing noch einmal an. Er sah auf die Uhr.
»Ich bin hier angekommen. Ich war spät dran. Ich bin gerade angekommen. Und Bob – ich glaube, er hat eine Dummheit gemacht.«
Das Geräusch einer sich schließenden Tür. Jacki, die zu Hause in den Flur ging. Ihr Mann hieß Martin. Nathan hatte ihn ein- oder zweimal gesehen.
»Nathan, beruhige dich. Das ist sehr wichtig. Beruhige dich. Was willst du damit sagen?«
»Ich glaube, er atmet nicht. Ich glaube, er hat was genommen.«
»Weißt du, was er genommen hat?«
»Nein.«
»Kannst du ihn dazu bringen, dass er sich übergibt?«
»Ich glaube, er ist tot.«
»Kannst du ihn wiederbeleben?«
»Vielleicht. Ich bin der Erste-Hilfe-Beauftragte der Vertriebsetage.«
»Dann bleib ruhig und erinnere dich an das, was man dir beigebracht hat. Ich schicke so schnell wie möglich einen Krankenwagen.«
»Okay.«
Nathan gab ihr die Adresse und legte auf.
Er ging zum Safe. Er hockte sich hin und steckte den Schlüssel ins Schloss.
Auf dem Sofa grunzte Bob.
Nathan bepinkelte sich beinahe.
Er eilte zum Sofa hinüber. Er blickte zu der kalten, hinteren Ecke, wo die Schatten am dunkelsten waren. Dann nahm er ein schmieriges Kissen und drückte es Bob auf Nase und Mund. Es gab keinen Widerstand. Aber Nathan drückte zu, bis er sicher sein konnte.
Sein Verstand schweifte ab.
Er wurde vom entfernten Heulen eines Krankenwagens aus seiner Starre geweckt.
Er wischte das besabberte Kissen an Bobs Brust ab, schob es unter seinen schweren Kopf und eilte dann zum Safe.
Er bückte sich. Er drehte den Schlüssel. Die Tür war fast acht Zentimeter dick. Sie bestand aus kaltem, solidem Metall. Sie schwang mit angemessener Schwere auf. Im Safe lag das in Folie gewickelte Päckchen. Durch das Plastik zeigte Elises Schädel ihm die Zähne; der Unterkiefer fehlte. Bob hatte die langen Knochen zerbrochen, damit sie hineinpassten.
Nathan nahm das Päckchen heraus. Der Safe war ansonsten leer. Er untersuchte das Päckchen hastig von allen Seiten, drehte es in seinen Händen wie einen Basketball.
Aber er konnte die zerknüllte alte Einkaufstüte nirgends entdecken, die Elises verrottete Kleidung enthielt – und seine verrottete DNA.
Die Sirenen kamen nun merklich näher. Zwei oder drei. Ein Alarm-Chor.
Er stopfte das Päckchen zurück in den Safe. Er schloss ihn ab. Er steckte das Schlüsselbund in Bobs Hosentasche. Er sah sich in der Wohnung um. Ihm fiel ein, dass er das Apartment schon einmal durchsucht hatte. Die Kleider würden nicht dort sein, wo er schon nachgesehen hatte.
Ein Fahrzeug hielt draußen am Bordstein. Das Blaulicht zeichnete Muster an die Decke. Er hörte die Autotüren aufgehen, eilige Schritte.
»Fuck«, fluchte er.
Es klingelte an der Tür.
Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie die Tür aufbrachen.
Er rief: »Ich komme!«
Sein Blick fiel auf seinen Drink auf der Arbeitsplatte der Kochnische.
Kein Eis, hatte Bob gesagt.
Bob hatte immer Eis gehabt.
Bis Nathan in die Garage eingebrochen war.
Er rannte zum Kühlschrank. Um die Tür zu öffnen, musste er den zusammengerollten Teppich wegschieben, der das Linoleum darunter freilegte, eine Schicht aus Fett und Krümeln. Er wandte sich dem kleinen Eisfach zu. Es war zugefroren. Er zog mit Gewalt an der Klappe. Sie öffnete sich mit einem lauten Krachen. Schmutzige Eissplitter fielen auf den Boden. Er kickte die größten von ihnen unter den Kühlschrank. Im Eisfach lagen die Überbleibsel von Elises Kleidern noch immer in der porösen, gefrorenen Sainsbury’s-Tragetasche, die wiederum in einen Ziploc-Gefrierbeutel gezwängt worden war.
Er riss den Beutel heraus und presste ihn zu einer Kugel zusammen. Er knisterte wie ein Lagerfeuer. Er schob den zusammengerollten Beutel in die Tasche seines Regenmantels. Der Beutel war kalt und nass an seinem Schenkel, und er beulte das Futter seines Mantels aus. Er begann bereits zu schmelzen. Nathan sah darauf hinunter.
Er hörte eilige Schritte auf der Treppe. Jemand musste die Haustür aufgemacht haben, oder die Polizei hatte sie aufgebrochen.
Nathan sprang neben Bob, zog sich die Latexhandschuhe aus, knüllte sie zusammen und steckte sie ebenfalls in seine Tasche. Er zerrte Bob vom Sofa herunter – der Aufprall stieß ihm den letzten Atem aus der Lunge.
Nathan setzte sich auf ihn und begann etwas zu veranstalten, was nach Wiederbelebungsmaßnahmen aussah.
Die Tür zersprang in ihrem Rahmen. Er sah auf und über seine Schulter. Drei Sanitäter stürmten herein. Sie hatten schwere Schultertaschen und einen tragbaren Defibrillator bei sich.
Er rief ihnen zu:
»Ich glaube, er atmet wieder!«
Er wurde aufgefordert, zurückzutreten. Er trat zurück. Er ging zur hinteren Wand und blieb dort stehen. Er sagte: »Es tut mir leid«, und wiederholte es wieder und wieder, obwohl er nicht sicher war, ob die Sanitäter es hören konnten.
Aber sie mussten es gehört haben, denn einer von ihnen verwies ihn in die Kochnische in sichere Entfernung.