55.
Padron, der ihr alle erdenklichen Komplimente verdient
gleich nach dem Schwatz mit der Alten sind Lionardo und ich zum See gelaufen um zu prüfen ob das Weib Recht hat, und wir werfen einen großen Stein mitten auf die Insel, und wie er auftrifft sehn wir dass er pflatsch macht und viele Spritzer und auf den Grund sinkt, also ist es keine Insel sondern bloß ein Haufen dämlicher Pflanzen nemlich solche wie sie auf allen Seen schwimmen, bloß sind es hier so viele dass sie ein Art kleinen Hügel bilden der aussieht als wie eine Insel.1* Natürlich ist Lionardo wieder wütend geworden und sagt, Salaì, Du bist und bleibst ein Schwachkopf denn du hast mir gesagt das wär eine Insel wo es bloß ein Haufen Blätter und Sumpfpflanzen ist, und vor der Alten hast du mich auch blamirt. Ich entgegne, aber Vater, Ihr sagt Ihr seid ein Fachmann für die Wassertechnik von Flüssen etcetera und wisst nicht mal dass es künstliche Inseln wie diese hier gibt? Warum studirt Ihr nicht solche Dinge statt Euch immer so einen Blödsinn auszudenken wie zum Beispiel den Arno umzuleiten, den schönen Fluss in unserm Fiorenza, und hoffentlich erlaubt Euch das keiner, denn eine so verrückte Idee die würde in einem riesigen Durcheinander enden2*.
Dieweil wir um den See gehn und Lionardo verstummt ist weil er vielleicht grübelt dass seine Ideen wirklich alle fauler Zauber sind, denk ich, mamma mia, wenn die Teutschen nun auch uns beide verschwinden lassen? Denn nach der Erzählung der Alten liegt’s auf der Hand dass der spanische Fremdling der gekommen ist um nach den Teutschen in dieser Gegend zu fragen, wirklich der spanische Poggio war, und den Bauern der ihn in Rom besuchen wollt (aber da war der spanische Poggio schon tot), den hat man auch um die Ecke gebracht, weil er hat irgendwas gewusst was den Teutschen Elsässern Alemannen etcetera mächtig gestunken hat. In dieser Geschichte spielt auch Boccaccio eine Rolle, und ich entsinne mich dass Lionardo mir in den ersten Tagen in Rom von Boccaccio erzählt und mir gesagt hat dass Boccaccio und Petrarca die ersten Antikisten warn. Später hab ich auch die Teutschen von Boccaccio reden hören wann ich sie in der Hütte von Dorotheas Vater heimlich belauscht, aber ich hab nicht verstanden warum sie von ihm sprachen. Wie Lionardo mich schon wieder mit Drecksack Idiot und Bastard beschimpft, sag ich, aber Vater, was kümmert’s Euch dass Ihr Euch vor der Alten blamirt? Wir müssen rauskriegen was hier passirt bevor man uns auch verschwinden lässt wie den Bauern der den spanischen Poggio kannte. Denn die Weiber in Rom denen ich einen Dienst besorgt hab, nemlich die Magd und die andren, sind auch schon fast alle auf unglaubliche Weise verschwunden, sie haben sich einfach in Luft aufgelöst pfffhh wie die Fürze von Lionardo. Es gibt also nur eine Möglichkeit rauszufinden was hier passirt ist, aber das kann ich Euch, Signior Padrone, jetzt nicht erklären, denn wir haben grad einen Bauern gefunden der uns in die Stadt zurückfährt und müssen sofort auf seinen Karren steigen sonst lässt er uns einfach stehn.
Euer eifriger Diener
Salaì
1 * Der von Salaì beschriebene See mit der schwimmenden Insel könnte der See bei Posta Fibreno sein (Provinz Frosinone), der schon in der Antike für seine besonderen Eigenschaften berühmt war.
2 * Salaì bezieht sich auf das bekannte, nie realisierte Projekt Leonardos, den Arno umzuleiten, um das feindliche Pisa von seiner Wasserzufuhr ab zuschneiden.