48.

Mein ehrwürdiger und guter Padrone,

praktisch ohne mich nichtmal umzudrehn seh ich aus dem Augenwinkel die Hand durch die offne Tür, also hab ich nicht lang überlegt und geb der Tür einen starken Stoß und das Indivvid Indivio Indvdi der Kerl der die Hand reingesteckt hat brüllt vor Schmerz, weil die Tür ist ihm gegen die Schulter geschlagen. Wie er schreit scheint mir dass ich die Stimme kenne, aber bei der Angst die ich hab seit dieser Dieb mich damals fast kaltgemacht, denk ich diesmal nicht eine halbe Stunde nach bevor ich was tu, und so habe ich mit aller Kraft versucht die Tür zuzustoßen. Aber der andre wehrt sich, nemlich er geht nicht weg und ruft auch, sag mal, bist du blöd?, und schiebt ein Bein durch die Tür und tritt mir auf den Fuß und drückt mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, und wie ich versuch mich vor ihn zu stellen um ihn aufzuhalten fällt er praktisch auf mich drauf, und so stürzen wir beide zu Boden und er reißt mich an den Haaren, aua, und wann er mich packt sagt er, bist du jetzt vollends verlottert dass du mich nicht mehr erkennst?, und ich sehe dass er wirklich ein zimlich bekanntes Gesicht hat, nemlich das von einem Alten von vielleicht fünfzig Jahren, und am Ende, Signior Padrone, war’s die Stimme die mich überzeugt hat, und hab erkannt dass es Lionardo war aber ohne Bart und Haare.

Wann wir aufstehn und uns umarmen, ich wie ein Sohn und er wie ein Vater, sage ich, was zum Teuffel fällt Euch ein einfach zu verschwinden, Ihr habt mir eine furchtbare Angst eingejagt (aber das stimmte überhaupt nicht, Signior Padrone, denn ich wusste sowieso dass er früher oder später zurückkommen würd, wo er doch ohne mich verloren ist als wie ein Fisch auf dem Trocknen).

Ach mein Junge, es war furchtbar, fangt Lionardo an, aber ich war tapfer und hab alles ergeben ertragen, denn diese Ungläubigen müssen wissen dass wir Christen auch Helden sein können und zweimal tapferer sind als sie, und von Anfang an wusst ich, ich würde auch diese Prüfung überstehn, und wirklich, mein lieber Salaì, hier siehst du mich, denn der liebe Gott hat meinen Wunsch erhört dass ich in deine Arme zurückkehren möcht, mein geliebter Sohn, und in christliche Lande, damit Jesus und die Jungfrau Maria uns beschützen mögen. Und in dem Moment, denkt bloß, Signior Padrone, da macht Lionardo ein Kreuzzeichen und ist ihm sogar eine Träne entwischt.

Ich versteh aber nicht die Bohne wovon er redet und schau bloß auf den Bart und die Haare die nicht mehr da sind, aber ohne sie sieht Lionardo nicht mehr aus wie einer der immerfort kluge und schwierige Sachen denkt, von wegen, er hat sogar einen etwas blöden Blick und scheint fast ein ganz gewöhnlicher Mensch und beileibe kein großer Geist nicht wie so viele sagen. Ich frage ihn, sagt mir Vater, was zum Henker habt Ihr mit Euren Haaren und dem Bart gemacht? Stell nicht so dämliche Fragen, Salaì, antwortet er, die haben mir die Türcken abgeschnitten, ist doch klar, oder?

