10
Der Mann – er war untersetzt und rothaarig – stellte sich als Kriminalkommissar William Holloway vor. Die Polizeibeamtin Jacki Hadley begleitete ihn.
Nathan ließ die beiden eintreten.
Holloway bat um ein Glas Wasser, ging dann zur Kochnische und nahm sich eine Tasse vom Geschirrständer. Die Tasse hatte so lange dort gestanden, dass der Boden schon von einer dünnen Staubschicht überzogen war.
Die Frau, Hadley, stand am Fenster. Ein Doppeldeckerbus fuhr vorbei. Hadley sah ihm nach. Nathan verstand sie. Es hatte etwas Surreales und Faszinierendes, wenn ein oberes Deck voller selbstvergessener Fremder direkt am eigenen Wohnzimmerfenster vorbeifuhr.
Holloway trank das Wasser aus.
»Kann ich mich setzen?«
»Natürlich.«
Er nahm sich einen Küchenstuhl. Er war der erste, der darauf saß, seit Sara dort nur mit einem T-Shirt bekleidet das Feuilleton des Guardian gelesen hatte.
Hadley blieb am Fenster stehen, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, und sah zu, wie in unregelmäßigen Abständen Busse vorbeifuhren.
Nathan setzte sich aufs Sofa, schlug die Beine übereinander und bot Holloway eine Zigarette an. Holloway lehnte ab: »Nicht mehr seit Silvester 1989«, und zog einen Kugelschreiber aus seiner Jacke. »Also, Mr. Redmond.«
»Nathan.«
»Also, Nathan. Ich denke, Sie wissen, weshalb wir hier sind.«
»Wahrscheinlich wegen Marks Party.«
Holloway zeigte mit dem Kugelschreiber auf ihn, wie um Bingo! zu sagen, und fragte dann: »Um wie viel Uhr sind Sie zur Party gekommen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht um neun. Oder etwas später.«
»Und um wie viel Uhr sind Sie wieder gegangen?«
»Das kann ich nicht sagen.«
Holloway sah ihn prüfend an.
»Ich hab viel getrunken«, erklärte Nathan. »Ziemlich viel. Eher gesoffen.«
Zwischen Nathans Schulterblättern hatte sich ein Schweißfleck gebildet.
»Und während Sie dort waren und gesoffen haben, haben Sie da Elise Fox gesehen oder mit ihr gesprochen?«, fragte Holloway.
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Nicht, dass Sie wüssten?«
»Ich meine, da waren Millionen von Leuten. Den ganzen Abend sagt man ›Hallo‹ hier und ›Entschuldigung‹ da. Also vielleicht hab ich sogar mit ihr gesprochen. Hallo gesagt oder so.«
»Sie müssen nicht so nervös werden. Ich hab keinen Hunger.«
Nathan sah ihn erschrocken an.
»Ich werde Sie nicht auffressen«, sagte Holloway.
»Ach so. Haha. Klar.«
Holloway zog grinsend ein Päckchen Chewits aus der Tasche. Er packte vier Bonbons aus und steckte die Papierchen ordentlich wieder ein. Dann schob er sich die Bonbons in den Mund, alle vier auf einmal, und fragte kauend: »Haben Sie Ihres Wissens – in Anbetracht Ihres hohen Alkoholkonsums formuliere ich das einmal so –, haben Sie Ihres Wissens Elise Fox gesehen?«
»Nein, meines Wissens nicht.«
»Ich habe gehört, dass Sie die Party verlassen haben – und dann wieder zurückgekommen sind.«
»Das stimmt.«
»Und um wie viel Uhr sind Sie gegangen?«
»Keine Ahnung. Ziemlich spät.«
»Nach Mitternacht?«
»Eher davor, würde ich sagen. Kurz davor. Vielleicht Viertel vor? Aber ich bin nicht sicher. Ich habe …«
»… viel getrunken, ich weiß. Und was war los?«
»Wie meinen Sie das?«
»Warum haben Sie die Party verlassen?«
»Ach so. Ich hatte Streit.«
»Mit …?«
»Meiner Freundin. Sie wissen schon.«
Holloways kühler Blick bedeutete nein, er wisse nicht. Und Nathan begann sich zu fragen, ob seine offenkundige Langeweile vielleicht nur vorgetäuscht war.
