Ein Kongress nach dem anderen

Auch Italien und Rom beteiligten sich an dem großen Spiel der Verleumdung der Borgia. In der Wiege der Christenheit, der Wahlheimat Alexanders VI. richtete das Ministerium für Kulturgüter und kulturelle Aktivitäten ein «Nationales Komitee für Forschungskongresse anlässlich des fünfhundertsten Jahrestages des Pontifikats von Alexander VI.» ein, dessen Arbeiten sieben Jahre andauerten und im Dezember 2006 abgeschlossen wurden.

In seiner Einführung zu einem der Bände mit den Kongressakten (die den ehrgeizigen Titel Corpus Borgiano erhielten) sagte der Historiker Massimo Miglio, Präsident der Vereinigung «Rom in der Renaissance», die die Kongresse organisierte, er habe während der Arbeiten gespürt, dass «die Sorge umging, die ganze Initiative könnte eine Rehabilitierung bedeuten». Der Wissenschaftler beeilte sich zu versichern: «Dies ist nicht die Aufgabe historischer Forschung … Es besteht weder die Absicht, etwas abzuschwächen oder zu verschärfen, noch soll hier gerechtfertigt oder Absolution erteilt werden. Meiner Meinung nach gehört dies nicht zu den Aufgaben derjenigen, die historische Forschung betreiben.» Alles soll bleiben, wie es ist; an dem dämonisierten Bild Alexanders VI. darf sich nichts ändern.

Der letzte Kongress der Reihe, der in Rom in der Engelsburg stattfand, trug den Titel «Alexander VI. – böser und glücklicher denn je». Der ätzende Slogan von Guicciardini über den Borgia-Papst wurde sogar auf die kostenlos verteilten Mappen gedruckt, in denen das Publikum Bücher und Broschüren nach Hause tragen konnte, und er ließ keinen Zweifel am Geist des Kongresses aufkommen.

Im Laufe der Tagung werden die unvermeidlichen falschen Briefe von Pietro Martire D’Anghiera und Passagen aus dem Tagebuch von Burkard gelesen. Ein bekannter Schauspieler rezitiert sie vor dem dicht besetzten Parkett. Zwar hatte der Kongress sich zum Ziel gesetzt, «zu überprüfen, ob das Bild der Borgia, wie es aus dem Corpus Borgiano hervorgeht, sich von dem üblichen Etikett der Borgia: Sex, Intrigen und Machtexzesse, unterscheidet». In Wirklichkeit warnt der Präsident der Vereinigung aber während der Tagung noch einmal, man könne und dürfe nicht zu einer «Rettung» des von der Geschichtsschreibung definitiv verurteilten Papstes kommen. Vom Rednertisch auf dem Podium wird zufrieden verkündet, dass das vom Ministerium eingerichtete Komitee in sieben Jahren Arbeit acht Kongresse veranstaltet und 4400 Seiten Kongressakten in zwölf Bänden veröffentlicht habe. Wie ein Kehrreim heißt es immer wieder: «Wir dürfen Alexander VI. nicht rehabilitieren, weil das nicht richtig wäre.» Denn, so unterstreicht der Italianist Francesco Tateo: «Die Geschichte darf nicht rehabilitieren.» Er fügt hinzu, allenfalls könne man die (wenig bekannten) positiven Seiten Rodrigo Borgias neben den (allseits bekannten) negativen ins rechte Licht rücken. In den Redebeiträgen (die eher allgemein gehalten, «zusammengestoppelt» und in einigen Fällen sogar recht konfus sind) wird nicht der geringste Zweifel an der Glaubwürdigkeit der historischen Quellen über Rodrigo Borgia geäußert; erst recht nicht in den Aufsätzen, die die zwölf Bände der Kongressakten füllen. Welchen Zweck hätte das auch? Die Rehabilitation darf ja nicht stattfinden. Also hält man eisern an den immergleichen Burkard, Pietro Martire, Guicciardini und Machiavelli fest. Der Redner Rusconi sagt lapidar: «Nach ihnen bleibt nicht mehr viel zu sagen.» Dem Papst wird Großartigkeit, aber keine Großherzigkeit zuerkannt, das Pontifikat wird rehabilitiert, nicht aber der Pontifex. Das Wichtigste bleibt die moralische Verurteilung.