Und wie ich die Augen aufreiße und frage, was redet Ihr da? Was ist Euch geschehn? da scheint er überrascht wie wenn ich das alles schon wissen und verstehen müsst was er gesagt, und er schaut mich nicht direkt an sondern sucht mit Blicken irgendwas hinter mir im Zimmer. Plötzlich bleiben seine Augen an einem Tischchen kleben wo immer seine Sachen liegen, nemlich Zeichnungen Briefe verschiedne Papiere etcetera, und werden groß vor Staunen, und ohne mit dem Reden aufzuhören fängt er an eine Art Tanz aufzuführn um an das Tischchen ranzukommen, aber so dass es nicht wie Absicht aussieht also ohne zu zeigen was er tun will und derweil sagt er, mein lieber Salaì, gar nichts hast du verstanden, die Haare und den Bart hab ich mir selber abgeschnitten, was ist daran so seltsam? Und in Wahrheit bin ich weg aus Rom weil ich ein bisschen Zeit zum Nachdenken brauchte, denn in den Tagen davor hab ich viele Dinge erfahren, und die wollte ich auf exakte Weise untersuchen wie alle Männer der Wissenschafft es tun welche nach der neuen Metode der spekulativen Vernunft zu denken verstehn blablabla etcetera, kurzum Lionardo schwadronirt einfach drauflos wie immer wenn er nichts Genaues sagen will, und ich nicke und sag, aha gewiss natürlich klar, ich versteh Euch ganz genau, mein Vater, und er macht weiter, mein allerliebster Sohn, wie ich dir schon sagte, der wahre Grund warum ich in diesen Tag fort war ist dass ich über diese Dinge nachdenken wollt und auch über viele Probleme der Matematik und der Geometrie und über die Teorie der flüssigen Stoffe nemlich die Gewässer und die Luft, denn das könnte mir auch nützlich sein um neue Apparaturen zu entwerfen womit man Krieg führen kann indem man unter dem Meer hindurchfährt und auch um neue fliegende Geräte zu bauen, aber heute ist es zu spät um dir davon zu sprechen, also erzähl ich dir vielleicht morgen alles, jetzt möchte ich im Gasthaus de la Vacca etwas essen und dann ins Bett gehn, denn ich bin totmüde, verstehst du? Und er hat mich am Arm genommen um mich aus seinem Zimmer zu führen. Nun mag ich ja ein Igniorant sein, Signior Padrone, aber ein Trottel bin ich nicht, und so hab ich verstanden dass Lionardo was hinter meinem Rücken tun will, und mit den dreißig Jahren die ich jünger bin als er hab ich ihn reingelegt, denn hastdunichtgesehn dreh ich mich um und lauf vor ihm zu dem Tischchen wo mein Ziehvater immerfort aus dem Augenwinkel hingestarrt und nehm das Blatt das oben drauf liegt, und hier unten zeig ich’s Euch:

Kaum hab ich diesen Satz laut vorgelesen ist Lionardo vor Schreck erstarrt denn mein Gesicht hat ihm verraten was er schon geahnt nemlich dass ich den Satz zum ersten Mal lese.

Dann stehn wir uns gegenüber und sind still, und es liegt in der Luft dass Lionardo mir jetzt sagen muss was er wirklich all die Zeit gemacht die er nicht in Rom war und was zum Henker die Türcken damit zu tun haben.

Es gefällt mir überhaupt nicht wenn ich für dumm verkauft werde, Signior Padrone, darum hab ich gesagt, entschuldigt, mein Vater, wo Ihr sagt dass Ihr totmüde seid erinnert Euch das an etwas? Wann der Dieb in Euer Zimmer gekommen der mich fast umgebracht hätt, sind einige von Euren Papieren verschwunden die Ihr dann nicht mehr gefunden habt. Ja natürlich erinnre ich mich, sagt Lionardo mit einem besorgten Flackern in den Äuglein. Nunja Vater, red ich weiter, diese Papiere hab ich glaube ich gefunden. Und ich zeig ihm die Zeichnung von der Brücke die ich nach dem Besuch beim armenischen Priester in sein Zimmer zurückgebracht hatte. Er reißt sie mir aus der Hand und ruft, aber wo haben die denn gesteckt verflucht nochmal? Nun, Ihr müsst wissen, Vater, ich hab sie gleich nach dem Diebstahl in ein Buch gelegt, aber mich erst wieder dran erinnert wann Ihr aus Rom fortgegangen und verschwunden ward, es ist die Zeichnung von einer Brücke und sie gefällt mir sehr, erklärt Ihr mir jetzt wozu sie dient? Außerdem ist in der Zeit wo Ihr fort ward einer gekommen von dem Ihr eine Landkarte der Türckei gekauft und hat sie Euch gebracht, und genau die ist’s die mich wann sie gebracht wurd dran erinnert hat wo ich die Zeichnung mit der Brücke hingesteckt hatt.

