Die Teutschen

Wer mehr über Diebold Lauber, seine Werkstatt und die dort gedruckten Werke erfahren will (oder den gehörnten Moses sehen möchte, den Salai in den Papieren Burkards findet), kann die ausgezeichnete Webseite konsultieren, die anlässlich einer Ausstellung über Lauber und die Scriptoria im deutschsprachigen Raum von der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg erstellt wurde (http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/fachinfo/www/kunst/digi/lauber/).

Die Informationen über die Aktivitäten der deutschen Bankiersfamilie Fugger in der Papststadt während der Jahre Alexanders VI. treffen alle zu, wie man nachlesen kann bei A. Schulte, Die Fugger in Rom 1495-1523, Leipzig 1904. Wie Schulte zeigt (S. 21), ereignete sich in den Geschäftsbeziehungen, die die deutsche Familie zum Vatikan unterhielt, zwischen 1499 und 1501 etwas Ungewöhnliches. Zu jener Zeit wurde über das große Darlehen für den Krieg Alexanders VI. gegen die Türken verhandelt, gleichzeitig jedoch verschwanden die Rechnungen über die finanziellen Transaktionen mit dem Heiligen Stuhl: Die entsprechenden Papiere aus diesen Jahren fehlen im vatikanischen Archiv, die folgenden Jahrgänge sind lückenhaft.

Wahr sind auch die Erzählungen Kopernikus’ über den erstaunlichen Aufstieg der Fugger in Rom und die eigenartigen Formen, in denen er sich vollzog: zum Beispiel die Betrügereien, die bei der Vergabe kirchlicher Benefizien verübt wurden (Schulte, S. 28f.), und die seltsame Tatsache, dass die Transporte von Bargeld für den Papst regelmäßig das Opfer von Raubüberfällen wurden, die erstaunlicherweise aufhörten, als die Fugger diese Transportdienste übernahmen (ibid. S. 6f.).

Die Informationen über die satanischen Riten, deren man die Valdenser und andere häretische Sekten in Böhmen, Frankreich und Italien zwischen dem Ende des 15. und dem beginnenden 16. Jahrhundert beschuldigte, stammen von De Roo (op. cit., Bd. III, S. 30ff.).

Auch der Sekretär Burkards, Michael Sander, ist eine den Historikern seit langem wohlbekannte Gestalt, ebenso Paride Grassi, der nach Burkards Tod zu seinem Nachfolger und unerbittlichen Ankläger wurde (vgl. Bautz Bio-bibliographisches Kirchennlexikon, Nordhausen 2001, Bd. XIX, Spalten 599-605). Die scharfen Urteile Grassis über Burkard hätten auf Salai großen Eindruck gemacht, denn schon wieder tritt der Teufel bei den Straßburgern in Erscheinung. Grassi zufolge waren die von Burkard verfassten Handschriften nämlich so wirr und mit so seltsamen Buchstaben geschrieben, dass es schien, als habe der Teufel sie ihm eingeflüstert und nur mit seiner Hilfe könnten sie verstanden werden (Oliger, Der päpstliche …, op. cit. S. 224.)

Die Inschrift «Argentina» in vergoldeten Lettern prangte wirklich auf dem Turm des Burkardschen Palazzo, doch schon wenige Jahrzehnte nach seinem Tod war vergessen, dass der Erbauer des Palazzo der mächtige Zeremoniar Papst Alexanders VI. gewesen war. Noch heute glauben die Römer, die angrenzende Piazza Argentina, ein lebhafter Verkehrsknotenpunkt der römischen Altstadt, verdanke seinen Namen dem südamerikanischen Land, während er von nichts anderem herrührt als dem weithin sichtbaren Wahrzeichen, das die Straßburger Lobby vor etwa fünf Jahrhunderten im Herzen von Rom anbrachte. Erst im Jahr 1908 entdeckte der Kunsthistoriker Domenico Gnoli, irritiert durch die unerklärliche Anwesenheit dieser spätgotischen Residenz inmitten von römischen Renaissancebauten, dass der Palazzo, zu dem der Turm gehörte (er wurde später abgeschlagen und in das Gebäude integriert), von Burkard erbaut und bewohnt worden war. Das hübsche kleine Gebäude, das im 20. Jahrhundert mehrmals restauriert wurde, steht heute zum bescheidenen Eintrittspreis von zwei Euro allen Neugierigen offen, die durch die Räume gehen möchten, wo Johannes Burkard und Michael Sander lebten – und ihre Verleumdungskampagne ausheckten. Salais Beschreibung des Palazzo und seiner Innenräume ist natürlich kein Phantasieprodukt, wie man nachlesen kann bei: AAVV, La casa del Burcardo: il palazzetto e la raccolta teatrale della SIAE, Rom 1967.

