54.
Mein vortrefflicher und überaus gnädiger Padrone,
ich hab einen sehr guten und lobenswerten Schlaf getan, drum kann ich die Erzählung von eben fortsetzen. Also, die Alte tut zwar ganz unschuldig aber in Wahrheit macht’s ihr einen Heidenspaß uns Sachen zu berichten bei denen ihre Schwiegertochter eine schlechte Figur macht, und sie sagt es ist erstunken und erlogen dass die Frau von nichts weiß denn sie ist eine Schlange und falsch und verlogen, wo doch alle in der Gegend genau wissen dass Dorothea und ihr Vater und die kleine Magd vor zwei Tagen das Haus verlassen haben, und sind fortgegangen aber keiner weiß wohin. Die Alte sagt, auch damals als sie das Haus gemietet haben wusste keiner woher sie kamen, und der Vater von Dorothea hält nachts Zusammenkünfte mit andren Teutschen ab und hat auch sonst viel sonderbar Geschäffte und sicher hat er das Haus gemietet weil’s weit weg ist von Rom, nemlich in einem Ort wo nur dumme Bauern leben die von nichts eine Ahnung haben außer von Hühnern und Schweinen und ihrem Garten. Lionardo und ich sind seit vielen Jahren die ersten Fremden die hierher kommen und auch die einzgen die jemals nach den Teutschen gefragt, oder Moment mal, wartet, ihr seid nicht die einzgen, sagt die Alte. Ach nein?, wer ist denn gekommen und hat nach ihnen gefragt? Oh, das war vor langer Zeit, es mag vier fünf sechs Jahre her sein, ich erinnre mich nicht genau. Aus Rom ist ein Mann gekommen begleitet von sowas wie einem Schreiber und sie wollten wissen wer in dem Haus wohnt das dann später das von Dorothea war, aber damals wohnte ein andrer Teutscher darin, denn in dem Haus haben immer nur Teutsche gewohnt, Leute die aus Rom kamen und gingen, und es hieß dass sie alle für den Papst gearbeitet haben. Aber hör zu, mein lieber Junge, ich hab niemals Fragen gestellt, denn ich will mich nur um meinen eignen Kram kümmern, ich bin eine anständige Frau, nicht so eine die ihre Nase in andrer Leute Wirtschaft steckt, meine Schwiegertochter dagegen wo eine Klatschbase ist die könnte euch noch weiß Gott mehr erzähln, aber es hat sowieso keinen Zweck zu ihr zu gehn, sie erzählt ja nur Lügen, und wie die Alte das sagt hebt sie die Augen zum Himmel wie wenn sie sagen will, tja, meine Lieben, hier in der Gegend sind die Frauen alle Schlangen und gibt nur eine einzige anständige, und das bin ich.
Ich versteh die alten Weiber gut, sie sind alle listig und beklagen sich gern, und so frag ich sie, gute Frau, sag uns bitte wer der andre Mann war der aus Rom gekommen um die Teutschen zu suchen? Naja, ich weiß nicht ob ich mich genau erinnre, und außerdem müsst ihr wissen es war auch eine zimlich hässliche Geschichte, denn der Mann aus Rom wollt mit einem der Bauern aus dem Dorf sprechen, weil der kennt die Teutschen von hier gut. Aber dieser Bauer war grad nicht da und so hat der Mann aus Rom seinen Namen dagelassen und gebeten dass er ihn in Rom besuchen kommt. Und ein paar Wochen später wann der Bauer nach Rom fährt findet er raus dass der Mann tot ist, und es heißt sein Diener hat ihn mit dem Beil erschlagen, und so ist der Bauer ganz verängstigt ins Dorf zurückgekommen und hat gesagt, mamma mia, in was für eine üble Geschichte wär ich da fast reingeraten. Jedenfalls mein ich dass der Bauer diesem Fremden aus Rom sowieso nicht hätte helfen können, denn der Fremde verstand fast gar nicht wie wir hier sprechen. Ach, war er denn kein Italiener? Natürlich nicht, Junge, hab ich dir nicht gesagt dass er ein Spanier war? Er hat sogar gesagt dass er aus derselben Gegend kommt als wie der Papst, aber frag mich nicht wie er hieß denn ich bin eine arme alte Frau, und an Sachen von vor fünf sechs Jahren kann ich mich wirklich nicht mehr erinnern. Du müsstest meine Schwiegertochter fragen, aber ist ja sowieso nutzlos, denn sie ist eine Natter und auch wenn’s sie wüsste würd sie’s dir bestimmt nicht sagen, das hast du jetzt auch eingesehn, nicht wahr?
