33
Er ließ das Garagentor offen herunterhängen wie einen gebrochenen Körperteil; vielleicht würde Bob denken, dass Jugendliche aus der Nachbarschaft eingebrochen hatten. Er warf den Bolzenschneider ins dichte Gebüsch und ging zurück zum Auto. Er startete den Motor, beschleunigte dann auf bis zu 100 Stundenkilometern und kam an der Ampel quietschend zum Stehen. Er trommelte mit dem Fingern aufs Lenkrad, während er darauf wartete, dass die Fußgänger die Straße überquerten.
Als er wieder anfuhr, verhielt er sich weniger aggressiv. Er wollte nicht festgenommen werden. Er fuhr um die Ecke zu Bobs Wohnung und parkte gegenüber auf der anderen Straßenseite. Dann ging er zum Pub.
Er blieb davor stehen, um seine Krawatte gerade zu rücken. Dann trat er überzeugend nervös und atemlos in den vertrauten Mief.
Bob las über einen Tisch gebeugt die Times.
Nathan setzte sich und stöhnte: »Alter Schwede.«
Er lockerte seine Krawatte.
»Wo zum Teufel hast du gesteckt?«
»Ich habe ein Leben, Bob. Ich muss einen Kredit abzahlen.«
Bob nickte zu einem Glas Lagerbier hin, ihm gegenüber auf dem Tisch: »Ich hab schon mal was bestellt.«
Nathan betrachtete die Bläschen, die sich vom Boden des Bierglases lösten und zur unbekannten Oberfläche aufstiegen. Er nahm einen Schluck. Am liebsten hätte er das Glas an der Tischkante zerschlagen und Bob die Scherben ins Gesicht gerieben.
Er sagte: »Hör zu. Wir können hier nicht reden. Lass uns zu dir gehen.«
»Ich dachte, meine Wohnung macht dir Angst.«
»Gar nicht.«
Bob grinste, weil er wusste, dass Nathan log.
»Können wir erst austrinken?«
»Von mir aus«, meinte Nathan und leerte sein Glas mit sieben oder acht Schlucken.
Bob sah ihm dabei zu und erhob dann sein Bier.
»Noch eins. Das Gleiche. Die Runde geht auf dich.«
Also bestellte Nathan noch eine Runde.
Nach dem Pub gingen sie bei einem Kiosk vorbei. Nathan kaufte eine Flasche Whisky, acht Dosen Guinness, Zigaretten. Dann trotteten er und Bob nach Hause.
Sie blieben am steinernen Eingang der von Unkraut und nassen, schwarzen Bäumen umstandenen viktorianischen Villa stehen. Bob ließ den Hausschlüssel an seinem Zeigefinger baumeln und herumtanzen.
»Bist du sicher?«
»Wobei?«
»Dass du reinkommen willst?«
Nathan brummte etwas und folgte Bob in den schimmeligen, düsteren Flur. Das Licht, das mit einem Zeitschalter verbunden war, ging auf halbem Weg in Bobs Wohnung aus. Nathan und Bob blieben stehen, bis ihre Augen sich an die plötzliche Dunkelheit gewöhnt hatten. Die Geräusche ihres Atems, das Klirren der Whiskyflasche in der Einkaufstüte.
Bob ging hinunter. Er fand seinen Schlüssel und schloss die Tür auf. Fahles Licht fiel auf die Treppe. Nathan folgte ihm hinunter ins Apartment.
Er ging geradewegs zur Kochnische und öffnete die Flasche Macallan.
»Du musst Wasser nehmen«, sagte Bob. »Ich hab kein Eis .«
Also goss Nathan den Whisky in zwei trübe Becher. Füllte sie mit einem Schuss Leitungswasser auf.
Sie setzten sich.