Der Spanier La Parra Lopez wendet sich scharf gegen das Werk von De Roo, doch wie immer, wenn von De Roo die Rede ist, mit wenigen Worten und ohne zu präzisieren, was er beanstandet. Mit begeisterter Zustimmung wird hingegen Pastor beschworen, einschließlich des Satzes, der das Alexander VI. gewidmete Kapitel seiner Geschichte der Päpste beschließt: «Von nun an ist jeder Versuch, Alexander VI. zu rehabilitieren, vergeblich.»

Um nicht den Eindruck der Verbissenheit zu erwecken, werden ein paar Konzessionen gemacht: Im Grunde unterschied sich Alexander VI. nicht von anderen, er «fügt sich ein in das Kontinuum, das vom Abendländischen Schisma bis zur Reformation reicht und den Aufbau des Kirchenstaates beabsichtigte»; der Ablauf des simonistischen Konklave, bei dem er gewählt wurde, zeigt, dass «die Praxis allgemein üblich war» (was nicht im Geringsten in Zweifel gezogen wird). Alexander VI. ist kein Ungeheuer: Er war Teil eines Systems, darum genügt es nicht, nur einem Mann die Schuld zu geben. Man muss die gesamte Kirche jener Zeit verurteilen. Für dieses Vorhaben stehen übrigens genügend materielle Mittel bereit: Zwischen den verschiedenen Redebeiträgen verkündet ein Vertreter des Ministeriums, dass der italienische Staat in den nächsten Jahren den Kreis der Vereinigungen, die öffentliche Gelder bekommen, einschränken wird, doch «Rom in der Renaissance» werde man sogar großzügiger als zuvor subventionieren.

Der Satz, mit dem das Publikum verabschiedet wird, flüchtet sich in eine ästhetische Betrachtungsweise, um der einzigen wirklichen Frage auszuweichen, nämlich ob Rodrigo Borgia unwürdig war oder nicht: «Es geht nicht darum, Alexander VI. zu begnadigen, sondern höchstens darum, ihm etwas hinzuzufügen, was ihn appetitlicher macht.»

Apropos Appetit: Nachdem die Kongressteilnehmer die verderbten Sitten des Papstes eingehend untersucht hatten, fand auf einer der Terrassen der Engelsburg ein festliches Abendessen bei Kerzenlicht statt. Der elegante Abend ausgerechnet in der Festung, die Rodrigo Borgia wieder aufbauen und von Pinturicchio mit Fresken ausmalen ließ, hat – nach Aussagen der Cateringfirma – etwa 10.000 Euro gekostet. Ein schöner Toast auf das Andenken Alexanders VI.

2007: Der letzte Angriff auf den Borgia-Papst

Nach dem Toast in der Engelsburg vergehen nur wenige Monate, schon verbreiten die Zeitungen und Fernsehnachrichten in aller Welt unter lautem Getöse eine spektakuläre Nachricht: Endlich soll der Beweis (noch einer?) für die Liebesaffäre zwischen Alexander VI. und Giulia Farnese gefunden worden sein. Im Juni 2007 wird im Guggenheim Museum in New York das Fragment eines Freskos ausgestellt, das man für ein Werk Pinturicchios hält. Es zeigt ein Jesuskind, das von zwei Händen gehalten wird, vermutlich die der Madonna, und dessen Fuß sich auf eine dritte Hand stützt, die einer unbekannten Person gehört. Entdeckt wurde das Fragment, das sofort «Der Jesus der Hände» getauft wird, von Professor Franco Ivan Nucciarelli, Dozent für Ikonologie an der Universität Perugia, 2004 bei einem Kunsthändler. Er konnte einen italienischen Industriekonzern überzeugen, das Kunstwerk zu kaufen, restaurieren zu lassen und öffentlich bekannt zu machen (zu besichtigen auf der Webseite: http://www.margaritelli.com/fondazione/pinturic/chio/eng/interna.asp?ln=62&sez=6466).