Statt sich über meine Frage zu freuen bleibt mein Ziehvater stumm und steht er da mit einem Gesicht als wenn der Wundarzt ihm nach der Untersuchung gesagt hätt, ach übrigens, mein lieber Lionardo, du hast ein schönes Geschwür an der Leber eins im Gehirn und obendrein ein recht dickes am Schwanz und heut nacht wirst du sterben.

Nein jetzt ist aber Schluss Vater! schrei ich ihn da mit böser Stimme an, Ihr müsst mir endlich alles erklären, und dann frag ich ihn warum er diesen Hilferuf geschrieben und in seinem Zimmer gelassen hat, nemlich Hilfe die Türcken wollen mich entführen, denn man sieht sowieso genau dass er falsch und sogar lächerlich ist. Dann sag ich ihm dass er mir endlich erklären soll warum er tagelang aus Rom verschwunden ist und diese Karte von der Türkei gekauft und diese Zeichnung von einer Brücke gemacht hat, denn ich konnt ja nicht so tun als wenn’s all diese Dinge gar nicht gibt, und es stimmt zwar dass ich nur sein Stiefsohn bin, aber trotzdem muss ich wissen was zum Teuffel er treibt, denn die Schurken denen er mit seinen Forschungen auf die Klöten geht die haben mich zweimal schon fast kaltgemacht, nicht ihn.

Erst versucht Lionardo sich zu wehren und redet einen Haufen Blech, nemlich Salaì, sei nicht so frech, denn ich bin dein Vater, nicht umgekehrt, du musst mich respektiren und ich kann dir nicht jede Kleinigkeit von mir erzählen also halt jetzt den Mund und gib mir das Blatt was auf dem Tischchen lag. Aber ich antworte ihm wie er’s verdient, mein lieber Vater, ich mag ja mehr oder wenger Euer Sohn sein, aber im Hirn hab ich nun wirklich keine Schafskacke, und wenn Ihr mir nicht die Wahrheit sagt dann schwör ich, ich geh sofort nach Fiorenza zurück und lass Euch bis zum Hals in der Scheiße stecken, verstanden?

Und so lässt Lionardo der nemlich immer Angst hat allein zu sein die Katze aus dem Sack, und erzählt mir die Wahrheit obgleich klar ist dass er überhaupt keine Lust dazu hat weil er schämt sich, und obendrein macht er noch eine lächerliche Figur.

Kurz gesagt ist es im Grund so gelaufen: Lionardo hält’s nicht mehr aus hier in Italien am Hungertuch zu nagen und will anfangen ordentlich Geld zu scheffeln und endlich geschätzt werden als wie er’s verdient, nemlich mindestens so wie seine Freunde die andren berühmten Baumeister zum Beispiel Bramante Sangallo etcetera. Aber wo alle ihn behandeln als wär er Luft hat er sich gedacht er probirt mal dem Sultan von Konzstantinopel seine Dienste anzubieten, denn er hat erfahren dass die Türcken Erfinder und Baumeister suchen um viele Gebäude zu baun, Palazzi und militärische Festungen und vieles andre mehr wofür die Baumeister einen Batzen Geld bekommen. Also hat mein Ziehvater in den letzten Monaten praktisch die ganze Zeit mit Männern vom Sultan verhandelt und denen versprochen die Brücke über den Bossporus zu bauen von der ich die Zeichnung gefunden, und dass er wenigstens zwei volle Jahre beim Sultan bleibt. Mittlerweile war eine Abmachung getroffen, sagt Lionardo, nemlich es sollte ein Treffen geben am Hafen von Civita Vecchia nahe bei Rom wo das Schiff von einem Venezianer der insgeheim im Dienst der Türcken steht weit vor der Küste warten und eine Schaluppe schicken wollt um Lionardo einzusammeln, und das Schiff sollt ihn heimlich nach Konzstantinopel bringen wo er dann in den Dienst des Sultans aufgenommen wird. Und darum hat Lionardo auch bevor er Fiorenza verließ seine Sachen bestellt, also Geld Bücher und viele andre Dinge so geordnet wie wenn er für lange Zeit wegbleiben müsst. Lionardo wollte nemlich überhaupt nur nach Rom gehn um in Civita Vecchia das Schiff zu nehmen und zum Sultan zu fahren. Wann wir in Rom angekommen sind hat er sich, als er das erste Mal verschwand mit den Männern vom Sultan in Rom getroffen. Dann ist er wieder fort um nach Civita Vecchia zu fahren und sich einzuschiffen. Aber bevor er nach Rom gegangen ist, hat er außerdem auch noch den Auftrag angenommen diese Nachforschung für den Valentino zu machen, denn bei dem Pech was Lionardo immer hat kann man nie wissen was ihm passiren wird, und das ist wirklich der einzige vernünftige Gedanke den Lionardo gehabt, wie ich Euch gleich erklären werd.

