51.
Mein gütiger und weiser Padrone,
es dauert ewig lang bis der Campo di Fiore sich von all den Menschen leert, am Boden liegen sogar zwei drei Männer mit gebrochnen Beinen, die sind unter den Volksauflauf geraten und man hat auf sie getreten. Aber ich kann nicht warten bis der Platz frei wird, denn ich will sofort in die Herberge, und wenn ich Lionardo nicht antreff kann ich mich vielleicht von dem Mägdelein trösten lassen, das ich schon allzulang nicht mehr seh. Also steig ich vom Karren runter von wo ich die Hinrichtung gesehen hab und fang an mit den Ellenbogen nach rechts und links zu stoßen um mir freie Bahn zu verschaffen und sag, oh Verzeihung, ich wollte Euch nicht wehtun etcetera, aber komm dabei gut voran bis ich plötzlich vor einem bekannten Gesicht steh, und auch er hat mich gesehn. Was für eine schöne Überraschung, sage ich, denn es ist das teutsche, ach nein alemannische Pfäfflein mit dem ich vor ein paar Tagen nach der Messe geredet, und wir begrüßen uns herzlich und das hat mich ein bisschen getröstet nach dem schändlichen und blutigen Schauspiel das ich grade gesehn. Der Freund ist bei ihm der ihn schon begleitet hat wann wir uns kennenlernten, und gleich sagt er, hast du gesehn wie grässlich das war? Der arme Kerl, und beide bekreuzigen sich. Oh ja, antworte ich und frage gleich, gibt’s bei euch in Teutschland wohl auch solche Dinge, also Raub und Mord etcetera? Natürlich gibt’s das, sagen sie, Teutschland ist ja nicht das Paradies, aber warum fragst du? Nun Pater, man hat mir gesagt dass manche Teutsche meinen, ganz Italien besteht nur aus Spitzbuben Mördern Dieben Huren etcetera, wogegen die Teutschen ehrlich sind und reine und alte Sitten haben. Die beiden jungen Pfaffen lächeln belustigt wie man’s bei den Kindern macht wenn sie einem ihre einfältigen Geschichten erzählen und sagen, aber lieber Junge, solchen Reden darfst du niemals Glauben schenken, die Teutschen sind so gut oder schlecht als wie die Italiener, will heißen, das hängt jeweils vom einzelnen Menschen ab ob er ein Sünder ist oder eine gute Seele oder gar ein Heiliger, von denen es aber auf der ganzen Welt nur sehr wenige gibt, ja heutzutage praktisch keinen. Aha, so ist das, sage ich, das wollte mir auch so scheinen wie wenn diese Geschicht ein dummes Gewäsch ist nach der die teutsche Rasse besser sein soll als die anderen als wie der Tacitus und der Wimphelin meinen. Und das sage ich weil ich sehen will was für ein Gesicht die beiden alemannischen Priesterlein machen, und wirklich, sie sehn aus als wollten sie sagen, aha, der weiß ja gut Bescheid. Und einer der beiden fängt an, weißt du, Junge, das ist eine komplizirte Angelegenheit, und hier in Rom gibt’s Leute die wissen nichts von dem was man in Teutschland über den Papst und die Kirche von Rom redet. Wenn du willst treffen wir uns mal und dann geben wir dir geistlichen Rat und erklären dir ein paar Dinge. Aber wie er spricht sieht man ganz genau dass er viel mehr dran interessirt ist zu erfahren was ich ihm sagen könnt anstatt mir was beizubringen. Oh ja gern, warum nicht?, sage ich und der erste Pater erklärt mir, wo ich ihn und seinen Freund finden kann. Ja, mein lieber Junge, sagt er zum Abschluss, wir werden eine Menge zu besprechen haben. Und da fällt mir der Moses vom Diebold ein und ich denke, eigentlich könnt ich sie gleich mal fragen, und so sag ich, entschuldigt Pater wenn ich Euch noch mit einer Frage aufhalte, aber hatte Moses zufällig Hörner? Tut mir leid, ich versteh nicht was du meinst, Junge, sagt das Pfäfflein weil er glaubt wohl dass es eine blassfe blaspfme blasmpfe dass ich mit der Frage Gott lästern will. Nein, Pater, Ihr dürft nichts Böses denken, ich wollte nur sagen ich hab gehört dass manche Maler dem Moses auf ihren Gemälden Hörner auf den Kopf setzen, freilich nur ganz kleine, und da habe ich mich gefragt ob das richtig ist und ob es eine Bedeutung hat. So erklärt mir der junge Priester was in der Bibel im Buch Exodus geschrieben steht, nemlich dass Moses nachdem er auf dem Berg Sinai die zehn Gebote von Gott empfangen hinabstieg zu den Israeliten, und die sahen dass sein Gesicht strahlte, was klar ist, denn er hatte ja mit Gott gesprochen und das ist keine Sache die einem jeden Tag passirt. Aber bei dem hebreischen Wort das «strahlen» bedeutet haben sich manche Übersetzer geirrt und haben es mit «gehörnt» übersetzt, stellt Euch bloß vor, Signior Padrone, was für Esel, und darum hat sich der Irrtum bis heute gehalten, denn die Welt ist voller Esel, und so gibt’s immer noch Maler die den Moses mit Hörnern darstelln.
