Die Zeit der Seele ist die Gegenwart. Nur in der Gegenwart kann die Seele in die Tiefe eines Geschehens eintauchen. Dies wird vor dem Hintergrund verständlicher, dass es zwei Arten von Zeitwahrnehmung gibt: eine quantitativ messbare Zeit, die von der Vergangenheit in die Zukunft führt, und eine qualitativ erfahrbare Zeit in der Gegenwart. Die messbare Zeit ereignet sich eigentlich nur in unseren Gedanken, unsere Seele dagegen können wir immer nur in der Gegenwart erfahren, denn Intensität und Tiefgang ereignen sich immer im Jetzt.

Die Menschen in der westlichen Welt leben meist in der messbaren Zeit, mit ihren Gedanken entweder in der Vergangenheit, bei dem, was geschehen ist, oder in der Zukunft, bei dem, was sie vorhaben. Aus der Gegenwart lassen sie sich meistens ablenken. Der so genannte »Zeitvertreib« vertreibt nicht nur die Zeit, sondern auch unsere Wahrnehmung aus dem gegenwärtigen Augenblick. Dies spiegelt sich auch in der folgenden asiatischen Weisheit:
Ein Zen-Mönch wurde gefragt, worin das Geheimnis seiner Zufriedenheit und seiner so glücklichen Ausstrahlung bestehe. Er antwortete: »Das ist ganz einfach: Wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich esse, dann esse ich, und wenn ich rede, dann rede ich.« – Erstaunt antwortete der Fragende: »Aber das tun wir doch alle!« – »Nein«, erwiderte der Mönch, »das tut ihr eben nicht: Wenn ihr steht, dann denkt ihr schon ans Gehen, wenn ihr geht, ans Essen, beim Essen redet ihr, und beim Reden denkt ihr an das, was ihr danach machen werdet!«
Das Erleben der Seele findet jedoch in genau diesen gegenwärtigen Augenblicken statt. Dort sind Tiefgang und inneres Auftanken möglich. Und deswegen ist für unser seelisches Erleben auch die Geschwindigkeit – oder vielmehr die Langsamkeit – so wichtig, in der unser Leben stattfindet.