Wo mein Ziehvater die fixe Idee hat er wäre berühmt und glaubt dass alle wissen wer er ist, hat er sich sogar die Haare und den Bart abgeschnitten damit man ihn auf der Reise nach Konzstantinopel nicht erkennt. Dabei waren ihm seine Haare über die Maßen lieb, ja er fand sich so schön dass er gerne Bilder von sich selbst gemalt, und dann hat er sich sogar vor den Porträts einen runtergeholt, aber jetzt werden die Haare mindestens drei oder vier Jahre brauchen um wieder so lang zu werden wie vorher, drum stellt Euch mal vor wie hundsmiserabel er sich wohl gefühlt hat als es ihm dämmerte dass die Schaluppe niemals ankommen würd.

Bevor er zum zweiten Mal aus Rom verschwand hat mein Ziehvater in seinem Zimmer den Zettel mit der Aufschrifft, Hilfe die Türcken wollen mich entführen, zurückgelassen, damit alle glauben er wär von den Männern vom Sultan gefangengenommen worden, und hat den Zettel so geschrieben, denkt bloß, Signior Padrone, was für eine lächerliche Idee, wie wenn die Entführer ihm die Feder aus der Hand gerissen hätten und ihm keine Zeit mehr geblieben wäre die letzten Buchstaben zu schreiben. Jedenfalls hoffte er wann ich, Salaì, den Zettel find, würd ich allen sagen, Hilfe, Hilfe, man hat Lionardo entführt! und wenn er aus Konzstantinopel zurückkommt würde ihn keiner einen Verräter nennen, sondern alle würden sagen, armer Lionardo, zwei Jahre lang war er Gefangener der Türcken, und man würde ihn ein bisschen besser behandeln als wie zuvor.1*

Aber Lionardo hat den Zettel auf ein Tischchen gelegt wo ich nie hinschau denn da bewahrt er immer all seine Zeichnungen auf von den Apparaten wo nicht funktioniren und die mir schon zum Hals raushängen so gut wie ich die kenne, also hab ich nichts gesehn wann er nach Civita Vecchia abgereist war und hab auch kein Aas zu Hilfe gerufen.

In Civita Vecchia ist mein Ziehvater endlos viele Tage geblieben und hat gewartet und gewartet wie ein Blöder bis er kapirt hat dass der Sultan ihm nicht traut oder jemand Besseres gefunden hat (was mich zimlich wahrscheinlich dünkt, Signior Padrone) und dass es Essig ist mit der Schaluppe und man ihn reingelegt hat, und so ist er nach Rom zurückgefahren. Wann er bei der Herberge ankommt glaubt er ich hätt den Zettel mit dem Satz, Hilfe die Türcken wollen mich entführen gelesen, aber wie wir miteinander sprechen merkt er dass ich ihn nimmer nicht gelesen hab und von den Ungläubigen von denen er spricht nichts weiß. Dieweil er redet und hinter mich schaut entdeckt er den Zettel und versucht ihn an sich zu nehmen, aber wie üblich stellt er sich saublöd an und ich bin früher bei dem Zettel als er. Und wie er sowieso schon von was andrem redet, nemlich auf einmal will er nicht mehr sagen dass er von den Türcken entführt wurde sondern aus Rom verschwand um zu studiren und nachzudenken, da hab ich sofort kapirt dass er Stuss erzählt und nicht mehr weiß was er tun soll, denn sein ganzer Plan dass er in den Dienst der Türcken treten wollt ist aufgeflogen, ohne dass er’s überhaupt gemerkt hat, und das sind eben Sachen die solchen Pechvögeln wie ihm alle Naslang passiren.