Warum die ganze Aufregung? In Mantua wird in einer privaten Sammlung ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert von geringer künstlerischer Qualität aufbewahrt, das eine Kopie des Jesuskindes von Pinturicchio zu sein scheint, und zwar eine Kopie des ganzen Werks (auch sie ist auf der oben angegebenen Internetseite zu sehen). Auf dieser vollständigen Kopie sieht man nämlich, dass das Kind auf dem Schoß der Madonna sitzt und dass die Hand, die seinen Fuß stützt, niemand Geringerem gehört als dem Borgia-Papst. In der Rekonstruktion von Nucciarelli passt dieses Gemälde auf eine Stelle in den Lebensläufen von Vasari, der 1568, also gut fünfundsechzig Jahre nach dem Tod des Papstes, von gewissen Gerüchten berichtet, nach denen Pinturicchio «über einer Zimmertür die Signora Giulia Farnese in der Gestalt unserer Lieben Frau porträtierte, und auf demselben Bild auch den Kopf von Papst Alexander, der sie anbetet». Von denselben Gerüchten hatten schon Rabelais (ja, genau der des Gargantua und Pantagruel) im Jahr 1532 und das berüchtigte Tagebuch von Stefano Infessura berichtet …

Nach Infessura befand sich das blasphemische Porträt in den Borgia-Gemächern im Vatikan über der Sopraporte des Kubikulums, eines kleinen Korridors, der in das Schlafzimmer des Papstes führte. Nach dem Tod Rodrigo Borgias wurde es aus Scham über eine solche Blasphemie bedeckt.

Doch diese Maßnahme sollte nicht genügen. 1612 (also über hundert Jahre nach dem Tod des Papstes) beauftragte ein Gonzaga, der neidisch auf die Familie Farnese war, den unbekannten (und untalentierten) Maler Facchetti mit einer Kopie des Werks. Der Gonzaga wollte beweisen, dass der Aufstieg der Farnese sich nur der schändlichen Affäre zwischen Giulia und dem verruchtesten Papst der Geschichte verdankte. So entstand die Kopie, die sich heute in Mantua, der Stadt der Gonzaga, befindet. Wie aber gelang es dem Maler Facchetti, heimlich in die Borgia-Gemächer im Vatikan einzudringen? Nachts, so heißt es, und indem er einen Garderobier mit einem Paar seidener Strümpfe bestach. Nucciarelli, der Entdecker des Freskos von Pinturicchio, glaubt die Geschichte.

Pinturicchios Original soll in den Gemächern der Borgia geblieben sein, bis Papst Alexander VII. Chigi (1655-1667), der nach der Wahl seines Namens zu urteilen nicht allzu schlecht von seinem gleichnamigen Vorgänger gedacht haben dürfte, es von der Wand abnehmen ließ und, nachdem die (vermeintlichen) Porträts Alexanders VI. und der Madonna-Giulia zerstört wurden, das Jesuskind in seiner privaten Kunstsammlung aufbewahrt haben soll.

So weit die Nachricht, wie sie von den Presseagenturen der halben Welt verbreitet wurde. Doch die Rechnung geht aus unterschiedlichen Gründen nicht auf.

Angesichts der Genauigkeit und Liebe zum Detail, die der Maler Facchetti für seine allerdings hässliche Kopie des Gemäldes aufgebracht hat, könnte einem zunächst der Verdacht kommen, er wäre wunderbarerweise mit einem Fotoapparat und Blitzlicht bewaffnet gewesen … Denn jede Einzelheit, einschließlich der Stellung der Finger, entspricht millimetergenau dem Original von Pinturicchio. Ist ein kurzer Augenblick, heimlich erschlichen, dank der Hilfsbereitschaft eines Garderobiers, dem Seidenstrümpfe fehlten, nicht ein bisschen wenig für eine solche Arbeit, die Ruhe, Konzentration, eine komplette Malausrüstung und vor allem genug Licht erfordert?

Doch das ist nicht alles. Auf dem Porträt Alexanders VI. das Pinturicchio in denselben Borgia-Gemächern malte (Sala dei Misteri), also wenige Meter von dem angeblichen blasphemischen Porträt entfernt, sind die Hände des Papstes fleischig und grob. Die Hand, die den Fuß des Jesuskindes stützt, ist dagegen schmal und feingliedrig, ähnlich wie die Hände der Madonna, und steht in starkem Kontrast zu der korpulenten Statur des Papstes, was auch auf der Kopie in Mantua zu sehen ist. Pinturicchio kann die Hände des Borgia-Papstes unmöglich auf so unterschiedliche Weisen gemalt haben, doch davon sprechen die Ausstellung und alle beteiligten Kunsthistoriker nicht.

