Warum zog Niccoló Machiavelli jeden Abend zur gleichen Zeit seine schönsten Kleider an, setzte sich ans Fenster mit dem Blick nach Westen, um in den Klassikern antiker Autoren zu lesen? Warum geht jemand heute in ein Café, um sich dort eine Tasse Tee zu bestellen, die er genauso gut daheim, und dabei viel günstiger zu sich nehmen könnte?

Ist es der Reiz des Besonderen, das Zelebrieren des Augenblicks, herausgelöst aus den gewöhnlichen Geschehen des Alltags? Es ist die Kraft der Rituale, die unser Leben durchziehen und bereichern, in denen wir innerlich auftanken können.

Die Bedeutung der Rituale hat sich im Lauf der Zeit stark verändert. Die kürzeste lexikalische Definition lautet schlicht: Ein Ritual ist ein Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung. Ursprünglich ging es um einen Handlungsablauf mit religiöser, transzendentaler und existenzieller Zielsetzung. Doch im 20. Jahrhundert traten die religiösen Bedeutungen eher zurück, und die Sozialwissenschaften haben den Begriff des Rituals säkularisiert und als »Routinisierungen« zur Alltagsbewältigung und Existenzsicherung uminterpretiert. Möglicherweise auch als Folge der Erfahrungen mit den Nationalsozialisten, die das öffentliche Ritual zur Manipulation der Massen missbraucht und diskreditiert haben. Doch obwohl viele überlieferten Rituale mit der Zeit an Bedeutung verloren haben, und die Skepsis gegenüber etlichen Ritualen berechtigt sein mag, so ist doch nach wie vor – oder wieder – ein großes Bedürfnis der Menschen nach dem, was Rituale für unser Leben bewirken können, vorhanden. Auch die Psychotherapie hat mehr und mehr die heilsame Bedeutung von Ritualen für die seelische Verfassung und Stabilität des Menschen bestätigt. Warum? Warum sind Rituale für unsere Seele so wichtig?