»Worüber haben Sie gestritten?«
»Na ja, es war kein richtiger Streit. Zumindest nicht am Anfang.«
»Was war es dann?«
»Ich habe gesehen, wie sie mit Mark getanzt hat.«
»Mark Derbyshire?«
»Der einzig wahre. Ja.«
»Und?«
»Und das hat mich wütend gemacht.«
»Dass sie mit ihm getanzt hat?«
»Wie sie mit ihm getanzt hat.«
»Wie hat sie denn getanzt?«
»Ich weiß nicht. Er hat … er hat ihr an den Hintern gegrapscht.«
»Und das hat Ihnen nicht gefallen.«
»Nein, das hat mir nicht gefallen.«
»Und dann – sind Sie rausgestürmt, oder was?«
»Ja. Ich bin rausgestürmt.«
»Was hatten Sie vor?«
»Nichts Bestimmtes. Ich bin einfach spazieren gegangen.«
»Wohin? Dort in der Nähe ist gar nichts.«
»Das hat sie auch gesagt.«
»Wer?«
»Sara. Meine Freundin.« Er drückte seine Zigarette aus. »Exfreundin.«
»Aha. Das ist vermutlich Sara Reed, wohnhaft hier.«
»Das stimmt.«
»Und wo ist Sara jetzt?«
»Sie wohnt bei einer Freundin. Michelle. Ich kann die Adresse raussuchen.«
»Nicht nötig. Und wie sind Sie zur Party zurückgekommen?«
»So ein Typ namens Bob ist an mir vorbeigefahren.«
»Er ist vorbeigefahren?«
»Ja. Er wollte schon gehen. Er war auf dem Nachhauseweg. Aber er hat angehalten, um mich mitzunehmen.«
»Aha. Ich nehme an, es handelt sich um Robert Morrow?«
»Wahrscheinlich. Ich meine, ja. Ich kannte seinen Nachnamen nicht.«
»Er hat Sie mitgenommen und zurück zur Party gebracht?«
»Ja, das stimmt.«
»Und wie lange kennen Sie Mr. Morrow schon?«
»Ich kenne ihn eigentlich gar nicht. Nicht wirklich. Wir sind uns vor ein paar Jahren einmal begegnet. Seither hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Um ehrlich zu sein, er ist etwas komisch. Er steht auf Gespenster und solchen Kram. Verbringt seine Zeit in Spukhäusern.«
»Das ist mir bekannt.«
»Ach so. Klar. Verstehe.«
»Es gibt nichts, was es nicht gibt.«
»Sieht so aus.«
»Also, Sie und Mr. Morrow waren eine Weile weg.«
»Ich schätze schon.«
»Was haben Sie gemacht? Gespenster gejagt?«
»Ha. Nein. Ich bin davongestürmt. Ich war sauer. Betrunken. Ich hatte vor, ins nächste Städtchen, Dorf, was auch immer zu laufen. Um ein Taxi zu rufen.«
»Taxis sind spärlich gesät in der Gegend.«
»Das habe ich auch gemerkt. Sobald ich etwas nüchterner wurde, bin ich mir ziemlich blöd vorgekommen. Es war saukalt.«
»Und da kommt Robert Morrow vorbei …«
»Ja. Er sieht mich …«
»… den Weg entlangtorkeln und hält Sie für einen Geist …«
»Haha, ja. Er hält an. Ich steige ein. Wir reden.«
»Über?«
»Die Liebe. Das Leben. Ich erzähle ihm von der Sache mit Sara, wie sie mit Mark getanzt hat. Bob überredet mich, zur Party zurückzugehen. Mit ihr zu reden.«
Holloway musterte ihn, während er auf den Bonbons herumkaute.