In Zeitungsartikeln über den Fund, die überall auf der Welt erscheinen, taucht der Name von Giulia Farnese, der «päpstlichen Venus», in jeder zweiten Zeile auf. Der amerikanischen kunsthistorischen Zeitschrift «Artnews» gestand sogar Nucciarelli, dass die Identifizierung der Madonna als Giulia Farnese nur auf «Geflüster» basierte und ein Geheimnis bleiben werde. Kurz, es gibt keine Beweise, dass das Antlitz der Madonna das von Giulia Farnese sein soll, von der es übrigens keine gesicherten Porträts gibt. Eines, eine Dame mit Einhorn, zeigt ein Gesicht, das keine größere Ähnlichkeit mit der Kopie in Mantua hat als die Gesichter anderer Madonnen Pinturicchios, wie zum Beispiel der Madonna der Geburt in der Kirche Santa Maria del Popolo in Rom.

Die gesicherten Fakten, die in dieser Geschichte eine Verbindung zum Borgia-Papst herstellen, lassen sich also an den Fingern einer Hand abzählen, und keines geht direkt auf die Zeit Alexanders VI. zurück. Als Vasari und Rabelais das Gerücht wiedergeben, demzufolge diese Madonna ein Porträt Giulia Farneses sein soll, liegt der Tod des Papstes über sechzig bzw. dreißig Jahre zurück. Daran ist nichts Erstaunliches, da die Verleumdungen – bekanntlich zu internationalen politischen Zwecken organisiert – schon zu Lebzeiten des Papstes begonnen hatten. Wollte man solche (überdies verspäteten) Klatschgeschichten in den Rang von Beweisen erheben, könnte man ähnliche Verdachtsmomente bei allen Päpsten konstruieren, die sich in Anbetung von Madonnen oder Gekreuzigten darstellen ließen, was allerdings geradewegs ins Delirium führen würde.

Hinter der Geschichte verbirgt sich jedoch weit mehr als eine falsche, böswillige Identifizierung des Gesichts der Madonna mit Giulia Farnese. Auf diese Spur führt der Unterschied zwischen den Händen: Pinturicchio könnte nämlich jemand anderen als den Borgia-Papst gemalt haben, vielleicht eine Frau, zum Beispiel eine Heilige, oder einen Jüngling, auf jeden Fall einen schlanken Menschen, der gewiss nicht so korpulent war wie der Borgia-Papst. Es ist nicht auszuschließen, dass von dem Fresko eine Kopie zu diffamatorischen Zwecken hergestellt wurde, eine Fälschung, die jene schmale, den Fuß stützende Hand durch das Bildnis des Papstes ergänzt. Von dieser Vorlage ist dann die Kopie aus Mantua hergestellt worden. Doch wer war die ursprüngliche Figur? Hier liegt das Problem.

In der Darstellungstradition werden die Füße des Jesuskindes ausschließlich von der Madonna berührt. Es gibt nur eine Ausnahme, jedenfalls was erwachsene Personen betrifft: den ältesten der Heiligen Drei Könige, der häufig dargestellt wird, wie er mit der Hand den Fuß des Erlösers streift.

Ist das Kind als Rex Mundi Teil einer Anbetung der Könige? Die Kunsthistorikerin Cristina Acidini Luchinat (Pinturicchio, Florenz 1999) vermutet, dass das Fragment aus der verlorenen Anbetung der Könige stammt, die Pinturicchio im Kreuzgang von Santa Maria del Popolo malte. 1811 ließ Valadier ihn abreißen, um die heutige Piazza del Popolo zu erbauen.