Dann mach ich eine sehr entrüstete Miene und sage, aber hört mal, Vater, im letzten Jahr seid Ihr nach Venedig gegangen um die Bollwerke gegen die Türcken zu verstärken, und jetzt wollt Ihr in den Dienst des Sultans treten? Und wo er nichts zu antworten weiß, fängt er wieder an zu schreien, sei still Salaì, blöder Hund, was weißt du schon von diesen Dingen der Politik, und ich hab dir meine Angelegenheiten bestimmt nicht erzählt um mir die saudumme Meinung eines Ignioranten wie dir anzuhören. Außerdem erzählt auch Michelangielo überall herum dass er für den Sultan arbeiten gehn will, und wenn er, der ein Hornochse ist und nichtmal den Pinsel gerade in der Hand halten kann, das tut, warum dann nicht auch ich?2* Ja, Vater, aber an mich habt Ihr nicht gedacht, Ihr wolltet mich sogar allein und ohne einen Heller in Fiorenza zurücklassen, und da antwortet er, aber nein, aber nein, was glaubst denn du, gewiss hätte ich dir Geld von Konzstantinopel geschickt, denn dich vergesse ich doch nicht, mein Sohn, wo du immer in meinem Herzen bist. Kurz und gut, das übliche Gewäsch was Lionardo immer loslässt wenn er sich einschmeicheln will. Und außerdem, sagen wir’s freiheraus, Signior Padrone, wer glaubt schon an Versprechungen von einem wie Lionardo der sich nichtmal erinnert wieviel Geld er am Abend zuvor in der Tasche hatte? Obendrein will er ja nicht nur Fiorenza sondern auch die ganze Christenheit verraten um den Türcken zu helfen und mehr Geld zu verdienen, und hier, Signior Padrone, lass ich Euch und die andren Signiori der Stadt Fiorenza entscheiden ob das alles gut ist oder schlecht. Aber vielleicht kann man ihm verzeihn, denn meiner Meinung nach wird ihm jetzt wo er alt ist das Gehirn weich und fängt er an zu spinnen und Unfug zu machen wie alle Alten, und drum merkt er womöglich gar nicht was er anrichtet grad so wie Kinder und Idioten.

Da sag ich, denkt nur Vater, ich hab geglaubt Ihr seid aus Rom verschwunden wegen Paride Grassi der Euch gesagt hat der Valentino will bald Ergebnisse von Euren Nachforschungen haben, und darum habt Ihr Angst denn nichts habt Ihr in der Hand, und der Valentino wird Euch fertigmachen, und außerdem ist bei der Zigeunerin die Karte mit dem Aufgehängten rausgekommen, und darum hab ich gemeint Ihr hättet mächtig Schiss gekriegt und würdet Euch schon in die Hosen machen, nun denkt bloß wie falsch ich mit all dem gelegen bin.

Lionardo ist feuerrot vor Scham und Wut und will mich zur Hölle schicken, aber er hält den Mund, denn den Bock hat er ja geschossen, nicht ich. Ihr müsst wissen dass Grassi Euch in zwei Tagen dreimal geschrieben hat, warne ich ihn, und sagt er will Euch sofort sehen.