Bob umfasste sein Glas. »Kannst du sie spüren?«
»Nein«, antwortete Nathan. Er schwenkte den Whisky und fügte hinzu: »Jahrelang habe ich geglaubt, sie wäre da. Aber das war sie nicht, Bob.«
Bob trank seinen Drink in einem Zug und torkelte zur Kochnische, um sich einen neuen einzuschenken, ohne Wasser. Er schlurfte mit der Flasche in der Hand zurück zu seinem Platz. Sein Kinn war stoppelig, und er sah erschöpft aus.
Nathan blickte zum Tonbandgerät und sagte: »Du machst genau das Gleiche durch wie ich damals. Du machst es nur ein bisschen später durch, das ist alles. Du konntest …«
Seine Stimme brach. Ihm war zu deutlich bewusst, wie sie von der niedrigen Decke widerhallte.
»… du konntest beim ersten Mal damit fertig werden. Ich weiß nicht, wie man das richtig nennt, wie Ärzte so was nennen. Aber du hast es vergraben. Verstehst du, was ich meine? Du hast es vergraben. Und jetzt kommt alles an die Oberfläche.«
»Um mich zu verfolgen.«
»Genau.«
»Also bilde ich mir das alles ein?«
»Ja, du bildest es dir nur ein.«
Nathan sah zu, wie Bob sich mit großer Anstrengung eine Zigarette anzündete, und stand dann auf, um sich die Bücher anzusehen, als seien sie eine CD-Sammlung. Durchbruch! Das Leben nach dem Tod: Die Wahrheit. Flüstern aus dem Jenseits. Grabgeheimnisse.
»Ich dachte, du hättest mit diesem Zeug schon vor Jahren aufgehört.«
Bob grinste heimlich in sein Glas.
»Nein.«
Jemand flüsterte in Nathans Ohr.
Er trat weg von den Bücherregalen, weg vom Tonbandgerät.
»Was soll das heißen: nein?«
Bobs Lächeln weitete sich zu einem Grinsen aus, und das Grinsen zu einer Fratze.
»Komm schon.«
Nathan hatte ein komisches Gefühl im Bauch.
»Was?«
»Der dunkle Wald«, sagte Bob. »Das fließende Wasser. Das Liebesnest.«
»Bob, ich verstehe nicht ganz, was du mir damit sagen willst.«
»Mit Geistern ist es so: Wenn man einen sucht, verfälscht man die Daten schon – indem man hier und nicht dort sucht, diesen Ort einem anderen vorzieht. Man ist nicht objektiv.«
»Geister gibt es nicht, Bob. Sie existieren nicht.«
»Eine der am weitesten verbreiteten Spukerscheinungen ist in der Tat der Geist vom Straßenrand. Zumindest in England. Normalerweise ist es die Seele einer jungen Frau. Sie starb gewaltsam, nachdem sie Sex hatte. Sie wurde in ungeweihtem Boden vergraben. Normalerweise zwischen einer Straße und einem Fluss.«
Die Kraft schwand aus Nathans Beinen.
Bob fuhr fort: »Jahrelang dachte ich, ich hätte es vermasselt. Ich hab die Zeitungen danach durchsucht, ob irgendwas an der Fahrbahn gesichtet worden war. Ein Phantom-Anhalter. Irgend so was. Ich bin den Weg selbst entlanggefahren – am Anfang zweimal die Woche. Aber da war nichts.«
»Ich glaube, ich verstehe nicht, was du mir sagen willst.«
»Ich dachte, sie würde im Wald spuken.«
»Wer?«
»Aber sie hat uns verfolgt. Sie blieb bei uns.«
»Bob, was hast du getan?«
Eine Weile rührten sie sich nicht. Bis Bob sagte: »Ich habe versucht, einen Geist zu erschaffen.«
Nathan ließ sein Glas fallen.
Es rollte über den Teppich. Sein Boden beschrieb einen Halbkreis. Nathan und Bob fixierten es mit ihren Blicken und sahen ihm zu, bis es still liegen blieb.