Er sagte: »Passen Sie auf, Nathan. Sie müssen sich vermutlich keine Sorgen machen. Ich versuche nur, die zeitliche Abfolge zu rekonstruieren. Bei einer so großen Party ist das schwierig. Im wirklichen Leben ist es eben nicht wie bei Inspector Morse. Die Leute betrinken sich, nehmen Drogen, schlafen mit Leuten, mit denen sie nicht schlafen sollten. Die Leute wissen nicht mehr genau, was wann passiert ist. Sie schämen sich für ihr Verhalten, wollen nicht darüber sprechen. Sie lügen, tun so, als hätten sie einen Filmriss. Deshalb unterscheiden sich die Aussagen voneinander – was wann passiert ist, mit wem, um wie viel Uhr. Das liegt in der Natur der Dinge. Es ist mir egal, was Sie in dem Auto mit Robert Morrow gemacht haben. Es ist mir egal, ob Sie Drogen genommen haben, Sex hatten …«
»Drogen«, sagte Nathan schnell. »Kokain. Wir hatten ein paar Lines Kokain.«
»Schön für Sie. Ich muss nur wissen, wann genau Sie es genommen haben …«
»Für die zeitliche Abfolge.«
»Goldrichtig. Also, Sie und Bob sitzen im Auto. Reden über die Liebe und das Leben. Sie ziehen sich ein bisschen Schnee rein.«
»Ziemlich viel, um ehrlich zu sein.«
»Sie ziehen sich ziemlich viel Schnee rein. Bob sagt, mach das nicht, verlass deine Traumfrau nicht einfach so. Oder so was Ähnliches, und …«
»Und wir fahren zurück zur Party.«
»Um wie viel Uhr?«
»Das weiß ich nicht genau. Ich war … Sie wissen schon, meine geistige Verfassung. Aber es haben mehrere Leute mitbekommen, wie ich versucht habe, Mark zu schlagen, also …«
»Ja, das haben sie.«
»Ach so. Okay. Um wie viel Uhr war das?«
»Kurz nach zwei.«
»Aha. Autsch. Dann haben es wohl viele Leute gesehen.«
»Einige. Es klang nach: Besoffener will dem Gastgeber eine reinhauen, trifft nicht, fällt fast in den Pool – das ist schon ein ziemliches Highlight. Daran erinnern sich die Leute. Also benutzen wir das als eine Art Ankerpunkt. Um damit die zeitliche Abfolge zu rekonstruieren.«
»Verstehe. Es war kein besonders guter Schlag.«
»Was ich gehört habe, klang eher nach Charlie Chaplin.«
»Ah.«
»War’s das? Sie sind gegen Mitternacht gegangen. Bob nimmt Sie mit. Sie pfeifen sich was rein. Führen ein tiefgründiges, bedeutungsvolles Gespräch. Sie gehen zurück zur Party. Versuchen Ihrem Boss eine runterzuhauen …«
»Ich blamiere mich schrecklich. Bob fährt mich nach Hause. Ich wache auf und will sterben. Fröhliche Weihnachten.«
Holloway blieb noch eine ganze Weile sitzen und sah Nathan aus seinen türkisblauen Augen prüfend an. Dann seufzte er und warf Hadley einen Blick zu. Sie schaute noch immer aus dem Fenster, als wartete sie darauf, dass noch ein Bus vorbeifuhr.
»Vielleicht melden wir uns noch mal«, sagte Holloway.
»Okay. Glauben Sie, es geht ihr gut? Dem Mädchen?«
»Ich weiß nicht. Ich hoffe es.«
»Aber glauben Sie, sie taucht wieder auf?«
»Wahrscheinlich schon.«
»Gut«, sagte Nathan. »Gut. Es ist schrecklich. Es ist schrecklich für alle.«
Holloway nickte höflich. Hadley blickte ihn schweigend an. Dann waren sie weg, und Nathan schloss hinter ihnen die Tür.
Er setzte sich hin und ließ den Kopf in die Hände fallen.
Dann ging er zum Küchenschrank und holte eine Flasche Wodka heraus.
Er füllte die Tasse, aus der Holloway getrunken hatte.
Der Wodka brannte auf dem Weg nach unten in seiner Kehle und lag ihm wie geschmolzenes Glas im Magen. Er leerte die Flasche. Aber es genügte nicht.
Sara rief an.
»Hast du schon eine Wohnung gefunden?«
»Nein«, antwortete Nathan. In ihre zähneknirschende Stille sagte er: »Es war eine krasse Woche. Hast du Zeitung gelesen?«
Mit leiser Stimme fragte sie: »Was hältst du davon? Du kennst ihn doch. Ist da … könnte da was dran sein?«
Tödlich beleidigt unterbrach er sie: »Das Letzte, was Mark jetzt gebrauchen kann, ist, dass auch noch seine Freunde über ihn herziehen.«
Sie schämte sich und ließ Nathan deshalb noch eine Woche in der Wohnung bleiben. Eine Woche, mehr nicht. Wenn er dann nicht weg war, würde sie ihn rauswerfen lassen.