Da platzt Lionardo endlich vor Wut und schreit, was bildet sich dieses Arschloch Grassi eigentlich ein, dass man eine so schwierige Nachforschung wie die meine einfach so nebenbei erledigt wie eine Madonna mit Kind zu malen? (in Wirklichkeit braucht Lionardo immer ewig lang um seine Bilder zu malen, und sonderlich bei den Madonnen dauert’s, und wenn einer ihm einen Auftrag gegeben ist er das Warten bald leid und entzieht ihm die Arbeit wieder). Aber wenn Grassi unbedingt will, sagt Lionardo, na gut, morgen treffen wir ihn, denn damit das klar ist, ich hab gewiss keine Angst davor mit ihm zu reden.

Unterdessen hat Lionardo mir ins Gesicht geschaut und gesehn wie mich der Mensch mit den verbeulten Eiern zugerichtet hat und sagt, verflucht noch eins, Salaì, was ist dir zugestoßen? Nichts, mein Vater, ich hab mit einem gestritten wegen einer Sache da ging’s um Pferde. Dann fragt er mich, warum bist du in mein Zimmer gegangen? Ganz einfach, sage ich, ich hatte Angst dass in meins einer kommt um mich abzumurksen, und Lionardo fragt, warum denn, was ist passirt wie ich fort war? Oh ein Haufen Sachen und gleich erzähl ich Euch alles.

Wo Lionardo jetzt zimlich beschämt ist wegen dem ganzen Mist den er gemacht und gesagt, erzähl ich ihm die nächste halbe Stunde alles was passirt ist nachdem er aus der Herberge fort war, nemlich den Besuch im Wirtshaus de la Campana mit den betrunknen und verrückten Teutschen, den Überfall von dem Unbekannten der nach Zwiebeln stinkt und die Begegnung mit der scharfen Teutschen die ich sogar heiraten wollt, wie heißt sie noch gleich, ach ja Dorothea. Dann erzähl ich ihm dass ich die Germania von Tacitus gelesen und meine sie ist ein genialer Spaß von Poggio Bracciolini den er sich ausgedacht hat um zu kapiren ob derjenige der das liest ein Schwachkopf ist oder nicht, weiter dass ich die Teutschen belauscht bei ihrer Versammlung in der Hütte wo all die Bücher vom Vater von Dorothea herumstanden, dass ich fast entdeckt worden war und mir die kleine Dienstmagd von Dorothea geholfen hat etcetera. Dann erzähl ich von dem Besuch im Haus von Burkard und von allen Dingen die ich da drinnen entdeckt, aber die Geschichte von der Magd die mit Sander vögelt dieweil ich nackt in der Holztruhe sitz die hab ich ausgelassen, weil wer weiß wie Lionardo mir dann den Marsch geblasen hätt.

Mein Ziehvater scheint sehr interessirt an der Notiz die ich im Tagebuch vom Burkard neben der Nachricht vom Tod des spanischen Poggio gelesen hab, also Poggius Mercurio detur, und er fragt mich, Salaì, was zum Teuffel bedeutet das deiner Meinung nach? Mein Vater, ich glaub es heißt sowas wie «man muss Merkur einen Poggio geben», aber ich weiß wirklich nicht was damit gemeint sein soll. Mmh, ich auch nicht, denn das ist schlechtes Latein, sagt Lionardo um sich wichtig zu machen, aber in Wahrheit, Signior Padrone, kann er Latein nichtmal vom Quak Quak der Frösche unterscheiden und weiß erst recht nicht ob es gutes oder schlechtes ist.

Auch die Sache mit den päpstlichen Bullen von denen der Mensch mit dem Beuleiergesicht mir die offiziellen Kopien gegeben hat und die sagen dass der Valentino nicht der Neffe sondern der Sohn vom Papst ist, hat Lionardo sehr interessirt. Wie er die Dokumente betrachtet sagt er, aha mmh nunja, wirklich sehr wichtig, aber in Wahrheit versteht er einen Furz wo sie doch alle auf Lateinisch sind, und wirklich er sagt dass wir sie einem Fachmann zeigen müssen. Ja, bravo Vater, Ihr habt Recht, sage ich, aber erzähl ihm nicht dass Beuleier einen Haufen Geld dafür haben will sonst wird Lionardo wütend, und außerdem hat er das Geld sowieso nicht, drum lass ich mir erst morgen was Gutes einfallen was ich ihm sagen kann.

