5 Fünf Helden und eine Heldin
Als die Tore sich hinter Fank schlossen, kam Bowgentle mit nachdenklicher Miene und schleppenden Schritten die Treppe herunter.
»Was hast du denn, Bowgentle?« fragte Graf Brass besorgt. Er ging ihm entgegen und legte die Hand auf den Arm des Freundes. »Du siehst sehr beunruhigt aus.«
Bowgentle schüttelte den Kopf. »Nicht beunruhigt – entschlossen. Ich bin zu einer Entscheidung gekommen. Es ist schon viele Jahre her, seit ich eine Waffe, größer als einen Bleistift, schwang und etwas Schwereres mit mir herumtrug als abstrakte philosophische Probleme. Nun bin ich bereit, stählerne Waffen in die Hand zu nehmen. Ich werde mit euch reiten, wenn wir gegen das Dunkle Imperium ins Feld zieht.«
»Aber, Sir Bowgentle«, warf Falkenmond ein, »Ihr seid doch kein Krieger. Ihr seid unsere Stütze mit Eurer Güte und Weisheit. Das bedeutet uns mehr als Eure Waffenhilfe.«
»Aber dieser Kampf wird der letzte überhaupt sein, ob wir nun siegen oder verlieren«, erinnerte ihn Bowgentle. »Wenn ihr nicht zurückkehrt, habt ihr keinen Bedarf für meine Weisheit, und kommt ihr doch heim, werdet ihr meinen Rat kaum brauchen, denn dann seid ihr die Männer, die das Dunkle Imperium zerschlugen. Deshalb nehme ich das Schwert. Einer dieser Spiegelhelme wird mir passen, ich bin überzeugt davon. Der mit dem schwarzen Kamm.«
Falkenmond trat zur Seite, als Bowgentle den Helm hochhob. Langsam zog er ihn über den Kopf. Er passte genau. In seiner glänzenden Oberfläche konnten sie sehen, was Bowgentle sah – ihre Gesichter, voll Bewunderung für ihn.
Falkenmond runzelte die Stirn. »Wir sind selbstverständlich einverstanden, wenn es wirklich Euer Wunsch ist, Sir Bowgentle, und freuen uns über Eure Begleitung, aber für wen, glaubt Ihr, ist der sechste Helm?«
»Für mich!«
Die Stimme war sanft und lieblich, aber bestimmt. Falkenmond drehte sich um und starrte seine Frau ungläubig an.
»Nein, er ist nicht für dich, Yisselda …«
»Wie kannst du so sicher sein?«
»Nun …«
»Sieh ihn dir doch an – den Helm mit dem weißen Kamm. Ist er nicht kleiner als die anderen? Wie für einen Knaben – oder eine Frau.«
Widerwillig nickte Falkenmond.
»Und bin ich nicht Graf Brass’ Tochter?«
»Das bist du.«
»Und reite ich schlechter als ihr?«
»Durchaus nicht.«
»Und habe ich als junges Mädchen nicht in der Arena als Stierkämpferin Ehren errungen? Habe ich nicht mit den Hütern der Kamarg den Umgang mit der Axt, dem Schwert und der Flammenlanze geübt, Vater?«
»Das ist wahr. Sie beherrscht alle diese Disziplinen«, musste Graf Brass zugeben. »Aber das allein genügt nicht für einen Krieger …«
»Bin ich nicht stark?«
»Ja – für eine Frau …« erwiderte der Burgherr. »Sanft und stark wie Seide, glaube ich, bezeichnete es ein Poet hier am Ort.« Er warf einen leicht amüsierten Blick auf Bowgentle, dessen Gesicht sich verlegen rötete.
»Ist es vielleicht Ausdauer, an der es mir mangelt?« fragte Yisselda halb herausfordernd, halb amüsiert.
»Nein – deine Ausdauer ist bewundernswert«, versicherte ihr Falkenmond.
»Mut? Fehlt es mir an Mut?«
»Niemand hat mehr Mut als du, mein Kind«, sagte Graf Brass mit ehrlicher Überzeugung.
»Welche Eigenschaft fehlt mir dann zum Krieger?«
Falkenmond zuckte mit den Schultern. »Keine, Yisselda. Es ist nur, du – du bist eine Frau, und – und …«
»Und Frauen kämpfen nicht. Sie bleiben zu Hause, am Kamin, und betrauern ihre gefallenen Lieben. Meinst du das?«
»Oder heißen sie willkommen …«
»Oder heißen sie willkommen. Nun, damit gebe ich mich nicht zufrieden. Weshalb sollte ich auf Burg Brass bleiben? Wer wird mich beschützen?«
»Wir lassen ein paar Wachen zurück.«
»Ein paar Wachen – Männer, die euch im Kampf fehlen. Du weißt genau, dass ihr jeden einzelnen brauchen werdet.«
»Das stimmt«, gestand Falkenmond. »Aber da ist noch etwas, Yisselda. Hast du vergessen, dass du unser Kind trägst?«
»Wie könnte ich das? Ja, ich trage unser Kind – und ich trage es mit in die Schlacht. Denn wenn wir geschlagen werden, erbt es nichts als Zerstörung – und wenn wir gewinnen, lernt es den Triumph des Sieges fühlen, noch ehe es das Licht der Welt erblickt. Sollten wir jedoch alle fallen – so sterben wir wenigstens gemeinsam. Ich will nicht Falkenmonds Witwe sein, und auch nicht sein Waisenkind gebären. Auf Burg Brass bin ich allein nicht sicher, Dorian. Nein, ich reite mit euch.«
Sie bückte sich über den Spiegelhelm mit dem weißen Kamm und hob ihn hoch. Dann zog sie ihn über den Kopf, dass er auf ihren Schultern ruhte, und breitete die Arme aus.
»Seht ihr – er könnte gar nicht besser passen! Er wurde zweifellos für mich gefertigt. Wir reiten zusammen, wir sechs, und führen die Kamarganer gegen die geballte Macht des Dunklen Imperiums – fünf Helden und, hoffe ich, eine Heldin!«
»So soll es denn sein«, murmelte Falkenmond. Er nahm Yisselda in die Arme und drückte sie fest an sich. »So soll es sein.«