Bevor ich mich von den beiden Alemannen verabschiede denke ich noch, siehst du, Salaì, du hast dich schon wieder geirrt, und wolln wir wetten dass Diebold mit dem Teuffel nichts zu tun hat, also auch Burkard und Sander nicht? Der führt sich bei den Weibern zwar auf wie ein altes Schwein, aber das will ja nicht heißen dass er’s mit dem Teuffel hält. Doch dann muss ich den beiden alemannschen Pfäfflein schnell Addio sagen, denn in der Menge hab ich den Händler entdeckt von dem ich die Hemden gekauft, wie ich Euch schon sagte, nemlich hier in Rom brauch ich sie um Fiorenza unsrer Heimat alle Ehre zu machen, und wegen dem dass ich ihm einen Haufen Geld schulde das ich im Moment nicht hab, und ist sowieso viel besser wenn ich’s schaffe ihm sein Geld nicht zu geben, mach ich mich schnell aus dem Staub, zumal wo der Händler mich schon gesehn hat und auf mich zu kommt mit einem Gesicht das ist nicht gerade sehr freudlich, und ich glaube fast, wenn er weiß dass ich hier in Rom in der Herberge de la Fontana wohn, dann wird er mich suchen kommen.
Danach bin ich in die Herberge zurück und Lionardo war nicht da, also konnt ich ihm nichts erzählen davon dass das Mädchen verschwunden ist das ich unter der Treppe so schön an der Angel hatte, wie zum Kuckuck heißt sie noch gleich, ach ja Rosa, und auch nicht dass der Dieb gehenkt wurd der mich fast umgebracht. Also hab ich mich in mein Zimmer eingeschlossen wo ich Euch jetzt schreibe und warte dass mein Ziehvater zurückkommt. Derweil hab ich nach dem Mägdlein rufen lassen, aber hab auf sie gewartet bis ich schwartz wurde, und endlich ist ein Diener aus der Küche kommen und hat mir eine Nachricht gebracht die nicht grade gut ist, Signior Padrone. Nemlich das Mägdchen ist gestern spät in der Nacht zurückgekommen (also nachdem wir bei Sander diesem Schwein warn), aber von dem Moment an hat keiner sie gesehn oder gehört und man weiß nicht was aus ihr geworden, nichtmal ob sie überhaupt in ihrem Bett geschlafen hat, und der Diener wollt’s mir nicht zeigen aber es war klar dass er sich Sorgen macht, und niemand in der Herberge weiß was zum Henker ist passirt.
Obendrein hat der Mensch mit den verbeulten Eiern mich vor kurzem von den Dienern der Herberge rufen lassen, und sie mussten ihm melden dass ich nicht da bin und keiner weiß wann ich zurück sein werd. Aber jetzt sagen sie mir dass er auf der Straße vor der Herberge immer auf und ab geht, und ich glaube fast er wartet auf mich um mir nochmal das Gesicht zu zerschlagen was keine besonders schöne Sache ist. Dann kommt auch noch eine Nachricht von einem andren der sein Geld haben will, aber man kapirt nicht wer zum Teuffel das sein mag, weil es ist mit einer furchtbaren Klaue geschrieben, zittrig wie die von einem Greis, und ich versteh nur dass er sagt ich soll so schnell wie möglich herkommen, denn die Arbeit ist fertig. Aber die Unterschrifft kann keiner lesen, also wer mag das bloß sein?
Euer rastloser Diener
Salaì