Wie ich zuletzt meine Hosen aufbinde, fragt Lionardo erschrocken, Salaì, was machst du da, und ich antworte, keine Angst, ich bin bestimmt nicht schwul geworden, und zieh aus meinen Unterhosen den Packen Blätter die ich dem Burkard geklaut wegen den Tintenflecken. Ich erklär ihm wie ich sie genommen hab und Lionardo wird fast ohnmächtig vor Schreck, aber er schimpft nicht zu sehr denn die Geschichte macht ihn neugierig. Wir haben die Papiere gelesen, aber war eine verwickelte Angelegenheit um Prozesse und kirchliche Pfründe wo man rein gar nichts kapirt, und so beschließen wir auch dies Zeug dem Fachmann für Latein zu geben.

Ich hab Lionardo zwar viel erzählt aber dass ich das Spiel mit den Holzstäbchen gelöst das hab ich ihm verschwiegen, und auch dass ich vom Plan einer Brücke für den Krieg weiß die er dem Valentino heimlich anbieten will, denn das gehört ja zu meiner Mission in Euren Diensten, Signior Padrone, und Ser Lionardo darf keinen Argwohn haben dass ich früher oder später alle seine Geschäffte rauskrieg.

Am Ende ist mein Ziehvater kreidebleich vor Angst wegen all dieser intressanten Sachen die aber auch gefehrlich sind, denn es ist klar dass diese Alemannen Elsässer Teutsche etcetera gern mit dem Feuer spieln, und wenn du ihnen in die Suppe spuckst denken sie nicht zweimal nach und pusten dir ein Loch in den Bauch und dann Gutenacht. Also hab ich ihm gesagt, hört, mein Vater, mir scheint’s immer klarer dass es diese Alemannen oder Elsässer sind wo die Verleumdungen gegen den Papst verbreiten, und ich glaub das müssen wir endlich dem Grassi und dem Valentino berichten, meint Ihr nicht auch?

Lionardo sagt, aber nicht doch, mir scheint es noch immer widersinnig dass diese bösen Zungen Ausländer sein sollen, ich glaub du bist zu jung Salaì und deine Fantasie geht mit dir durch was ich ja gut versteh, aber bevor wir dem Valentino sagen dass es ganz gewiss die Leute aus Straßburg sind einschließlich Burkard so der Zeremoniar von Seiner Heiligkeit ist, muss ich ganz sicher sein, sonst blamir ich mich bis auf die Knochen und krieg obendrein noch Schwierigkeiten, du verstehst mich etcetera etcetera. Da bin ich natürlich böse geworden und hab protestirt, wie bitte? Vater, ich hab mir den Arsch aufgerissen um dem Burkard diese Papiere wegzunehmen und Ihr sagt sowas. Aber er unterbricht mich, halt mal, ich sag ja nicht dass du was Falsches gemacht, nur dass wir die Sache ruhiger angehn müssen, denn erst sollte man diese Papiere einem zu lesen geben der die offiziellen Dokumente genau versteht, nemlich die Sachen aus der päpstlichen Kanzlei auf Latein etcetera, und nachher können wir die Schlussfolgerungen daraus ziehn, hast du verstanden? Für mich war das wie das Gefasel von einem alten Narr, Signior Padrone, aber sonderlich schien’s mir verdächtig denn wenn einer leugnet was offensichtlich ist, so heißt das er hat was zu verbergen.