Sie hatte Brüder.
Er bedankte sich und sagte, er würde sich so schnell wie möglich was suchen.
Er legte auf.
Das Telefon klingelte sofort wieder.
Er nahm ab.
»Was denn noch?«
Es war nicht Sara. Es war ein Journalist der Boulevardpresse namens Keith. Keith bot Nathan eine Summe in Höhe seines halben Jahresgehalts dafür, dass er über Mark Derbyshire redete.
Nathan schaute den Hörer an, als sei er ein fester, warmer, feuchter, halb erigierter Penis.
Er fragte: »Woher haben Sie meine Nummer?«, und ohne eine Antwort abzuwarten, knallte er den Hörer auf.
Er rollte sich auf dem Sofa zusammen und versuchte zu schlafen.
Er erwachte in der Dämmerung und ging zur Arbeit. Er wurde gefeuert.
Howard und er, nun beide arbeitslos, gingen etwas trinken.
»O Mann«, stöhnte Howard. »Was für eine Woche.«
Nathan stieß mit ihm an.
»Scheiß drauf«, meinte er.
Mark Derbyshires Festnetzanschluss war abgeschaltet worden. Deshalb rief Nathan ihn am frühen Nachmittag auf seinem neuen Handy an. Nur vier Leute kannten die Nummer. Mark ging fast augenblicklich dran.
»Ich bin’s, Nathan«, sagte Nathan.
Er wusste nicht, von wo aus Mark Derbyshire mit ihm sprach, aber er hatte den Eindruck, er war allein in einem Hotelzimmer, sah Sky Sport und wartete nur darauf, dass das Telefon klingelte.
»Was fällt dir denn ein?«, fragte Mark. »Ich versuche, diese Leitung freizuhalten, verdammt noch mal.«
»Ich wurde gefeuert.«
»Das weiß ich. Es ist noch immer meine beschissene Sendung. Das weiß ich.«
»Es ist deine Sendung. Aber ich habe keinen Job mehr. Howard auch nicht.«
»Howard wird schon was finden. Wahrscheinlich hat er schon was Neues.«
»Howard ist mir egal.«
»Sobald ich wieder auf Sendung bin«, sagte Mark, »hole ich Howard zurück. Er wird schon was finden.«
»Howard ist mir egal.«
»Das sollte er aber nicht. Er ist hundertmal so viel wert wie du. Tausendmal. Millionenmal.«
»Wie dem auch sei. Ich habe keine Abfindung bekommen. Ich bin ohne einen Penny in der Tasche gegangen.«
»Weil du wegen schwerwiegendem Fehlverhalten rausgeschmissen wurdest. Du hast versucht, mich auf meiner eigenen Party zu schlagen.«
Nathan seufzte und sagte: »Warum tust du mir das an? Du hast nicht gerade viele Freunde zurzeit, oder?«
»Du bist nicht mein Freund. Du warst mein Angestellter. Jetzt bist du nicht mal mehr das. Im Moment muss ich mich mit dem Sender gut stellen. Und wenn ich denen ein paar Kröten sparen kann, indem ich dich ohne weitere Ausgaben rausschmeiße und stattdessen so einen Praktikanten-Heini einstelle, der doppelt so viel für umsonst arbeitet, dann mache ich das.«
»Du bist echt das Letzte.«
»Tja. Willkommen in der Wirklichkeit. Das Leben ist kein Ponyhof.«
»Aber ich hab nicht mal ein Dach über dem Kopf. Wo soll ich denn das Geld hernehmen?«
»Hör zu. Ich wünsch dir viel Glück. Wirklich. Aber ich muss die Leitung freihalten, deshalb lege ich jetzt auf, okay? Also verpiss dich verdammt noch mal.«
Aber er legte nicht auf. Er war verloren und einsam und verängstigt und sehnte sich danach, mit jemandem zu reden. Sogar mit Nathan.