Oh ja natürlich, das hab ich verstanden, sag ich dieweil ich aus dem Augenwinkel seh dass Lionardo von der ganzen Geschieht einen feuchten Dreck versteht, aber er hat Angst und ist kreideweiß im Gesicht geworden.
Entschuldigt, gute Frau, sag ich weiter, aber was wollte der Spanier denn bloß von dem Bauern aus eurem Dorf wissen? Kann man vielleicht mit dem Bauern sprechen? Oha, mein Junge, jetzt habt ihr aber wirklich einen Haufen Fragen, sagt die Alte und macht ein pfiffges Gesicht, denn es stimmt ja, erst haben Lionardo und ich nur gesagt dass wir Dorothea suchen und jetzt wollen wir doch viel mehr wissen. Jedenfalls kannst du mit dem Bauern nicht sprechen, sagt die Alte, denn ein paar Monate nachdem er aus Rom zurück ist er eines schönen Tags nach der Arbeit auf dem Feld nicht mehr zurückgekommen, und niemand hat ihn nicht mehr gesehn, was für ein Glück dass er nicht verheiratet war sonst hätt er gar Frau und Waisenkinder hinterlassen, der Arme.
Was für eine eigenartige Geschichte, sage ich, aber hör mal, gute Frau, erinnerst du dich denn wirklich gar nicht mehr was dieser Spanier von dem Bauern wissen wollt? Ach fragt mich nicht, seither ist viel Zeit vergangen, sagt sie aber an ihren Augen sieht man dass sie sich an was erinnert, und ob, denn in diesen Kuhnestern passirt niemals was und wenn doch dann reden die Leute im Dorf zehn Jahre lang nur darüber. Ach ja, warte, vielleicht erinnre ich mich doch, sagt sie endlich, aber ich bin nicht sicher, weißt du, mir scheint der Spanier wollt den Bauern fragen ob er die Teutschen über einen hat reden hörn der Bücher schreibt. Einer der Bücher schreibt? Hieß der vielleicht Tacitus?, frag ich denn von den Schriftstellern kenn ich fast keinen und so hab ich den ersten Namen gesagt der mir in den Sinn gekommen. Nein, ich glaub es war ein Name der was mit einem Bock zu tun hatte. Hieß er Boccaccio?, fragt Lionardo und die Alte sagt, ja bravo, Boccaccio, genau der war’s, und ich erinnre mich nur weil ich ungebildet bin und diesen Namen kannte ich vorher nicht und schien mir sehr lustig, Boccaccio ist ein lustiger Name, findet ihr nicht auch?
Ja gewiss, er ist wirklich lustig, sagt Lionardo, aber in Fiorenza ist er sehr bekannt, denn Boccaccio war Toskaner und zu seiner Zeit hoch verehrt, aber jetzt erklär mir mal, Alte, wieso sagt mein Sohn dass die Insel im See auf der rechten Seite war und jetzt ist sie auf der linken? Ich bin ein Baumeister und sehr kundig in Dingen der Wassertechnik, zum Beispiel kenn ich die Wissenschafft wie man Brücken über Flüsse und sogar übers Meer baut, auch versteh ich viel von Inseln, und ich bin sicher dass sie sich niemals bewegen. Ihr wollt wissen warum die Insel sich bewegt hat, fragt die Alte. Hahahahaha hahah, aber das ist ja gar keine Insel!, lacht sie wie eine Gluckhenne, man sieht dass ihr Fremde seid und von dieser Gegend nichts wisst, denn hier weiß jeder, dass das gar keine Insel ist sondern nur ein Haufen Grünzeug, nemlich Stoppeln Blätter Gras Zweige und andre tote Pflanzen die auf dem See schwimmen und bewegen sich mit der Strömung, und wo sie alle so aneinanderkleben sehn sie aus wie eine Insel, aber die ist bloß künstlich, verstanden?
Euch immerdar ergeben
Salaì