Nach den letzten Worten die ich und Lionardo gewechselt war’s furchtbar spät, und indem dass mein Ziehvater sicher sein wollt dass die Rede nicht nochmal auf all die Dummheiten kommt die er angerichtet hat, zieht er sich aus und legt sich ins Bett und sagt, ich hab keinen Hunger mehr und jetzt reicht’s, Salaì, es wird Zeit dass auch du schlafen gehst, denn ich glaub all deine Hirngespinste über die Alemannen und die Straßburger haben dich aufgeregt. Aber wer hier aufgeregt ist, Signior Padrone, das ist gewiss nur er selbst, wegen der Geschicht von den Türcken, und wirklich ist er blass, und der Schweiß läuft ihm runter und er schämt sich wie ein ertappter Hühnerdieb. Und außerdem fängt er jetzt sicher wieder an über die beiden Zeichnungen nachzudenken, nemlich den Gehenkten und das Seil zum Aufhängen die jemand hier in der Herberge unter seine Tür gelegt. Denn dieser Bernardo der in Fiorenza gehenkt wurd und den Lionardo vor langer Zeit abgezeichnet hat, der war ja in Konzstantinopel eingefangen worden wo der Sultan ihn an die Fiorentiner verraten hatte (aber diese Geschichte kennt Ihr gewiss besser als ich, denn davon redet in Fiorenza jeder). Und wo Lionardo sich doch ausgerechnet mit dem Sultan verbünden wollt, denkt er jetzt bestimmt: Gut möglich dass dieses Rabenaas von einem Sultan den Florentinern auch diesmal alles ausplaudert, und dann verhaften sie mich und hängen mich wie den Bernardo, drum sind diese Zeichungen die man mir unter die Tür geschoben vielleicht eine Warnung?

Dann hat er sich zur Wand umgedreht weil er müde war und sofort zu schnarchen angefangen, was gut war, denn wie üblich hab ich seine Hosen durchsucht, und da finde ich viel Geld das ich mir sofort in die eigne Tasche steck, aber nicht alles, denn wo er sich ja nie an was erinnert kommt ihm morgen vielleicht ein Zweifel und er denkt, hab ich das Geld nun verloren oder hab ich’s ausgegeben? Dann wird er mich bitten ihm was zu leihen und ich kann ihm dies Geld hier geben, vielleicht behalt ich’s aber auch denn ich kann es sowieso besser brauchen als er, zum Beispiel könnt ich’s zu dem tun was mir Sander gegeben hat, ach übrigens hab ich Lionardo natürlich nicht gesagt dass der Sekretarius vom Burkard mir einen ordentlichen Batzen Geld gegeben, wer weiß wieviel Lionardo sich sonst von mir leihen will, und dann seh ich mein schönes Geld nie wieder.

Bevor ich auch in meine Kammer schlafen geh entdecke ich dass Lionardo ein ledernes Säckchen auf dem Boden abgelegt hat was ich noch nie gesehn, ich mach’s auf und steck eine Hand rein aber gleich zieh ich sie wieder raus, denn es fühlt sich an als wär da ein haariges Tier drin. Dann drück ich es in der Faust und sehe dass bloß ein Haufen Haare in dem Säckchen sind, und gleich ist mir klar worum es sich handelt: Lionardo hat es so leid getan sich seine Haarpracht und vor allem den Bart abzuschneiden dass er alle Haare in diesem Säckchen aufbewahrt, kaum zu glauben auf was für einen närrischen Mumpitz diese Künstler in ihrem Leben manchmal kommen.

Nachdem ich mir nochmal die Augen ausgespült geh ich ins Bett, hoffentlich hat das arme Mägdlein inzwischen ihre Arbeit mit Sander diesem Schwein beendet, obwohl er hat uns ja einen Batzen Geld gegeben und das ist sehr gut. Verflucht noch eins, wenn Ihr wüsstet wie mir jetzt die Hand wehtut nach diesem endlos langen Brief, und stünde ich nicht im Dienst eines so erhabenen Herrn als wie Ihr einer seid, den Teuffel würd ich tun und nachts um diese Zeit so viel Papier vollschreiben.

Mit unerschöpflichem Eifer in Euren Diensten

Salaì


1 * Auch hier lügt Salaì nicht. Wie der große Islamist F. Babinger in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts herausfand, bot Leonardo dem Sultan Bayazid II. wirklich an, die Brücke über den Bosporus zu bauen und andere Arbeiten auszuführen.

2 * In seinen Lebensläufen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten (1550) berichtet Vasari tatsächlich, dass Michelangelo die Absicht bekundete, in den Dienst des Sultans zu treten.

Salai und Leonardo da Vinci 01 - Die Zweifel des Salai
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