Doch das Fragment enthält eine noch größere Sonderbarkeit: Die Hand, die den Fuß des Kindes berührt, ist eine linke Hand. Eine reale, schwerwiegende Blasphemie, die zudem ein ikonographisches Unikum darstellt. Der älteste der Heiligen Drei Könige berührt Jesus selbstverständlich immer nur mit der rechten Hand. Und allen Gemälden sieht man an, wie sorgfältig die Maler darauf bedacht waren, den König nichts mit der linken Hand ausführen zu lassen, weder die Überreichung des Geschenks, noch die Berührung des Fußes. Botticelli zum Beispiel lässt den König das Geschenk auf dem Boden abstellen, während er den Fuß des Heilands liebkost, ebenso Gentile da Fabriano und Sogliani auf seiner Anbetung der Könige in der Kirche San Domenico in Fiesole. Bei Ghirlandaio, außerdem bei Filippo Lippi und Beato Angelico in dem Tondo, den sie wahrscheinlich zusammen gemalt haben, ergreift der König den Fuß mit der rechten Hand, und die Maler stellen das Geschenk nicht dar, sondern überlassen es dem Betrachter, es sich an irgendeiner Stelle im Bild verborgen vorzustellen. Bei Perugino hingegen überreicht der König das Geschenk mit der rechten, aber er vermeidet es, das Kind mit der linken Hand anzufassen. Kein Maler wagt es, eine Figur darzustellen, die den Heiland mit der linken Hand berührt.

Hinzu kommt ein weiteres Problem. Es ist zwar richtig, dass die Könige den Rex Mundi suchten, und das würde zu der Darstellung des Kindes passen, das den Reichsapfel in der Hand hält. Doch es existiert keine einzige Anbetung der Könige, wo das Kind mit dem Reichsapfel abgebildet wird. Allenfalls ist es manchmal einer der Könige, der dem Jesuskind einen geschlossenen Pokal als Geschenk darreicht.

Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen aus dem Hochmittelalter wie der Madonna in der Metropolitanbasilika Santa Severina (11. Jahrhundert) findet sich der Reichsapfel das ganze fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert hindurch nur auf den Gemälden, in denen die Madonna als Regina Mundi dargestellt wird, auch «Madonna in maestà» genannt, was bedeutet, dass sie auf einem Thron sitzt, eine Krone auf dem Kopf trägt und das Kind auf dem Schoß hat. Am häufigsten taucht dieser Darstellungstyp gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf (vgl. die «Madonna in Maestà» von Craveggia, die «Regina Mundi» von Gentile Bellini aus den Jahren 1475-1485, die hölzerne Madonnenstatue in Aufkirchen, die «Regina Mundi» von Collepardo, die Madonna der Passionistenpatres in Pugliano, die «Madonna mit dem Granatapfel», heute in der Londoner National Gallery, die «Regina Mundi» von Filippino Lippi aus dem Jahr 1498, die von Macrino d’Alba von 1499 etc.). Mit diesen Werken lässt sich auch die spätere «Regina Mundi» von Silvestro Amorti aus dem Jahr 1597 vergleichen. Doch erst 1650 wird man eine Madonna auf dem Thron ohne Krone und mit dem Kind auf dem Schoß finden, das einen Reichsapfel trägt (die Statue des Bildhauers Tomaso Ortolino im Kloster Santa Chiara in Genua). Die Kugel ist manchmal aus Gold und trägt oben ein Kreuz (das macht sie zum Reichsapfel, dem Symbol der göttlichen Königsherrschaft, aber nicht zufällig auch des Heiligen Römischen Reiches), manchmal ist es eine Kugel ohne Kreuz, manchmal nimmt sie die Form des Granatapfels an, des Sinnbilds für die Wunden des Gekreuzigten, also der Passion.

Diese Darstellung der Madonna findet sich jedoch nie auf den Gemälden mit der Anbetung der Könige. Die Vermutung, dass die Hand einem der Heiligen Drei Könige gehören könnte, scheint anhand der bildlichen Quellen keineswegs belegbar.