Der sagte: »Aber ich brauche Geld.«
»Tun wir das nicht alle?«
»Hör zu, Mark. Hör mir nur eine Minute zu. Bitte.«
»Eine Minute«, sagte Mark Derbyshire. »Neunundfünfzig Sekunden. Achtundfünfzig Sekunden. Siebenundfünfzig Sekunden.«
»Ich wurde gefeuert«, sagte Nathan. »Nicht eingespart. Was bedeutet, dass ich kein Arbeitslosengeld bekomme für … ich weiß nicht mal wie lange. Monate. Und ich muss aus meiner Wohnung ausziehen, weil ich mit meiner Freundin Schluss gemacht habe. Und sag jetzt nicht, ich soll sie rausschmeißen, denn es ist ihre Wohnung. Gestern hat mich einer von der Klatschpresse angerufen. Ich weiß nicht, woher die meinen Namen oder meine Nummer haben, aber sie wollten mir – und das meine ich ernst – sie wollten mir eine ungeheure Summe zahlen.«
Mark Derbyshire hörte auf, herunterzuzählen.
»Wofür wollten sie dich bezahlen?«
»Dass ich über dich spreche.«
Es folgte eine weitere, längere Pause, bevor Mark fragte: »Wie, über mich sprechen?«
»Ich sage alles, was sie hören wollen«, sagte Nathan. »Ich kann’s mir nicht leisten zu schweigen.«
Er fühlte sich nicht einmal leer. Er fühlte sich, als existierte er gar nicht.
»Du lieber Himmel«, sagte Mark. »Wie viel willst du?«
»Dreißig Riesen.«
»Vergiss es. So viel hab ich nicht.«
»Dann verkauf irgendwas. Sie haben mir fünfzig geboten.«
»Und wenn ich zahle? Woher weiß ich, dass du nicht trotzdem zu den Zeitungen rennst?«
»Weil ich es dir sage. Du musst mir vertrauen.«
Drei Tage später wurden 30.000 Pfund auf Nathans Konto überwiesen. Noch am selben Morgen stopfte er seine Habseligkeiten in eine schwarze Nylon-Reisetasche.
Er hielt einen Augenblick inne und betrachtete die Dinge, die er zurückließ: seine CDs, ein paar Bücher, einige Videos. Seinen Fernseher, seine Stereoanlage, sein Sofa.
Nichts davon bedeutete ihm etwas. Er konnte sich nicht mehr vorstellen, dass das je anders gewesen war.
Er verließ die Wohnung und mietete sich in einem Bed&Breakfast-Hotel an der Küste ein – die Art von Unterkunft, die es eigentlich seit etwa 1975 nicht mehr gab. Es war eine Kulisse für immer wieder ausgestrahlte Sitcoms, für Sendungen mit Lachkonserven, die eingeschränkte Lebenswege in einem früheren England begleiteten.
Aber es war echt. Er warf seine Tasche auf das Einzelbett und schlief bei eingeschaltetem Licht.
Drei Wochen nach Elises Verschwinden konnte Nathan es aushalten, ihre Eltern und ihre Schwester in den Lokalnachrichten zu sehen, wo sie um ihre sichere Rückkehr flehten. Er starrte auf den Bildschirm.
Die Familie wusste, dass Elise nicht zurückkommen würde. Er erkannte es an der Art, wie sie in die Kamera schauten. An der Art, wie sie durch sie hindurch schauten, direkt auf ihn.
Anfang März 1998 war zur Presse durchgesickert, dass die Polizei Mark Derbyshire zu dem Fall verhörte. Darüber wurde viel berichtet. Aus dem Fernsehen erfuhr Nathan, dass ein »Gegenstand, der mit dem Fall in Zusammenhang steht« auf Marks Grundstück gefunden worden war. Das wunderte Nathan nicht, schließlich war bekannt, dass Elise dort gewesen war. Weiß Gott, was sie wohl verloren oder vergessen hatte. Aber was auch immer es war, es genügte, um Mark zum Verhör festzunehmen.
Noch einmal wurde Mark Derbyshires Vergangenheit in allen Zeitungen und allen Nachrichtensendungen aufgerollt.
Mark wurde nach der Befragung freigelassen, Anklage wurde nicht erhoben. Aber das Land wusste, dass er es gewesen war, auch wenn das offiziell niemand sagen durfte. Und so endete schließlich Mark Derbyshires lange Karriere.
Die Polizei fand Elises Leiche nicht, und auch sonst niemand.
Nathan verstand nicht, wieso. Er glaubte nicht, dass er und Bob sie besonders gut vergraben hatten.
Vielleicht suchte die Polizei einfach am falschen Ort.
Jeden Morgen schaltete er sofort nach dem Aufwachen das Radio ein – und erwartete eine Meldung zu hören, dass ihre Leiche gefunden worden war.
Aber die Meldung kam nie.