Was die Deutschen sagen, mit denen Salai in der Gasse vor dem Wirtshaus della Campana steht, ist nicht das delirierende Geschwätz dreier Betrunkener. Es handelt sich um authentische Zeugnisse des elsässischen humanistischen Gedankenguts, wie man durch eine Lektüre des nützlichen, heute in Vergessenheit geratenen Aufsatzes von J. Knepper erfährt: Nationaler Gedanke und Kaiseridee bei den deutschen Humanisten. Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschtums und der politischen Ideen im Reichslande, Freiburg im Breisgau 1898. Es ist kein Zufall, dass die Vorläufer des Protestantismus, wie zum Beispiel Wimpfeling, der bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts von den Historikern studiert und gefeiert wurde, heute vergessen sind und nur noch in reinen Expertendebatten auftauchen. Die drohenden Aufrufe Wimpfelings, der schwülstige nationalistische und fremdenfeindliche Furor, der das Entstehen des deutschen Humanismus, des Vorboten der protestantischen Reformation, begleitet, sind denen nicht mehr genehm, die die Ursprünge des lutherischen Schismas als notwendigen, ruhmreichen Fortschritt in der Geschichte der Menschheit ausgeben wollen. Dabei wird vergessen, wovon er sich nährte: Es sind die in Tacitus’ Germania aufgestellten Behauptungen von der Reinheit der deutschen Rasse, das Misstrauen und die Verachtung gegenüber anderen Kulturen (bei Wimpfeling vor allem der italienischen und französischen), die Verherrlichung der germanischen Vergangenheit und der kriegerischen Tugenden des deutschen Volkes und zuletzt der beflissene Versuch solcher Historiker, die auf der «richtigen» Seite stehen, dies alles zu legitimieren und zu würdigen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sollte dann Georg von Schönerer, der von Hitler geschätzte Denker, mit seiner politischen «Los-von-Rom-Bewegung» die Losungen der elsässischen Humanisten wörtlich nehmen. Nachdem er vorgeschlagen hatte, den Kalender im Jahr 113 v. Chr. beginnen zu lassen, als die Kimbern und Teutonen die Römer in der Schlacht schlugen, und die Monatsnamen wegen ihres römischen Ursprungs durch andere germanischer Herkunft ersetzen ließ, gelang es Schönerer, im Namen der germanischen Identität und als Schmähung der Kirche von Rom mit Unterstützung der deutschen evangelischen Kirche über fünfzehntausend deutsche Katholiken zu überzeugen, en bloc zum Protestantismus überzutreten.

Doch die lange Welle der Intoleranz reicht weit über die symbolischen Wasserscheiden von Nürnberg und Jalta hinaus. Noch 1962 wird Wimpfeling von Adolf Schmidt in seiner Einführung zu der Ausgabe zweier Schriften von Wimpfeling und Enea Silvio Piccolomini über die Germania als ein «glühender Patriot» bezeichnet, denn «er wies nach, dass Elsass ein deutsches Land sei», und Enea Silvio Piccolomini entgegengesetzt, der aus dem Schulterschluss der italienischen Humanisten ausgetreten war und von Schmidt darum des Renegatentums bezichtigt wird (Aeneas Silvius, Germania, und Jakob Wimpfeling: «Responso et replicae ad Eneam Silvium», Köln/Graz 1962, S. 8).

Salai und Leonardo da Vinci 01 - Die Zweifel des Salai
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