Die Kühnheit dieser linken Hand und die absolut atypische Eigenheit des Gemäldes, das auch wegen des Reichsapfels nicht als eine Anbetung der Könige identifiziert werden kann, sprechen somit für eine andere Vermutung: Auch diese Darstellung wurde nach dem Tod Alexanders VI. von denselben Verleumdern in Auftrag gegeben, die seit Jahren emsig an seinem negativen Mythos bastelten – um damit dem reformatorischen Impetus Luthers Material an die Hand zu geben, auf das er sich stützen konnte, mit dem er die Fliegenden Blätter füllen und schließlich die Massen, die der Kirche fernstanden, an sich binden konnte. Pinturicchio starb 1513, gut zehn Jahre nach Alexander VI. – er hätte also genug Zeit gehabt, um das diffamierende Porträt herzustellen. Es ist jedoch nicht gesagt, dass er persönlich den Auftrag erhielt, es zu malen. Bekanntlich wurden die Borgia-Gemächer im Vatikan nicht nur von Pinturicchio selbst, sondern auch von den zahlreichen talentierten Schülern seiner Werkstatt ausgemalt.

Diese Hypothese erklärt jedoch nicht, warum der Papst mit schmalen, weiblichen Händen gemalt wurde, die in so auffälligem Kontrast zu den fleischigen, ungeschlachten Händen auf dem berühmten Porträt Alexanders VI. stehen, das Pinturicchio in denselben Gemächern, in der Sala dei Misteri, malte. Zugegeben, auf der Kopie in Mantua hat das Profil des Papstes starke Ähnlichkeit mit dem seines Porträts in der Sala dei Misteri. Der Maler, der die verunglimpfende Kopie ausgeführt hat, war sorgsam darauf bedacht, genau das Bild zu kopieren, das es vom Borgia-Papst bereits gab, um seinem eigenen Gemälde mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die fleischigen Hände aus der Sala dei Misteri aber konnte er so nicht reproduzieren. Denn die zarte linke Hand, die den Fuß des Heilands liebkost, gehörte ursprünglich zu einer anderen Gestalt, und dem Maler blieb nichts anderes übrig, als die Darstellung des Papstes an diese Hand anzufügen, die nicht die seine ist. Aber wem um alles in der Welt gehörte diese kühn platzierte Hand?

Dem Valentino vielleicht, oder seiner Schwester Lucrezia, die beide schmale Hände hatten? Oder jemand anderem, der geschmäht werden sollte? In diesem Fall wäre die Berührung des Fußes mit der linken Hand ursprünglich durchaus zum Zweck der Verleumdung gemalt worden, aber sie galt nicht dem Papst. Demnach wäre diese Figur erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich zwischen dem Tod des Papstes und den ersten Zeugnissen von Rabelais und Vasari durch diejenige des Papstes ersetzt worden, der in jenen Jahren religiöser Kämpfe ein besonders lohnendes Angriffsziel darstellte.

Kehren wir zu der Kopie von Mantua zurück, die damit als einziges Gemälde keine weiteren Geheimnisse birgt. Sie ist ausdrücklich zum Zweck der Verhöhnung und Diffamierung gemalt worden. Denn während die Haltung der Finger aller Gestalten in jeder Einzelheit identisch ist, hat der Maler das Gesicht des Jesuskindes deutlich deformiert: Er hat ihm eine hässliche, nach unten gebogene Nase gemalt (bei Pinturicchio hat es dagegen ein hübsches Stupsnäschen), die überdies bei einem Kind in diesem zarten Alter unvorstellbar ist, und er hat ihr große Ähnlichkeit mit der Nase des Vaters verliehen, wie auch die ganze Mimik des Gesichts darauf angelegt ist, dem Gesicht des Papstes zu ähneln. Es ist, als wollte der Maler dem Betrachter augenzwinkernd zu verstehen geben, dass dieses Kind ein Bastard des Borgia und der Farnese ist. Auch das Gesicht der Madonna ist unwahrscheinlich: Statt der traditionellen keuschen Ergebenheit der Jungfrau hat diese Madonna ein boshaftes Lächeln. Mehr noch: Der Papst betrachtet nicht das Kind, obwohl es ihn segnet, und er blickt auch nicht auf die Hand, die ihm den Segen erteilt. Der Blick des Papstes ist auf den Reichsapfel gerichtet, den das Kind in der Hand hält, als wollte er sagen: Die Macht, die ich durch dich erhalte, interessiert mich viel mehr als der Segen … Kurzum, dies ist kein sakrales Bild, es ist ein regelrechtes Pamphlet gegen Papst Borgia. Leider schweigen die Kunsthistoriker dazu.

Schlussfolgerung: Das Gemälde von Mantua hat sich als ein Akt der Diffamierung Alexanders VI. entpuppt und ist damit Teil der großen Kampagne, die dem Borgia mit Hilfe unzähliger Fälschungen Schaden zufügen wollte. Vom «Jesuskind der Hände» dagegen können wir sagen – nachdem wir uns zu diesem Zweck viele tausend Gemälde aus allen Zeiten und Orten angesehen haben –, dass es wegen dieser schmalen und kühn positionierten linken Hand (die nicht Papst Alexander VI. gehört) ein echtes Unikum im Panorama der mittelalterlichen und modernen Malerei darstellt. Die Vermutung, dass sich auch in diesem Gemälde eine dezidiert blasphemische Absicht ausdrückt, die jedoch gegen eine andere Person gerichtet ist, erscheint als die am wenigsten unwahrscheinliche. Doch das Geheimnis bleibt noch zu klären.

Der Plan Alexanders VI. einer großen Reform der Kirche

Verleumder, Fälscher und willfährige Historiker. Ist es möglich, dass über mehrere Jahrhunderte hinweg kontinuierlich ein solches Heer gegen den Borgia-Papst mobilisiert wurde? Wenn es so war, muss der Einsatz wirklich hoch gewesen sein. Die Antwort liegt im Werk Alexanders VI. oder genauer, in dem, was er plante, was aber unausgeführt blieb.

Das Projekt einer radikalen Kirchenreform, das der Borgia-Papst mehrmals zu verwirklichen versuchte, hätte der entstehenden protestantischen Reform den Boden unter den Füßen weggezogen. Wie erst Iligi und dann Ciolek Salai erklären, bereitete der Papst eine Reform der Kirche und des Klerus vor. Alexander VI. hatte sowohl in Rom als auch in anderen christlichen Ländern bereits Vorkehrungen für zahllose Verbesserungsmaßnahmen getroffen: In den letzten drei Jahren seiner Regierung hatte er in Frankreich, Deutschland und Spanien Kardinäle ernannt, die von ihm ermächtigt wurden, den Klerus zu reformieren, und zwar vor allem den der Klöster und Ordensgemeinschaften. In Österreich hatte er den Oberen aller religiösen Institutionen Anweisungen gegeben, die Exzesse und Ausschweifungen ihrer Untergebenen zu unterdrücken. In Irland hatte er eine Synode einberufen, um die Moralität des religiösen Lebens zu verbessern. In Italien hatte er den Ordensleiter der Kamaldulenser beauftragt, dafür zu sorgen, dass das Leben in den Klöstern wieder der alten Ordensregel gehorchte. In sehr vielen Fällen versuchte er, durch persönliche Schreiben Missstände abzuschaffen oder zu verhüten – allein an die Franziskanerpatres richtete er zu diesem Zweck nicht weniger als vierundachtzig Briefe. 1501 hatte der Minoritenorden auf Druck des Papstes eine Reihe interner Reformen durchgeführt, die nach ihrem Anreger benannt wurden: «Alexandrinische Reform». Im Jahr zuvor hatte Papst Borgia mit der Bulle «Admonet nos» die Reform aller Männer- und Frauenorden in ganz Deutschland befohlen.

Im Allgemeinen verschweigen die Historiker dieses Werk Rodrigo Borgias, da es nicht zu der «schwarzen Legende» um seine Person passt. Doch die zahllosen, nahezu pedantischen Reformmaßnahmen, die er einleitete, sind von De Roo in den Archiven halb Europas mit Geduld ausfindig gemacht worden und nehmen im dritten Band seines Werks über 120 Seiten ein. Nicht zufällig fanden während der Regierungszeit des Borgia-Papstes ungewöhnlich viele Konzile und Synoden statt, auf denen es um die Reformvorhaben und die moralische Verbesserung des Klerus ging: von Ungarn über Polen, Island, Litauen bis zu Portugal und den Kanarischen Inseln.

Was jedoch wirklich gebraucht wurde, war eine umfassende Strategie, die die Leitlinien für eine einheitliche, allgemeine Reform der Kirche festlegte, und zwar vor allem mit Blick auf Deutschland und Holland, wo die größte Unzufriedenheit gärte, wie Papst Borgia wusste. Auf deutschem Boden gehörten fast alle Bischöfe und Äbte zum Adel, dessen sorglosen Lebensstil sie teilten, womit sie zum schlechten Vorbild für das Verhalten der niederen religiösen Ränge wurden. In der Diözese Straßburg (vgl. De Roo, Bd. III, S. 87) hatte man schon seit langer Zeit keine Mitra mehr gesehen, und vom Volk wurde sie mitnichten verlangt. Am Beginn der Reformmaßnahmen waren mindestens achtzehn deutsche Diözesen und Erzdiözesen in der Hand weltlicher Fürsten, die danach trachteten, ihre politische Machtstellung durch die Unabhängigkeit von Rom zu sichern.

Schon 1497 hatte Alexander VI. eine aus sechs Kardinälen und ihm selbst bestehende Kommission einberufen, zu der später weitere Kardinäle und Prälaten hinzukamen. Anfangs versammelte die Gruppe sich jeden Morgen. Von dieser Vorbereitungsarbeit gibt es Berichte (De Roo, Bd. III, S. 172 fr.) in zwei Kodizes der Vatikanischen Bibliothek. Der strenge Ruf der sechs Kardinäle bereitete den widerspenstigen deutschen Fürsten schon bald schlaflose Nächte, und die Kommission erhielt in ihren Kreisen schnell den Namen «die sechs Reformatoren» («sex reformatores»). Besorgt um die Wahrung ihrer Vorrechte, schickten einige Fürsten sofort Appelle an die Kommission.

Aus den Protokollen der Kommission geht hervor, dass Alexander VI. auf die Möglichkeit baute, eine oder zwei Bullen zur Reform zu erlassen, die die ersten durchschlagenden Wirkungen zeitigen sollten. Doch da die Anzahl der Machtmissbräuche, die aus allen christlichen Ländern gemeldet wurden, Sitzung für Sitzung immer höher wurde, kam man zu dem Schluss, dass das Mittel der Bulle nicht genüge. Konnte eine päpstliche Bulle die reichen und mächtigen deutschen Fürsten und die mit ihnen verwandten Bischöfe, die es gewohnt waren, selbst Recht und Gesetz auf ihrem Territorium zu sprechen (auch indem sie päpstliche Bullen fälschten) und das schrankenlose Leben des Hochadels zu führen, wirklich zu einem sittlicheren Verhalten bekehren? So zeichnete sich bald ab, dass ein allgemeines Konzil nötig wurde, wo die Delegierten aller Länder mit Sachkenntnis über die speziellen Probleme ihres Gebiets sprechen und dann inter pares über die anzuwendenden Maßnahmen entscheiden konnten.

Doch das Konzil, auf das in den Akten der Kommission Alexanders VI. wie auf ein kurz bevorstehendes Ereignis Bezug genommen wird, fand leider nie statt. Fast will es nicht als ein Zufall erscheinen, dass Alexander VI. sich plötzlich genötigt sah, eine Fülle gravierender Notsituationen zu meistern: Man denke nur an den französischen Einmarsch in Italien unter Karl VIII. und Ludwig XII. an die Kriege zwischen dem Kirchenstaat und den kleinen italienischen Fürstentümern oder an die ständige Bedrohung durch die Türken. Das nächste Konzil («Fünftes Laterankonzil» genannt) wurde von Papst Julius II. erst 1511 versucht, acht Jahre nach dem Tod Alexanders VI. Obwohl er seinen Vorgänger hasste, musste Julius II. zugeben, dass das so sehr ersehnte Konzil «aufgrund der allgemeinen Unglücksfälle, die zur Zeit von Papst Alexander begannen, Italien heimzusuchen und es seither immer noch heimsuchen, so lang verschoben werden musste». Zu spät: Nur sechs Monate nach dem Abschluss des Konzils verkündete Luther seine fünfundneunzig Thesen.

Die von Papst Borgia vorbereitete Reform wurde darum erst ab 1563 als Auswirkung des berühmten Konzils von Trient (1545-1563) durchgeführt. Die andere Reform, die protestantische, hatte ihren Einsatz im Spiel damals schon seit fast einem halben Jahrhundert gemacht.

Salai und Leonardo da Vinci 01 - Die Zweifel des Salai
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